Fall: Verwendung von Taschengeld

Die minderjährige M erhält von ihren Eltern monatlich 50 EUR Taschengeld ohne ausdrückliche Vorgabe, wofür sie dieses Geld verwenden darf. Zu ihrem 17. Geburtstag erhält M von ihren Eltern ein neues Fahrrad. Es handelt sich um ein E-Bike zum Neupreis von 800 EUR, welches der M überhaupt nicht gefällt. M findet, so etwas sei doch was für alte Leute. M beschließt deshalb, das E-Bike an den Hausmeister ihrer Schule (H) zu verkaufen, weil sie weiß, dass dieser schlecht zu Fuß ist und sich ein solches Fahrrad schon länger wünscht, um am Wochenende zu seiner Kleingartenparzelle fahren zu können. M wird sich mit H schnell handelseinig und übergibt ihm das E-Bike gegen Zahlung von 550 EUR in bar.

Auf dem Heimweg kommt M an einem Fahrradgeschäft vorbei. Dort sieht sie im Schaufenster ein Damenfahrrad, welches ihr deutlich mehr zusagt. Sie entschließt sich kurzerhand zum Erwerb und betritt das Ladengeschäft des Fahrradhändlers F. Mit dem F verständigt sich M darauf, dass sie auf den Kaufpreis von 650 EUR zunächst nur eine Anzahlung von 550 EUR leistet und die noch ausstehenden 100 EUR in zwei Monatsraten zu je 50 EUR abzahlt. Weiterhin kauft sich M bei F einen Fahrradhelm für 100 EUR, wobei M diesen Helm mit ihrem bereits vor dem Verkauf des E-Bikes an H ersparten Taschengeld sofort bezahlt. F gibt der M alles mit und wünscht ihr viel Spaß beim Fahren.

M ist überglücklich und ruft unmittelbar danach mit ihrem Handy ihre beste Freundin an. Auf den Erwerb des neuen Fahrrads müsse man sofort gemeinsam anstoßen. Die beiden verabreden sich für den Nachmittag und M verspricht, alles Benötigte mitzubringen. Zu diesem Zweck kauft M von ihrem Taschengeld beim Kioskbetreiber K zwei Piccolo-Flaschen Sekt für jeweils 5 EUR. Da M findet, dass dies ihr Glückstag sei, erwirbt sie zudem für 2 EUR ein Lotterielos. Mit ihrer Freundin leert die M dann aber lediglich eine der beiden Flaschen und verstaut die andere, noch ungeöffnete Flasche in ihrer Handtasche.

Als M am Abend nach Hause kommt, erwarten sie ihre Eltern (E) bereits zum Abendessen. Wie üblich haben die E bereits eine Flasche Wein geöffnet, von dem seit einigen Wochen gelegentlich auch die M kosten darf. Als M von dem Verkauf des E-Bikes und dem Erwerb des neuen Fahrrads berichtet, sind die E schwer enttäuscht. Mit dem „Austausch“ der Fahrräder sind sie nicht einverstanden und fordern die M dazu auf, dies rückgängig zu machen. Von dem Fahrradhelm, dem Sekt und dem Lotterielos berichtet M dann lieber nicht mehr.

Eine Woche später erfährt M, dass sie mit ihrem Lotterielos 1.000 EUR gewonnen hat. Sie holt den Gewinn bei dem Lotteriebetreiber L in bar ab und kauft sich von diesem Geld zahlreiche Kleidungsstücke, die sie sich nun endlich leisten kann.

Frage 1: Kann M von H Herausgabe des E-Bikes verlangen?

Frage 2: Kann F von M bei Fälligkeit die Zahlung der beiden noch ausstehenden Kaufpreisraten für das Damenfahrrad verlangen? Falls nicht, kann er dann von M die Herausgabe des Fahrrads – Zug um Zug gegen Rückzahlung von 550 € – verlangen?

Frage 3: Ist der Kaufvertrag über den Fahrradhelm wirksam?

Frage 4: Kann M von K die Rückzahlung von 5 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe der noch ungeöffneten zweiten Piccolo-Flasche Sekt verlangen? Es ist bei der Bearbeitung zu unterstellen, dass M und K über die beiden Flaschen jeweils getrennte Kaufverträge geschlossen haben.

Frage 5: Sind die Kaufverträge über die Kleidungsstücke wirksam?

Hinweis: Der Sachverhalt ist komplex. Er richtet sich an Fortgeschrittene. Es wird empfohlen, sich vor Anfertigung der Lösungsskizze zunächst ein Schaubild aufzumalen, um die Verhältnisse der Beteiligten zueinander klar voneinander abzugrenzen. Ein solches Schaubild könnte in etwa wie folgt aussehen:

Gliederung:

  1. Frage 1: Anspruch der M gegen H auf Herausgabe des E-Bikes
    1. Anspruch aus § 985 BGB
      • a) Eigentum der M
      • b) Besitz des H
      • c) Recht zum Besitz
      • d) Ergebnis zu 1.
    2. Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB
      • a) Etwas erlangt
      • b) Durch Leistung
      • c) Ohne Rechtsgrund
      • d) Ergebnis zu 2.
  2. Frage 2: Anspruch des F gegen M auf Zahlung der ausstehenden Kaufpreisraten, hilfsweise auf Herausgabe des Fahrrads
    1. Anspruch aus § 433 II BGB
    2. Anspruch aus § 985 BGB
    3. Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB
      • a) Tatbestand
      • b) Rechtsfolge
  3. Frage 3: Wirksamkeit des Kaufvertrages über den Fahrradhelm
    1. Einwilligung nach § 107 BGB
    2. Einwilligung nach § 110 BGB
  4. Frage 4: Anspruch der M gegen K auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über die zweite Piccolo-Flasche Sekt
  5. Frage 5: Wirksamkeit der Kaufverträge über die Kleidungsstücke
  6. Gutachten:

    I. Frage 1: Anspruch der M gegen H auf Herausgabe des E-Bikes

    Ein Anspruch der M gegen H auf Herausgabe des E-Bikes könnte sich aus § 985 BGB und/oder aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB ergeben.

    1. Anspruch aus § 985 BGB

    M hat gemäß § 985 BGB einen Anspruch gegen H auf Herausgabe des E-Bikes, wenn sie Eigentümerin und der H Besitzer ohne Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB ist.

    a) Eigentum der M

    M müsste als Anspruchstellerin nach wie vor Eigentümerin des E-Bikes sein. Ursprünglich ist sie dies gewesen, weil die E ihr das Eigentum an dem E-Bike an ihrem 17. Geburtstag in Erfüllung eines konkludent geschlossenen Schenkungsvertrages (§ 516 BGB) durch ebenfalls konkludente dingliche Einigung und Übergabe gemäß § 929 S. 1 BGB übereignet haben.

    M könnte das Eigentum jedoch durch Übereignung nach § 929 S. 1 BGB an den H verloren haben. Nach dieser Vorschrift ist zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll.

    M hat dem H das E-Bike ausgehändigt. Dies stellt eine Übergabe 1 des E-Bikes, bei dem es sich um bewegliche Sachen i.S.v. § 90 BGB handelt, und gleichzeitig eine konkludente dingliche Einigung zwischen M und H über den Eigentumsübergang dar. Die dingliche Einigung könnte aber wegen der beschränkten Geschäftsfähigkeit der M (§§ 2, 106 BGB) unwirksam sein.

    Nach § 107 BGB bedarf der – in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkte – Minderjährige zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung – also der vorherigen Zustimmung (vgl. § 183 S. 1 BGB) – seines gesetzlichen Vertreters. Gesetzliche Vertreter der M sind die E (§§ 1626 I, 1629 I 1 BGB). Ob eine Willenserklärung lediglich rechtlich vorteilhaft ist, richtet sich allein nach der rechtlichen Wirkung, nicht jedoch nach den wirtschaftlichen Folgen des Geschäfts. 2 Durch die dingliche Einigung mit H verliert M ihr Eigentum an dem E-Bike, sodass die zur dinglichen Einigung führende Willenserklärung der M rechtlich nachteilig ist. Die auf dingliche Einigung gerichtete Willenserklärung der M hätte mithin der Einwilligung bedurft. Eine solche lag allerdings nicht vor.

    Schließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrages von der Genehmigung – also der nachträglichen Zustimmung (vgl. § 184 I BGB) – des gesetzlichen Vertreters ab. Der Vertrag ist zunächst schwebend unwirksam.3 Eine solche Genehmigung haben die E allerdings (konkludent) verweigert, in dem sie gegenüber M erklärt haben, mit dem „Austausch“ der Fahrräder nicht einverstanden zu sein, und die M dazu aufgefordert haben, diesen rückgängig zu machen. Eine Verweigerung der Genehmigung gegenüber der M war auch zulässig (vgl. § 182 I BGB). Durch diese Verweigerung der Genehmigung ist der zunächst schwebend unwirksame dingliche Übereignungsvertrag i.S.v. § 929 S. 1 BGB zwischen M und H endgültig unwirksam geworden.

    M ist somit nach wie vor Eigentümerin des E-Bikes.

    b) Besitz des H

    H übt die tatsächliche Sachherrschaft über das E-Bikes aus und ist deshalb dessen unmittelbarer Besitzer (§ 854 I BGB).

    c) Kein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB 4

    Der H könnte die Herausgabe jedoch gemäß § 986 I 1 BGB verweigern,5 wenn er gegenüber M zum Besitz berechtigt ist. Ein Anspruch aus § 985 BGB besteht nicht, soweit der Besitzer zum Besitz der Sache berechtigt ist.6

    Ein Recht zum Besitz könnte sich hier aus einem Kaufvertrag gemäß § 433 BGB über das E-Bike zwischen M und H ergeben. Eine Einigung zwischen M und H über den Kaufgegenstand und den Kaufpreis wurde erzielt. Fraglich ist jedoch, ob der Kaufvertrag wirksam ist. Dem könnte die beschränkte Geschäftsfähigkeit der M entgegenstehen. Da der Kaufvertrag als zweiseitig verpflichtender Vertrag für die M rechtlich nachteilig ist, bedurfte die M (auch) für ihre auf Abschluss des Kaufvertrages gerichtete (schuldrechtliche) Willenserklärung der Zustimmung der E (§ 107 BGB). Da die E als gesetzliche Vertreter der M in den Vertragsschluss mit H nicht eingewilligt und den nach § 108 I BGB schwebend unwirksamen Kaufvertrag auch nicht genehmigt haben, ist der Kaufvertrag endgültig unwirksam.

    Ein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 I 1 BGB besteht zu Gunsten des H mithin nicht.

    d) Ergebnis zu 1.

    M hat gegen H einen Anspruch auf Herausgabe7 des E-Bikes aus § 985 BGB.

    2. Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB

    Ein Anspruch der M gegen H auf Herausgabe des E-Bikes könnte sich neben § 985 BGB8 auch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB ergeben. Dafür müsste der H durch Leistung der M „etwas“ im bereicherungsrechtlichen Sinne ohne rechtlichen Grund erlangt haben.

    a) Etwas erlangt

    H hat einen vermögenswerten Vorteil in Gestalt des unmittelbaren Besitzes (§ 854 I BGB) an dem E-Bike und damit „etwas“ im bereicherungsrechtlichen Sinne erlangt.

    b) Durch Leistung

    Dies geschah „durch Leistung“ der M. Unter einer Leistung im Sinne der §§ 812 ff. BGB versteht man eine bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens,9 wobei im Fall des § 812 I 1 Alt. 1 BGB (condictio indebiti) der Bereicherungsgläubiger leistet, um Befreiung von einer (vermeintlichen) Verbindlichkeit zu erlangen (solvendi causa).10 M wollte durch die Übergabe und Übereignung des E-Bikes ihre aus dem (vermeintlich wirksam zustande gekommenen) Kaufvertrag mit H resultierende Verkäuferpflicht aus § 433 I 1 BGB erfüllen. Die dazu u.a. gehörende Besitzübertragung erfolgte mithin durch Leistung der M.

    c) Ohne rechtlichen Grund

    Im Falle des § 812 I 1 Alt. 1 BGB (condictio indebiti) erfolgt die Leistung „ohne rechtlichen Grund“, wenn der mit ihr verfolgte Zweck – Befreiung von einer (vermeintlichen) Verbindlichkeit – fehlschlägt.11 Dies ist hier deshalb der Fall, weil ein wirksamer Kaufvertrag zwischen M und H nicht zustande gekommen ist und M deshalb einen eventuellen Anspruch des H aus § 433 I 1 BGB nicht erfüllen konnte.

    d) Ergebnis zu 2.

    M kann von H auch gemäß § 812 I 1 BGB die Herausgabe des E-Bikes verlangen.

    II. Frage 2: Anspruch des F gegen M auf Zahlung der ausstehenden Kaufpreisraten, hilfsweise auf Herausgabe des Fahrrads

    F begehrt von M primär die Zahlung der beiden noch ausstehenden Kaufpreisraten; ein solcher Anspruch könnte sich nach Eintritt der jeweiligen Fälligkeit aus § 433 Abs. 2 BGB ergeben. Hilfsweise für den Fall, dass ein solcher vertraglicher Erfüllungsanspruch nicht besteht, begehrt F Zug um Zug gegen Rückzahlung des durch M angezahlten Betrages von 550 € die Herausgabe des Fahrrads; ein solcher Anspruch könnte sich sowohl aus § 985 BGB als auch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB ergeben.

    1. Anspruch aus § 433 II BGB

    F hat einen – bei Fälligkeit auch durchsetzbaren – Anspruch gegen M auf Zahlung der beiden noch ausstehenden Kaufpreisraten von zusammen 100 EUR aus § 433 II BGB, wenn zwischen beiden ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist.

    Da der Kaufvertrag für M ein nicht rechtlich lediglich vorteilhaftes Rechtsgeschäft ist, bedarf es nach § 107 BGB der Einwilligung der E. Eine ausdrückliche, auf das konkrete Rechtsgeschäft bezogene Einwilligung der E liegt nicht vor. Ein von dem Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag gilt jedoch nach § 110 BGB („Taschengeldparagraph“) als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind. Trotz des Wortlauts („ohne Zustimmung“) handelt es sich nach h. M. um einen Spezialfall des § 107 BGB12 in Gestalt einer vorab erteilten Einwilligung. Der M wurde von den E Taschengeld i.H.v. 50 € monatlich zur freien Verfügung überlassen. Dies gilt aber nicht in Bezug auf das E-Bike, sodass auch die durch den Verkauf des E-Bikes erzielten 550 €, die M als Anzahlungsbetrag gegenüber F genutzt hat, der M weder durch die E noch mit deren Zustimmung durch den H als Dritten zur freien Verfügung überlassen worden sind. Dessen ungeachtet ist die durch M infolge des Kaufvertrages mit F geschuldete Leistung aber auch nicht vollständig bewirkt worden. „Bewirkt“ i.S.v. § 110 BGB ist die Leistung nur dann, wenn sie vollständig erbracht, der Anspruch also vollständig erfüllt wurde.13 M hat jedoch bislang lediglich eine Anzahlung i.H.v. 550 € auf die Kaufpreisschuld geleistet und mit F für den Restkaufpreis von 100 € eine Ratenzahlung vereinbart. Ein etwaiger Anspruch des F gegen M auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB ist also noch nicht vollständig erfüllt und somit auch nicht i.S.v. § 110 BGB „bewirkt“. Deshalb ist eine Einwilligung der E i.S.v. § 107 BGB auch nicht gemäß § 110 BGB anzunehmen.

    Die Genehmigung des danach gemäß § 108 I BGB zunächst schwebend unwirksamen Kaufvertrages haben die E durch Erklärung gegenüber der M (vgl. § 182 I BGB) konkludent verweigert. Der Kaufvertrag zwischen M und F über das Fahrrad ist somit endgültig unwirksam.

    F hat demnach keinen Anspruch gegen M aus § 433 II BGB auf Zahlung der beiden noch offenen Kaufpreisraten.

    2. Anspruch aus § 985 BGB

    F könnte jedoch gegen M einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrrads aus § 985 BGB haben. Dafür müsste F nach wie vor Eigentümer und M unrechtmäßige Besitzerin des Fahrrads sein.

    Der Anspruch scheidet somit bereits wegen fehlenden Eigentums des F aus, wenn dieser sein Eigentum gemäß § 929 S. 1 BGB durch Einigung und Übergabe auf die M übertragen hat. Eine dingliche Einigung haben M und F konkludent im Zuge der Übergabe des Fahrrads erzielt. F hat die Einigung insbesondere auch nicht unter die aufschiebende Bedingung (§ 158 I BGB) vollständiger Kaufpreiszahlung gestellt. Die M erlangt durch die Eigentumsübertragung das Eigentum an dem Fahrrad, womit kein rechtlicher Nachteil für sie verbunden ist. Eine Einwilligung der E war nicht i.S.v. § 108 I BGB „erforderlich“; die M bedurfte für dieses rechtlich lediglich vorteilhafte dingliche Rechtsgeschäft nach § 107 BGB keiner Einwilligung der E. M hat mithin gemäß § 929 S. 1 BGB das Eigentum an dem Fahrrad von F erworben.

    Ein dinglicher Herausgabeanspruch des F gegen M aus § 985 BGB scheidet demnach aus.

    3. Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB

    In Betracht kommt jedoch ein bereicherungsrechtlicher und damit obligatorischer Herausgabeanspruch des F gegen M aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB.

    a) Tatbestand

    Die Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs sind erfüllt. M hat gemäß § 929 S. 1 BGB Eigentum und gemäß § 854 I BGB unmittelbaren Besitz an dem Fahrrad erlangt. Dies geschah durch bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens und damit durch Leistung des F, jedoch ohne rechtlichen Grund, weil der zwischen F und M geschlossene Kaufvertrag unwirksam ist (s.o.).

    b) Rechtsfolge

    Der Bereicherungsschuldner ist nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Der Anspruch des F gegen M ist also auf Rückübereignung und Besitzherausgabe gerichtet.

    Da es vorliegend um die Rückabwicklung eines gegenseitigen Vertrages, nämlich des unwirksamen Kaufvertrages zwischen F und M geht, steht dem Bereicherungsanspruch des F aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB ein Gegenanspruch der M hinsichtlich der von ihr geleisteten Anzahlung von 550 € aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB gegenüber. Deshalb ist M dem F zur Rückübereignung und Besitzherausgabe lediglich Zug um Zug gegen Rückzahlung des Geldes (§ 818 I BGB) bzw. gegen Leistung von Wertersatz (§ 818 II BGB) in Höhe von 550 € verpflichtet.14

    III. Frage 3: Ist der Kaufvertrag über den Fahrradhelm wirksam?

    Der Wirksamkeit des zwischen F und M durch Angebot und Annahme zustande gekommenen Kaufvertrages über den Fahrradhelm könnte die beschränkte Geschäftsfähigkeit der M (§§ 2, 106 BGB) entgegenstehen. Da der Kaufvertrag die M zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet (§ 433 II BGB), ist er für die M nicht lediglich rechtlich vorteilhaft i.S.v. § 107 BGB. Deshalb bedurfte es der Einwilligung der E. Ohne eine solche Einwilligung der E wäre der Vertrag zwischen F und M gemäß § 108 I BGB schwebend unwirksam.

    1. Einwilligung nach § 107 BGB

    Eine Einwilligung i.S.v. § 107 BGB haben die E nicht ausdrücklich (in Bezug auf den konkreten Kaufvertrag) erteilt.

    2. Einwilligung nach § 110 BGB

    Von einer Einwilligung der E könnte jedoch nach Maßgabe des § 110 BGB auszugehen sein.

    M hat den Kaufpreis vollständig bewirkt, und zwar mit Mitteln, die ihr die E zur freien Verfügung überlassen hatten. Die Voraussetzungen des § 110 BGB sind somit erfüllt.

    Ein Problem könnte man allenfalls darin erblicken, dass es sich um angespartes Taschengeld handelte.15 Spart ein Minderjähriger über längere Zeit Geld an, um dann einen größeren Betrag auf einmal auszugeben, muss dieses Verhalten nicht zwingend von der durch Mittelüberlassung konkludent erteilten Einwilligung der Eltern gedeckt sein. Der gesetzliche Vertreter hat nämlich bei der Vergabe von Taschengeld nicht nur die Wahl, es entweder bei der gesetzlichen Regel des § 107 BGB zu belassen oder mit Einräumung der freien Verfügungsgewalt alles und jedes gutzuheißen, was der Minderjährige mit den ihm überlassenen Mitteln anzufangen gut findet.16 Die mit der Mittelüberlassung i.S.v. § 110 BGB einhergehende Einwilligung i.S.v. § 107 BGB kann vielmehr auch einschränkend auszulegen sein. Spart der Minderjährige indes – wie hier – nur für wenige Monate sein Taschengeld an und gibt es sodann für eine Anschaffung seiner Wahl aus, die – wie hier im Falle des Kaufs eines Fahrradhelms – zudem auch noch objektiv sinnvoll und vom mutmaßlichen Willen der Eltern gedeckt ist, besteht für eine einschränkende Auslegung des Inhalts der Einwilligung i.S.v. § 110 BGB kein Anlass. Es entspricht nämlich gerade dem Lernzweck des Taschengeldes, auch einmal für größere Anschaffungen sparen zu müssen. Wird das Angesparte sodann auch noch – wie hier – sinnvoll eingesetzt, besteht kein Bedürfnis für eine einzelfallbezogene Beschränkung der Reichweite der Einwilligung.

    Deshalb ist der Kaufvertrag zwischen F und M über den Fahrradhelm nicht i.S.v. § 108 I BGB schwebend unwirksam, sondern vielmehr von Anfang an wirksam. Einer Genehmigung des Vertrages durch die E bedarf es nicht.

    IV. Frage 4: Anspruch der M gegen K auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über die zweite Piccolo-Flasche Sekt

    Ein Anspruch der M gegen K auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über die zweite Piccolo-Flasche Sekt könnte sich aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB ergeben. Ein solcher auf Rückgabe und Rückübereignung der Flasche Zug um Zug gegen Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von 5 EUR gerichteter Anspruch besteht allerdings nicht, wenn der zwischen M und K durch Angebot und Annahme zustande gekommene Kaufvertrag über die zweite Piccolo-Flasche Sekt17 wirksam ist und für den erfolgte Leistungsaustausch einen Rechtsgrund liefert.

    Der Vertrag könnte gemäß § 110 BGB als von Anfang an wirksam gelten. M hat den Kaufpreis mit Mitteln, die ihr die E zur freien Verfügung überlassen hatten, vollständig bewirkt. Nach h. M. ist § 110 BGB jedoch als (bloße) Auslegungsregel zu verstehen.18 Dabei gilt, dass der gesetzliche Vertreter die Einwilligung ausdrücklich oder konkludent beschränken kann. Es gibt Geschäfte, die auch von der Überlassung von Mitteln zur freien Verfügung typischerweise nicht mehr gedeckt sind (z. B. hochprozentige Alkoholika, Zigaretten, Drogen, Waffen).19 Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass die M bereits 17 Jahre alt ist, Sekt kein hochprozentiges alkoholisches Getränk ist, eine Piccolo-Flasche zudem nur eine geringe Menge hiervon enthält und die ebenfalls regelmäßig Wein konsumierenden E der M bereits seit einigen Wochen erlauben, gelegentlich vom Wein zu kosten. In der Gesamtschau bietet dies bei der nach § 110 BGB gebotenen Auslegung keinen hinreichenden Anlass, das Vorliegen einer durch Mittelüberlassung zum Ausdruck gebrachten Einwilligung der E in den Erwerb des Sektes durch M zu verneinen (Hinweis: mit entsprechender Argumentation wäre das gegenteilige Ergebnis sicher vertretbar).

    Ein Anspruch der M gegen K auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über die zweite Piccolo-Flasche Sekt aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB scheidet demnach aus, weil der zwischen M und K geschlossene Kaufvertrag wirksam ist und für die wechselseitigen Leistungen einen Rechtsgrund liefert.

    V. Frage 5: Wirksamkeit der Kaufverträge über die Kleidungsstücke

    Der Wirksamkeit der durch Angebot und Annahme zustande gekommenen Kaufverträge über die Kleidungsstücke könnte die beschränkte Geschäftsfähigkeit der M (§§ 2, 106 BGB) entgegenstehen.

    Da die Kaufverträge die M jeweils zur Zahlung des Kaufpreises verpflichten (§ 433 II BGB), sind sie für die M nicht lediglich rechtlich vorteilhaft i.S.v. § 107 BGB. Deshalb bedurfte es der Einwilligung der E. Ohne eine solche Einwilligung der E wären die Verträge jeweils gemäß § 108 I BGB schwebend unwirksam.

    Ausdrückliche, auf die konkreten Vertragsschlüsse bezogene Einwilligungserklärungen der E i.S.v. § 107 BGB liegen nicht vor. Es könnte jedoch nach Maßgabe des § 110 BGB von einer Einwilligung der E auszugehen sein. Diese Norm könnte hier aber deshalb nicht anwendbar sein, weil M die Kaufpreise für die Kleidungsstücke mit dem durch L in bar ausgezahlten Lotteriegewinn bewirkt hat.20 Die in der Überlassung von Taschengeld zur freien Verfügung liegende (konkludente) Einwilligung umfasst nach der Verkehrsanschauung auch den Erwerb eines Lotterieloses. Allerdings bezieht sich die beschränkte Generaleinwilligung aus der Mittelüberlassung nach § 110 BGB nur auf die Verwendung der Mittel selbst, nicht auch auf die Verwendung von mit ihrer Hilfe erworbenen Surrogaten.21 Die Taschengeldüberlassung durch E deckten somit zwar den Loserwerb, aber nicht mehr die Verwendung des Lotteriegewinns zu weiteren Vertragsschlüssen.

    Dementsprechend sind die Kaufverträge über die Kleidungsstücke gemäß § 108 I BGB schwebend unwirksam. Eine Genehmigung dieser Verträge durch die E ist bislang nicht erfolgt.


    1. Eine „Übergabe“ i.S.v. § 929 S. 1 BGB setzt dreierlei voraus: (1) Eine Besitzerlangung des Erwerbers, (2) auf Veranlassung des Veräußerers (3) unter Aufgabe jeglicher Besitzposition des Veräußerers (Jacoby/v Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 929 Rn. 6).
    2. Erman/Müller, BGB, 15. Aufl. 2017, § 107 Rn. 3.
    3. Erman/Müller, BGB, 15. Aufl. 2017, § 108 Rn. 1.
    4. Trotz des missverständlichen Wortlauts („kann … verweigern“) enthält § 986 BGB – der amtlichen Überschrift („Einwendungen des Besitzers“) entsprechend – nach heute nahezu einhelliger Meinung keine Einrede, sondern eine von Amts wegen zu beachtende Einwendung (Jacoby/v Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 986 Rn. 1). Der Sache nach handelt es sich bei dem fehlenden Besitzrecht nach § 986 BGB sogar um eine Voraussetzung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB, sodass die §§ 985, 986 BGB zusammen zu lesen und das fehlende Besitzrecht als Anspruchsvoraussetzung zu prüfen ist (Jacoby/v. Hinden, a.a.O., § 985 Rn. 2). Anspruchsgegner des § 985 BGB ist somit stets der unberechtigte Besitzer.
    5. Trotz des missverständlichen Wortlauts („kann … verweigern“) enthält § 986 BGB – der amtlichen Überschrift („Einwendungen des Besitzers“) entsprechend – nach heute nahezu einhelliger Meinung keine Einrede, sondern eine von Amts wegen zu beachtende Einwendung (Jacoby/v Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 986 Rn. 1). Der Sache nach handelt es sich bei dem fehlenden Besitzrecht nach § 986 BGB sogar um eine Voraussetzung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB, sodass die §§ 985, 986 BGB zusammen zu lesen und das fehlende Besitzrecht als Anspruchsvoraussetzung zu prüfen ist (Jacoby/v. Hinden, a.a.O., § 985 Rn. 2). Anspruchsgegner des § 985 BGB ist somit stets der unberechtigte Besitzer.
    6. Erman/Ebbing, BGB, 15. Aufl. 2017, § 985 Rn. 1.
    7. Der Anspruch aus § 985 BGB ist auf Herausgabe, d. h… auf Verschaffung des unmittelbaren Besitzes an der Sache gerichtet (Erman/ Ebbing, BGB, 15. Aufl. 2017, § 985 Rn. 21).
    8. Beide Anspruchsgrundlagen sind nebeneinander anwendbar (Erman/Ebbing, BGB, 15. Aufl. 2017, § 985 Rn. 29). Es besteht insoweit Anspruchskonkurrenz (Ebbing, a.a.O., § 985 Rn. 27).
    9. BGH, Urt. v. 31.10.1963 – VII ZR 285/61, BGHZ 40, 272, 277.
    10. Jacoby/v Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 812 Rn. 13.
    11. Jacoby/v Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 812 Rn. 13.
    12. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 9 Rn. 53 u. 56 m.w.N.
    13. Erman/Müller, BGB, 15. Aufl. 2017, § 110 Rn. 2.
    14. Dies gilt unabhängig davon, ob man die sog. Zweikondiktionenlehre bevorzugt (Erman/Ebbing, BGB, 15. Aufl. 2017, § 818 Rn. 42) oder der Saldotheorie der Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 20.12.2001 – IX ZR 401/99, NZI 2002, 150, 152) folgt und auch unabhängig davon, ob man die Saldotheorie zu Gunsten des Minderjährigen anwendet. Da sich hier nicht gleichartige Ansprüche gegenüberstehen und eine Verrechnung im Sinne einer Anspruchskürzung ausscheidet, würde nach beiden Auffassungen und damit im Ergebnis unstreitig in einem Zivilprozess eine Verurteilung nur „Zug um Zug“ gegen Rückzahlung der durch M geleisteten 550 € erfolgen. Hierauf muss also in der Falllösung nicht weiter eingegangen werden.
    15. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 20, Fall 51, S. 328 f.
    16. RGZ 74, 234, 236 („Lotterie-Fall“).
    17. Es wird dem Bearbeiterhinweis folgend unterstellt, dass kein einheitlicher Kaufvertrag über zwei Piccolo-Flaschen Sekt, sondern zwei separate Kaufverträge über jeweils eine Piccolo-Flasche zustande gekommen sind. Dies wäre, wenn es nicht ausdrücklich Bestandteil der Fragestellung gewesen wäre, durch Auslegung zu ermitteln.
    18. Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 1020.
    19. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 30 Rn. 18.
    20. Zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 30 Rn. 23.
    21. RGZ 74, 234, 235 f. („Lotterie-Fall“).