Grundlagen des Internationalen Privatrechts

Einleitung IPR

In der juristischen Ausbildung beschränken sich die zivilrechtlichen Übungs- und Examensfälle grundsätzlich auf Sachverhalte, bei denen die Anwendung des deutschen Zivilrechts und ggf. Zivilprozessrechts auf der Hand liegt.

Dieses Vorgehen setzt aber voraus, dass Käufer und Verkäufer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, in Deutschland wohnen und der Sachverhalt auch ansonsten keinen Auslandsbezug aufweist. Lebt aber beispielsweise der Verkäufer im Ausland oder besitzt er nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, lässt sich das deutsche Kaufrecht nicht mit demselben Selbstverständnis anwenden. Hier muss vielmehr eine „Vorprüfung“ stattfinden zu der Frage:

Aus welcher Rechtsordnung ergibt sich das anzuwendende materielle Recht?

Der Beantwortung dieser Frage dient das Internationale Privatrecht (IPR). Dabei handelt es sich nicht um materielles Recht. Aus ihm ergeben sich also weder Ansprüche oder Rechte noch Einwendungen oder Einreden. Beantwortet wird allein die Frage, aus welcher Rechtsordnung in Fällen mit Auslandsbezug das materielle Recht (das sog. Statut) herangezogen werden muss (vgl. die Legaldefinition in Art. 3 a.E. EGBGB). Es wird daher auch als Kollisionsrecht, seine konkreten Regelungen als Kollisionsnormen bezeichnet.

Deshalb handelt es sich bei international vereinheitlichtem materiellem Recht auch nicht um IPR. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist das UN-Kaufrecht (CISG), aus dem sich unmittelbar das für den internationalen Warenverkehr maßgebliche Recht ergibt.

Dieser Auslandsbezug setzt nicht zwingend einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus. Es genügt beispielsweise, dass eine Partei nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Wird dir also im Klausursachverhalt mitgeteilt, dass eine der handelnden Personen nicht deutscher Staatsangehöriger ist bzw. im Ausland lebt, oder liegt sonst ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor, musst du – jedenfalls gedanklich – zunächst eine IPR-Prüfung vornehmen und dich fragen, welches materielle Recht anzuwenden ist.

Quellen des IPR

Die Gerichte wenden das IPR ihrer eigenen Rechtsordnung (lex fori) an. Das deutsche IPR ergibt sich grundsätzlich aus dem EGBGB, das aber durch EU-Recht oder völkerrechtliche Vereinbarungen überlagert wird. Einzelheiten hierzu ergeben sich aus Art. 3 EGBGB, in dessen Nr. 1 die maßgeblichen EU-Verordnungen aufgelistet sind. Einzelne Kollisionsnormen finden sich auch in anderen Gesetzen (z.B. § 335 ff. InsO). Das danach anzuwendende Sachrecht wird als lex causae bezeichnet.

Systematik und Aufbau von Kollisionsnormen

Die IPR-Regelungen knüpfen in ihrer Systematik an die einzelnen Rechtsgebiete (Vertragsrecht, Sachenrecht, Deliktsrecht, Erbrecht etc.) an.

Wie andere Normen des Zivilrechts auch unterscheiden Kollisionsnormen dabei zwischen Tatbestand und Rechtsfolge. Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen werden Anknüpfungsgegenstände genannt. Ist der Tatbestand erfüllt, wird als Rechtsfolge auf einen konkreten Umstand verwiesen, aus dem sich das anzuwendende Recht ergibt. Diese Umstände werden Anknüpfungsmomente genannt. Hierbei kommen insbesondere zur Anwendung der gewöhnliche Aufenthalt einer Person oder deren Staatsangehörigkeit, die Belegenheit einer Sache oder der Ort einer Handlung

Beispiel: Nach Art. 43 Abs. 1 EGBGB unterliegen Rechte an einer Sache grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet (lex rei sitae). Anknüpfungsgegenstand ist also das Recht an einer Sache, Anknüpfungsmoment ihr Belegenheitsort.

Im IPR werden für bekannte Techniken teilweise andere Begriffe verwendet, die du deshalb in einer Klausur unbedingt als Schlagwörter anbringen solltest. In der Sache musst du aber keine neue Rechtstechnik erlernen, sondern kannst auf Vertrautes zurückgreifen. Auch bei der „normalen“ Falllösung findest du eine Anspruchsgrundlage nur dann, wenn du weißt, aus welchem Rechtsgebiet der geltend gemachte Anspruch stammen soll, und aus den unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen in diesem Rechtsgebiet kannst du die einschlägige nur dann ermitteln, wenn du festgestellt hast, was konkret der Anspruchsteller begehrt.

Für die Auslegung einer Kollisionsnorm ist zu unterscheiden:

EU-Verordnungen und Staatsverträge werden autonom, also aus sich selbst heraus, ausgelegt. Damit soll eine einheitliche Auslegung und Anwendung in allen Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten erreicht werden.

Beispielsweise erfasst der Begriff Dienstleistungsverträge in Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom-I-VO – anders als im deutschen Zivilrecht – auch Werkverträge.

Ansonsten erfolgt die Auslegung auf der Grundlage derjenigen Rechtsordnung, der die Kollisionsnorm angehört.

Internationales Zivilprozessrecht (IZPR)

In der Praxis und damit auch in einer Klausur kann sich darüber hinaus die Frage stellen, welches Gericht für einen Rechtsstreit mit Auslandsbezug international zuständig ist. Dabei ist es ohne weiteres möglich, dass beide Fragen unterschiedlich beantwortet werden, so dass beispielsweise deutsche Gerichte ausländisches Recht anwenden und sich die hierfür erforderliche Kenntnis verschaffen müssen (vgl. hierzu § 293 ZPO).

Auch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte wird vorrangig durch EU-Recht und Staatsverträge geregelt. Die wichtigste EU-Regelung ist die Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Bestehen solche Regelungen nicht und ergibt sich die internationale Zuständigkeit auch nicht aus konkreten Vorschriften der ZPO, gilt der Grundsatz, dass das örtlich zuständige deutsche Gericht auch international zuständig ist.