Handeln ohne Vertretungsmacht (§§ 177 - 180 BGB)
Handeln ohne Vertretungsmacht (§§ 177 - 180 BGB)
Hatte der Vertreter im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung oder rechtsgeschäftsähnlichen Erklärung keine Vertretungsmacht, kann die Erklärung dem Vertretenen nicht nach § 164 I 1 BGB zugerechnet werden. Es bestehen dann unterschiedliche Rechtsbeziehungen zwischen dem (nicht wirksam) Vertretenen, dem Vertreter ohne Vertretungsmacht (falsus procurator) und dem Dritten.1
Verhältnis Vertretener – Dritter
Rechtsgeschäfte eines falsus procurator bzw. einer falsa procuratrix2 binden den Vertretenen im Außenverhältnis nicht unmittelbar. Ob sie für ihn bindend werden können, hängt von der Art des Rechtsgeschäfts ab.
Hat der falsus procurator im Namen des Vertretenen einen Vertrag abgeschlossen, ist dieser zunächst schwebend unwirksam. Die Wirksamkeit des Vertrags für und gegen den Vertretenen hängt sodann von dessen Genehmigung ab (§ 177 I BGB). Diese kann nur die fehlende Vertretungsmacht heilen. Andere Mängel des Vertrags können dadurch nicht behoben werden. Die Genehmigung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die gegenüber dem Vertreter oder dem Dritten erfolgen kann (§ 182 I BGB) und auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurückwirkt, soweit nicht ein anderes bestimmt ist (§ 184 I BGB). Das Rechtsgeschäft wird also nach der Genehmigung als von Anfang an wirksam behandelt. Verweigert der Vertretene die Genehmigung, ist das Rechtsgeschäft hingegen endgültig unwirksam.
Der Entscheidung des Vertretenen, ob er die Genehmigung erteilen oder versagen möchte, sind grundsätzlich keine zeitlichen Grenzen gesteckt. Der Dritte hat aber die Möglichkeit, seinerseits den Schwebezustand zu beenden. Er kann den Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung auffordern mit der Folge, dass die Erklärung des Vertreters, ob er genehmigt oder nicht, nur noch dem Dritten gegenüber erfolgen kann (§ 177 II 1 Hs. 1 BGB). Diese Aufforderung ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, mit deren Zugang beim Vertretenen eine Zwei-Wochen-Frist in Gang gesetzt wird (§ 177 II 2 Hs. 1 BGB), innerhalb derer sich der Vertretene für oder gegen den Vertrag entscheiden muss. Eine bereits dem Vertreter gegenüber erklärte Genehmigung bzw. Verweigerung wird unwirksam (§ 177 II 1 Hs. 2 BGB). Erklärt sich der Vertretene nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist, gilt die Genehmigung als verweigert (§ 177 II 2 Hs. 2 BGB). § 177 II BGB entspricht also dem § 108 II BGB im Minderjährigenrecht. Daneben hat der Dritte die Möglichkeit, seine Vertragserklärung wegen der fehlenden Vertretungsmacht bis zur Genehmigung – also während des Schwebezustands (s.o.) – zu widerrufen (§ 178 S. 1 Hs. 1 BGB), und zwar nicht nur dem Dritten, sondern auch dem Vertreter gegenüber (§ 178 S. 2 BGB); der Widerruf ist aber ausgeschlossen, wenn der Dritte den Mangel der Vertretungsmacht bei Vertragsschluss gekannt hat (§ 178 S. 1 Hs. 2 BGB).
Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft ist Vertretung ohne Vertretungsmacht unzulässig (§ 180 S. 1 BGB). Damit ist gemeint, dass die §§ 177 ff. BGB, die sich nach ihrem Wortlaut auf Verträge beziehen, grundsätzlich keine (analoge) Anwendung finden. Einseitige Rechtsgeschäfte sind also im Grundsatz nicht erst schwebend unwirksam und genehmigungsfähig, sondern sofort unwirksam. Dies liegt daran, dass sich der Dritte einseitigen Rechtsgeschäften (z. B. Anfechtung, Rücktritt, Kündigung) nicht entziehen kann und er deshalb nicht in einen Schwebezustand gedrängt werden soll. § 180 BGB trägt dem Rechnung und stellt insoweit eine Parallelvorschrift zu § 111 BGB aus dem Minderjährigenrecht dar. Auch eine Haftung des falsus procurator nach § 179 I BGB scheidet grundsätzlich aus.
Nach § 180 S. 2 u. 3 BGB gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz. In drei Fällen sind die §§ 177 ff. BGB entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass auch einseitige Rechtsgeschäfte nur schwebend unwirksam und genehmigungsfähig sind: (1) Der Dritte hat die vom Vertreter behauptete3 Vertretungsmacht nicht beanstandet (S. 2 Alt. 1); (2) der Dritte war damit einverstanden, dass der Vertreter die Erklärung ohne Vertretungsmacht abgegeben hat (S. 2 Alt. 2); (3) das einseitige Rechtsgeschäft wird gegenüber einem Vertreter ohne Vertretungsmacht mit dessen Einverständnis vorgenommen (S. 3 BGB).
Verhältnis Vertreter – Dritter
Das Vertrauen des Dritten in die Vertretungsmacht und damit in den Bestand eines durch einen Vertreter im Namen des Vertretenen vorgenommenen Rechtsgeschäfts wird erst dann final enttäuscht, wenn der Vertretene das durch den falsus procurator getätigte Rechtsgeschäft nicht nachträglich genehmigt. Das Vertrauen des Dritten wird aber nicht durch die Genehmigungsverweigerung des Vertretenen, sondern dadurch enttäuscht, dass die Behauptung des Vertreters, Vertretungsmacht zu haben, nicht der Wahrheit entsprach. Deshalb bürdet das Gesetz in § 179 I BGB dem Vertreter das Risiko fehlender Vertretungsmacht auf, in dem es eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung des Vertreters normiert.4 Der Schadensersatzanspruch gegen den falsus procurator besteht unter folgenden Voraussetzungen:
Es müssen alle Voraussetzungen wirksamer Stellvertretung mit Ausnahme der Vertretungsmacht erfüllt sein. Zudem muss es sich um ein genehmigungsfähiges Rechtsgeschäft handeln; dies ist bei Verträgen stets und bei einseitigen Rechtsgeschäften nur ausnahmsweise der Fall. § 179 I BGB schützt den Dritten nur vor dem Risiko der Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts wegen fehlender Vertretungsmacht; ist das Rechtsgeschäft (auch) aus anderen Gründen unwirksam, ist es nicht nach § 177 I BGB genehmigungsfähig. Der Vertretene muss die Genehmigung verweigert haben. Gleichgestellt ist die Fiktion nach § 177 II 2 Hs. 2 BGB.
Die Rechtsfolge besteht gemäß § 179 I BGB darin, dass der Vertreter dem Dritten nach dessen Wahl zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet ist. Entscheidet er sich für die Erfüllung, wird der Vertreter nicht zum Vertragspartner des Dritten, sondern es entsteht zwischen ihnen ein gesetzliches Schuldverhältnis, dessen Inhalt durch das (unwirksame) Rechtsgeschäft bestimmt wird.5 Wählt der Dritte hingegen Schadensersatz, hat ihn der Vertreter grundsätzlich so zustellen, wie er stünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre (positives Interesse). Bei fehlender Kenntnis des Vertreters vom Mangel der Vertretungsmacht ist die Haftung nach § 179 II BGB auf das negative Interesse beschränkt; dies bedeutet, dass der Vertreter den Dritten (nur) so zu stellen hat, wie er stünde, wenn er nie etwas von dem Rechtsgeschäft gehört hätte. Die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts soll dem Dritten aber auch nicht zum Vorteil gereichen, weshalb der Schadensersatzanspruch in den Fällen des § 179 II BGB wiederum auf das positive Interesse beschränkt ist. Insoweit besteht eine Parallele zu § 122 BGB.
In zwei Fällen besteht ein vollständiger Haftungsausschluss: (1) Der Vertreter kannte den Mangel der Vertretungsmacht oder musste ihn kennen (§§ 179 III 1, 122 II BGB); (2) der Vertreter ist beschränkt geschäftsfähig und hat nicht mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt (§ 179 III 2 BGB).
Aus Vorstehendem ergibt sich für den Schadensersatzanspruch aus § 179 I BGB gegen den falsus procurator folgendes
Prüfungsschema:
(1) Eigene Willenserklärung des Vertreters
(2) im fremden Namen
(3) ohne Vertretungsmacht
(4) Genehmigungsfähigkeit des Rechtsgeschäfts gemäß § 177 I BGB
(5) Verweigerung der Genehmigung oder Fiktion nach § 177 II 2 Hs. 2 BGB
(6) Kein Haftungsausschluss nach § 179 III BGB
RF: Schadensersatz (positives Interesse; ggf. nach § 179 II auf negatives Interesse begrenzt).
Verhältnis Vertretener – Vertreter
Im Innenverhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter können insbesondere Schadensersatzansprüche aus § 280 I BGB und Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) bestehen.
- Zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 237 – 261.
- Dies ist die weibliche Form, also eine Vertreterin ohne Vertretungsmacht, Willems, JuS 2015, 586.
- Die Behauptung liegt regelmäßig bereits in dem Auftreten als Vertreter (BGH, Urt. v. 26.05.2010 – Xa ZR 124/09, Rn. 19).
- BGH, Urt. v. 19.11.2020 – I ZR 110/19, Rn. 69.
- Erman/Maier-Reimer, BGB, 16. Aufl. 2020, § 179 Rn. 9. Der Dritte soll nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn das Rechtsgeschäft mit dem Vertretenen zustande gekommen wäre. Deshalb kann sich der Vertreter z. B. auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 BGB) berufen; vgl. hierzu den Fall: „Der falsus procurator“.