Fall: Schadensersatz wegen nachträglicher Unmöglichkeit
Fall: Schadensersatz wegen nachträglicher Unmöglichkeit
Sachverhalt:
Der S bietet dem G sein Buch „Winnie the Pooh“, in Deutschland besser bekannt als Puh der Bär, für 200 € zum Kauf an. Das sehr gut erhaltene Buch des Autors A.A. Milne stammt aus der 1926 beim Verlag London Methuen & Co. Ltd. veröffentlichten, auf 350 Exemplare limitierten Erstauflage. G erbittet sich Bedenkzeit bis um 10 Uhr am Folgetag. Da er im Internet aber lediglich ein weiteres Angebot entdeckt und dieses ebenfalls einen Angebotspreis von 200 € vorsieht, ruft G den S am Folgetag um 9 Uhr an und erklärt die Annahme des Angebots des S. G und S verabreden, dass G das Buch noch am selben Tag um 20 Uhr bei S abholt.
Kurz vor dem vereinbarten Abholtermin setzt sich S noch einmal mit seinem Lieblingsbuch vor den offenen Kamin im Wohnzimmer. Er legt das Buch auf den Beistelltisch und schwelgt gedankenversunken in Kindheitserinnerungen. Als es an der Haustür klingelt, wird S aus seinen Gedanken gerissen. Er springt auf und stößt dabei aus Unachtsamkeit so unglücklich gegen den Beistelltisch, dass dieser zur Seite kippt und das auf ihm befindliche Buch direkt in das offene Kaminfeuer rutscht. Dort verbrennt es in Sekundenschnelle.
Als S dem G anschließend die Tür öffnet und von dem Geschehen berichtet, ist G erbost, weil er ein vergleichbares Buch jetzt nur noch im Antiquariat des D zum Preis von 250 € erstehen kann. G verlangt deshalb von S, dass er ihm ein vergleichbares Exemplar des Buches verschafft oder ihm den Differenzbetrag von 50 € zahlt.
Was kann G von S verlangen?
Abwandlung:
G und S hatten sich nicht auf einen Kauf, sondern auf einen Tausch des Buches gegen einen Komplettsatz der 1983 erschienenen Ü-Ei-Figuren „Die Biene Maja“ inklusive Beipackzettel (Wert: 200 €) geeinigt. G nimmt S, nachdem das Buch verbrannt ist, auf Schadensersatz in Anspruch und begehrt dabei, dass S ihm die Ü-Ei-Figuren abnimmt, da er diese, worauf er den S beim Vertragsschluss auch hingewiesen hatte, in jedem Fall loswerden möchte.
Was kann G von S verlangen?
Gliederung:
A. Grundfall
I. Anspruch des G gegen S auf Übergabe und Übereignung eines Buches aus § 433 I 1 BGB
1. Wirksamer Kaufvertrag
2. Befreiung des S von der Leistungspflicht nach § 275 I BGB
a) Beschaffungspflicht bei der Gattungsschuld
b) Beschaffungspflicht bei der Stückschuld
3. Ergebnis zu I.
II. Anspruch des G gegen S auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283 BGB
1. Schuldverhältnis
2. Nachträgliche Befreiung von der Leistungspflicht
3. Keine Exkulpation
4. Ersatzfähiger Schaden
5. Ergebnis zu II.
B. Abwandlung
I. Anspruch des G gegen S auf Abnahme der Ü-Ei-Figuren aus §§ 480, 433 II BGB
1. Wirksamer Tauschvertrag
2. Befreiung von der Leistungspflicht gemäß § 326 I 1 BGB
a) Gegenseitiger Vertrag
b) Befreiung von einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungspflicht gemäß § 275 I – III BGB
3. Ergebnis zu I.
II. Anspruch des G gegen S auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283 BGB
1. Haftungsbegründender Tatbestand
2. Haftungsausfüllender Tatbestand
a) Strenge Differenztheorie
b) Eingeschränkte Differenztheorie
3. Ergebnis zu II.
Lösung:
A. Grundfall
I. Anspruch des G gegen S auf Übergabe und Übereignung eines Buches aus § 433 I 1 BGB
G könnte gegen B einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung eines Exemplars des Buches „„Winnie the Pooh“ aus § 433 I 1 BGB haben.
1. Wirksamer Kaufvertrag
Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass zwischen den beiden ein wirksamer Kaufvertrag besteht. Da S dem G das Buch zum Kauf angeboten (§ 145 BGB) und B dieses Angebot innerhalb die ihm hierzu durch S bestimmten Frist (§ 148 BGB) angenommen hat, ist zwischen beiden ein Kaufvertrag zustande gekommen. Gründe, die gegen die Wirksamkeit dieses Vertrages sprechen, sind nicht ersichtlich. Damit ist ein Anspruch des G gegen S auf Übergabe und Übereignung des Buches nach § 433 I 1 BGB entstanden.
2. Befreiung des S von der Leistungspflicht nach § 275 I BGB
Dieser vertragliche Erfüllungsanspruch des G ist jedoch nach § 275 I BGB wieder erloschen, wenn der S wegen nachträglicher Unmöglichkeit von seiner Leistungspflicht befreit wäre. S ist aus dem Kaufvertrag zur Übergabe und Übereignung des konkreten einzelnen Buches verpflichtet. Die Erfüllung dieser Pflicht ist ihm, nachdem das Buch verbrannt ist, nicht mehr möglich. Dies spricht dafür, dass die Vertragserfüllung zumindest dem S (subjektiv) i.S.v. § 275 I BGB unmöglich ist.
Ein Ausschluss der Leistungspflicht läge dennoch nicht vor, wenn sich der S nicht nur zur Lieferung des einzelnen Buches verpflichtet, sondern er vielmehr eine Beschaffungspflicht für ein Buch der konkreten Art übernommen hätte. Immerhin ist die Beschaffung eines anderen Exemplars aus der 1926 erschienenen Erstausgabe des Buches möglich. Ob eine Beschaffungspflicht besteht, ist der jeweiligen Parteivereinbarung durch Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB zu entnehmen.1
a) Beschaffungspflicht bei der Gattungsschuld
S wäre zur Beschaffung eines weiteren Exemplars des Buches verpflichtet, wenn er mit G eine Gattungsschuld i.S.v. § 243 I BGB vereinbart hätte. Mit der Gattungsschuld ist für den Schuldner eine Beschaffungspflicht verbunden:2 Da das Schuldverhältnis sich vor der Konkretisierung gemäß § 243 II BGB nicht auf einen individuellen Gegenstand bezieht, wird die Leistung durch den Untergang einzelner Sachen aus der geschuldeten Gattung grundsätzlich nicht unmöglich. Der Schuldner wird daher nicht von seiner Leistungspflicht frei, sondern muss sich eine Sache aus der Gattung am Markt beschaffen, wenn er selber nicht mehr darüber verfügt. Von seiner Leistungspflicht wird der Schuldner erst dann gemäß § 275 I BGB frei, wenn die gesamte Gattung untergegangen ist, also am Markt Sachen dieser Gattung nicht mehr zu erhalten sind.3
Vorliegend haben sich die Parteien mit dem Buch des S auf eine gebrauchte und individuell abgenutzte Sache als Kaufgegenstand verständigt. Eine Gattungsschuld i.S.v. § 243 I BGB, mit der typischerweise eine Beschaffungspflicht einhergeht, scheidet deshalb aus.
b) Beschaffungspflicht bei der Stückschuld
G und S haben vielmehr eine Stückschuld vereinbart. Dass dem S für den Fall, dass dieser konkret geschuldete Gegenstand untergeht, eine Beschaffungspflicht (vgl. § 276 I 1 BGB a. E.) auferlegt sein sollte, ist nicht ersichtlich. Hierzu hätte es einer entsprechenden Vereinbarung zwischen G und S bedurft, die hier im Rahmen der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB nicht ersichtlich ist.
3. Ergebnis zu I.
Ein Anspruch des G gegen S auf Übergabe und Übereignung aus § 433 I 1 BGB auf Übergabe und Übereignung eines anderen Exemplars des Buches besteht nicht.
II. Anspruch des G gegen S auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283 BGB
G könnte jedoch gegen S einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283 BGB haben.
1. Schuldverhältnis
Nach § 280 I 1 BGB muss zwischen dem Anspruchsteller und dem Anspruchsgegner ein Schuldverhältnis bestehen. Damit sind sowohl rechtsgeschäftliche als auch gesetzliche Schuldverhältnisse gemeint; es muss sich allerdings um ein Schuldverhältnis mit Leistungsplichten handeln.4
Der Kaufvertrag zwischen G und S stellt ein solches (rechtsgeschäftliches) Schuldverhältnis mit (wechselseitigen) Leistungspflichten dar.
2. Nachträgliche Befreiung von der Leistungspflicht
Die Pflichtverletzung i.S.v. § 280 I 1 BGB liegt in der Leistungsbefreiung des Schuldners nach § 275 I – III BGB. In Abgrenzung zu den Fällen der anfänglichen Unmöglichkeit i.S.v. § 311a II BGB darf diese Leistungsbefreiung erst nach Entstehung des Schuldverhältnisses eingetreten sein.5
Dem S ist die Übereignung und Übergabe des Buches erst nach dem Vertragsschluss mit G unmöglich geworden, da das Buch erst kurz vor dem vereinbarten Abholtermin – und damit nach dem Abschluss des Kaufvertrages – in den Kamin gefallen und dort verbrannt ist. Es liegt mithin ein Fall der nachträglichen Unmöglichkeit vor.
3. Keine Exkulpation
Der Schuldner muss das Leistungshindernis, das die Rechtsfolgen des § 275 BGB auslöst, zu vertreten haben. Das Vertretenmüssen wird gemäß § 280 I 2 BGB vermutet, d. h. der Schuldner muss sich exkulpieren. Was der Schuldner zu vertreten hat, richtet sich nach den §§ 276, 278 BGB.
Das Buch ist deshalb in den Kamin gefallen, weil S aus Unachtsamkeit gegen den Beistelltisch, auf dem sich das Buch befand, gestoßen ist und diesen hierdurch zum Kippen gebracht hat. Hierdurch hat S die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet und somit fahrlässig i.S.v. § 276 II BGB gehandelt. Er hat die Nichterbringung der dem G versprochenen Leistung6 mithin i.S.v. § 276 I 1 BGB zu vertreten und kann sich dementsprechend nicht exkulpieren.
4. Ersatzfähiger Schaden
Dem G müsste ein kausaler, durch die Unmöglichkeit der Leistung hervorgerufener Schaden entstanden sein. Unter einem Schaden versteht man jede unfreiwillige Vermögenseinbuße an Rechtsgütern und am Vermögen.7 In den Fällen des §§ 280 I, III, 283 BGB tritt der Schadensersatz an die Stelle der wegen Unmöglichkeit nicht mehr geschuldeten Primärleistung, d. h. es handelt sich um einen Fall des Schadensersatzes statt der Leistung. Gemäß § 249 I BGB ist der Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde, wobei der Schadensersatz statt der Leistung die Erbringung der Leistung und damit eine Naturalrestitution im natürlichen Sinne ausschließt.8
Beim Schadensersatz statt der Leistung ist der Gläubiger rein wirtschaftlich so zu stellen, wie er stünde, wenn die Leistung wie geschuldet erbracht worden wäre.9 Der Anspruch ist auf das positive Interesse (= Erfüllungsinteresse) gerichtet. Zu ersetzen sind der Marktwert der ausgebliebenen Leistung, eventuell höhere Kosten für eine etwaige Ersatzbeschaffung („Deckungskauf“) sowie ein entgangener Gewinn aus einer geplanten Weiterveräußerung.
Ohne die Pflichtverletzung des S hätte dieser dem G das Buch übergeben und übereignet. Dann hätte der G dem S im Gegenzug aber auch den vereinbarten Kaufpreis zahlen müssen. Aufgrund der Pflichtverletzung des S kann sich der G einen gleichwertigen Ersatzgegenstand nur noch zu einem erhöhten Kaufpreis beschaffen. Seine unfreiwillige Vermögenseinbuße liegt also in den Mehraufwendungen für das Deckungsgeschäft. Diese Mehraufwendungen sind hier mit 50 € zu beziffern. Diesen Betrag muss S dem G nach § 249 I BGB ersetzen.
5. Ergebnis zu II.
G kann von S unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes statt der Leistung gemäß §§ 280 I, III, 283 BGB die Zahlung von 50 € verlangen.
B. Abwandlung
I. Anspruch des G gegen S auf Abnahme der Ü-Ei-Figuren aus §§ 480, 433 II BGB
G könnte gegen S einen Anspruch auf Abnahme der Ü-Ei-Figuren aus §§ 480, 433 II BGB haben. Nach § 480 BGB finden auf den Tausch die Vorschriften über den Kauf entsprechende Anwendung. Der Käufer ist nach § 433 II BGB nicht nur zur Zahlung des Kaufpreises, sondern auch zur Abnahme der Sache verpflichtet.10 Entsprechendes gilt über den Verweis in § 480 BGB auch für die Parteien eines Tauschvertrages. Jede Partei des Tauschvertrags hat gegenüber der anderen die Leistungspflichten aus § 433 I BGB und die Abnahmepflicht aus § 433 II BGB.11
1. Wirksamer Tauschvertrag
Für einen vertraglichen Erfüllungsanspruch aus §§ 480, 433 II BGB müsste zunächst ein wirksamer Tauschvertrag zwischen G und S vorliegen. Voraussetzung eines Tauschvertrags ist die Vereinbarung von Tauschleistungen im Gegenseitigkeitsverhältnis (§ 320 BGB).12
G und S haben sich auf einen Tausch des Buches „Winnie the Pooh“ (Wert: 200 €) gegen einen Komplettsatz der 1983 erschienenen Ü-Ei-Figuren „Die Biene Maja“ inklusive Beipackzettel (Wert: 200 €) geeinigt.13 Deshalb sind die in §§ 480, 433 BGB beschriebenen vertraglichen Primäransprüche entstanden, insbesondere auch der hier in Rede stehende Anspruch des G gegen S auf Abnahme der Ü-Ei-Figuren aus §§ 480, 433 II BGB.
2. Befreiung von der Leistungspflicht gemäß § 326 I 1 BGB
Der Anspruch des G gegen S auf Abnahme der Ü-Ei-Figuren aus §§ 480, 433 II BGB könnte jedoch gemäß § 326 I 1 BGB nachträglich wieder erloschen sein. Nach dieser Vorschrift entfällt bei einem gegenseitigen Vertrag der Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Schuldner nach § 275 I – III BGB nicht zu leisten braucht.14
a) Gegenseitiger Vertrag
§ 326 I 1 BGB setzt einen gegenseitigen Vertrag voraus. Ein solcher liegt vor, wenn die eine Vertragspartei ihre Leistung verspricht, um von der anderen eine Gegenleistung zu erhalten (do ut des).15 Bei einem Tauschvertrag handelt es sich um einen solchen gegenseitigen Vertrag i.S.v. § 320 BGB.16
b) Befreiung von einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungspflicht gemäß § 275 I – III BGB
Voraussetzung für das Erlöschen der Leistungspflicht des Gläubigers nach § 326 I 1 BGB ist, dass der Schuldner bei einem gegenseitigen Vertrag von einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungspflicht gemäß § 275 I – III BGB befreit wird.17
Der Anspruch des G gegen S auf Übergabe und Übereignung des Buches ist gemäß § 275 I BGB erloschen (siehe Grundfall). Dies hat deshalb nach § 326 I 1 BGB auch den Wegfall des Anspruchs des G gegen S auf Abnahme der Ü-Ei-Figuren aus §§ 480, 433 BGB zur Folge, sofern diese mit der wegen nachträglicher Unmöglichkeit nach § 275 I BGB untergegangen Leistungspflicht synallagmatisch verknüpft ist, also im Gegenseitigkeitsverhältnis steht.
Im Kaufrecht wird die Pflicht des Käufers zur Abnahme des Kaufgegenstandes regelmäßig als nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Nebenpflicht angesehen.18 Die Parteien können die Abnahme aber durch (ggf. konkludente) Vereinbarung als Hauptpflicht begründen. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Verkäufer ein besonderes Interesse an der Weggabe des Kaufgegenstandes hat und dies für den Käufer erkennbar war. Überträgt man diesen Gedanken auf den Tauschvertrag, so wird man dort regelmäßig einen für den Vertragspartner erkennbaren Willen des anderen Teils annehmen können, seine Tauschsache „loszuwerden“. Dies gilt insbesondere für den vorliegenden Fall, weil der G den S beim Vertragsschluss darauf hingewiesen hatte, die Ü-Ei-Figuren in jedem Fall loswerden zu wollen. Dies spricht dafür, die Abnahmepflicht des S als im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Primärpflicht anzusehen.
Der Abnahmeanspruch des G aus §§ 480, 433 II BGB gist somit emäß § 326 I 1 BGB erloschen, weil die mit ihr synallagmatisch verknüpfte Gegenleistungspflicht des S auf Übergabe und Übereignung des Buches aus §§ 480, 433 I 1 BGB gemäß § 275 I BGB erloschen ist.
3. Ergebnis zu I.
G hat gegen S keinen Anspruch auf Abnahme der Ü-Ei-Figuren aus §§ 480, 433 II BGB.
II. Anspruch des G gegen S auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283 BGB
G könnte jedoch gegen S einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283 BGB haben.
1. Haftungsbegründender Tatbestand
Die Voraussetzungen eines solchen Schadensersatzanspruchs sind erfüllt. Das Schuldverhältnis i.S.v. § 280 I 1 BGB besteht in einem Tauschvertrag gemäß § 480 BGB. Im Rahmen dieses Schuldverhältnisses ist dem S die Erfüllung seiner Pflicht zur Übergabe und Übereignung des Buches aus §§ 480, 433 I 1 BGB nachträglich unmöglich geworden (§ 275 I BGB). Da S die Unmöglichkeit und damit seine eigene Leistungsunfähigkeit fahrlässig i.S.v. § 276 II BGB herbeigeführt hat, kann er sich nicht i.S.v. § 280 I 2 BGB exkulpieren (vgl. Grundfall).
2. Haftungsausfüllender Tatbestand
G müsste hierdurch ein kausaler und ersatzfähiger Schaden entstanden sein.
In den Fällen des §§ 280 I, III, 283 BGB tritt der Schadensersatz an die Stelle der wegen Unmöglichkeit nicht mehr geschuldeten Primärleistung, d. h. es handelt sich um einen Fall des Schadensersatzes statt der Leistung. Gemäß § 249 I BGB ist der Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde, wobei der Schadensersatz statt der Leistung die Erbringung der Leistung und damit eine Naturalrestitution im natürlichen Sinne ausschließt. Der Gläubiger ist rein wirtschaftlich so zu stellen, wie er stünde, wenn die Leistung wie geschuldet erbracht worden wäre. Der Anspruch ist auf das positive Interesse (= Erfüllungsinteresse) gerichtet.
Ohne die Leistungsbefreiung des S nach § 275 I BGB hätte G ein Buch im Wert von 200 € erhalten. G hätte dann aber im Gegenzug dem S auch seine Ü-Ei-Figuren im Wert von 200 € übereignen müssen. Da die wechselseitigen Pflichten nach §§ 275 I, 326 I 1 BGB erloschen sind, liegt rein rechnerisch kein Schaden des G vor.
Eine solche Betrachtungsweise ließe allerdings außer Acht, dass der Gläubiger ein Interesse daran haben kann, die eigene Leistung „loszuwerden“. Dies trifft hier auch auf den G zu, der dem S bei Vertragsschluss verdeutlicht hat, die Ü-Ei-Figuren in jedem Fall loswerden zu wollen. Dies wirft die Frage auf, ob dieser Umstand bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen ist.
a) Strenge Differenztheorie
Dagegen könnte sprechen, dass die Befreiung des Schuldners von seiner Leistungspflicht nach § 275 I – III BGB regelmäßig ohne Weiteres zur Befreiung des Gläubigers von der Gegenleistungspflicht nach § 326 I 1 BGB führt. Der Gläubiger kann in diesen Fällen eine von ihm bereits bewirkte Gegenleistung nach § 326 IV BGB zurückfordern. Zudem ist zu beachten, dass der Anspruch auf die Leistung gemäß § 281 IV BGB ausgeschlossen ist, sobald der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung fordert. All dies könnte gegen die Möglichkeit des G sprechen, den Tauschvertrag seinerseits zu erfüllen und über den Schadensersatz statt der Leistung den Wert der unmöglich gewordenen Leistung zu fordern (strenge Differenztheorie19. G hätte danach keinen ersatzfähigen Schaden erlitten.
b) Eingeschränkte Differenztheorie
Man könnte sich demgegenüber aber auch auf den Standpunkt stellen, dass der Gläubiger im Rahmen seines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung die von ihm geschuldete Leistung weiterhin anbieten und den Wert der unmöglich gewordenen Leistung fordern darf (eingeschränkte Differenztheorie20.
Für diese Sichtweise spricht zunächst, dass ihm § 326 IV lediglich das Recht zur Rückforderung bereits bewirkter Leistungen einräumt, nicht aber die Pflicht hierzu aufoktroyiert.; er kann das Geleistete nach den §§ 346 – 348 BGB zurückfordern, muss dies aber nicht.
Auch zeigt der § 325 BGB, der bei einem gegenseitigen Vertrag Rücktritt und Schadensersatz für nebeneinander anwendbar erklärt, dass der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nicht allemal mit einer Rückgewähr der Gegenleistung verbunden sein muss.21 Es wäre zudem wenig überzeugend, wenn der Schadensersatz statt der Leistung in Fällen wie dem vorliegenden stets zum selben wirtschaftlichen Ergebnis führt wie der Rücktritt, weil dem Schadensersatz dann keine eigenständige Bedeutung zukäme.
Der Hinweis auf § 281 IV BGB verfängt schon deshalb nicht, weil § 283 S. 2 BGB diese Vorschrift gerade nicht für entsprechend anwendbar erklärt.22 Außerdem beruht der Ausschluss der Leistungspflicht in den Fällen des § 281 IV BGB auf der Entscheidung des Gläubigers, den Vertrag nicht mehr durchführen und somit selbst nicht mehr leisten zu wollen, zu der er sich in Widerspruch setzen würde, wenn er anschließend seine Leistung im Rahmen der Schadensabwicklung doch erbringen will; genau dies kann man ihm aber nicht vorhalten, wenn Leistungs- und Gegenleistungspflicht kraft Gesetzes (§§ 275 I – III, 326 I 1 BGB) ausgeschlossen sind und er nach § 283 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Die besseren Gründe sprechen deshalb dafür, dem Gläubiger (hier: G) das Recht zuzugestehen, dem Schuldner (hier: S) die ihm noch mögliche Gegenleistung weiterhin anzubieten und im Gegenzug Schadensersatz in Höhe des Wertes der gesamten unmöglich gewordenen Leistung zu verlangen.23 Auf diesem Wege wird der Gläubiger, wie es § 249 I BGB anordnet, so gestellt, wie er im Falle ordnungsgemäßer Erfüllung des gegenseitigen Vertrages stehen würde.24
3. Ergebnis zu II.
G kann von S gemäß §§ 280 I, III, 283 BGB die Zahlung von 200 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung der Ü-Ei-Figuren verlangen.
Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 4, Rn. 4.
Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 243 Rn. 6.
Von der marktbezogenen Gattungsschuld zu unterscheiden ist die Vorratsschuld, die auch beschränkte Gattungsschuld genannt wird. Bei ihr wird die gattungsmäßig bestimmte Sache nach der Parteivereinbarung nur aus einem festgelegten Vorrat geschuldet. In diesen Fällen wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht gemäß § 275 I BGB befreit, wenn der Vorrat untergeht.
Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 50.
Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 55.
Nach h. M. besteht die Pflichtverletzung im Falle des § 283 BGB allein in der Nichterbringung der versprochenen Leistung (vgl. statt vieler: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 332). Eine Gegenansicht erblickt den Haftungsgrund des § 283 BGB in der Verletzung der allgemeinen Leistungstreuepflicht; wer sich einem anderen gegenüber zu einer Leistung verpflichtet, müsse alles unterlassen, was der Leistungserbringung entgegensteht bzw. diese erschwert (Bach, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, 6. Aufl. 2018, D. Rn. 60; Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 4, Rn. 11). Entschieden werden muss dieser Streit hier nicht, weil beide Auffassungen zum selben Ergebnis gelangen.
Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 4, Rn. 14.
Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 4, Rn. 15.
Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 57 – 67.
Die Abnahme ist nicht lediglich Obliegenheit, sondern Schuldnerpflicht des Käufers, die mit der Leistungsklage durchsetzbar ist (Hk-BGB/Saenger, 10. Aufl. 2019, § 433 Rn. 15).
Hk-BGB/Saenger, 10. Aufl. 2019, § 480 Rn. 3.
Hk-BGB/Saenger, 10. Aufl. 2019, § 480 Rn. 2.
Die Wertäquivalenz ist keine Voraussetzung des Tauschvertrags. Die Vereinbarung kann vorsehen, dass eine Wertdifferenz zwischen ausgetauschten Leistungen in Geld auszugleichen ist, sofern darin nicht die Hauptleistung liegt (Hk-BGB/Saenger, 10. Aufl. 2019, § 480 Rn. 2).
Soweit die primäre Leistungspflicht erst durch Erhebung einer Einrede erlischt (§ 275 II, III BGB), muss der Schuldner die Einrede auch erhoben haben; denn nur dann „braucht“ er i.S.v. § 326 I 1 BGB nicht zu leisten (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 326 Rn. 3).
R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 353.
Hk-BGB/Saenger, 10. Aufl. 2019, § 480 Rn. 1.
Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 326 Rn. 3.
Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Saenger, 10. Aufl. 2019, § 433 Rn. 15.
Wilhelm, JZ 2001, 861, 868.
Kaiser, NJW 2001, 2425, 2431. Diese Auffassung wird auch als „Surrogationstheorie“ bezeichnet, weil der Gläubiger nach ihr weiterhin zur Leistung berechtigt bleibt und deren Wert dann quasi als Surrogat in die Schadensberechnung einfließt.
Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 26. Aufl. 2017, Rn. 241.
Hier und zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 4, Rn. 35.
Köhler/Lorenz, PdW – Schuldrecht I – AT, 22. Aufl. 2014, Fall 38; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 448.
Herresthal, JuS 2007, 798, 799; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 26. Aufl. 2017, Rn. 241.