Fall: Teure Tennisbälle

Der K ist selbständiger Tennistrainer. Für seine zahlreichen Schüler benötigt er regelmäßig neue Tennisbälle. Diese bezieht er stets im ortsansässigen Sportfachgeschäft des V. Die Preise für die Tennisbälle verändern sich immer wieder marginal und hängen auch von der Gesamtabnahmemenge ab. K kauft bei V meistens 72 Bälle pro Monat auf der Grundlage einer monatlichen Bestellung; die Bälle werden dann in 18 Dosen zu je 4 Bällen übergeben. Im Dezember 2001 hatte K für diese Menge an Bällen insgesamt 169,00 DM, also bei 72 Bälle rund 2,35 DM pro Ball gezahlt.

Im Januar 2002 ruft K bei V an und erkundigt sich bei diesem nach dem aktuellen Preis für die gewohnte Menge von 72 Bällen. V sagt dem K, diese könne er „jetzt für 90 haben“. K antwortet: „Einverstanden, ich hole die Bälle dann nachher bei Ihnen ab.“

Als K im Ladengeschäft des V erscheint und die Bälle abholen möchte, legt er dem V 90,00 DM auf die Kassentheke. V ist verblüfft und meint, er habe nach der Währungsumstellung zum Jahreswechsel am Telefon den Preis in EURO und nicht in D-Mark angegeben. Bei einer Abnahmemenge von 72 Bällen koste ein Ball aktuell 1,25 EUR, also bei 72 Bällen zusammen 90,00 EUR. K entgegnet, dass ihm dies zu teuer sei und er dem Geschäft nicht zugestimmt hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Preisangabe des V in EUR und nicht in DM gemeint war. Für 90,00 EUR wolle er die Tennisbälle nicht haben.

V führt zudem wahrheitsgemäß aus, dass nach dem Telefonat mit K die Tennisschule aus dem Nachbarort bei ihm angerufen hat und bei ihm 1.000 Bälle in 250 Dosen mit jeweils 4 Bällen zum Gesamtpreis von 1.150,00 EUR kaufen wollte. Dieses Angebot habe der V ablehnen müssen, weil er für seinen langjährigen Kunden K bereits 18 Dosen zur Seite gelegt hatte und sodann nur noch 240 Dosen vorrätig hatte, was der Tennisschule nicht reichte. Die 240 Dosen habe V anschließend einer anderen Tennisschule zum Gesamtpreis von 960,00 EUR verkauft.

Was kann V von K verlangen?

Bearbeitervermerk: Ein etwaiger Anspruch des V gegen K aus §§ 280 I, 311 II, 241 II (c.i.c.) ist nicht zu prüfen.

Gliederung:

  1. Anspruch des V gegen K aus § 433 II BGB
    1. Zustandekommen eines Kaufvertrages
      • a) Angebot
      • b) Annahme
      • c) Dissens
      • d) Auslegung
      • e) Ergebnis zu 1.
    2. Unwirksamkeit gemäß § 142 I BGB
      • a) Anfechtungsgrund
        • aa) Eigenschaftsirrtum, § 119 II BGB
        • bb) Inhaltsirrtum, § 119 I Alt. 1 BGB
      • b) Anfechtungserklärung
      • c) Anfechtungsfrist
    3. Ergebnis zu I.
  2. Anspruch des V gegen K aus § 122 I BGB
    1. Willenserklärung auf Grund der §§ 119, 120 BGB angefochten
    2. Vertrauensschaden
    3. Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse
    4. Kein Ausschluss gemäß § 122 II BGB
    5. Ergebnis zu II.

Gutachten:

I. Anspruch des V gegen K auf Abnahme und Kaufpreiszahlung gemäß § 433 II BGB

V könnte gegen K einen Anspruch auf Abnahme von 72 Tennisbällen und auf Zahlung von 90,00 EUR aus § 433 II BGB haben.

1. Zustandekommen eines Kaufvertrages

Dafür müsste zwischen V und K durch zwei inhaltlich übereinstimmende und aufeinander bezogene Willenserklärungen, Angebot und Annahme, ein entsprechender Kaufvertrag zustande gekommen sein.

a) Angebot

Ein Angebot könnte bereits in dem Anruf des K bei V liegen. Dafür müsste der K dem V einen Vertragsschluss so angetragen wird, dass dieser lediglich „Ja“ zu sagen braucht, um den Vertrag zustande zu bringen. Da sich K jedoch lediglich nach dem aktuellen Preis für die Tennisbälle erkundigte, wollte er sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers noch nicht rechtlich binden. Mangels Rechtsbindungswillens des K lag zu diesem Zeitpunkt noch kein bindendes Vertragsangebot, sondern lediglich eine Aufforderung an den V zur Abgabe eines Angebots (invitatio ad offerendum) vor.

Das Angebot unterbreitete jedoch der V, der dem K den Kauf von 72 Tennisbällen zum Gesamtpreis von „90“ offerierte. Durch die Wortwahl des V kommt aus der allein maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers (vgl. §§ 133, 157 BGB) klar zum Ausdruck, dass der V dem K mit Rechtsbindungswillen die mengenmäßig bestimmte Anzahl an Tennisbällen zu dem genannten Preis verkaufen wollte. Diese telefonische Angebotserklärung ist eine Erklärung unter Anwesenden im Sinne § 147 I 2 BGB1 und dementsprechend nach dem Rechtsgedanken des § 130 I 1 BGB in dem Moment wirksam geworden, in der sie von K richtig vernommen wurde und somit zugegangen ist. 2

b) Annahme

Dieses Angebot hat K durch seine ebenfalls telefonische Erklärung angenommen. Auch seine Erklärung ist durch richtige Vernehmung wirksam geworden, und zwar, da es sich bei telefonischen Erklärungen um solche unter Anwesenden handelt, sofort und damit rechtzeitig i.S.v. § 147 I 1 BGB.

c) Dissens

Einem wirksamen Vertragsschluss könnte aber entgegenstehen, dass K von einem DM-Preis ausging, während V eine Preisangabe in EUR machen wollte. Da ein Vertragsschluss übereinstimmende Willenserklärungen der Parteien („Konsens“) voraussetzt, kommt ein Vertrag grundsätzlich nicht zustande, wenn die Erklärungen der Parteien sich nicht vollständig decken („Dissens“).3 Das BGB enthält zum Dissens Regelungen in den §§ 154, 155 BGB. Während § 154 I BGB den Fall betrifft, dass die unvollständige Einigung zumindest einer Partei bewusst ist („offener Dissens“), regelt § 155 BGB die Situation, dass beide Parteien irrig von deckungsgleichen Erklärungen ausgehen („versteckter Dissens“).

Hier könnte ein versteckter Dissens vorliegen. Liegt ein versteckter Dissens vor, kommt ein Vertrag grundsätzlich nicht zustande. Diese Rechtsfolge setzt § 155 BGB voraus.4 Das Vereinbarte soll aber ausnahmsweise verbindlich sein, wenn die Parteien den Vertrag mutmaßlich auch dann geschlossen hätten, wenn ihnen der offengebliebene Punkt zum Zeitpunkt der Einigung bewusst gewesen wäre. Dies ist durch Auslegung des vom Konsens gedeckten Vertragsinhalts festzustellen. Allerdings muss es sich bei dem in § 155 BGB angesprochenen „Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte“, um einen Nebenpunkt („accidentale negotii“) handeln. Mangelt es an einer Einigung im Hinblick auf einen Hauptpunkt („essentiale negotii“), kommt ein Vertrag von vornherein nicht zustande,5 ohne dass es auf die Auslegungsregel des § 155 BGB ankäme.

d) Auslegung

V und K hatten, ohne dass sie dies im Zeitpunkt der Einigung erkannt hätten, unterschiedliche Vorstellungen zum Kaufpreis. Bei diesem handelt es sich um einen Hauptpunkt („essentiale negotii“) des Kaufvertrages. Die Auslegungsregel des § 155 BGB zum versteckten Dissens findet deshalb vorliegend keine Anwendung. Dies heißt aber noch nicht, dass wegen der fehlenden Willensübereinstimmung hier zwingend ein Totaldissens vorliegt.6 Denn zum Schutz des redlichen Geschäftsverkehr sind empfangsbedürftige Willenserklärungen gemäß §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie ein objektiver vernünftiger Dritter an der Stelle des tatsächlichen Empfängers sie verstehen darf (Lehre vom „objektiven Empfängerhorizont“).7 Ein versteckter Dissens scheidet daher aus, wenn die Auslegung einen „normativen“ Konsens ergibt, wenn sich also der objektive Erklärungsgehalt beider Willenserklärungen trotz abweichenden inneren Willens deckt. Ein Vertragsschluss ist zu bejahen, wenn der Inhalt beider Willenserklärungen objektiv deckungsgleich ist;8 entspricht in diesem Fall das von einer Partei objektiv Erklärte nicht ihrem inneren Willen, kann sie ihre Willenserklärung (lediglich) nach Maßgabe der §§ 119 I, 122 BGB anfechten.

Es kommt also maßgeblich darauf an, ob K das Vertragsangebot des V aus objektiver Sicht eines Dritten (§§ 133, 157 BGB) als Euro-Angabe verstehen musste und V die Annahmeerklärung des K dementsprechend nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Annahme des Angebots über 90,00 EUR (und eben nicht 90,00 DM) verstehen durfte.9 Eine Preisangabe, die – wie hier – keine Währung nennt, ist grundsätzlich auf die am Marktort geltende Währung bezogen. In Deutschland ist dies seit dem 01.01.2002 der Euro. Deshalb musste ein objektiver Empfänger die Erklärung des V so verstehen, dass 90,00 EUR (und eben nicht 90,00 DM) gemeint waren. Dies gilt in der vorliegenden Konstellation insbesondere deshalb, weil die Preise für die Tennisbälle sich stets nur marginal veränderten. Im Dezember 2001 hatte K für 72 Bälle zuletzt 169,00 DM und damit pro Ball rund 2,35 DM bezahlt. Dies entspricht bei einem fixen Wechsel- bzw. Umrechnungskurs von 1 EUR = 1,95583 DM bzw. 1 DM = 0,51129 EUR rund 1,20 EUR pro Ball. Der Preis von „90“ musste sich also aus objektiver Empfängerperspektive auf die Währung EUR beziehen, weil dies zu einem Preis von 1,25 EUR pro Ball führt und nur dieser Preis lediglich marginal von dem zuvor im Dezember 2001 geltenden Preis abweicht. Der K hatte keinen vernünftigen und nachvollziehbaren Anlass zu glauben, die gleiche Menge an Bällen innerhalb eines Monats für 90,00 DM statt 169,00 DM erhalten zu können, weil dies einem ungewöhnlich hohen Preisabfall von rund 47% entsprochen hätte. Damit hat V objektiv ein Angebot über 90,00 EUR unterbreitet und er durfte auch davon ausgehen, dass sich die Annahmeerklärung des K auf eben diesen Preis bezog. Die Erklärungen von V und K decken sich mithin nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt auch in diesem wesentlichen Vertragspunkt, sodass ein (versteckter) Dissens gerade nicht vorliegt.

e) Ergebnis zu 1.

Damit ist zwischen V und K ein Kaufvertrag über 72 Tennisbälle zum Preis von 90,00 EUR zustande gekommen.

2. Anspruch gemäß § 142 I BGB rückwirkend entfallen

Ein Anspruch des V gegen K aus § 433 II BGB auf Zahlung von 90,00 EUR – Zug um Zug gegenüber Übergabe und Übereignung von 72 Tennisbällen (§ 433 I 1 BGB) – könnte jedoch infolge einer wirksamen Anfechtung mit Rückwirkung (ex tunc) wieder entfallen sein (§ 142 I BGB). Dies setzt das Bestehen eines Anfechtungsgrundes und eine Anfechtungserklärung innerhalb der Anfechtungsfrist gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner voraus.

a) Anfechtungsgrund

Als Anfechtungsgrund kommen sowohl ein Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften (§ 119 II BGB) als auch ein Inhaltsirrtum nach § 119 I Alt. 1 BGB in Betracht.

aa) Eigenschaftsirrtum, § 119 II BGB

Wer sich zur Abgabe einer Willenserklärung durch Fehlvorstellungen über vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Tatsachen bewegen lässt, trägt das Risiko eines solchen Motivirrtums grundsätzlich selbst.10 Von diesem Grundsatz macht § 119 II BGB eine Ausnahme. Danach liegt ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum auch dann vor, wenn sich der Erklärende über Eigenschaften einer Person oder Sache geirrt hat, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Im Gegensatz zu den in § 119 I BGB behandelten Irrtümern erklärt der Handelnde beim Eigenschaftsirrtum genau das, was er erklären wollte.11 Wille und Erklärung decken sich. Der Erklärende hat den Willen aber fehlerhaft gebildet, weil er sich falsche Vorstellungen über bestimmte Eigenschaften einer Person oder einer Sache gemacht hat. Deshalb handelt es sich um einen Motivirrtum, den das Gesetz ausnahmsweise für beachtlich erklärt.

Eigenschaften sind alle tatsächlichen oder rechtlichen Merkmale sowie Beziehungen zur Umwelt, die der Person oder der Sache unmittelbar und für eine gewisse Dauer anhaften und nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung oder Verwendbarkeit relevant sind.12 Verkehrswesentlich sind nur solche Eigenschaften, die infolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Anschauungen des Verkehrs Einfluss auf die Wertschätzung der Person oder Sache auszuüben pflegen.13 Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache sind kurz gesagt alle wertbildenden Faktoren, etwa die Lage und Bebaubarkeit eines Grundstücks, das Alter und der Kilometerstand eines Autos oder die Herkunft und Echtheit eines Kunstgegenstandes. Der Wert und der Preis einer Sache sind hingegen keine Eigenschaften, sondern lediglich das Ergebnis der Addition aller wertprägenden Faktoren.14 Der Preis als solcher haftet einer Sache nicht unmittelbar an; er ist vielmehr von den (veränderlichen) Gegebenheiten des Marktes und der Wertschätzung der potentiellen Käufer abhängig.15

So liegt es auch hier in Bezug auf den sich ständig verändernden Preis für die Tennisbälle. Der Preis für die von K monatlich benötigten Bälle ändert sich, wenn auch in der Regel marginal, stets. Dies zeigt, dass es sich bei dem Preis dieser Bälle gerade nicht um ein Merkmal handelt, welches den Bällen für eine gewisse Dauer anhaftet. Bestätigt wird dies zudem dadurch, dass der Preis des einzelnen Balles auch von der Gesamtabnahmemenge abhängt und damit nicht von einem Umstand, der durch die konkrete Beschaffenheit des einzelnen Balls begründet ist. Deshalb scheidet eine Anfechtung wegen eines etwaigen Eigenschaftsirrtums des K gemäß § 119 II BGB aus.

bb) Inhaltsirrtum, § 119 I Alt. 1 BGB

Als Anfechtungsgrund kommt jedoch ein Inhaltsirrtum nach § 119 I Alt. 1 BGB in Betracht. Beim Inhaltsirrtum irrt der Erklärende über den Sinn seiner Erklärung. Er verwendet zwar das gewollte Erklärungszeichen, verbindet mit diesem aber eine andere Bedeutung als sie ihm nach der normativen Auslegung zukommt.16 „Der Erklärende weiß, was er sagt, er weiß aber nicht, was er damit sagt.“17 K müsste also erklärt haben, was er erklären wollte – sonst käme allenfalls ein Erklärungsirrtum i.S.v. § 119 I Alt. 1 BGB in Betracht –, dabei aber über die objektive Bedeutung seiner Erklärung im Irrtum gewesen sein.18 K ging davon aus, einen Vertrag zu einem Kaufpreis in DM abzuschließen, während sich seine Erklärung objektiv auf EUR bezog (s.o.). Objektiv Erklärtes und subjektiv Gewolltes fallen unbewusst auseinander. Es liegt somit ein Inhaltsirrtum des K gemäß § 119 I Alt. 1 BGB vor.

In allen Irrtumskonstellationen der §§ 119, 120 BGB ist die Anfechtung allerdings nur möglich, wenn der Erklärende die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde (§ 119 I BGB a. E.).19 Der Irrtum muss sowohl subjektiv („bei Kenntnis der Sachlage“) und als auch objektiv („bei verständiger Würdigung des Falles“) erheblich, d. h. kausal für die Abgabe der Erklärung gewesen sein. Die subjektive Erheblichkeit des Irrtums ist nur dann zu verneinen, wenn der Erklärende die Erklärung auch ohne den Irrtum abgegeben hätte. Auf ein Verschulden des Erklärenden kommt es nicht an, so dass auch ein grob fahrlässiger Irrtum eine Anfechtung nicht ausschließt. Eine (auch) objektive Kausalität liegt vor, wenn eine vernünftig handelnde Person in der Situation des Irrenden die Erklärung ebenfalls nicht abgegeben hätte.20 Hierfür kommt es darauf an, ob der Erklärende aus nachvollziehbaren Motiven, d. h. „frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen“21 gehandelt hat. Maßgeblich ist also eine Beurteilung der individuellen Umstände des Erklärenden aus der Sicht eines vernünftigen (objektiven) Dritten.

Nach diesen Maßstäben ist hier sowohl in subjektiver als auch in objektiver Hinsicht von einer Kausalität des Irrtums des K auszugehen. Als K seinen Irrtum erkannt hat, führte er gegenüber V aus, dass ihm 90,00 EUR für die Bälle zu teuer seien und er dem Geschäft nicht zugestimmt hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Preisangabe des V in EUR statt in DM gemeint gewesen ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass K bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles die Annahme nicht erklärt hätte. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Preis objektiv angemessen ist und ob K den Kaufgegenstand objektiv benötigte und das Geschäft deshalb für ihn objektiv sinnvoll ist. Entscheidend ist nur, ob K seine Erklärung nicht abgegeben hätte, wenn er erkannt hätte, dass sich die Preisangabe des V auf die Währung EUR bezog. Dies der Fall und auch objektiv aus der Sicht eines vernünftigen Dritten nachvollziehbar.

Somit ist K gemäß § 119 I Alt. 1 BGB zur Anfechtung berechtigt.

b) Anfechtungserklärung

Nach § 143 I BGB muss die Anfechtung gegenüber dem Anfechtungsgegner erklärt werden. Anfechtungsgegner des K hier der V als dessen Vertragspartner (vgl. § 143 II Hs. 1 BGB). Ob eine Anfechtungserklärung des K gegen V vorliegt, ist deshalb fraglich, weil K das Wort „anfechten“ nicht gebraucht und den V lediglich darauf hingewiesen hat, dass er die Annahme nicht erklärt hätte, wenn er erkannt hätte, dass sich die Preisangabe des V auf EUR und nicht auf DM bezog. Dies steht der Annahme einer Anfechtungserklärung aber nicht entgegen, weil es für das Vorliegen einer solchen ausreicht, wenn der Erklärende unzweideutig zu erkennen gibt, dass das Rechtsgeschäft rückwirkend beseitigt werden soll. Es bedarf dabei nicht des ausdrücklichen Gebrauchs des Wortes „anfechten“; erforderlich ist aber, dass sich unzweideutig der Wille ergibt, das Geschäft gerade wegen des Willensmangels nicht bestehenlassen zu wollen.22 Dies ist hier der Fall, weil K im Zusammenhang mit der Schilderung seines Inhaltsirrtums gegenüber V ausgeführt hat, die Tennisbälle für 90,00 EUR nicht haben zu wollen. Damit bringt K zweifelsfrei zum Ausdruck, dass er seine Annahmeerklärung rückwirkend beseitigen und damit anfechten möchte (vgl. § 142 I BGB). Eine Anfechtungserklärung des K gegenüber V liegt folglich vor.

c) Anfechtungsfrist

Die Anfechtung muss unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern erfolgen (§ 121 I 1 BGB). Dies ist hier der Fall, weil K die Anfechtung gegenüber V sofort nach Entdecken des Irrtums erklärt hat. Damit ist die Annahmeerklärung des K und infolgedessen auch der Kaufvertrag zwischen V und K über die Tennisbälle rückwirkend weggefallen.

3. Ergebnis zu I.

V hat keinen Anspruch gegen K aus § 433 II BGB auf Zahlung von 90,00 EUR (Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung von 72 Tennisbällen).

II. Anspruch des V gegen K aus § 122 I BGB

V könnte jedoch infolge der Anfechtung einen Schadensersatzanspruch gegen K aus § 122 I BGB haben. Ist eine Willenserklärung nach § 118 BGB nichtig oder auf Grund der §§ 119, 120 BGB angefochten, so hat der Erklärende, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber anzugeben war, diesem, andernfalls jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat.

Derjenige, der – wie hier der K – seine Willenserklärung wirksam nach §§ 119, 120 BGB angefochten hat, hat dem Anfechtungsgegner – hier dem V – also dessen Vertrauensschaden zu ersetzen.23 Der Erklärende muss den Zustand herstellen, der bestehen würde, wenn der Anfechtungsgegner nicht auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hätte. Der Anspruchsteller ist also so zu stellen, wie er stünde, wenn er nie von dem Geschäft gehört bzw. wenn er den Vertrag nie geschlossen hätte (negatives Interesse).24 Das gilt selbst dann, wenn den Anfechtenden kein Verschulden (§ 276 BGB) an seinem Irrtum trifft. § 122 I BGB regelt eine verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht.

1. Willenserklärung auf Grund der §§ 119, 120 BGB angefochten

K hat seine auf Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung gemäß §§ 119 I Alt. 1 BGB, 121 I 1, 143 I, II Hs. 1, 142 I BGB wirksam gegenüber V angefochten.

2. Vertrauensschaden

Deshalb muss K dem V denjenigen Schaden ersetzen, den der V dadurch erlitten hat, dass er auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut hat. V kann also verlangen so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn er sich auf das Geschäft mit K nicht eingelassen hätte.

Dann wäre es dem V möglich gewesen, sich auf das Geschäft mit der Tennisschule aus dem Nachbarort einzulassen und 1.000 Bälle in 250 Dosen mit jeweils 4 Bällen zum Gesamtpreis von 1.150,00 EUR zu verkaufen. Durch den Verkauf der dann noch verbleibenden 8 Dosen hätte V bei einem unterstellten Preis von 1,25 EUR pro Ball weitere 40,00 EUR erzielen können. Da V hiervon im Hinblick auf den vermeintlich wirksamen Kaufvertrag mit K Abstand genommen und stattdessen einer anderen Tennisschule lediglich 240 Dosen zum Gesamtpreis von 960,00 EUR verkauft hat, hätte er durch den Verkauf von 18 Dosen zum erneut unterstellten Preis von 1,25 EUR pro Ball weitere 90,00 EUR erzielen können. Der Vertrauensschaden des V beläuft sich demnach auf 140,00 EUR.

Hinweis: Zu diesem Ergebnis gelangt man auch dann, wenn den realen Verkaufspreis für die 240 Dosen (960,00 EUR) von dem fiktiven Kaufpreis für 250 Dosen (1.150,00 EUR) abzieht und von der danach entstehenden Differenz von 190,00 EUR für die „eingesparten“ 10 Dosen bei einem unterstellten Preis von 1,25 EUR pro Ball weitere 50,00 EUR in Abzug bringt.

3. Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse

Der Anfechtungsgegner soll durch die Anfechtung allerdings auch nicht besser stehen, als er ohne die Anfechtung stünde. Daher begrenzt § 122 I BGB den Schadensersatzanspruch nach oben hin durch den Betrag des Interesses, welches der Anfechtungsgegner an der Gültigkeit der Erklärung hat. Der Ersatzanspruch ist in der Höhe durch das positive Interesse (Erfüllungsinteresse) beschränkt.25

Bei Gültigkeit des Kaufvertrages mit K hätte der V von diesem für 18 Dosen 90,00 EUR und von der zweiten Tennisschule für weitere 240 Dosen 960,00 EUR, insgesamt also für 258 Dosen 1.050,00 EUR erhalten. Den lukrativeren Vertrag mit der ersten Tennisschule, die 250 Dosen zum Preis von 1.150,00 EUR kaufen wollte, hätte V im Falle der Wirksamkeit des Vertrages mit K nicht mehr erfüllen können, weil er lediglich 258 Dosen vorrätig hatte. Deshalb ist der Vertrauensschaden (140,00 EUR) durch das Erfüllungsinteresse (90,00 EUR) beschränkt. V kann von K gemäß § 122 I BGB somit lediglich Schadensersatz in Höhe von 90,00 EUR verlangen.

4. Kein Ausschluss gemäß § 122 II BGB

Gemäß § 122 II BGB tritt die Schadensersatzpflicht nicht ein, wenn der Geschädigte den Grund der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste). Für eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen des V von der Anfechtbarkeit der Annahmeerklärung des K gibt es hier aber keine Anhaltspunkte.

5. Ergebnis zu II.

Damit hat V gegen K gemäß § 122 I BGB einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 90,00 EUR.

Hinweis: Der K muss dem V also „so der so“ 90,00 EUR zahlen. Sieht er von einer Anfechtung ab und hält er an dem Vertrag fest, bekommt er dafür im Gegenzug 18 Dosen mit jeweils 4 Tennisbällen übereignet. Ficht er seine Annahmeerklärung hingegen an, erhält er dafür keine Gegenleistung. Wirtschaftlich betrachtet macht die Anfechtung für den K also ke


  1. Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 147 Rn. 5.
  2. Da der K die Erklärung des V akustisch richtig verstanden hat, kommt es nicht darauf an, ob man mit der Rechtsprechung für einen Zugang der Erklärung unter Anwesenden voraussetzt, dass der Empfänger die Erklärung akustisch vernommen hat (strenge Vernehmungstheorie; BGH, Urt. v. 25.01.1989 – IVb ZR 44/88, NJW 1989, 1728, 1730), oder ob man es für den Zugang genügen lässt, wenn der Erklärende keinen vernünftigen Grund hatte, an der Vernehmung zu zweifeln (eingeschränkte Vernehmungstheorie; Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 631; Schreiber, Jura 2002, 249, 252). Deshalb besteht hier kein Anlass, sich mit den Unterschieden beider Auffassungen näher auseinanderzusetzen.
  3. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 154 Rn. 1.
  4. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 155 Rn. 5 f.
  5. Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 155 Rn. 2.
  6. Zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 17 Rn. 7.
  7. BGH, Urt. v. 21.05.2008 – IV ZR 238/06, Rn. 30.
  8. BGH, Urt. v. 05.12.2002 – VII ZR 342/01 NJW 2003, 743.
  9. Hier und zum Folgenden vgl. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 17 Rn. 8.
  10. Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 119 Rn. 15.
  11. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 7 Rn. 101.
  12. BGH, Urt. v. 11.10.2000 – VIII ZR 321/99, NJW 2001, 226, 227 (zur Eigenschaft von GmbH-Geschäftsanteilen).
  13. BGH, Urt. v. 18.12.1954 – II ZR 296/53, BGHZ 16, 54, 57; BGH, Urt. v. 22.09.1983 – VII ZR 43/83, BGHZ 88, 240, 245 f.
  14. BGH, Urt. v. 18.12.1954 – II ZR 296/53, BGHZ 16, 54, 57; Erman/Arnold, BGB, 15. Aufl. 2017, § 119 Rn. 41.
  15. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 17 Rn. 12.
  16. BGH, Urt. v. 15.02.2017 – VIII ZR 59/16, Rn. 25.
  17. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 7 Rn. 75; Lessmann, JuS 1969, 480.
  18. Hier und zum Folgenden vgl. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 17 Rn. 11.
  19. Zum Folgenden: Erman/Arnold, BGB, 15. Aufl. 2017, § 119 Rn. 45 f.; Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 7 Rn. 129.
  20. BGH, Urt. v. 08.06.1988 – VIII ZR 135/87, NJW 1988, 2597, 2599.
  21. BGH, Urt. v. 08.06.1988 – VIII ZR 135/87, NJW 1988, 2597, 2599.
  22. BGH, Urt. v. 07.06.1984 – IX ZR 66/83, BGHZ 91, 324, 331 f.
  23. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 7 Rn. 135 – 138.
  24. Willems, JuS 2015, 586, 587.
  25. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 17 Rn. 20.