Grundlagen der Konkurrenzenlehre
Grundlagen der Konkurrenzenlehre
Bei der Grundform des strafbaren Verhaltens erfüllt eine einzige Handlung des Täters die Merkmale nur eines Tatbestandes.1 Es gibt aber auch Fälle, in denen der Täter (i) durch eine Handlung mehrere Tatbestände oder (ii) durch mehrere Handlungen mehrere Tatbestände erfüllt. Das Gesetz kann auf solche Konstellationen unterschiedlich reagieren:
- Addition von Einzelstrafen (Kumulationsprinzip);
- Die Strafe wird dem Gesetz mit der schärfsten Strafdrohung entnommen (Absorptionsprinzip);
- Die Sanktionen der erfüllten Tatbestände werden miteinander verbunden (Kombinationsprinzip);
- Für jede Gesetzesverletzung gibt es zwar eine gesonderte Strafe; es erfolgt dann aber keine Addition der Einzelstrafen, sondern eine Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (Asperationsprinzip).
Das StGB geht von einer Mischung aus Absorptions-, Kombinations- und Asperationsprinzip aus und regelt in den §§ 52 – 55 StGB, wie zu verfahren ist.
Eine Addition der Einzelstrafen im Sinne des Kumulationsprinzips findet nicht statt, weil sie zu untragbaren Ergebnissen führt. So müsste beispielsweise ein Täter, der in eine Lagerhalle einbricht und dort stiehlt, mitunter schwerer bestraft werden als derjenige, der einen Totschlag begeht, wenn man die jeweiligen angedrohten Freiheitsstrafen für die Verwirklichung der §§ 123; 242, 243; 303 I StGB addiert und mit der angedrohten Freiheitsstrafe des § 212 I StGB vergleicht.2
Aufgabe der Konkurrenzenlehre
Der Konkurrenzenlehre fällt die Aufgabe zu, das Endergebnis vorzubereiten.3 Es müssen diejenigen zuvor bejahten Straftaten ausgesondert werden, die nicht in das Endergebnis einfließen (Gesetzeskonkurrenz), und es muss entschieden werden, ob die verbleibenden Straftatbestände in Tateinheit (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stehen. Das so ermittelte Endergebnis bildet die Grundlage für den Urteilstenor (§ 260 IV 1, 2 StPO) und für die Strafzumessung. In den Schuldspruch sind alle Straftatbestände aufzunehmen, die für die vollständige Erfassung des Unwerts der Tat(en) bedeutsam sind. Im Urteil soll sich das vom Täter verwirklichte Unrecht klar widerspiegeln. Der Lehre von den Konkurrenzen kommt somit im Hinblick auf den Urteilstenor eine Bereinigungs- und Klarstellungsfunktion zu.4
Die Klarstellungsfunktion ist vor allem für die Abgrenzung zwischen Gesetzeskonkurrenz und Tateinheit wichtig. Beispiel:5 Bei einem Tötungsversuch, der zu einer (vollendeten) Körperverletzung geführt hat, stehen die §§ 212 I, 22, 23 I StGB und die §§ 223 ff. StGB in Tateinheit (§ 52 StGB). Bei einem Zurücktreten des Körperverletzungsdelikts würde sich im Schuldspruch nicht klar erkennen lassen, ob der Tötungsversuch folgenlos geblieben ist oder zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität geführt hat.6
Gesetzliche Regelungen
Das Gesetz unterscheidet zwei Fälle, nämlich die Tateinheit (§ 52 StGB) und die Tatmehrheit (§ 53 StGB):7
- Verletzt „dieselbe“ Handlung – dazu zählen auch Fälle der Handlungseinheit – mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, liegt – sofern kein Fall der Gesetzeskonkurrenz vorliegt – Tateinheit (Idealkonkurrenz) vor, § 52 I StGB.
- Hat jemand „mehrere“ selbständige Handlungen begangen (Handlungsmehrheit) und führt dies zu einer Verletzung mehrerer Strafgesetze, liegt – sofern kein Fall der Gesetzeskonkurrenz vorliegt – Tatmehrheit (Realkonkurrenz) vor, §§ 53 – 55 StGB.
Der Begriff der Handlungseinheit ist nicht mit dem Begriff der Tateinheit gleichzusetzen; Entsprechendes gilt für die Begriffe der Handlungsmehrheit und der Tatmehrheit. Die Frage, ob Handlungseinheit bzw. –mehrheit vorliegt, ist lediglich Voraussetzung für die weitere Konkurrenzlösung. Deshalb setzt die Anwendung der §§ 52 – 55 StGB mehrere gedankliche Operationen voraus:8
- Zunächst ist zu klären, ob der Täter eine oder mehrere Handlungen vorgenommen hat).
- Sodann ist zu untersuchen, ob der Täter durch die Handlung(en) ein Gesetz oder mehrere Gesetze verletzt hat.9
- Hat der Täter zwar mehrere Gesetze verletzt, ist von diesen jedoch nur eines anzuwenden, so liegt eine nur scheinbare Konkurrenz vor, die man als Gesetzeskonkurrenz bezeichnet. Es ist also zu klären, ob einzelnen Tatbestände im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten.
Erst wenn feststeht, dass der Täter durch eine oder mehrere Handlungen mehrere nicht infolge Gesetzeskonkurrenz zurücktretende Straftatbestände erfüllt hat, gelangt man zur Unterscheidung zwischen Ideal- und Realkonkurrenz.
- Hat der Täter durch eine Handlung mehrere Gesetze verletzt, liegt Idealkonkurrenz vor. Werden mehrere Strafgesetze verletzt, spricht man von ungleichartiger Tateinheit, wird dasselbe Gesetz mehrfach verletzt, spricht man von gleichartiger Tateinheit.
- Verletzt der Täter durch mehrere Handlungen mehrere Gesetze, so handelt es sich um Realkonkurrenz. Werden mehrere Strafgesetze verletzt, spricht man von ungleichartiger Tatmehrheit, wird dasselbe Gesetz mehrfach verletzt, spricht man von gleichartiger Tatmehrheit.
Verortung in der Fallbearbeitung
Im strafrechtlichen Gutachten empfiehlt es sich grundsätzlich, die Konkurrenzen am Ende des Gutachtens oder, wenn dieses in mehrere Handlungsabschnitte unterteilt ist, am Ende eines jeden Handlungsabschnitts darzustellen.10 Bei eindeutigen Fällen von Gesetzeskonkurrenz sollte das Zurücktreten des Tatbestandes jedoch sofort – und in der Regel im Urteilsstil – angesprochen werden, um die allgemeine Konkurrenzprüfung am Ende des Gutachtens zu entlasten.11
Beispiel: Hat T einen Pkw gestohlen (§ 242 StGB), erfüllt er auch die Tatbestände der Unterschlagung (§ 246 I StGB) und des unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs (§ 248b I StGB). Es genügt hier im Anschluss an die Prüfung des § 242 StGB die Feststellung, dass die ebenfalls vorliegenden §§ 246 I, 248b I StGB im Wege gesetzlicher Subsidiarität zurücktreten.
- Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 52 Rn. 1 – 3.
- R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1157.
- Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 2 f.
- R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1157.
- R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1178.
- BGH, Urt. v. 24.09.1998 – 4 StR 272/98, BGHSt 44, 196, 200.
- Zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1158 f.
- Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 52 Rn. 4 f.
- Verletzen mehrere Handlungen nur ein Gesetz, stellt sich keine Konkurrenzfrage. Beispiel: Mehraktige Delikte. Das sind Straftatbestände, deren Verwirklichung mehrere Handlungen erfordert, die das Gesetz zu einer Bewertungseinheit verbunden hat. Es handelt sich um einen Fall der Handlungseinheit. Beispiel: Der Raub (§ 249 StGB) erfordert neben einer Gewaltanwendung eine Wegnahme. Bedeutung hat die Mehraktigkeit nicht nur für die Konkurrenzen, sondern auch für das unmittelbare Ansetzen beim Versuch.
- Mitsch, JuS 1993, 385 ff.; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1157; Walter, JA 2004, 133 ff.
- Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 201