Flucht in die Säumnis oder Widerklage
„Flucht“ in Säumnis oder Widerklage
Ausgangsfall:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von 10.000,00 Euro in Anspruch. Das Landgericht ordnet das schriftliche Vorverfahren an. Eine Verteidigungsanzeige der Beklagten geht fristgerecht ein, eine Klageerwiderung dagegen nicht. In der Güteverhandlung erklärt die Beklagte u.a. die Hilfsaufrechnung mit einer Gegenforderung über 10.000,00 Euro. Die Klägervertreterin ruft: „Präklusion!“ Das Gericht weist die Beklagte darauf hin, dass ihre sonstigen Verteidigungsmittel nicht durchgreifen und die Hilfsaufrechnung präkludiert sein dürfte. Wie sollte die Beklagte hierauf reagieren?
1. Präklusion der Gegenforderung?
Die Gegenforderung der Beklagten, die diese hilfsweise zur Aufrechnung gestellt hat, könnte nach § 296 Abs. 1 ZPO präkludiert sein. Hierzu müsste der Vortrag schuldhaft verspätet sein und seine Zulassung zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits führen.
Die Einzelheiten zur Präklusion werden im Exkurs „Präklusion verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel“ dargestellt, auf den hier Bezug genommen wird.
a) Angriffs- und Verteidigungsmittel
Die Hilfsaufrechnung und die zu ihrer Begründung vorgebrachten Tatsachen stellen als rechtsvernichtende Einwendung ein Verteidigungsmittel der Beklagten dar iSv § 282 Abs. 1 dar.
b) Verspätung
Der Vortrag ist verspätet, wenn er erst nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten und in § 296 Abs. 1 ZPO (abschließend) aufgeführten Frist in den Prozess eingeführt wurde. Vorliegend ist die Klageerwiderungsfrist des § 276 Abs. 1 Satz 2 ZPO berührt, die zum Zeitpunkt der Hilfsaufrechnung der Beklagten bereits abgelaufen war. Gemäß § 277 Abs. 1 Satz 1 ZPO war die Beklagte gehalten, in der Klageerwiderung sämtliche Verteidigungsmittel vorzubringen.
c) Keine Entschuldigung
Die Beklagte hat die Verspätung nicht entschuldigt.
d) Verzögerung
Die Zulassung der Hilfsaufrechnung müsste zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits führen. Nach dem absoluten Verzögerungsbegriff hängt das davon ab, ob die Erledigung des Rechtsstreits bei Zulassung des verspäteten Vortrags länger dauern würde, als es bei einer Zurückweisung der Fall wäre. Entscheidend ist hierfür, ob bei Zulassung ein neuer Termin anberaumt werden müsste.
Das hängt davon ab, ob über das Bestehen der Gegenforderung Beweis erhoben werden müsste, wofür es wiederum darauf ankommt, ob die Klägerin die Gegenforderung bestreitet. Tut sie das nicht, ist die Sache entscheidungsreif.
Die Klägerin würde dann die Klage für erledigt erklären müssen. Schließt sich die Beklagte an, würden ihr die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a Abs. 1 ZPO durch Beschluss auferlegt werden, weil sie ohne die Aufrechnung unterlegen wäre. Schließt sie sich nicht an, läge eine Klageänderung in eine Klage auf Feststellung, dass sich die Hauptsache erledigt hat, vor. Diese wäre begründet, denn die Klage war ursprünglich zulässig und begründet und hätte sich durch ein Ereignis nach Rechtshängigkeit erledigt. Zwar wirkt die Aufrechnungserklärung gemäß § 389 BGB auf den Zeitpunkt zurück, zu dem sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden. Hierauf kommt es jedoch nicht, da erst die Aufrechnungserklärung selbst die Folgen der Aufrechnung herbeiführen kann. Die Beklagte müsste also auch bei nur einseitiger Erledigung die Kosten des Rechtsstreits tragen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für die Einzelheiten wird auf die Exkurse zur Erledigung verwiesen.
Bestreitet die Klägerin die Gegenforderung, müsste eine Beweisaufnahme durchgeführt werden. Hierfür ist nur dann kein neuer Termin erforderlich, wenn die Beklagte ihre Beweismittel sofort in der Verhandlung präsentieren kann, es sei denn, die Klägerin würde sich auf ein Gegenbeweismittel berufen.
Kann sich die Klägerin nicht sofort zur Gegenforderung erklären, muss ihr das Gericht einen Schriftsatznachlass einräumen und einen Verkündungstermin anberaumen (§ 283 Satz 1 ZPO). Bestreitet die Klägerin im nachgelassenen Schriftsatz die Forderung, müsste die mündliche Verhandlung zur Beweisaufnahme wiedereröffnet werden, was zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen würde, so dass die Hilfsaufrechnung nicht zuzulassen wäre. Stellt die Klägerin die Gegenforderung unstreitig, gilt das oben zur Erledigung Gesagte.
2. Reaktion der Beklagten
Unterstellt, die Klägerin kann sich nicht sofort zur Gegenforderung erklären oder bestreitet diese sogar, läuft die Beklagte also Gefahr, dass ihre Hilfsaufrechnung zurückgewiesen wird.
a) Konsequenzen der Präklusion
Das hätte zunächst zur Folge, dass die Beklagte zur Zahlung von 10.000,00 Euro an die Klägerin verurteilt werden würde.
Auch mit einem Berufungsverfahren wäre ihr nicht geholfen, denn gemäß § 531 Abs. 1 ZPO bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im erstinstanzlichen Verfahren zu Recht zurückgewiesen wurden, auch in der II. Instanz unberücksichtigt.
Die Gegenforderung hilft der Beklagten auch nicht bei der Abwehr der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil. Nach § 767 Abs. 2 ZPO könnte sie eine Vollstreckungsabwehrklage nur mit solchen Einwendungen erfolgreich begründen, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind.
Bleibt der Aktivprozess? Nein! Die Gegenforderung ist nach § 322 Abs. 2 ZPO erloschen! Zwar gilt das nach dem klaren Wortlaut der Norm nur für die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht. Eine solche Entscheidung würde aber nicht ergehen, da sich das Gericht mit der Begründetheit der Gegenforderung gerade nicht beschäftigt. Nach Auffassung des BGH erfasst § 322 Abs. 2 ZPO aber auch die Zurückweisung der Gegenforderung wegen Präklusion – ebenso wie die Zurückweisung wegen mangelnder Substanziierung (BGH VII ZR 4/13 Rn. 48).
b) „Flucht“ der Beklagten
Es liegt also auf der Hand, dass die Beklagte nach einem Weg suchen muss, die Zurückweisung der Aufrechnung zu verhindern und trotzdem nicht zur Zahlung an die Klägerin verurteilt zu werden.
Die erste Möglichkeit wäre die Flucht in die Säumnis, die zweite die Flucht in die Widerklage.
aa) Flucht in die Säumnis
„Flucht in die Säumnis“ bedeutet, dass die Beklagte ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen lässt, dagegen (zulässig!) Einspruch einlegt (§ 338 ZPO) und in dem nach § 341a ZPO anzuberaumenden Einspruchstermin die Beweisaufnahme stattfindet.
Dieses Vorgehen ist zum einen mit dem Vollstreckungsrisiko behaftet, denn das Versäumnisurteil ist unabhängig von der Höhe der Verurteilung ohne Sicherheitsleistung und ohne Abwendungsbefugnis vorläufig vollstreckbar (§§ 708 Nr. 2, 711 ZPO). Auch wenn die Beklagte im Falle des Obsiegens mit dem Einspruch einen Anspruch auf Erstattung des Vollstreckten hätte (§ 717 Abs. 2 ZPO), trägt sie insoweit das Insolvenzrisiko der Klägerin. Sie sollte deshalb mit dem Einspruch zugleich die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragen (§ 719 Abs. 1 ZPO). Zum anderen muss sie auch im Erfolgsfall die Kosten ihrer Säumnis tragen (§ 344 ZPO).
Die Flucht in die Säumnis erfolgt dergestalt, dass die Beklagte keinen Sachantrag stellt, denn dann gilt sie gemäß § 333 ZPO als nicht erschienen.
Damit ist aber zugleich klar, dass ihr diese Möglichkeit nur so lange offensteht, wie noch keine Anträge gestellt wurden. Vorliegend ist das der Fall, da sich der Termin noch im Stadium der Güteverhandlung befindet. Diese geht der mündlichen Verhandlung vor (§§ 278 Abs. 2, 279 Abs. 1 ZPO), die wiederum mit dem Stellen der Anträge beginnt (§ 137 Abs. 1 ZPO).
Außerdem ist eine Flucht in die Säumnis dann nicht sinnvoll, wenn ein Einspruch nicht statthaft wäre.
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Das ist zum einen der Fall, wenn die Klägerin eine Entscheidung nach Lage der Akten beantragen könnte (§ 331a ZPO), denn dann würde das Gericht nicht durch Versäumnis-, sondern durch instanzbeendendes Urteil entscheiden, gegen das nur die Berufung statthaft wäre. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat (§§ 331a Satz 2, 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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Zum anderen ist ein Einspruch dann nicht mehr statthaft, wenn es sich bereits um den Einspruchstermin handelt. Hier würde das Gericht den Einspruch verwerfen (§ 345 ZPO). Dagegen wäre nur die Berufung statthaft, und das auch nur eingeschränkt (§ 514 Abs. 2 ZPO).
bb) Flucht in die Widerklage
Neben der Flucht in die Säumnis bzw. bei deren Untauglichkeit an deren Stelle kommt die Flucht in die Widerklage in Betracht.
Die Beklagte würde in der mündlichen Verhandlung Widerklage erheben, was gemäß § 261 Abs. 2 ZPO zulässig ist. Begründen würde sie diese mit (einem Teil) ihrer Gegenforderung. Präklusion droht ihr dabei nicht, weil die Widerklage kein Angriffs- und Verteidigungsmittel ist.
Da die Widerklage nicht entscheidungsreif wäre, müsste also ein weiterer Termin zur mündlichen Verhandlung (und Beweisaufnahme) anberaumt werden. Das Gericht darf auch kein Teilurteil über die Klage erlassen und in dessen Rahmen die Hilfsaufrechnung als präkludiert zurückweisen.
Auch dieses Vorgehen ist für die Beklagte mit einem Kostenrisiko behaftet. Das folgt schon daraus, dass sie nur eine Gegenforderung hat, also zwangsläufig mit der Widerklage unterliegt, da die Gegenforderung durch die Aufrechnung erlöschen würde (§ 389 BGB). Sie müsste also einen Teil der Kosten tragen, und zwar nach einem Streitwert, der sich aus der Addition von Klage und Widerklage ergibt (§ 45 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Dieses Risiko kann die Beklagte dadurch minimieren, dass sie die Widerklage nur über einen Teil der Gegenforderung erhebt. Dieser Teil darf aber wiederum nicht zu gering sein, da andernfalls die Klägerin geneigt sein könnte, die Widerklageforderung anzuerkennen. Damit wäre die Widerklage entscheidungsreif (§ 307 ZPO), so dass es keines weiteren Termins bedürfte, was wiederum zur Präklusion der Hilfsaufrechnung führen würde.