Mittelbare Täterschaft

Mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt. 2 StGB)

Mittelbarer Täter ist, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht (§ 25 I Alt. 2 StGB).1 Der mittelbare Täter verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht selbst, sondern bedient sich dazu eines menschlichen Werkzeugs, über das er kraft überlegenen Wissens oder Wollens die Tatherrschaft ausübt.

Bei dem Werkzeug („Vordermann“) muss auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein „deliktisches Minus“ vorliegen, welches seine eigene Strafbarkeit ausschließt. Handelt der Vordermann tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft, beherrscht er das tatbestandsmäßige Geschehen und trägt dafür auch die strafrechtliche Verantwortung; eine mittelbare Täterschaft (auch) des Hintermanns scheidet dann grundsätzlich aus (diskutierte Ausnahme: „Täter hinter dem Täter“, s. u.).

Prüfungsschema: Mittelbare Täterschaft, § 25 I Alt. 2 StGB

In der Fallbearbeitung prüft man in der Regel zunächst die Strafbarkeit des Vordermanns als Tatnächsten.2 Erst wenn das unmittelbare Tatgeschehen feststeht, kann man sich der Frage nach dessen Zurechnung über § 25 I Alt. 2 StGB zu Lasten des Hintermanns widmen.

  1. I. Strafbarkeit des Vordermanns

    Es gilt das übliche Prüfungsschema zum vorsätzlichen Begehungsdelikt.

  2. II. Strafbarkeit des Hintermanns
    1. 1. Tatbestandsmäßigkeit
      • a) Objektiver Tatbestand

        Es darf sich weder um ein Sonderdelikt noch um ein eigenhändiges Delikt handeln.

        Dem Hintermann kann die Tathandlung des Vordermanns nach § 25 I Alt. 2 StGB nur zugerechnet werden, wenn er (1) ein deliktisches Minus des Vordermanns ausgenutzt oder (2) als „Täter hinter dem Täter“ agiert hat.

      • b) Subjektiver Tatbestand

        Der Vorsatz (§ 15 StGB) des Hintermanns muss sich nicht nur auf alle Tatbestandsmerkmale, sondern auch auf die Beherrschung des Vordermanns (h. L.) beziehen bzw. von einem Täterwillen (BGH) gedeckt sein.

        Zudem müssen etwaige besondere subjektive Tatbestandsmerkmale in der Person des Hintermanns erfüllt sein.

    2. 2. Rechtswidrigkeit
    3. 3. Schuld

Das „deliktische Minus“ beim Vordermann

Der mittelbare Täter bedient sich eines nicht strafbaren „menschlichen Werkzeugs“.3 Der Hintermann muss einen vorhandenen oder erzeugten Strafbarkeitsmangel des Vordermanns für seine Zwecke planvoll lenkend ausnutzen und auf diese Weise die Tatbestandsverwirklichung in den Händen halten. Der mittelbare Täter muss also eine beherrschende Stellung gegenüber dem Werkzeug und damit über die Tat innehaben.

Diese Tatherrschaft des Hintermanns kann auf einem überlegenen Wissen („Irrtumsherrschaft“) oder auf einem überlegenen Wollen („Nötigungsherrschaft“) beruhen. In Abgrenzung dazu kann man in den Fällen des „Täters hinter dem Täter“ (dazu gleich) von einer „Organisationsherrschaft“ des Hintermanns sprechen.

Der Strafbarkeitsmangel des Vordermanns kann auf allen Ebenen des Deliktsaufbaus verortet sein:

Tatbestandslos handelt das Werkzeug, wenn es den objektiven Tatbestand nicht erfüllt. Beispiele: Das Opfer verletzt oder tötet sich selbst oder beschädigt eine eigene Sache.4 Führt der Hintermann eine solche Selbstschädigung herbei, indem er beim Werkzeug einen Irrtum über den selbstschädigenden Charakter hervorruft, macht er sich als mittelbarer Täter strafbar.

Für Fälle, in denen das Werkzeug vorsatzlos handelt, ist typisch, dass der Hintermann beim Vordermann einen Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) hervorruft und diesen für eigene Zwecke einsetzt. Beispiel: Der Arzt täuscht der Krankenschwester vor, in einer Spritze befinde sich ein Schmerzmittel, und lässt sie dem Patienten tatsächlich ein tödlich wirkendes Gift injizieren.

Bringt der Hintermann den Vordermann in eine Tatsituation, in der dieser den Tatbestand gerechtfertigt verwirklicht, ist der Hintermann grundsätzlich mittelbarer Täter. Beispiel: Wer durch eine falsche Zeugenaussage bewirkt, dass der Beschuldigte vorläufig festgenommen (§ 127 II StPO), in Untersuchungshaft genommen (§§ 112 ff. StPO) oder zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe verurteilt wird, erfüllt die Freiheitsberaubung (§ 239 I, III Nr. 1 StGB) in mittelbarer Täterschaft.

Eine mittelbare Täterschaft kommt auch dann in Betracht, wenn das Werkzeug schuldlos handelt.5 Beispiel: Der wegen Schizophrenie gemäß § 20 StGB schuldunfähige T will den Politiker P töten. Der Hintermann H, der dies erkennt und P ebenfalls töten möchte, besorgt dem T eine Tatwaffe und sagt ihm, wann und wo er den P antreffen kann. T nimmt sich den Tipp zu Herzen und tötet P. Trotz seiner untergeordneten Rolle ist H als mittelbarer Täter gemäß §§ 212, (211), 25 I Alt. 2 StGB zu bestrafen.

Fälle der mittelbaren Täterschaft können auch so ausgestaltet sein, dass das Werkzeug entschuldigt handelt. Beispiel: H zwingt den V mit vorgehaltener Pistole zur Tötung seines Feindes. In einem solchen Fall versetzt H den V in einen Nötigungsnotstand, der als entschuldigender Notstand (§ 35 StGB) einzustufen ist. Zur mittelbaren Täterschaft führt auch das Hervorrufen und Ausnutzen eines unvermeidbaren und damit schuldausschließenden Verbotsirrtums (§ 17 StGB). Konstellationen mit einem vermeidbaren Verbotsirrtum werden hier als Fall des „Täters hinter dem Täter“ eingeordnet (dazu gleich).

Der „Täter hinter dem Täter“

Unter dieser Überschrift sind Konstellationen erfasst, bei denen es ausnahmsweise einen mittelbaren Täter hinter einem vollverantwortlichen unmittelbaren Täter gibt. Dabei geht es insbesondere um die beiden folgenden Fallgruppen:6

Ruft der Hintermann bei dem Vordermann einen vermeidbaren Verbotsirrtum hervor und verwirklicht der Vordermann die Tat nicht nur tatbestandsmäßig und rechtswidrig, sondern auch schuldhaft, ist der Vordermann strafbar. Berühmtes Beispiel ist der skurrile Katzenkönig-Fall:7 Eine Frau hatte ihrem leichtgläubigen Freund, einem ausgebildeten Polizisten, weiß gemacht, der die Geschicke der Welt lenkende „Katzenkönig“ verlange zahlreiche Menschenopfer. Dies könne der Freund jedoch dadurch verhindern, dass er eine Blumenverkäuferin töte. Dies versuchte der Freund auch und dachte dabei, durch sein Verhalten zahlreiche Menschenleben retten zu können. Dieser „Erlaubnisirrtum“, der wie ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln ist, führt nur dann zu einem Handeln ohne Schuld, wenn der Täter den Irrtum nicht vermeiden konnte. Unvermeidbar war der Irrtum aber nicht, weil der Freund zwar leichtgläubig war, sich als ausgebildeter Polizist aber leicht bei seinen Kollegen hätte erkundigen können, ob sie schon einmal etwas von einem „Katzenkönig“ gehört hätten.8 Der Freund ist deshalb gemäß §§ 212, (211), 22 StGB strafbar. Daneben ist die Frau nicht nur als Anstifterin (§ 26 StGB), sondern als mittelbare Täterin (§ 25 I Alt. 2 StGB) zu bestrafen, weil sie den vermeidbaren Irrtum planvoll lenkend ausgenutzt hat.9

Eine weitere Fallgruppe des „Täters hinter dem Täter“ stellt die Organisationsherrschaft dar. Beispiel: Ehemalige DDR-Politfunktionäre, die für den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze verantwortlich waren, sind als mittelbare Täter der von den Grenzsoldaten an Flüchtlingen begangenen vorsätzlichen Tötungsdelikte anzusehen.10 Die einer Irrtums- oder Nötigungsherrschaft wertungsmäßig gleichstehende Organisationsherrschaft ist durch vier Kriterien charakterisiert:11 (1) Anordnungsgewalt des Befehlsgebers in einem hierarchisch strukturierten Machtapparat; (2) der Ausführende hat aufgrund der „Rechtsgelöstheit“ des Machtapparats keine strafrechtlichen Konsequenzen für seine Tat zu befürchten; (3) der Vordermann ist durch zur Verfügung stehende andere Exekutoren beliebig austauschbar („Fungibilität“ des unmittelbar Ausführenden); (4) wesentlich erhöhte, „organisationsspezifische“ Tatbereitschaft des Ausführenden. Als derart organisierte Machtapparate kommen nicht nur Unrechtsstaaten, sondern auch andere Organisationen mit einer entsprechenden Befehlshierarchie (z. B. Gangstersyndikate mit mafiaähnlicher Struktur und Terrororganisationen) in Betracht.


  1. 1. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 43 Rn. 1 – 3; Kühl, JA 2014, 668, 670 f.
  2. 2. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 43 Rn. 4 f.; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 998.
  3. 3. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 43 Rn. 6 – 37; Kühl, JA 2014, 668, 670 f.
  4. 4. Berühmtheit hat der skurrile „Sirius“-Fall (BGH, Urt. v. 05.07.1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38 ff.) erlangt.
  5. 5. Da Anstiftung und Beihilfe jeweils nur eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Haupttat voraussetzen (vgl. §§ 26, 27 StGB), ist in diesen Fällen die Abgrenzung der (mittelbaren) Täterschaft zur Teilnahme besonders wichtig.
  6. 6. Zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 43 Rn. 40 – 70 (auch zu weiteren, hier ausgelassenen Fallgruppen).
  7. 7. BGH, Urt. v. 15.09.1988 – 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347 ff.
  8. 8. Kühl, JA 2014, 668, 671.
  9. 9. BGH, Urt. v. 15.09.1988 – 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 351 ff.
  10. 10. BGH, Urt. v. 08.11.1999 – 5 StR 632/98, BGHSt 45, 270, 296 ff.; BGH, Urt. v. 26.07.1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, 232 ff.
  11. 11. Roxin, ZIS 2009, 565 ff.; ders., FS Krey, 2010, 458 ff.; Schroeder, ZIS 2010, 569 ff.