Grundzüge des Beweisrechts

Exkurs ZPO I 8: Grundzüge des Beweisrechts

Beweisarten

Der Zivilprozess kennt drei verschiedene Beweisarten:

  • Strengbeweisverfahren

Das Strengbeweisverfahren ist ein förmliches Verfahren und beschränkt sich auf die gesetzlichen Beweismittel (Augenschein, Zeugen, Sachverständigengutachten, Urkunden, Parteivernehmung) und die zu diesen geltenden Regelungen. Der Beweis ist geführt, wenn das Gericht von der Richtigkeit der streitigen Tatsachenbehauptung überzeugt ist (§ 286 Abs. 1 ZPO).

Eine Beweisaufnahme im Strengbeweisverfahren ist erforderlich, wenn es um die Feststellung derjenigen streitigen Tatsachen geht, auf denen das Urteil in der Sache beruhen soll.

  • Freibeweisverfahren

Andere streitige Tatsachen können im Freibeweisverfahren festgestellt werden. Hier kann sich das Gericht sämtlicher Beweismittel bedienen und ist vor allem nicht an die strengen Formalien der Beweisaufnahme gebunden. Das Gericht kann beispielsweise einen Zeugen einfach anrufen oder schriftlich vernehmen, was im Strengbeweisverfahren nur ausnahmsweise möglich ist (§ 377 Abs. 3 ZPO), da dort die Beweisaufnahme grundsätzlich unmittelbar vor dem Prozessgericht zu erfolgen hat (§ 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Wie im Strengbeweisverfahren muss das Gericht aber von der Richtigkeit der Behauptung überzeugt sein.

Das Freibeweisverfahren spielt eine Rolle für die Feststellung streitiger Zulässigkeitsvoraussetzungen oder im Verfahren über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

  • Glaubhaftmachung

Die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) ist eine besondere Form, eine tatsächliche Behauptung zu beweisen. Wer etwas glaubhaft zu machen hat, kann sich sämtlicher Beweismittel bedienen, aber auch lediglich eine eidesstattliche Versicherung vorlegen. Hierunter ist eine eigene schriftliche oder mündliche Schilderung von Wahrnehmungen oder eigenen Handlungen zu verstehen, deren Richtigkeit an Eides statt versichert wird.

Die Beweisaufnahme muss jedoch im Zeitpunkt der Entscheidung möglich sein (§ 294 Abs. 2 ZPO). Dabei müssen die Parteien ihre Beweismittel selbst beibringen. Eine Ladung von Zeugen durch das Gericht findet nicht statt.

Eine Tatsachenbehauptung ist nicht erst dann glaubhaft gemacht, wenn das Gericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist, sondern schon dann, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft.

Wann Glaubhaftmachung genügt, ergibt sich aus der ZPO. Von Examensrelevanz sind hier vor allem der einstweilige Rechtsschutz (Exkurs ZPO II 8) und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Exkurs ZPO I 10).

Beweisantritt

Nach dem Beibringungsgrundsatz müssen die Parteien nicht nur die für den eigenen Prozesserfolg erforderlichen Tatsachen darlegen, sondern diese Tatsachen im Bestreitensfall auch beweisen.

Ein solcher Beweisantritt ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Tatsache offenkundig ist (§ 291 ZPO). Hierunter fallen allgemeinkundige Tatsachen, das sind solche, die aus allgemein zugänglichen Quellen hervorgehen, und gerichtsbekannte Tatsachen, wobei es sich um die dienstliche Kenntnis, beispielsweise aus Parallelverfahren - handeln muss.

Auch ohne Beweisantritt darf das Gericht ein Sachverständigengutachten einholen oder eine Inaugenscheinnahme anordnen (§ 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO), die Vorlage von Urkunden anordnen (§ 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und die Parteien vernehmen (§ 448 ZPO).

Beweislast

Kann die beweispflichtige Partei den Beweis nicht führen, verliert sie den Prozess. Das Gericht muss deshalb gründlich prüfen, wer die Beweislast trägt.

  • Grundsatz

Jede Partei muss die für ihren Prozesserfolg erforderlichen Tatsachen darlegen und beweisen: der Kläger die anspruchsbegründenden Tatsachen, der Beklagte sämtliche Tatsachen, die anspruchshindernde oder -vernichtende Einwendungen sowie anspruchshemmende Einrede begründen.

  • Ausnahmen

Von diesem Grundsatz gibt es zahlreiche Ausnahmen, von denen hier nur die mit besonderer Examensrelevanz dargestellt werden sollen.

- Gesetzliche Vermutungen

Teilweise stellt bereits das materielle Recht gesetzliche Vermutungen für das Vorliegen einer Tatsache auf. Der Gegner muss dann beweisen, dass das Gegenteil richtig ist (§ 292 ZPO).

Zwei examensrelevante Beispiele sollen kurz illustriert werden:

  • Gemäß § 477 BGB wird beim Verbrauchsgüterkauf vermutet, dass die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Mangel zeigt. Dabei bezieht sich diese Vermutung nicht nur auf diesen konkreten Mangel, sondern auf die Mangelhaftigkeit als solche.

Die Vermutung greift jedoch nur, wenn ihre Voraussetzungen vom Käufer bewiesen wurden. Der Käufer muss also beweisen, dass ein Kaufvertrag vorliegt, bei dem es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, und dass sich innerhalb von sechs Monaten seit Übergabe der Sache an ihn ein Mangel gezeigt hat.

Es obliegt dann dem Verkäufer zu beweisen, dass die Sache bei Gefahrübergang mangelfrei war.

Handelt es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf, bleibt es bei der allgemeinen Beweislast. Der Käufer muss dann auch beweisen, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war.

  • Gemäß § 1006 Abs. 1 BGB wird vermutet, dass der unmittelbare Besitzer einer beweglichen Sache auch deren Eigentümer ist. Im Bestreitensfall muss also lediglich der Besitz bewiesen werden, während der Gegner beweisen muss, dass der Besitzer nicht der Eigentümer ist.

  • Gesetzliche Formulierungen (Regel-Ausnahme-Verhältnis)

Auch ohne die ausdrückliche Anordnung von Vermutungen gibt das materielle Recht durch die Formulierung der Tatbestände Hinweise auf Ausnahmen von der grundsätzlichen Beweislastverteilung.

  • Nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt ein Schadensersatzanspruch in Betracht, wenn eine Partei ihre Pflichten aus einem vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnis verletzt und dem Anspruchsteller dadurch ein Schaden entstanden ist. Diese Voraussetzungen muss der Gläubiger darlegen und ggf. beweisen. Aus Satz 2 ergibt sich zudem, dass die Pflichtverletzung schuldhaft sein muss. Hier trifft jedoch den Schädiger die Darlegungs- und Beweislast. Das ergibt sich aus der Formulierung, „Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.“, denn der Verneinung lässt sich entnehmen, dass es sich insoweit um eine Ausnahme handelt, die für den Schuldner günstig ist. Der Schuldner muss sich deshalb exkulpieren.

Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zum Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, denn dort muss der Gläubiger auch das Verschulden des Schädigers beweisen.

  • Noch besser illustrieren lässt sich das an § 281 Abs. 1 Sätze 2, 3 BGB.

Nach Satz 2 kann der Gläubiger bei einer Teilleistung des Schuldners Schadensersatz statt der ganzen Leistung „nur verlangen, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat“. Hat der Schuldner die Leistung dagegen nicht wie geschuldet bewirkt, kann der Gläubiger Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach Satz 3 „nicht verlangen, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.

Satz 2 spricht also davon, dass der Gläubiger Schadensersatz statt der ganzen Leistung nur unter einer bestimmten Voraussetzung verlangen kann, die damit zur Anspruchsvoraussetzung wird und deshalb vom Gläubiger darzulegen und ggf. zu beweisen ist.

Dagegen kann der Gläubiger nach Satz 3 nur unter einer bestimmten Voraussetzung Schadensersatz statt der ganzen Leistung nicht verlangen. Diese Voraussetzungen schließt also den Anspruch aus und muss deshalb vom Schuldner dargelegt und bewiesen werden.

- Anscheinsbeweis

Bei einem Anscheinsbeweis spricht der erste Anschein (prima facie) des Geschehens für einen bestimmten Ablauf. Dabei muss es sich um einen typischen Geschehensablauf handeln, der den Schluss von einer feststehenden Ursache auf eine bestimmte Folge zulässt („Wer auffährt, hat schuld.“). Möglich ist auch der umgekehrte Schluss von einer eingetretenen Folge auf eine bestimmte Ursache. Der Anspruchsteller muss dann nicht mehr beweisen, dass es auch im konkreten Einzelfall so abgelaufen ist.

Der Gegner kann den Anscheinsbeweis erschüttern. Hierzu muss er beweisen, dass es sich um einen atypischen Geschehensablauf gehandelt hat („Der Unfallgegner hat grundlos gebremst.“). Ist ihm das gelungen, liegt die Beweislast wieder beim Anspruchsteller.

Beweiswürdigung

Hat das Gericht eine Beweisaufnahme durchgeführt, muss es für die Urteilsfindung entscheiden, ob es den Beweis als geführt ansehen will oder nicht. Dabei gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 ZPO).

  • Ergiebigkeit des Beweismittels

Das Beweismittel muss zunächst ergiebig gewesen sein. Das ist der Fall, wenn es die Beweisbehauptung bestätigt hat. Andernfalls ist die Behauptung nicht bewiesen.

  • Überzeugungsbildung

Die Ergiebigkeit genügt jedoch nicht. Vielmehr muss das Gericht auch davon überzeugt sein, dass die Bestätigung der Beweisbehauptung zutrifft. Maßstab der Überzeugung ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Oder in den Worten des BGH:

„Der Richter darf und muss sich daher nach der Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen bietet, ohne sie völlig auszuschließen.“

Das Gericht verschafft sich die erforderliche Gewissheit, indem es zunächst das Beweismittel für sich betrachtet und auf seine Überzeugungskraft prüft. Anschließend muss ggf. ein Abgleich mit anderen Beweismitteln oder sonstigen Gegenständen der Verhandlung erfolgen.

- Erschütterung des Beweises

Schließlich kommt es noch darauf an, ob es dem Gegner der beweispflichtigen Partei gelungen ist, den Beweis zu erschüttern, denn auch dann ist der Beweis nicht geführt (sog. non liquet). Hierzu muss der Gegner das Gericht nicht vom Gegenteil der Beweisbehauptung überzeugen, sondern es reicht, dass er die „schweigenden“ Zweifel wieder weckt.


  1. BGH IV ZB 49/75

  2. BGH (VIII ZR 103/15)

  3. Instruktiv BGH (VI ZR 32/16)

  4. BGH (III ZR 201/80)