Kausalität (Äquivalenztheorie)

Kausalität (Äquivalenztheorie)

Es gibt Tatbestände, bei denen die Strafbarkeit an den Eintritt eines bestimmten Taterfolges geknüpft ist.1 Man nennt diese Delikte Erfolgsdelikte. Nur bei ihnen spielen die Fragen der Kausalität und auch der objektiven Zurechnung eine Rolle. Es geht bei beiden Aspekten um die Frage, wie die Verbindung zwischen der Tathandlung und dem Taterfolg ausgestaltet sein muss.

Kausalität meint eine naturgesetzliche Verbindung zwischen Tathandlung und Taterfolg. Die objektive Zurechnung fragt wertend danach, ob der von ihm verursachte Erfolg auch als sein Werk zugerechnet werden kann. Eine Zurechnung entfällt insbesondere dann, wenn der Erfolgseintritt letztlich in den Verantwortungsbereich des Opfers oder eines Dritten fällt.

Die Erfüllung des objektiven Tatbestandes eines Erfolgsdelikts setzt voraus, dass der Täter den Taterfolg durch eine Handlung verursacht.2 Die Tathandlung muss für den Taterfolg ursächlich sein. Diese Kausalität ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, auf welches sich der Tatvorsatz erstrecken muss. Sie stellt das Bindeglied zwischen der Tathandlung und dem Taterfolg dar.

Äquivalenztheorie

Die Feststellung der Kausalität erfolgt anhand der Äquivalenz- oder Bedingungstheorie. Danach ist Ursache jede Bedingung (Handlung), die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (sog. conditio-sine-qua-non -Formel).3 Alle Bedingungen sind dabei gleichwertig, solange sie nur für den konkreten Erfolgseintritt mitursächlich sind. Man muss sich also die Handlung wegdenken und fragen, ob ohne sie der Erfolgseintritt in seiner konkreten Gestalt ausgebliebene wäre; ist diese Frage zu bejahen, ist die Handlung kausal.4

Entscheidend ist, ob ohne die Handlung der Erfolg in seiner konkreten Gestalt ausgeblieben wäre. Man darf die Kausalität deshalb nicht mit der Begründung verneinen, dass der Erfolg aus einem anderen Grund (sog. hypothetische Reserveursachen) ohnehin eingetreten wäre. Beispiel:5 T erschießt O, der gerade als Passagier in ein Flugzeug einsteigen will. Das Flugzeug stürzt später ab und niemand überlebt das Unglück.

Problematisch ist die Kausalität in Fällen, in denen Täter A zunächst eine zum Taterfolg führende Ursache setzt, Täter B dann aber noch vor dem Erfolgseintritt eine neue Bedingung setzt, die unabhängig von der ersten Bedingung den Erfolg herbeiführt (sog. überholende Kausalität). Beispiel:6 T1 verabreicht dem O Gift in einer sicher tödlichen Dosis. Bevor O stirbt, wird dieser durch T2 erschossen. Den Tod des O in seiner konkreten Gestalt hat T2 herbeigeführt; er ist gemäß § 212 StGB bzw. § 211 StGB zu bestrafen. Die Tathandlung des T1 ist für den Tod des O in seiner konkreten Gestalt hingegen nicht kausal geworden; er ist deshalb nur wegen versuchten Mordes bzw. Totschlags (§§ 211, 212, 22, 23 I StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit (vollendeter) gefährlicher Körperverletzung (§ 224 I Nr. 1, 5 StGB) zu bestrafen.

Fälle der überholenden Kausalität sind dadurch gekennzeichnet, dass eine echte Unterbrechung des Kausalzusammenhangs vorliegt, die erste Ursache also für den Erfolg in seiner konkreten Gestalt nicht kausal ist, wohl aber die zweite Ursache. Anders verhält sich dies in Fällen der fortwirkenden Kausalität, bei denen die Handlung eines Täters eine nicht hinwegdenkbare Bedingung für das Eingreifen eines weiteren Täters ist. Beispiel:7 Die T1 sticht die O in deren Wohnung mit Tötungsabsicht mehrmals mit einem Messer ins Gesicht. T1 hält O irrtümlich für tot. Danach läuft T1 zu ihrem Freund T2 und erzählt ihm, sie habe O erstochen. T2 betritt daraufhin die Wohnung der O, um die Spuren der Tat zu beseitigen. Dabei bemerkt T2, dass O noch lebt. T2 will die – wie er annimmt – bereits sterbende O töten und tut dies auch mit Schlägen gegen ihren Kopf. T2 ist gemäß § 212 StGB zu bestrafen, weil er den Tod der O in seiner konkreten Gestalt verursacht hat. Auch T1 ist gemäß § 212 StGB zu bestrafen, weil sich T2 ohne ihre Handlung nicht zum Eingreifen veranlasst gesehen hätte. Sowohl T1 als auch T2 ist der Erfolg zudem auch objektiv zurechenbar.8

Die Fälle der alternativen Kausalität sind demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass zwei unabhängig voneinander gesetzte Bedingungen gleichzeitig und jede für sich den Erfolg herbeiführen. Beispiel:9 T1 und T2 schütten unabhängig voneinander eine jeweils tödliche Dosis des gleichen Gifts in das Glas des O, der es trinkt und stirbt. Wendet man die Äquivalenztheorie im vorstehenden Sinne streng an, wären T1 und T2 jeweils nur wegen versuchten Totschlags bzw. Mordes zu bestrafen, weil der Tod des O (in seiner konkreten Gestalt) nicht entfiele, wenn man jeweils nur die Tat des T1 oder diejenige des T2 hinwegdachte. Um dieses unbillige Ergebnis zu vermeiden, modifiziert die h. M. die conditio-sine-qua-non Formel für solche Fälle wie folgt: Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede für den Erfolg ursächlich.10

Von Fällen der alternativen Kausalität wiederum abzugrenzen sind Fälle der kumulativen Kausalität. Dabei geht es um Konstellationen, in denen mehrere Täter unabhängig voneinander Bedingungen setzen, die für sich betrachtet nicht, jedoch im Zusammenwirken dazu geeignet sind, den Erfolg herbeizuführen. Beispiel:11 T1 und T2 schütten unabhängig voneinander eine – entgegen der Vorstellung von T1 und T2 – jeweils allein nicht tödliche Dosis des gleichen Gifts in das Glas des O. Die Gesamtmenge des Gifts ist aber tödlich. O trinkt und stirbt. Beide Tathandlungen sind für den Tod des O kausal. Jedoch ist in beiden Fällen die objektive Zurechnung zu verneinen.12

Probleme bereitet die Kausalität schließlich bei Gremienentscheidungen.13 Beispiel:14 Fünf gemeinsam verantwortliche Geschäftsführer beschließen mit 4:1 Stimmen, ein gefährliches Produkt weiter zu betreiben. Die vier Geschäftsführer, die mit Ja gestimmt haben, können sich nicht darauf berufen, dass auch ohne ihre Stimme eine Mehrheitsentscheidung zustande gekommen wäre. Der Erfolg in seiner konkreten Gestalt beruht nämlich auf dem konkreten 4:1-Beschluss. Alle Ja-Stimmen haben die positive, den Taterfolg herbeiführende Entscheidung verursacht. Für die Nein-Stimme gilt dies aber nicht.

Korrektur der Äquivalenztheorie

Konsequenz der Äquivalenttheorie ist es, dass der Ursachenkreis sehr weit gefasst ist.15

Beispiel: Autofahrer A missachtet an einer Kreuzung die Vorfahrtsregel. Deshalb muss Autofahrer B stark abbremsen und erreicht die nächste Kreuzung erst einige Sekunden später, wo er aus Unachtsamkeit mit dem Radfahrer R kollidiert und diesen tötet. Die Kollision wäre ausgeblieben, wenn B die Kreuzung früher erreicht hätte. Deshalb ist der Tod des R äquivalent kausal nicht nur auf ein Verhalten des B, sondern auch des A zurückzuführen. Es liegt aber auf der Hand, dass A nicht strafrechtlich relevant für den Tod des R verantwortlich gemacht werden darf. Die Äquivalenztheorie greift zu weit und bedarf einer Einschränkung.

Der BGH nimmt bei Vorsatzdelikten – anders als bei Fahrlässigkeitsdelikten – die erforderliche Korrektur (erst) auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes vor. Er fragt danach, ob nicht gemäß § 16 I 1 StGB der Vorsatz ausgeschlossen ist.16

Nach § 16 I 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört.17 Zum Tatbestand gehören nicht nur die Vornahme der Tathandlung und der Erfolgseintritt, sondern – als ungeschriebenes Merkmal – auch der Kausalverlauf zwischen Handlung und Erfolg. Die Tätervorstellung muss den Kausalverlauf jedoch nicht in allen Einzelheiten umfassen. Es genügt, wenn der Täter den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Grundzügen erfasst und in seinen Vorsatz mit aufgenommen hat. Ein tatbestandsausschließender Irrtum über den Kausalverlauf kommt nur dann in Betracht, wenn der eingetretene Kausalverlauf so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liegt, dass niemand mit ihm zu rechnen braucht.18

Mit dem Ansatz der Rechtsprechung lassen sich die allermeisten Fallkonstellationen zufriedenstellend lösen. Es gibt aber Fälle, in denen es nicht ausreicht, eine Korrektur der Äquivalenztheorie erst auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes durch Verneinung des Vorsatzes vorzunehmen. Dies verdeutlicht das folgende

Beispiel:19 T teilt aus Habgier seinem kerngesunden Erbonkel O mit, es sei soeben der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Dabei erhofft sich T einen Herzinfarkt des O. Tatsächlich erleidet O einen Herzinfarkt und fällt tot um. Nach der Äquivalenztheorie hat T den Tod des O kausal herbeigeführt. Eine Korrektur über den subjektiven Tatbestand scheidet aus, weil der Tod durch Herzinfarkt vom Vorsatz des T umfasst ist.

Die h. L. geht deshalb einen anderen Weg als die Rechtsprechung und fragt zu Recht schon auf der Ebene des objektiven Tatbestandes danach, ob sich der konkrete Erfolgseintritt als „Werk des Täters“ darstellt.20 Dafür reiche eine bloße Kausalität zwischen Handlung und Erfolg im Sinne der Äquivalenztheorie nicht aus. Hinzukommen müsse ein Zurechnungszusammenhang, bei dem wertend (normativ) festgestellt wird, ob dem Täter der Erfolg objektiv zugerechnet werden kann (Lehre von der objektiven Zurechnung).


  1. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 1 f.
  2. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 3.
  3. BGH, Urt. v. 03.12.2015 – 4 StR 223/15, Rn. 10; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 148.
  4. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 4.
  5. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 16.
  6. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 22.
  7. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 28.
  8. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 24 (nach BGH, Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29)
  9. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 27.
  10. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 27; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 47. Aufl. 2017, Rn. 222; a. A. Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 25 f.: Versuchsstrafbarkeit, wenn durch die doppelte Dosis der Todeseintritt nicht zumindest beschleunigt wurde.
  11. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 34.
  12. Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 13 Rn. 33, 51; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 94.
  13. Zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 35 – 37.
  14. BGH, Urt. vom 06.07.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 ff.
  15. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 148 f.
  16. BGH, Urt. v. 10.07.1958 – 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 77 f.
  17. Zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 199.
  18. BGH, Urt. v. 10.07.1958 – 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 77 f.; BGH, Urt. v. 12.02.1992 – 3 StR 481/91, NStZ 1992, 333, 335.
  19. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 198.
  20. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 164.