Gesamtschuld

Gesamtschuld (§§ 421 ff. BGB)

Die Gesamtschuldnerschaft ist die wichtigste Form der Schuldnermehrheit. Eine Gesamtschuld liegt vor, wenn mehrere eine Leistung in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber nur einmal zur Forderung der Leistung berechtigt ist (§ 421 S. 1 BGB).

Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner verpflichtet (§ 421 S. 2 BGB). Erfüllung (§ 362 BGB) tritt erst ein, wenn die Leistung von einem Gesamtschuldner oder mehreren Gesamtschuldnern vollständig bewirkt wurde; erst dann werden auch alle anderen Gesamtschuldner im Außenverhältnis zum Gläubiger befreit (§ 422 I BGB).

Prüfungsschema: Gesamtschuld, §§ 421 ff. BGB

I. Voraussetzungen der Gesamtschuld (§ 421 BGB)

  1. Mehrere Personen sind Schuldner eines Gläubigers („Schulden mehrere …“)

  2. Diese Personen schulden dem Gläubiger „eine Leistung“ (= dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers)

  3. Jeder Schuldner ist verpflichtet, die ganze Leistung zu bewirken.

  4. Der Gläubiger ist nur einmal forderungsberechtigt.

  5. Gleichstufigkeit der Verbindlichkeiten (ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal)

II. Rechtsfolgen (Wirkungen) der Gesamtschuld

  1. Außenverhältnis

a) Einzelwirkung (§§ 422 – 424 BGB)

b) Gesamtwirkung (§ 425 BGB)

  1. Innenverhältnis (§ 426 BGB)

a) Selbständiger Ausgleichsanspruch (§ 426 I BGB)

b) cessio legis (§ 426 II BGB)

Voraussetzungen einer Gesamtschuld

Die Gesamtschuld kann spezialgesetzlich angeordnet sein.1 Im Übrigen folgen ihre Voraussetzungen aus der allgemeinen Vorschrift des § 421 BGB:2

Es müssen mehrere Schuldner demselben Gläubiger zur Leistung verpflichtet sein („Schulden mehrere …“).

Das ist immer dann der Fall, wenn mehrere Schuldner zu einer unteilbaren Leistung verpflichtet sind (§ 431 BGB). Im Übrigen muss bei einer rechtsgeschäftlichen Begründung der Schuld durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) ermittelt werden, ob eine Gesamtschuld gewollt ist. Dabei ist, wenn sich mehrere durch Vertrag gemeinschaftlich zu einer teilbaren Leistung verpflichten, im Zweifel von einer Gesamtschuld auszugehen (§ 427 BGB).

Die Gesamtschuldner müssen dem Gläubiger „eine Leistung“ schulden. Dabei müssen die Verpflichtungen der Schuldner weitgehend deckungsgleich sein (Identität des Leistungsinteresses des Gläubigers).

Die Verpflichtungen aller Schuldner müssen sich dabei auf eine Leistung beziehen. Dies ist zwingend der Fall, wenn die Leistungspflichten aller Schuldner identisch sind. Zwingend erforderlich ist dies für die Annahme einer Gesamtschuld aber nicht. Hierfür reicht es bereits aus, dass sich die Verpflichtungen der Schuldner auf dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers beziehen.3 Es bedarf insoweit einer engen Verwandtschaft der Leistungsinhalte an der Grenze zur inhaltlichen Gleichheit.4

Jeder Schuldner muss verpflichtet sein, die ganze Leistung zu bewirken.

Es darf nicht bloß eine Teilschuld (§ 420 BGB) vorliegen.

Der Gläubiger darf nur einmal forderungsberechtigt sein.

An diesem Merkmal ist die Gesamtschuld von der kumulierten Schuld abzugrenzen. Letztere liegt vor, wenn der Gläubiger von jedem Schuldner die Leistungserbringung auch dann verlangen kann, wenn bereits ein anderer Schuldner geleistet hat.

Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Gesamtschuld ist die Gleichstufigkeit.5 Jeder Schuldner muss die Leistung endgültig und nicht nur vorläufig erbringen müssen.

Bei einer nur subsidiären (nachrangigen) Haftung eines Schuldners ist die Gleichstufigkeit zu verneinen. Das ist z. B. dann der Fall, wenn das Gesetz an die Leistung durch einen bestimmten Schuldner automatisch den Übergang der gesamten Forderung auf diesen Schuldner knüpft (cessio legis, § 412 BGB). Das Kriterium der Gleichstufigkeit grenzt die Gesamtschuld auch von den Fällen des § 255 BGB. ab. Soweit nämlich wegen bestehender Gleichstufigkeit eine Gesamtschuld gegeben ist, wird durch § 426 II BGB ein gesetzlicher Forderungsübergang angeordnet. Dann ist § 255 BGB, der eine gestufte Schuld voraussetzt, unanwendbar ist; § 255 BGB findet nur dann Anwendung, wenn eine Gesamtschuld nicht vorliegt.

Verhältnis der Gesamtschuldner zum Gläubiger (Außenverhältnis)

Die Wirkungen der Gesamtschuld im Außenverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern und dem Gläubiger sind in den §§ 421 – 425 BGB geregelt.6 Es ist zwischen Tatsachen, die für alle Gesamtschuldner wirken (Gesamtwirkung, §§ 422 – 424 BGB), und denen, die nur für oder gegen den Gesamtschuldner wirken, in dessen Person sie eintreten (Einzelwirkung, § 425 BGB) zu unterscheiden.

Die Erfüllung (§ 362 I BGB) durch einen Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner (§ 422 S. 1 BGB). Das Gleiche gilt nach § 422 S. 2 BGB von der Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 I BGB), der Hinterlegung (§§ 372 ff. BGB) und der Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB). Die Aufrechnung kann jedoch nur derjenige Gesamtschuldner erklären, dem die Gegenforderung zusteht (§ 422 II BGB).

Ein zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner geschlossener Erlassvertrag (§ 397 I BGB) wirkt auch für die übrigen Schuldner, wenn die Vertragschließenden das ganze Schuldverhältnis aufheben wollten (§ 423 BGB). Wollen die Parteien des Erlassvertrags nur den einzelnen Gesamtschuldner von der Schuld befreien, kommt dem Erlass lediglich Einzelwirkung zu; auch wenn der befreite Gesamtschuldner dann nicht mehr an den Gläubiger leisten muss, bleibt er dann aber den anderen Gesamtschuldnern im Innenverhältnis nach § 426 I BGB verpflichtet.7 Es kann auch vereinbart werden, dass der kontrahierende Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger frei wird und die Schuld der übrigen Gesamtschuldner um den Ausgleichsbetrag des freiwerdenden Schuldners gekürzt wird (Erlassvertrag mit beschränkter Einzelwirkung); hier werden die anderen Gesamtschuldner nicht belastet, weil die Gesamtschuld um den erlassene Teil gekürzt wird, sodass jeder Gesamtschuldner nur für den Anteil zu haften hat, für den er bereits vor dem Erlassvertrag einzustehen hatte.

Der Verzug des Gläubigers (§§ 293 ff. BGB) gegenüber einem Gesamtschuldner wirkt nach § 424 BGB auch für die übrigen Schuldner.

lle anderen Tatsachen, die nicht in den §§ 422 – 424 BGB genannt sind, haben nach § 425 I BGB grundsätzlich Einzelwirkung. Die gilt nach § 425 II BGB insbesondere für die Kündigung,8 den Schuldnerverzug (§ 286 BGB), das Verschulden (§ 276 BGB),9 die subjektive Unmöglichkeit der Leistung in der Person eines Gesamtschuldners (§ 275 BGB), die Verjährung und deren Neubeginn, Hemmung und Ablaufhemmung (§§ 194 ff. BGB), die Vereinigung der Forderung mit der Schuld (Konfusion) und ein rechtskräftiges Urteil. Eine Gesamtwirkung liegt nur vor, soweit sich dies aus dem Schuldverhältnis ergibt.10

Verhältnis der Gesamtschuldner zueinander (Innenverhältnis)

Das Innenverhältnis der Gesamtschuldner ist in § 426 BGB geregelt.11 Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist (§ 426 I 1 BGB). Eine anderweitige Bestimmung kann sich dabei aus einer gesetzlichen Regelung, einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung, der Natur der Sache oder dem Inhalt und Zweck des in Frage stehenden Rechtsverhältnisses ergeben.12

Abweichende gesetzliche Regelungen finden sich z. B. in § 840 II, III BGB. Bei Schadensersatzansprüchen richtet sich die Verteilung des Schadens auf mehrere Ersatzpflichtige nach § 254 BGB (§ 17 StVG, § 5 ProdHaftG). Gesellschafter haften aufgrund des Gesellschaftsvertrags im Zweifel nach ihrem Beteiligungsverhältnis.13

§ 426 I 1 BGB stellt einen selbständigen Ausgleichsanspruch dar, der von etwaigen anderen Ansprüchen (z. B. §§ 677 ff. BGB oder §§ 812 ff. BGB) unabhängig ist. Der Ausgleichsanspruch entsteht nicht erst mit der Befriedigung des Gläubigers, sondern bereits mit der Begründung der Schuld, d.h. mit der Entstehung der Gesamtschuld im Außenverhältnis.14

Vor der Befriedigung des Gläubigers durch einen der Gesamtschuldner besteht für jeden Gesamtschuldner die Verpflichtung, an der Befriedigung des Gläubigers mitzuwirken. Dieser Mitwirkungs- und Befreiungsanspruch setzt die Fälligkeit der Gesamtschuld voraus und hat den Teil der Schuld zum Inhalt, den der jeweilige Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu tragen hat.

Nach der Befriedigung des Gläubigers wird aus dem Befreiungsanspruch ein Ausgleichsanspruch, sofern der Gesamtschuldner mehr als den von ihm im Innenverhältnis zu tragenden Anteil geleistet hat. Die anderen ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner haften dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner jedoch nicht wiederum als Gesamtschuldner, sondern als Teilschuldner i.S.v. § 420 BGB. Kann von einem Gesamtschuldner der auf ihn entfallende Anteil (z. B. wegen Insolvenz) nicht erlangt werden, so ist der Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldnern zu tragen (§ 426 I 2 BGB). Dadurch erhöht sich der Anteil der übrigen Schuldner entsprechend. Beispiel: A, B, C und D schulden dem G als Gesamtschuldner 1.200 €. A zahlt den vollen Betrag an G. Er kann B, C und D nach § 426 I BGB als Teilschuldner in Anspruch nehmen und von ihnen jeweils 300 € verlangen. Kann B nicht zahlen, erhöht sich der Anteil von A, C und D im Innenverhältnis um jeweils 100 €, sodass A von C und D jeweils 400 € verlangen kann.

Unabhängig von seiner Ausprägung als Mitwirkungs-, Befreiungs- oder Zahlungsanspruch handelt es sich im einen einheitlichen Anspruch, der einer einheitlichen Verjährung unterliegt und mit der Begründung einer Gesamtschuld entstanden ist.15

Zur Stärkung der Rechtsstellung des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners ordnet § 426 II 1 BGB den Übergang der Forderung des Gläubigers gegen den Gesamtschuldner auf den leistenden Schuldner an (Fall der cessio legis gemäß § 412 BGB). Der Anspruch ist allerdings vermindert um den Anteil, den der ausgleichsberechtigte Schuldner selbst tragen muss. Von der Legalzession des § 426 II BGB wird nur der Anteil der Forderung erfasst, der sich aus der Leistungserbringung wegen § 426 I BGB als Überzahlung des eigenen Teils des leistenden Gesamtschuldners darstellt.

Nach der Befriedigung des Gläubigers stehen dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner somit der Ausgleichsanspruch nach § 426 I BGB und der (teilweise) übergegangene Anspruch des Gläubigers nach § 426 II BGB zu. Beide Ansprüche stehen nebeneinander und der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner kann zwischen ihnen wählen.16 Der besondere Vorteil des nach § 426 II BGB übergegangenen Anspruchs besteht darin, dass gemäß §§ 412, 401 BGB die für den Hauptanspruch bestehenden akzessorischen Sicherheiten erhalten bleiben und auf den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner mit übergehen.17 Zudem bleiben dem Gesamtschuldner Beweisvorteile (z. B. die Beweislastumkehr nach § 280 I 2 BGB) erhalten. Nachteil des nach § 426 II BGB übergangenen Anspruchs ist, dass auch alle Einwendungen und Einreden nach §§ 412, 404 BGB erhalten bleiben.

Eine Störung des Gesamtschuldverhältnisses tritt ein, wenn die Haftung eines Gesamtschuldners gegenüber dem Gläubiger durch Vertrag oder Gesetz ausschlossen oder beschränkt ist. 18


  1. Die wichtigsten Fälle finden sich in den §§ 613a II, 769, 840 I, 2058 BGB sowie in § 43 II GmbHG, § 93 II 1 AktG und § 128 S. 1 HGB (Gesamtschuld nur zwischen den Gesellschaftern untereinander, nicht im Verhältnis zur Gesellschaft). Auch in den Fällen des § 1357 BGB sind die Ehegatten Gesamtgläubiger (§ 428 BGB) und Gesamtschuldner (§ 421 BGB).
  2. Zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 1113 – 1123.
  3. BGH, Urt. v. 28.10.1997 – X ZR 157/96, NJW 1998, 537, 539.
  4. BGH, Urt. v. 22.12.2011 – VII ZR 136/11, Rn. 18.
  5. BGH, Urt. v. 20.03.2012 – XI ZR 234/11, Rn. 23. Auch „Gleichrangigkeit“ genannt, vgl. BGH, Urt. v. 22.12.2011 – VII ZR 136/11, Rn. 18; BGH, Urt. v. 28.10.1997 – X ZR 157/96, BGHZ 137, 76, 82.
  6. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 1124 f.
  7. BGH, Urt. v. 27.02.1989 – II ZR 182/88, NJW 1989, 2386, 2387; BGH, Urt. v. 09.03.1972 – VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216, 218.
  8. Eine Kündigung i.S.v. § 425 II BGB ist nur die Fälligkeitskündigung. Die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses kann grundsätzlich nicht durch einen oder gegenüber einem Gesamtschuldner allein wirksam erklärt werden; erforderlich ist i.d.R. eine einheitliche Kündigung (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 425 Rn. 2).
  9. Auf ein Mitverschulden des Gläubigers (§ 254 BGB) können sich dagegen alle Gesamtschuldner trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung in den §§ 422 ff. BGB berufen (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 425 Rn. 2).
  10. Beispiel: Das Verschulden des Partners einer Anwaltssozietät (= GbR, § 705 BGB) wirkt auch gegen die anderen Partner (Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 422 Rn. 3).
  11. Zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 1126 – 1131.
  12. BGH, Urt. v. 27.09.2016 – XI ZR 81/15, Rn. 16. Siehe hierzu den Fall: „Gesamtschuldverhältnis von Gesellschafter-Mitbürgen“.
  13. Hier und zum Folgenden: BGH, Urt. v. 05.04.2011 – II ZR 279/08, Rn. 13.
  14. Hier und zum Folgenden: BGH, Urt. v. 08.11.2016 – VI ZR 200/15, Rn. 11.
  15. BGH, Urt. v. 08.11.2016 – VI ZR 200/15, Rn. 11. Siehe hierzu den Fall: „Gesamtschuldverhältnis von Gesellschafter-Mitbürgen“.
  16. BGH, Urt. v. 20.09.1990 – IX ZR 214/89, NJW 1991, 97, 98; Erman/Böttcher, BGB, 15. Aufl. 2017, § 426 Rn. 53.
  17. Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 426 Rn. 5.
  18. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 37 Rn. 20.