Fall: Schnäppchen mit Makel

Fall zur Anwaltsklausur

„Schnäppchen mit Makel“

Sie befinden sich in der Rechtsanwaltsstation bei Frau Rechtsanwältin Dr. Rita Rogge, Neuer Wall 10, 20354 Hamburg. Frau Dr. Rogge überreicht Ihnen eine Handakte mit dem Auftrag, eine Klageschrift bzw. für den Fall, dass eine Klage keine Aussicht auf Erfolg haben sollte, ein erläuterndes Schreiben für die Mandantin zu entwerfen.

In der Handakte finden Sie den folgenden Vermerk:

„Heute erschien Frau Karla Krause, Lehrerin, Karolinenstraße 12, 20357 Hamburg. Sie habe vor sechs Monaten von Herrn Bernd Binder, Ochsenzoller Straße 106, 22848 Norderstedt einen gebrauchten VW Golf zum Preis von 6.000,00 Euro gekauft. Vor ein paar Wochen habe sie ein Nachbar darauf angesprochen, dass der Wagen für die im Kaufvertrag festgehaltene Laufleistung von 75.000 Kilometern ziemlich runtergekommen aussehe. Bei einer von ihr veranlassten Überprüfung beim TÜV sei festgestellt worden, dass es tatsächlich auch viel mehr Kilometer sind, nämlich 120.000. Frau Krause legt ein Schreiben vom 13. November an Herrn Binder vor, in dem sie diesen auffordert, ihr bis zum 5. Dezember 2.000,00 Euro zu erstatten. Außerdem überreicht sie den Ausdruck einer E-Mail des Herrn Binder vom 1. Dezember, in der das ablehnt. Frau Krause erklärt, sie sei mittlerweile insgesamt 5.000 Kilometer mit dem Wagen gefahren. Sie bittet um die Durchsetzung ihrer Rechte, wobei sie es mir überlässt, das für sie günstigste Vorgehen zu wählen. Allerdings würde sie das Fahrzeug nur ungern zurückgeben.“

Weiterhin finden Sie in der Handakte:

  • das Kaufvertragsformular vom 13. Juli, in dem es u.a. heißt: Laufleistung 75.000,00 Kilometer, „gekauft wie besichtigt und Probe gefahren“, „Eventuelle Ansprüche sind in Hamburg geltend zu machen.“;

  • das Kurzgutachten des TÜV-Nord (Große Bahnstraße 31, 22525 Hamburg; Mitarbeiter Zacharias Zander) vom 2. November: Laufleistung 120.000,00 Kilometer, Wert des Wagens 6.000,00 Euro; bei Laufleistung 75.000 Kilometer 8.000,00 Euro; unter Berücksichtigung einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern;

  • eine Rechnung des TÜV-Nord über 400,00 Euro nebst Zahlungsbestätigung;

  • die E-Mail des Herrn Binder. Er meint, das TÜV-Gutachten sei eine reine Gefälligkeit. Unabhängig davon habe er den Wagen selbst nur gebraucht gekauft und sei davon ausgegangen, dass die Laufleistung tatsächlich 75.000 Kilometer betrage. Außerdem habe er den Wagen offensichtlich viel zu günstig verkauft. Schon deshalb sehe er nicht ein, auch noch für Fehler am Fahrzeug einstehen zu müssen. Schließlich ist er der Meinung, auch deshalb zu nichts verpflichtet zu sein, weil er zum Zeitpunkt des Verkaufs seit mehreren Monaten infolge eines Unfalls Schmerzmittel habe nehmen müssen und deshalb gar nicht in der Lage gewesen sei, klar zu denken. Erst jetzt sei er wieder gesund.

Norderstedt hat ein eigenes Amtsgericht und liegt im Bezirk des Landgerichts Kiel. Für den Wohnsitz der Mandantin wären das Amtsgericht Hamburg und das Landgericht Hamburg zuständig.

Lösungsvorschlag:

I. Begehr der Mandantin

Die Mandantin hat ein Fahrzeug gekauft, dessen Laufleistung höher ist, als sie ihrer Meinung nach sein dürfte. Sie möchte deshalb ihre daraus resultierenden Rechte durchsetzen. Zwar überlässt sie das Vorgehen der Rechtsanwältin. Sie macht jedoch deutlich, dass sie das Auto nur ungern zurückgeben würde. Ihr kommt es also vorrangig darauf an, einen Ausgleich dafür zu erhalten, dass sie für ihren Kaufpreis weniger bekommen hat, als ihr nach dem Vertrag zustand.

II. Materielles Gutachten:

1. Anspruchsgrundlagen

a) Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien KfZ, §§ 439 Abs. 1, 437 Nr. 1 BGB

b) Ansprüche auf Ausgleichszahlung

  • §§ 441 Abs. 4 Satz 1, 437 Nr. 2 BGB (Minderung)

  • §§ 311a Abs. 2, 437 Nr. 3 BGB („kleiner Schadensersatz“)

c) Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises

  • §§ 346 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB (Rücktritt)

  • §§ 311a, 281 Abs. 1 Satz 3 BGB („großer Schadensersatz“)

2. Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien KfZ, §§ 439 Abs. 1, 437 Nr. 1 BGB

a) Schlüssiger Vortrag

aa) Kaufvertrag (+), Vertrag liegt vor

bb) Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs

= negatives Abweichen der Ist- von der Soll-Beschaffenheit

(1) Soll-Beschaffenheit

  • Laufleistung 75.000 Kilometer

= Beschaffenheitsvereinbarung, § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB

  • Laufleistung ausdrücklich im Kaufvertragsformular (Arg.)

(2) Ist-Beschaffenheit

  • 120.000 Kilometer bei Übergabe (TÜV-Gutachten)

b) Erhebliches Verteidigungsvorbringen

–> Unmöglichkeit der Nachlieferung

BGH, Hinweisbeschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 –, Rn. 31, 34

„Bei der hier eröffneten Frage, ob die vom Käufer nach Maßgabe des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB begehrte Ersatzlieferung unmöglich ist, dürfte aber die Unterscheidung zwischen Stückkauf und Gattungskauf nicht maßgeblich sein, denn im Rahmen der Nacherfüllung hat der Gesetzgeber des am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 diese Unterscheidung ausdrücklich als verzichtbar angesehen (BT-Drucks. 14/6040, S. 230 [zu § 439 BGB]; siehe auch S. 94). Demgemäß ist nach dem Wortlaut des § 439 BGB weder hinsichtlich der Nachbesserung noch hinsichtlich der Ersatzlieferung maßgebend, ob ein Stückkauf oder ein Gattungskauf vorliegt. Vielmehr dürfte bei der vom Schuldner vertraglich übernommenen Beschaffungspflicht anzusetzen, deren Inhalt und Reichweite durch interessengerechte Auslegung des Kaufvertrags zu bestimmen ist (§§ 133, 157 BGB).

Für die Frage, ob ein Mangel durch eine gleichartige und gleichwertige Ersatzleistung behoben werden kann, dürfte es somit darauf ankommen, ob die Vertragsbeteiligten die konkrete Leistung nach dem Vertragszweck und ihrem erkennbaren Willen als austauschbar angesehen haben.“

  • Hier: keine Austauschbarkeit (Arg.!)

c) Ergebnis

  • Anspruch lässt sich schlüssig darlegen

  • Gegner hat aber eine rechtshindernde Einwendung, die sich nicht entkräften lässt

3. Erstattung des geminderten Kaufpreises, §§ 441 Abs. 4 Satz 1, 437 Nr. 2 BGB

a) Schlüssiger Vortrag

aa) Minderungserklärung

  • Schreiben an Gegner, „Minderung“ nicht erforderlich

  • könnte auch in einer Klage erklärt werden

bb) Kaufvertrag (+)

cc) Rücktrittsvoraussetzungen, §§ 326 Abs. 5, 323 BGB

(1) Vertragswidrige Leistung = Mangel (+)

(2) Erfolglose Nachfristsetzung

(a) Fristsetzung durch Mandantin

(-), da nicht auf Nacherfüllung gerichtet

(b) Entbehrlichkeit, § 326 Abs. 5 Satz 2 BGB

(aa) Unmöglichkeit der Nachbesserung (+)

(bb) Unmöglichkeit der Nachlieferung (+)

dd) Minderungshöhe, § 441 Abs. 3 Satz 1 BGB

= Differenz zwischen vereinbartem und gemindertem Kaufpreis

geminderter KP = vereinbarter KP x tatsächlicher Wert ./. mangelfreier Wert

(1) Vereinbarter Kaufpreis

  • 6.000,00 Euro (Kaufvertrag)

(2) Tatsächlicher Wert

  • 6.000,00 Euro (TÜV)

(3) Wert im mangelfreien Zustand

  • 8.000,00 Euro (TÜV)

(4) Geminderter Kaufpreis

= 6.000,00 Euro x 6.000,00 Euro ./. 8.000,00 Euro

= 4.500,00 Euro

(5) Minderungshöhe

= 6.000,00 Euro – 4.500,00 Euro

= 1.500,00 Euro

b) Erhebliches Verteidigungsvorbringen

aa) Bestreiten von Tatsachen

  • höhere Laufleistung (E-Mail)

  • Gegner hält TÜV-Gutachten für „Gefälligkeit“, zweifelt also dessen Inhalt an

  • Bestreiten mit Nichtwissen für ihn möglich (§ 138 Abs. 4 ZPO)

bb) Einwendungen

(1) Geschäftsunfähigkeit

(a) Erheblichkeit

  • Unwirksamkeit des Kaufvertrages nach § 105 Abs. 2 Alt. 2 BGB

(b) Voraussetzung

  • vorübergehende Störung der Geistestätigkeit

  • durch Schmerzmittel?

  • Darlegungslast Gegner (rechtshindernde Einwendung)

  • instruktiv: BGH, Beschl. v. 14. März 2017 – VI ZR 225/16 –

(2) Gewährleistungsausschluss

(a) Vereinbarung

„gekauft wie besichtigt und Probe gefahren“ (+)

(b) Erheblichkeit

  • nur Ausschluss von solchen Mängeln, die bei ordnungsgemäßer Besichtigung ohne Zuziehung eines Sachverständigen wahrnehmbar waren;

  • Laufleistung nicht ausgeschlossen

  • außerdem bezieht sich ein Gewährleistungsausschluss nicht auf eine Beschaffenheitsvereinbarung;

  • Garantie (§ 443 Abs. 1 BGB) aber (-)

c) Günstige Beweisprognose für Mandantin?

aa) Streitiger Vortrag mit Beweislast der Mandantin

  • Mandantin trägt Beweislast für höhere Laufleistung

(1) Muss Beweis erhoben werden?

(+), Gutachten beweist als Privaturkunde nur, dass es vom SV erstellt wurde (§ 416 ZPO) --> ist lediglich Sachvortrag

(2) Kann die Mandantin Beweis antreten?

  • Angestellter Zander als sachverständiger Zeuge

  • Einholung eines gerichtlichen Gutachtens

(3) Gibt es eine günstige Beweisprognose?

(+), TÜV-Gutachten eindeutig; keine Anhaltspunkte für handwerkliche Fehler oder gar Gefälligkeit = sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Zeuge das Gericht von der Richtigkeit des Gutachtens überzeugen kann, jedenfalls aber dafür, dass ein vom Gericht eingeholtes Gutachten zu demselben Ergebnis kommt.

bb) Streitiger Vortrag mit Beweislast des Gegners

  • Geschäftsunfähigkeit

  • SV-Gutachten

  • geringes Risiko; vorübergehende Störung der Geistestätigkeit durch Schmerzmittel liegt nicht auf der Hand

d) Ergebnis

  • Anspruch lässt sich schlüssig darlegen und mit hoher Wahrscheinlichkeit beweisen

  • geringere Wahrscheinlichkeit, dass Gegner seine einzige erhebliche Einwendung beweisen kann

e) Zinsen

aa) Verzugszinsen, §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB

= Hat Mandantin mit ihrem Schreiben vom 13. November den Gegner in Verzug gesetzt?

  • 2.000,00 statt 1.500,00 Euro? (Arg.)

bb) jedenfalls Rechtshängigkeitszinsen, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB

cc) Zinshöhe, § 288 BGB

= fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, Abs. 1

  • Abs. 2 (-), da kein Unternehmergeschäft; Mandantin als Verbraucherin

4. Schadensersatz, §§ 311a Abs. 2 BGB

a) Schlüssiger Vortrag

aa) Kaufvertrag (+)

bb) Leistungshindernis bei Vertragsschluss

(+), höhere Laufleistung als nicht behebbarer Mangel

cc) Kenntnis des Beklagten (Satz 2) --> Darlegungslast Beklagter („Dies gilt nicht…“)

dd) Schadensersatz statt der Leistung

= positives Interesse

= Mandantin ist so zu stellen, wie sie stünde, wenn Gegner einen Wagen mit einer Laufleistung von 75.000 Kilometern geliefert hätte

tatsächlich

hypothetisch

Differenz

6.000,00 gezahlt

6.000,00 gezahlt

0,00

Wert 6.000,00

Wert 8.000,00

2.000,00

Gutachten 400,00

kein Gutachten

400,00

= 2.400,00 Euro

b) Erhebliches Verteidigungsvorbringen

–> fehlendes Verschulden

= Kenntnis/Unkenntnis der tatsächlichen Laufleistung

  • könnte mit Nichtwissen bestritten werden (§ 138 Abs. 4 ZPO)

c) Günstige Beweisprognose

–> s. zunächst 3.c)

  • Beweislast für fehlende Kenntnis liegt beim Gegner

  • nicht unwahrscheinlich, dass der Beweis gelingt, wenn Gegner das Fahrzeug gebraucht gekauft hat; Beweismittel:

  • Verkäufer

  • KV als Indiz

  • Parteivernehmung?

  • § 447 ZPO --> nur mit ausdrücklicher Einwilligung der Mandantin

  • Gericht könnte im Rahmen des § 286 Abs. 1 ZPO aber auch das Ergebnis einer Anhörung (§ 141 Abs. 1 ZPO) verwerten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2017 – XII ZR 48/17 –, Rn. 12, juris)

d) Ergebnis

  • Anspruch lässt sich schlüssig darlegen

  • höhere Wahrscheinlichkeit, dass Gegner seine Unkenntnis beweisen kann

e) Zinsen

  • keine Mahnung für Gutachtenkosten

5. Rückzahlung des Kaufpreises, §§ 346 Abs. 1, 326 Abs. 5 Satz 1**

a) Schlüssiger Vortrag

aa) Kaufvertrag

bb) Rücktrittsrecht (+)

cc) Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung (+)

dd) Rückgewähr des Kaufpreises

b) Verteidigungsmittel

aa) wie unter 3.b)

bb) Rückgabe des Fahrzeugs und Wertersatz für gefahrene Kilometer

(1) Rückgabe nach § 346 Abs. 1 BGB

(2) Wertersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB

= Kaufpreis x gefahrene km Käufer / Restlaufleistung

6.000,00 x 5.000 km (Angabe Mandantin) / 130.000 km (TÜV)

= 231,00 Euro

c) – e) wie unter 3.

6. Rückzahlung des Kaufpreises, §§ 311a Abs. 2, 281 Abs. 1 Satz 3 BGB**

–> wie unter 4. und 5.

7. Rückzahlung des Kaufpreises, §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB**

–> bei Geschäftsunfähigkeit des Gegners

  • auch Zug um Zug

  • auch Wertersatz

III. Zweckmäßigkeitserwägungen

1. Prozessuale Überlegungen

= Wäre eine Klage zulässig?

a) Welche Klagearten kommen in Betracht?

  • hier nur Leistungsklage, Mandantin möchte Lieferung oder Zahlung

  • Feststellungsklage wäre subsidiär und damit unzulässig

b) Ist der Beklagte eventuell prozessunfähig?

  • Prozessfähigkeit setzt Geschäftsfähigkeit voraus (§ 52 ZPO)

  • Hier steht die Möglichkeit einer Geschäftsunfähigkeit im Raum.

  • Gegner ist aber nach eigener Aussage (E-Mail) wieder gesund, nimmt also keine Schmerzmittel mehr.

c) Welche Gerichte wären zuständig?

aa) Sachlich

(1) Minderung, kleiner Schadensersatz

  • AG, da Streitwert unter 5.000,00 Euro (§ 23 Nr. 1 GVG)

(2) Rückgängigmachung

  • LG, da Kaufpreis 6.000,00 Euro und auch durch mögliche Anrechnung des Wertersatzes (231,00 Euro) nicht unter 5.000,00 Euro gerät (§ 71 Abs. 1 GVG)

bb) Örtlich

(1) Ausschließlicher Gerichtsstand (-)

(2) Allgemeiner Gerichtsstand (§ 12 ZPO)

= Wohnsitzgericht des Gegners (§ 13 ZPO)

= Amtsgericht Norderstedt bzw. Landgericht Kiel

(3) Gerichtsstand des Erfüllungsortes

(a) Minderung, kleiner Schadensersatz

  • Wohnsitz des Gegners als Schuldner, § 269 Abs. 1 BGB = AG Norderstedt

(b) Rückabwicklung aus Kaufvertrag

  • Belegenheitsort = dort, wo sich Sache vertragsgemäß befindet

= Wohnsitz der Mandantin = LG Hamburg

c) Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung

  • § 29 ZPO nicht einschlägig

(4) Gerichtsstandsvereinbarung Hamburg

  • unwirksam, Mandantin als Lehrerin keine Kauffrau

(§ 38 Abs. 1 ZPO iVm § 1 HGB)

2. Zweckmäßigkeitserwägungen i.e.S.

–> Die folgenden Ausführungen dienen didaktischen Zwecken, in einer Klausur wären sie zu umfangreich.

„Im Folgenden ist zu prüfen, welches Vorgehen für die Mandantin am zweckmäßigsten ist, wozu ihr also geraten werden sollte.“

a) Welcher Anspruch deckt das Interesse der Mandantin am besten ab?

„Ausgangspunkt ist dabei das Interesse der Mandantin. Sie hat das Vorgehen zwar ihrer Rechtsanwältin überlassen, wie aber bereits ausgeführt, ergibt sich aus ihrem Schreiben an den Gegner, dass sie an der Rückgängigmachung des Geschäfts nur ein nachrangiges Interesse hat. Von daher scheiden die Rückabwicklungsansprüche hier jedenfalls als Hauptanträge aus.“

aa) Minderung oder Schadensersatz

„Der auf Minderung gestützte Zahlungsanspruch und der Schadensersatzanspruch führen zu verschiedenen Ergebnissen. Die Mandantin hat einen Minderungsanspruch in Höhe von 1.500,00 Euro und einen Anspruch auf „kleinen“ Schadensersatz in Höhe von 2.400,00 Euro. Insoweit scheint es am zweckmäßigsten zu sein, letzteren Anspruch gerichtlich zu verfolgen.

Allerdings steht dem Gegner dabei der Nachweis offen, dass er die tatsächliche Laufleistung nicht kannte. Gelingt ihm dieser Beweis, scheidet der Schadensersatzanspruch aus. Wie gezeigt, ist es eher wahrscheinlich, dass der Gegner das Gericht überzeugen wird.

Für diesen Fall sollte jedenfalls der Minderungsanspruch verfolgt werden.

Ob es sich dabei um einen Hilfsantrag oder lediglich ein Hilfsvorbringen handelt, müsste nur dann entschieden werden, wenn sich daraus unterschiedliche Prozessrisiken für die Mandantin ergeben würden.

- Im Falle des bloßen Hilfsvorbringens ergäbe sich lediglich die Konsequenz, dass der Anspruch zu gut 40 % der Klageforderung nicht begründet wäre. In diesem Verhältnis müsste die Mandantin die Kosten des Rechtsstreits auf einen Streitwert von 2.400,00 Euro tragen.

- Ob das genauso wäre, wenn ein Hilfsantrag gestellt werden müsste, hängt davon ab, ob dessen Streitwert von 1.500,00 Euro mit dem des Schadensersatzanspruchs addiert würde. Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG ist das grundsätzlich der Fall. Es könnte jedoch die Ausnahmeregelung in Satz 3 greifen. Danach ist nur der höhere Wert maßgeblich, wenn die Anträge auf dasselbe Interesse gerichtet sind. Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die Ansprüche gegenseitig ausschließen. Der Mandantin könnte nicht gleichzeitig der Minderungsbetrag und der Schadensersatz zugesprochen werden, die Ansprüche schließen sich also aus. Der Streitwert würde also auch im Falle eines Hilfsantrags nur 2.400,00 Euro betragen, so dass das zum Hilfsvorbringen Gesagte entsprechend gilt.

Es kann deshalb offenbleiben, wie sich der Anspruch auf Erstattung des Minderungsbetrages prozessual zum Schadensersatzanspruch verhält.“

b) Wie ist mit der Möglichkeit der Geschäftsunfähigkeit des Gegners umzugehen?

= Ist es vertretbar, den auf die Wirksamkeit des Kaufvertrages gestützten Schadensersatzanspruch geltend zu machen?

„Gegen die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs könnte weiterhin sprechen, dass dieser das Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages voraussetzt. Der Kaufvertrag wäre jedoch nichtig, wenn der Gegner bei Vertragsschluss geschäftsunfähig war (§ 105 Abs. 2 BGB). Aus der E-Mail des Gegners vom 1. Dezember 20… ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Gegner sich hierauf berufen könnte.“

aa) Beweisbarkeit

= Wie wahrscheinlich ist es, dass das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Gegner bei Abschluss des Vertrages geschäftsunfähig war?

„Die fehlende Geschäftsunfähigkeit ist eine (rechtshindernde) Einwendung, für die der Gegner die Beweislast trägt. Ihm dürften als Beweismittel das Zeugnis seines behandelnden Arztes und ein ärztliches Sachverständigengutachten zur Verfügung stehen. Einer Parteivernehmung müsste die Mandantin ausdrücklich zustimmen (§ 447 ZPO), wozu ihr nicht geraten werden könnte

Die Möglichkeit, dass der Beweis gelingt, kann nicht sicher ausgeschlossen werden. Es scheint aber dennoch eher unwahrscheinlich, dass allein der Konsum von Schmerzmitteln zur Geschäftsunfähigkeit führen kann. Das Risiko, den Prozess aus diesem Grund zu verlieren, erscheint deshalb gering.“

bb) Anwaltliche Vorsorge

„Trotzdem sollte auch der unwahrscheinliche Fall der Beweisbarkeit berücksichtigt werden. Wie gezeigt, hätte die Mandantin in diesem Fall einen Rückgewähranspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB.

Insoweit bieten sich zwei Möglichkeiten:

Der Anspruch wird für den Fall des Unterliegens mit der Schadensersatzklage in einem späteren Verfahren oder zugleich mit dem Schadensersatzanspruch verfolgt.

Im letzteren Fall könnte es sich um eine objektive Klagehäufung nach § 260 ZPO handeln. Hierfür müssten zwei Klagen vorliegen. Der Klagegrund der Schadensersatzklage beruht auf einem wirksamen Kaufvertrag, der des bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsanspruchs dagegen auf einem nichtigen Kaufvertrag. Folglich unterscheiden sich die Streitgegenstände. Es liegen zwei Klagen vor.

Eine objektive Klagehäufung ist zulässig, wenn für beide Ansprüche dasselbe Gericht zuständig und dieselbe Prozessart zulässig ist. Wie gezeigt, wäre zwar für den Schadensersatzanspruch das Amtsgericht Norderstedt und für die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung das Landgericht Kiel zuständig. Würden beide Ansprüche jedoch in einer Klage verfolgt, wären ihre Streitwerte grundsätzlich zu addieren (§ 5 Halbs. 1 ZPO), so dass das Landgericht Kiel auch für den Schadensersatzanspruch zuständig wäre. Für beide Klagen wäre auch dieselbe Prozessart zulässig, da sie im ordentlichen Verfahren erhoben werden müssten.“

(1) Zweckmäßiges Vorgehen

„Welches Vorgehen zweckmäßiger ist, hängt wiederum von den möglichen Folgen für die Mandantin ab. Dabei ist das Risiko der Kostentragung vorrangig zu betrachten.“

(a) Verbindung oder spätere Klage?

„Würde der Anspruch erst in einem späteren Verfahren geltend gemacht werden, verliert die Klägerin unweigerlich den Schadensersatzprozess und muss die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 2.400,00 Euro einschließlich möglicher Sachverständigenkosten tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO). Den späteren Prozess mit einem Streitwert von 6.000,00 Euro würde sie dagegen gewinnen und müsste keine Kosten tragen.

Zu prüfen ist, ob sich hieran etwas ändert, wenn beide Ansprüche in einem Prozess verfolgt würden.

Dabei ist im Ausgangspunkt zu beachten, dass in diesem Fall die Werte beider Klagen auch hinsichtlich der Gebühren auf 8.400,00 Euro zu addieren wären (§ 39 Abs. 1 GKG). Zwar müsste die Mandantin in diesem Fall ebenfalls die Kosten der Schadensersatzklage tragen, also 29 % des Streitwerts von 8.400,00 Euro (§ 92 Abs. 1 ZPO). Dies würde aber zu einer geringeren Kostenbelastung der Mandantin führen, was daran liegt, dass sich die Gebühren nicht linear erhöhen. Bei einem Streitwert von 2.400,00 Euro beträgt eine Gerichtsgebühr 357,00 Euro, bei einem Streitwert von 8.000,00 Euro 735,00 Euro.

Es ist deshalb zweckmäßiger, den Bereicherungsanspruch nicht in einem späteren Verfahren gesondert einzuklagen.“

(b) Minimierung des Kostenrisikos

„Des Weiteren ist aber zu beachten, dass die Mandantin den Prozess nicht mit beiden Klagen gleichzeitig gewinnen kann, da diese sich inhaltlich ausschließen. Sie würde also selbst dann verlieren, wenn dem Gegner der Beweis der Geschäftsunfähigkeit nicht gelingt, und zwar zu 69 % des Streitwerts von 8.400,00 Euro. Tatsächlich würde sie in diesem Fall die Bereicherungsklage aber überhaupt nicht brauchen.“

(aa) Klageänderung

„Um dieses Kostenrisiko zu verringern, könnte es ratsam sein, den Bereicherungsantrag erst zu stellen, wenn feststeht, dass er gebraucht wird, also nachdem eine Beweisaufnahme zu Lasten der Mandantin ausgegangen ist.

Dies würde wegen der verschiedenen Streitgegenstände zu einer Klageänderung führen, deren Zulässigkeit nicht aus § 264 Nr. 2, 3 ZPO folgen könnte, da diese Norm voraussetzt, dass sich der Klagegrund nicht ändert. Die Zulässigkeit der Klageänderung wäre also von der Einwilligung des Gegners bzw. davon abhängig, dass sie das Gericht für sachdienlich erachtet (§ 263 ZPO). Das Risiko ist insoweit zwar überschaubar, dennoch gibt es keinen sachlichen Grund, es einzugehen, wenn eine sofortige Antragstellung weniger oder kein Risiko birgt.

In Bezug auf den Kostenvorschuss wäre das so, denn auch bei einer Klageänderung müsste die Klägerin zunächst den Vorschuss nachzahlen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Was aber ist mit dem Risiko, den Prozess mit dem höheren Anspruch zu verlieren? Kann man den Bereicherungsantrag nur für den Fall stellen, dass dem Gegner der Nachweis seiner Geschäftsunfähigkeit gelingt?“

(bb) Bedingte Klageerhebung

„Grundsätzlich sind Prozesshandlungen bedingungsfeindlich. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn das Gericht den Eintritt der Bedingung selbst herbeiführen oder zumindest erkennen kann. Dies ist hinsichtlich der Beweisführung der Fall. Der Antrag könnte also bedingt, d.h. nur hilfsweise, gestellt werden.

Würde die Mandantin mit dem Hauptantrag obsiegen, träte die Bedingung nicht ein. Der Hilfsantrag spielt dann keine Rolle und führt folglich auch nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts (vgl. den Wortlaut von § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG). Die Mandantin würde nicht teilweise unterliegen und müsste deshalb auch keine Kosten tragen.

Tritt dagegen die Bedingung ein, weil dem Gegner der Nachweis seiner Geschäftsunfähigkeit gelingt, müsste eigentlich das oben Gesagte gelten: Die Mandantin würde mit 2.400,00 Euro bei einem Gesamtstreitwert von 8.400,00 Euro unterliegen und müsste folglich wiederum 29 % der Kosten tragen.

Etwas anderes könnte sich jedoch auch hier aus § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ergeben, wenn sich die Ansprüche gegenseitig ausschließen. Auch hier könnte die Mandantin nicht beides bekommen: Entweder der Kaufvertrag ist wirksam, dann bekommt sie „kleinen“ Schadensersatz, oder er ist unwirksam, dann wird rückabgewickelt.

_Maßgeblich wäre also nur der Kaufpreis von 6.000,00 Euro als der höhere der beiden Werte. Diesbezüglich würde die Mandantin aber voll gewinnen. Dies hätte zur Folge, dass allein der Gegner die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 Abs. 1 ZPO tragen müsste (_a.A. Kostenquote nach fiktivem Streitwert mit Addition).

Der Bereicherungsanspruch sollte deshalb hilfsweise gestellt werden.“

(c) Ergebnis

„Es ist zweckmäßig, den Bereicherungsanspruch sofort geltend zu machen, aber nur als Hilfsantrag unter der Bedingung, dass der Hauptantrag keinen Erfolg hat.“

cc) Berücksichtigung der Gegenansprüche des Gegners

„Wie oben gezeigt, hätte der Gegner Anspruch auf Rückgabe des Fahrzeugs und Nutzungsersatz. Nach ständiger Rechtsprechung müssen diese Ansprüche saldiert werden. Hieraus folgt, dass von dem Rückzahlungsanspruch der Mandantin in Höhe von 6.000,00 Euro der Nutzungsersatz von 231,00 Euro abzuziehen ist. Außerdem kann die Rückzahlung nur Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs erfolgen.

Wie stets bei Zug-um-Zug-Leistungen muss berücksichtigt werden, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für die Mandantin voraussetzt, dass der Gerichtsvollzieher dem Gegner zuvor die Gegenleistung in Annahmeverzug begründender Weise angeboten hat (§ 756 Abs. 1 ZPO). Im Zweifel müsste er das Fahrzeug mitnehmen. Das ist aber dann nicht erforderlich, wenn der Annahmeverzug durch eine öffentliche Urkunde bewiesen werden kann. Also solche kommt auch ein Urteil in Betracht, aus dem sich der Annahmeverzug ergibt. Es könnte deshalb sinnvoll sein, schon im anzustrengenden Verfahren den Annahmeverzug des Gegners feststellen zu lassen, wenn sich dieser tatsächlich bereits im Annahmeverzug befindet.

Tatsächlich angeboten hat die Mandantin das Fahrzeug dem Gegner nicht (§ 294 BGB). Ihr Schreiben an den Gegner war allein auf Kompensation gerichtet. Annahmeverzug liegt also nicht vor.

Trotzdem sollte der Feststellungsantrag gestellt werden, denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Gegner diesen Antrag anerkennt.

c) Vor welchem Gericht soll geklagt werden?

aa) Sachliche Zuständigkeit

„Da die Schadensersatzklage nur einen Wert von 2.400,00 Euro hat, der Wert des Bereicherungsanspruchs aber über 5.000,00 Euro beträgt, stellt sich die Frage, worauf für die Bestimmung des sachlichen zuständigen Gerichts abzustellen ist. Klagen mit einem Wert von mehr als 5.000,00 Euro sind den Landgerichten zugewiesen. Das Amtsgericht müsste den Rechtsstreit also möglicherweise an das Landgericht verweisen, wenn es den Hauptantrag für unbegründet hält. Aus Gründen der Praktikabilität ist deshalb anerkannt, dass allein der höhere Wert maßgeblich ist. Sachlich zuständig ist also das Landgericht.“

bb) Örtliche Zuständigkeit

„Wie oben gezeigt, ist für den zuständigkeitsbestimmenden Bereicherungsanspruch das Landgericht Kiel örtlich zuständig. Es könnte trotzdem sinnvoll sein, die Klage vor dem Landgericht Hamburg zu erheben, das sowohl für die Mandantin als auch ihre Rechtsanwältin besser zu erreichen ist. Zwar ist die Gerichtsstandsbestimmung im Kaufvertrag unwirksam. Sie lässt aber erkennen, dass auch der Gegner einen Prozess in Hamburg vorzieht. Das Landgericht Hamburg ist für ihn auch besser zu erreichen als das Landgericht Kiel. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass er die Unzuständigkeit des Landgerichts Hamburg nicht rügen wird (§ 39 Satz 1 ZPO). Damit ist auch kein erhebliches Risiko für die Mandantin verbunden. Sollte sich der Beklagte nicht rügelos einlassen, kann Verweisung an das Landgericht Kiel beantragt werden. Die Mandantin müsste dann lediglich die dadurch entstehenden Mehrkosten tragen (§ 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO), die aber nicht ins Gewicht fallen dürften.“

cc) Ergebnis

„Die Klage soll vor dem Landgericht Hamburg erhoben werden.“