Lediglich rechtlich vorteilhaft

Lediglich rechtlich vorteilhaft

Der beschränkt geschäftsfähige Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB). Das Gesetz unterscheidet zwischen zustimmungsbedürftigen und zustimmungsfreien Rechtsgeschäften. Der vorherigen Zustimmung (= Einwilligung, § 183 I BGB) durch die gesetzlichen Vertreter – i. d. R. die Eltern (§§ 1626, 1629 BGB) – bedarf es immer dann, wenn der Minderjährige eine Willenserklärung abgeben möchte, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Dabei sind ausschließlich die rechtlichen und nicht etwa (auch) die wirtschaftlichen Folgen der Willenserklärung zu berücksichtigen.1

Zweiseitig verpflichtende Verträge

Zweiseitig verpflichtende Verträge (z. B. Kauf-, Miet- und Werkvertrag) sind niemals rechtlich vorteilhaft, weil dem beschränkt Geschäftsfähigen Leistungspflichten auferlegt werden.

Beispiel: Ein Kaufvertrag verpflichtet den Verkäufer dazu, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen (§ 433 I 1 BGB). Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen (§ 433 II BGB). Beides sind rechtliche Nachteile, sodass die auf Abschluss eines Kaufvertrages gerichtete Angebots- oder Annahmeerklärung des Minderjährigen für diesen stets rechtlich nachteilig ist, und zwar unabhängig davon, ob er Käufer oder Verkäufer ist und unabhängig davon, ob das Geschäft für ihn wirtschaftlich vorteilhaft ist.

Unvollkommen zweiseitige Verträge

Unvollkommen zweiseitige Verträge (z. B. Auftrag, § 662 BGB) sind nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, weil sie der einen Vertragspartei Hauptleistungsplichten und der anderen Vertragspartei zumindest Nebenleistungspflichten (z. B. die Aufwendungsersatzpflicht des Auftraggebers nach § 670 BGB) auferlegen. Solche Nebenleistungspflichten reichen aus, um einen rechtlichen Nachteil zu begründen.

Einseitig verpflichtende Verträge

Einseitig verpflichtende Verträge (z. B. Schenkung, § 516 BGB) begründen Leistungspflichten nur für eine Partei. Für den Gläubiger begründet ein solcher Vertrag grundsätzlich nur rechtliche Vorteile. Allerdings kann auch ein solches Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft sein, wenn es unter Rücktrittsvorbehalt abgeschlossen wird und der Gläubiger im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts zur Leistung von Wertersatz oder Schadensersatz gemäß § 346 II, III, IV BGB verpflichtet sein kann.2

Verfügungsgeschäfte zugunsten eines beschränkt Geschäftsfähigen sind i.d.R. auch ohne die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nach § 107 BGB wirksam. Ein auf den Erwerb einer Sache gerichtetes Rechtsgeschäft ist für einen Minderjährigen allerdings dann nicht lediglich rechtlich vorteilhaft i.S.v. § 107 BGB, wenn er in dessen Folge mit Verpflichtungen belastet wird, für die er nicht nur dinglich mit der erworbenen Sache, sondern auch persönlich mit seinem sonstigen Vermögen haftet.3 Die bloße dingliche Belastung eines Grundstücks (z. B. durch eine Hypothek oder Grundschuld) begründet noch keinen rechtlichen Nachteil i.S.v. § 107 BGB, weil sich die Haftung des Minderjährigen in diesen Fällen auf das Grundstück beschränkt und nicht auf dessen sonstiges Vermögen erstreckt (vgl. § 1147 BGB). Der Erwerb eines Grundstücks löst aber öffentlich-rechtliche Lasten (Notarkosten, Grunderwerbssteuer) aus, für deren Erfüllung der Minderjährige auch mit seinem sonstigen Vermögen haftet. Der BGH hält es jedoch für angebracht, „jedenfalls … solche den Minderjährigen kraft Gesetzes treffenden persönlichen Verpflichtungen, die ihrem Umfang nach begrenzt und wirtschaftlich derart unbedeutend sind, dass sie unabhängig von den Umständen des Einzelfalls eine Verweigerung der Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter oder durch einen Ergänzungspfleger nicht rechtfertigen könnten“, aus dem Schutzbereich des § 107 BGB auszunehmen. Anfallende öffentlich-rechtliche Grundstückslasten könnten i.d.R. aus den laufenden Erträgen des Grundstücks bestritten werden und führten daher typischerweise zu keiner Vermögensgefährdung des beschränkt Geschäftsfähigen.4 Stets mit Rechtnachteilen behaftet ist hingegen der Erwerb einer Eigentumswohnung, weil er ipso iure die Mitgliedschaft in der Wohnungseigentümergemeinschaft und damit persönliche Verpflichtungen nach sich zieht.5 Vergleichbares gilt, wenn dem beschränkt Geschäftsfähigen eine vermietete Immobilie übertragen wird, weil er dann in den bestehenden Mietvertrag eintritt (§ 566 BGB) und Vermieterpflichten übernimmt.6

Ein besonderes Problem stellt die Erfüllung gegenüber Minderjährigen dar. Hat etwa ein beschränkt Geschäftsfähiger einen Anspruch auf Übereignung einer Sache (z. B. aus § 433 I 1 BGB), ist zwar deren Übereignung für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft, nicht aber der Verlust des schuldrechtlichen Anspruchs.7 Früher wurde der Minderjährige vor dem Anspruchsverlust bewahrt, in dem man rechtskonstruktiv einen Erfüllungsvertrag (Theorie der Erfüllungsvereinbarung) oder eine Einigung über den Zweck der Leistung (Zweckvereinbarungstheorie) forderte. Heute herrscht die Auffassung vor, bei der Erfüllung handele es sich um einen bloßen Realakt (Theorie der realen Leistungsbewirkung).8 Dem Minderjährigen fehle jedoch in analoger Anwendung des § 107 BGB die Empfangszuständigkeit, weshalb der Realakt der Erfüllung, durch den dem beschränkt Geschäftsfähigen ein rechtlicher Nachteil droht, nur dann rechtliche Wirkung zukommt, wenn er an den gesetzlichen Vertreter oder mit dessen Zustimmung an den Minderjährigen vorgenommen wird.9

Im Ergebnis verliert der beschränkt Geschäftsfähige seinen schuldrechtlichen Anspruch also nicht. Für den Leistenden kann dies hart sein, weil der Minderjährige seinem Rückforderungsbegehren nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB ggf. die Einrede der Entreicherung (§ 818 III BGB) entgegenhalten kann.

Neutrale Geschäfte

Nicht zustimmungsbedürftig sind – in teleologischer Reduktion des Wortlauts von § 107 BGB („… nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt …“) – neutrale Geschäfte. Solche Geschäfte, die weder rechtliche Vorteile noch Nachteile bringen, kann der Minderjährigen auch ohne die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters wirksam vornehmen.10

Beispiele: Der beschränkt Geschäftsfähige kann als Stellvertreter einen anderen schuldrechtlich verpflichten (§ 165 BGB) oder über den Gegenstand eines anderen mit dessen Zustimmung verfügen (§ 185 I, II BGB).


  1. Zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 9 Rn. 25 – 41a.
  2. BGH, Beschl. v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415, 416; BGH, Beschl. v. 03.02.2005 – V ZB 44/04, NJW 2005, 1430, 1431 (unter Rücktrittsvorbehalt abgeschlossener Schenkungsvertrag).
  3. BGH, Beschl. v. 28.04.2022 – V ZB 4/21, Rn. 8.
  4. BGH, Beschl. v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415, 418.
  5. BGH Urt. v. 21.04.2015 – XI ZR 234/14, Rn. 13; BGH, Beschl. v. 30.09.2010 – V ZB 206/10, Rn. 16.
  6. BGH, Beschl. v. 28.04.2022 – V ZB 4/21, Rn. 8.
  7. Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. F191a.
  8. BGH Urt. v. 21.04.2015 – XI ZR 234/14, Rn. 13.
  9. BGH Urt. v. 21.04.2015 – XI ZR 234/14, Rn. 14 f.
  10. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 9 Rn. 47 f.