Gesetzeskonkurrenz

Gesetzeskonkurrenz

Mit dem Begriff der Gesetzeskonkurrenz,1 die teilweise auch Gesetzeseinheit,2 unechte Konkurrenz bzw. Scheinkonkurrenz genannt wird, sind Konkurrenzverhältnisse gekennzeichnet, bei denen der Unrechtsgehalt einer Straftat X in einer anderen Straftat Y enthalten ist.3 Es bestehen dann weder das Bedürfnis noch eine Legitimation, neben der Tat X auch noch die Tat Y in den Schuldspruch einfließen zu lassen. Obgleich auf die Straftat dem Wortlaut nach mehrere Strafgesetze zutreffen, ergibt sich aus dem Verhältnis der Vorschriften zueinander, dass in Wirklichkeit nur eine von ihnen anwendbar ist.4 Gesetzeskonkurrenzen gibt es sowohl im Bereich der Handlungseinheit als auch im Bereich der Handlungsmehrheit. Im Bereich der Handlungseinheit gibt es mit der Spezialität, der Subsidiarität und der Konsumtion drei Fälle, im Bereich der Handlungsmehrheit mit der mitbestraften Vor- und Nachtat zwei Fälle.5

In welche dieser Kategorien ein Fall einzuordnen ist, hat allenfalls dogmatische Relevanz und ist zudem vielfach umstritten. Deshalb flüchten sich selbst anerkannte Spezialisten gelegentlich in die Formulierung „tritt zurück“.6 In Klausuren sollte dieser Weg in Zweifelsfällen um den Hinweis ergänzt werden, dass Elemente sowohl der einen als auch der anderen (zu benennenden) Kategorie erfüllt sind, eine abschließende Zuordnung aber nicht ergebnisrelevant ist und deshalb dahinstehen könne.

Spezialität

Eine Spezialität liegt vor, wenn ein (spezieller) Straftatbestand die tatbestandlichen Voraussetzungen eines anderen (allgemeinen) Straftatbestandes allesamt enthält und darüber hinaus wenigstens ein weiteres (zusätzliches) Merkmal erfordert, sodass der Täter, der den speziellen Tatbestand verwirklicht, zwangsläufig auch den in Betracht kommenden allgemeinen Straftatbestand erfüllt.7 Der speziellere Tatbestand baut also auf dem allgemeinen Delikt (dem Grunddelikt) vollständig auf, setzt dessen Verwirklichung zwingend voraus und enthält mindestens ein zusätzliches qualifizierendes Merkmal.8

Beispiele:9 Im Wege der Spezialität verdrängen die §§ 224, 226, 340 StGB den § 223 StGB, der § 227 StGB die §§ 222, 223 StGB, die §§ 244, 244a StGB den § 242 StGB und die §§ 250, 251 StGB den § 249 StGB.

Subsidiarität

Bei der Subsidiarität tritt ein Gesetz zurück, weil es aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung (Subsidiaritätsklausel) oder sonst erkennbar nur für den Fall gelten soll, dass kein anderes Gesetz eingreift.10 Im ersten Fall spricht man von „formeller Subsidiarität“, im zweiten Fall von „materieller Subsidiarität“.11

Bei der formellen Subsidiarität ordnet der Straftatbestand seine nur hilfsweise Geltung („wenn die Tat nicht in [bestimmten] anderen Vorschriften mit [schwererer] Strafe bedroht ist“) selbst an.12 Beispiele: §§ 135d I, 246, 248b, 265, 265a, 316 StGB.

Eine materielle Subsidiarität liegt vor, wenn die verwirklichten Straftatbestände jeweils die gleiche Schutzrichtung verfolgen, ihr Vergleich miteinander aber ergibt, dass der eine Tatbestand den anderen verdrängt.13 Subsidiär sind beispielsweise

  • echte Unterlassungsdelikte gegenüber (dasselbe Unrecht betreffenden) unechten Unterlassungsdelikten (> z. B. § 323c I StGB gegenüber §§ 212, 13 StGB bzw. §§ 223, 13 StGB);
  • konkrete Gefährdungsdelikte gegenüber Verletzungsdelikten, sofern der Schutzzweck identisch ist (z. B. § 221 StGB gegenüber § 212, 211 StGB);
  • abstrakte Gefährdungsdelikte gegenüber konkreten Gefährdungsdelikten, sofern der Schutzzweck identisch ist (z. B. § 316 StGB gegenüber § 315b I Nr. 1a StGB);
  • Teilnahme gegenüber Täterschaft;
  • Beihilfe (§ 27 StGB) gegenüber Anstiftung (§ 26 StGB)
  • Versuch gegenüber Vollendung;
  • Vorbereitungsdelikte (§ 30 StGB) gegenüber der versuchten und vollendeten Haupttat;
  • „Durchgangsdelikte“ gegenüber unrechtsschwereren Delikten; Beispiele: Körperverletzungsdelikte treten als subsidiär zurück, wenn durch dieselbe Handlung ein Tötungsdelikt verwirklicht wurde. Dies gilt auch dann, wenn sowohl das Tötungs- als auch das Körperverletzungsdelikt nur versucht worden sind.14 Ist das Tötungsdelikt im Versuchsstadium steckengeblieben und das Körperverletzungsdelikt vollendet, stehen die Delikte in Tateinheit zueinander.15

Konsumtion

Bei der Konsumtion ist der Tatbestand zwar nicht – wie bei der Spezialität – zwingend in einem anderen enthalten, geht aber regelmäßig und typischerweise mit der Verwirklichung einer anderen Straftat einher.16 Deshalb spricht man auch von typischen Begleittaten. Ein Fall der Konsumtion liegt aber nur dann vor, wenn der Unrechtsgehalt der strafbaren Handlung durch einen der anwendbaren Straftatbestände bereits erschöpfend umfasst ist und die Verletzung des geschützten Rechtsguts eine zwar nicht notwendige, aber doch regelmäßige Erscheinungsform der Verwirklichung des anderen Tatbestandes ist.17

Beispiel: Zwischen § 227 StGB und den Tatvarianten des § 224 I StGB liegt regelmäßig ein Verhältnis der Konsumtion vor, weil die Gefahr für das Leben des Opfers durch den jeweiligen Qualifikationsgrund verursacht wird und daher der Unrechtsgehalt des § 224 StGB vom Unrechtsgehalt des § 227 StGB mit umfasst wird.18

Mitbestrafte Vor- und Nachtat

Im Bereich der Handlungsmehrheit kann es ebenfalls Gesetzeskonkurrenzen geben, nämlich dann, wenn die Verwirklichung eines bestimmten vorrangigen Straftatbestandes den Unrechts- und Schuldgehalt einer an sich materiell-rechtlich selbständigen zeitlich vorausgegangenen oder nachfolgenden Handlung mit einschließt.19 Man spricht dann von mitbestrafter Vor- bzw. Nachtat. Diesen Rechtsfiguren liegen die Gedanken der Subsidiarität und der Konsumtion zugrunde.20

Beispiel für mitbestrafte Vortat:21 Eine Verbrechensverabredung (§ 30 II Var. 3 StGB) ist gegenüber der späteren mittäterschaftlichen Durchführung der Tat subsidiär. Beispiel für mitbestrafte Nachtat: Nach einem Diebstahl im Supermarkt – T steckt die Beute bereits im Laden in seine Tasche und begründet so eine Gewahrsamsenklave – wird T an der Kasse gefragt, ob die Waren auf dem Band „alle wären“. T bejaht dies. Dieser „Sicherungs- bzw. Anschlussbetrug“ ist eine mitbestrafte Nachtat.


  1. Geppert, Jura 2000, 651, 655.
  2. BGH, Beschl. v. 06.03.2018 – 2 StR 481/17, Rn. 18.
  3. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 26.
  4. Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 52 Rn. 18.
  5. Wie hier: Kretschmer, JA 2019, 666, 667; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 29 – 45. Teilweise werden die Fälle der mitbestraften Begleittaten nicht als eigenständige Fallgruppen, sondern als Unterfälle der Konsumtion eingeordnet (Roxin, Strafrecht AT II, 1. Aufl. 2003, § 33 Rn. 213; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1193).
  6. Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 52 Rn. 18.
  7. BGH, Urt. v. 11.12.2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 37; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1181.
  8. Kretschmer, JA 2019, 666, 667; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 29.
  9. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1182 – 1184.
  10. Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 52 Rn. 20.
  11. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1185.
  12. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 37 f.
  13. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1185.
  14. BGH, Beschl. v. 13.08.2013 – 2 StR 180/13, Rn. 12.
  15. BGH, Urt. v. 24.09.1998 – 4 StR 272/98, BGHSt 44, 196, 200.
  16. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 30.
  17. BGH, Beschl. v. 06.03.2018 – 2 StR 481/17, Rn. 18.
  18. BGH, Beschl. v. 30.08.2006 – 2 StR 198/06, Rn. 8 (zu § 224 I Nr. 2, 4, 5 StGB).
  19. Hier und zum Folgenden: Kretschmer, JA 2019, 666, 670.
  20. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 43.
  21. Geppert, Jura 2000, 651, 656; Kretschmer, JA 2019, 666, 670; Seher, JuS 2004, 482, 484.