Grundlagen der Versuchsstrafbarkeit

Grundlagen der Versuchsstrafbarkeit

Von einem Versuch spricht man, wenn jemand (subjektiv) den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen wollte, ihm dies objektiv aber nicht (vollständig) gelingt. Das Defizit liegt ausschließlich im objektiven Bereich; es kann auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruhen.1

Beispiele: Aus tatsächlichen Gründen bleibt die Tat im Versuchsstadium stecken, wenn der mit Tötungsvorsatz abgegebene Schuss sein Ziel verfehlt oder das Opfer nicht mit tödlicher Wirkung trifft, wenn also der tatbestandsmäßige Erfolg nicht eintritt.2 Aus rechtlichen Gründen bleibt es bei einem Versuch des Täters, wenn zwar der Erfolg eingetreten ist, er dem Täter aber nicht zurechenbar ist.3

Stadien der Deliktsverwirklichung

Das Geschehen einer vorsätzlichen Straftat durchläuft von ihren ersten Anfängen hin bis zum endgültigen Abschluss verschiedene Phasen.4 Der Weg führt vom (1) Tatentschluss über (2) Vorbereitungshandlungen und den (3) Beginn der Ausführung (Versuch) sowie den (4) Abschluss der Tathandlung und den Eintritt des Taterfolgs (Vollendung) bis hin zur (5) Beendigung der Tat.

Ein Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter ein bestimmtes deliktisches Ziel vor Augen und sich endgültig5 dazu entschlossen hat, das Delikt zu begehen. Der Tatentschluss als solcher ist grundsätzlich6 straflos; andernfalls läge eine bloße Gesinnungsstrafbarkeit vor.

Setzt das anvisierte Delikt neben dem Vorsatz weitere subjektive Tatbestandselemente (z. B. die Zueignungsabsicht bei § 242 StGB) voraus, muss der Tatentschluss auch sie umfassen.

Auch Vorbereitungshandlungen sind grundsätzlich7 straflos. Sie bilden zusammen mit dem (subjektiven) Tatentschluss als objektives Element die Vorbereitungsphase.

Beispiele: Besorgen von Waffen, Besichtigung des späteren Tatorts.

Mit dem Überschreiten der Strafbarkeitsschwelle des § 22 StGB beginnt die zweite Phase, die sog. Versuchs- oder Vollendungsphase. Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, „wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.“8

Damit ist klargestellt, dass es bei Fahrlässigkeitstaten einen Versuch nicht gibt.9 Es kann nur derjenige etwas versuchen, der auch Vorsatz hat. Ebenfalls ausgeschlossen ist der Versuch bei Unternehmensdelikten, weil diese den Versuch bereits umfassen (vgl. § 11 I Nr. 6 StGB).

Eine Vollendung der Tat liegt vor, wenn alle objektiven Merkmale des gesetzlichen Tatbestands verwirklicht sind. Die Vollendung führt in aller Regel zur Strafbarkeit.

Hat der Täter das Delikt vollendet, scheidet ein Rücktritt vom Versuch schon begriffslogisch aus, weil der Täter sich nicht mehr im Stadium eines Versuchs befindet, von dem er strafbefreiend zurücktreten könnte.10 § 24 StGB findet dann keine Anwendung. Trotzdem kann das Gesetz dem Täter ausnahmsweise Straffreiheit gewähren (sog. tätige Reue, z. B. § 306e StGB).

An die Vollendung knüpft die dritte und letzte Phase, die sog. Beendigungsphase, an.11 Eine Beendigung der Tat liegt vor, wenn das Tatgeschehen seinen tatsächlichen Abschluss gefunden hat.

Oftmals fallen Vollendung und Beendigung zeitlich zusammen. Beispiel: Bei einem tödlichen Messerstich fallen Vollendung und Beendigung im Rahmen des § 212 StGB zusammen. Eine Beendigungsphase gibt es insbesondere bei Dauerdelikten (z. B. § 239 StGB) und bei Delikten mit überschießender Innentendenz (z. B. §§ 242, 249, 263 StGB). Beispiel: Der Diebstahl ist vollendet, wenn der Täter neuen Gewahrsam begründet hat; beendet ist der Diebstahl erst dann, wenn der Täter seine Zueignungsabsicht realisiert bzw. die Beute gesichert hat.

Strafgrund des Versuchs

Aus welchem Grund bereits der (folgenlose) Versuch einer Straftat sanktioniert wird, ist umstritten.12

Die objektive Theorie sieht den Strafgrund des Versuchs in der konkreten Gefährdung des geschützten Handlungsobjekts. Ein Versuch, der im konkreten Einzelfall ungefährlich (untauglich) ist, sei nicht strafwürdig.13

Die subjektive Theorie erblickt den Strafgrund des Versuchs in dem durch (gefährliche oder ungefährliche) Handlungen betätigten rechtsfeindlichen Willen. Entscheidend sei, dass der Täter durch die Betätigung seines rechtsfeindlichen Willens den Rechtsfrieden gestört habe.14

Eine vermittelnde Ansicht nimmt die dualistische Theorie ein, die den Strafgrund bei ungefährlichen und gefährlichen Versuchen differenziert behandelt.15

Nach der Eindruckstheorie ist zwar auch die Betätigung des rechtsfeindlichen Willens Grund für die Strafbarkeit des Versuchs; die Strafwürdigkeit sei aber nur dann zu bejahen, wenn die Betätigung des rechtsfeindlichen Willens das Vertrauen auf die Geltung der Rechtsordnung und das Gefühl der Rechtssicherheit bei demjenigen zu erschüttern geeignet ist, dem sie zur Kenntnis kommt.16

Das Gesetz hat diesen Streit mit seiner Fassung des § 22 StGB im Wesentlichen entschieden. Ein Versuch liegt immer dann vor, wenn der Täter nach seiner (zutreffenden oder unzutreffenden) Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Zu einer Gefährdung muss es dabei nicht kommen, sodass die objektive Theorie ausscheidet. Auch der untaugliche Versuch ist strafbar (Umkehrschluss17 aus § 23 III StGB). Das „unmittelbare Ansetzen“ fordert zudem mehr als die bloße Vorstellung des Täters: „Jetzt geht es los“. Erforderlich ist vielmehr, dass – wäre die Vorstellung des Täters zutreffend – eine Gefährdung unmittelbar bevorsteht. Damit scheidet auch die rein subjektive Theorie aus. Dem geltenden Recht liegt also eine gemischt subjektiv-objektive Eindruckstheorie zugrunde. Der Täter muss in seinem Tatplan eine Phase erreicht haben, in der das Täterverhalten nur als Beginn eines Normausbruchs gedeutet werden kann.


  1. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 33 Rn. 1.
  2. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 33 Rn. 2.
  3. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 4.
  4. Hier und zum Folgenden:Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 33 Rn. 7 – 14; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 631 – 639.
  5. Dabei muss der Täter unbedingten Handlungswillen haben (R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 632).
  6. Ausnahme: § 30 II StGB.
  7. Ausnahme: § 30 StGB. Die daraus folgende Strafbarkeit in der Vorbereitungsphase ist allerdings gegenüber der späteren Tatausführung subsidiär. Ferner sind besondere Tatbestände, die bestimmte Vorbereitungshandlungen im Vorfeld anderer Delikte eigenständig bestrafen (z. B. §§ 129, 129a, 265, 310 StGB) beachtet werden.
  8. Diese Gesetzesformulierung entspricht der subjektiv-objektiven Eindruckstheorie. Diese kombiniert ein subjektives („nach seiner Vorstellung“) und ein objektives („unmittelbar zur Tat ansetzt“) Element und sieht den Strafgrund für den Versuch in dem nach außen manifestierten rechtsfeindlichen Willen des Täters zur Tatbestandsverwirklichung, der das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung erschüttert (Engländer, JuS 1993, 330, 331).
  9. Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 22 Rn. 1.
  10. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 761.
  11. Die Differenzierung zwischen Vollendung und Beendigung der Straftat ist insbesondere für die Strafverfolgungsverjährung (§§ 78 ff. StGB) wichtig (Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 22 Rn. 4).
  12. Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 22 Rn. 7 – 15.
  13. Spendel, NJW 1965, 1881, 1888.
  14. BGH, Urt. v. 11.11.1960 – 4 StR 402/60, BGHSt 15, 210, 211.
  15. Roxin, Strafrecht AT II, 1. Aufl. 2003, § 29 Rn. 10 ff.
  16. Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Vor § 22 Rn. 22.
  17. Zum argumentum e contrario (Umkehrschluss) siehe Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289, 296.