Fall: SB-Tanke

Der S betankt seinen Pkw an der SB-Tankstelle des G mit 50 l Super-Plus-Benzin. Auf der Preistafel und auf der elektronischen Anzeige der Zapfsäule ist zu diesem Zeitpunkt ein Preis von 1,50 EUR/l angegeben. Als S mit dem Einfüllen des Benzins fertig ist und sich auf den Weg zur Kasse macht, springt auf der Preistafel der Preis für Super-Plus-Benzin auf 1,48 EUR/l um. S, der genau 75 EUR in bar dabei hat, freut sich darüber und nimmt sich im „Shop“ der Tankstelle an der Kasse einen Schokoriegel für 1,00 EUR aus dem Regal. Er bittet den G, der selbst an der Kasse steht, zunächst um Abrechnung nur des Benzins, weil er für sein dienstlich genutztes Fahrzeug eine separate Quittung benötigt, und zwar zum aktuellen Preis von 1,48 EUR/l. Damit ist G nicht einverstanden; er besteht auf der Zahlung des alten Preises von 1,50 EUR/l. Dagegen protestiert S, legt aber vorsorglich den Schokoriegel wieder in das Regal an der Kasse.

  1. Kann G von S für das Benzin die Zahlung von 1,50 EUR/l und damit insgesamt 75 EUR verlangen?

  2. Kann G von S für den Schokoriegel die Zahlung eines weiteren Euro verlangen?

Hinweis: Es ist zu unterstellen, dass G Benzin an der von ihm betriebenen SB-Tankstelle im eigenen Namen und für eigene Rechnung verkauft. In der Praxis werden Tankstellenbetreiber hingegen oftmals im Rahmen eines Kommissionsgeschäfts (§§ 383 ff. HGB), bei dem es sich rechtlich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.v. § 675 BGB handelt, für fremde Rechnung, nämlich für die Rechnung des jeweiligen Mineralölkonzerns tätig.

Gliederung:

  1. Frage 1: Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB für das Benzin
    1. Angebot des G durch die Preistafel
    2. Angebot des G durch betriebsbereite Zapfsäule <
      • a) Zapfsäule als invitatio ad offerendum
      • b) Vertragsschluss erst an der Kasse
      • c) Zapfsäule als offerta ad incertas personas
      • d) Stellungnahme
    3. Annahme des S
    4. Ergebnis zu I.
  2. Frage 2: Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB für den Schokoriegel
    1. Angebot des G durch Ausstellen der Ware im Selbstbedienungsladen
    2. Annahme des S
    3. Ergebnis zu II.

Gutachten:

1. Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB für das Benzin

Ein Anspruch des G gegen S auf Zahlung von 75 EUR für das Benzin könnte sich aus § 433 II BGB ergeben. Dafür müsste zwischen G und S durch Angebot und Annahme ein entsprechender Kaufvertrag zum Preis von 1,50 EUR/l zustande gekommen sein (§§ 145 ff. BGB). Dafür kommt es maßgeblich darauf an, zu welchem Zeitpunkt aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Betrachters (§§ 133, 157 BGB) eine Einigung zwischen G und S erzielt wurde.

2. Angebot des G durch die Preistafel

Das Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages könnte der G durch die Preisbekanntgabe auf der Preistafel der von ihm betriebenen SB-Tankstelle unterbreitet haben.1 Jedoch reicht dies nach der Verkehrsanschauung noch nicht aus, da nicht alle Tankstellen rund um die Uhr („24/7“) geöffnet haben und somit Ersatzansprüche von Kunden in Betracht kämen, die auf das Tankstellengelände fahren, um zu tanken, und dies dann nicht können. Aus der Sicht eines objektiven Betrachters fehlt bei der Bekanntgabe von Preisen auf der Tafel deshalb erkennbar noch der Rechtsbindungswille des Tankstellenbetreibers. Es handelt sich allenfalls um eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, also einen Fall der invitatio ad offerendum.

3. Angebot des G durch betriebsbereite Zapfsäule

Die betriebsbereite Zapfsäule könnte nach §§ 133, 157 BGB als konkludentes Angebot des G anzusehen sein. Bei einem Angebot handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der dem Empfänger ein Vertragsschluss so angetragen werden muss, dass dieser dem Angebot lediglich uneingeschränkt zustimmen muss, um den Vertrag zustande zu bringen. Dies setzt neben einem entsprechenden Rechtsbindungswillen des Antragenden die inhaltliche Bestimmtheit des Angebots voraus, die grundsätzlich nur dann vorliegt, wenn das Angebot zumindest die wesentlichen Vertragsbestandteile (sog. essentialia negotii) umfasst. Hierzu zählen der Vertragsgegenstand, die Vertragsparteien und bei entgeltlichen Verträgen die Gegenleistung.

Regelmäßig ist ein Angebot nur dann als hinreichend bestimmt anzusehen, wenn – neben den sonstigen wesentlichen Vertragsbestandteilen – (auch) die Identität der Vertragsparteien bekannt ist.2 Allerdings kann der Antragende darauf verzichten, mit seinem Angebot bestimmte Personen anzusprechen, wenn es ihm gleichgültig ist, mit wem er den Vertrag schließt. Ein solches Angebot wird als offerta ad incertas personas bezeichnet und stellt ein verbindliches, an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtetes Angebot dar.

Fraglich ist, ob nach diesen Grundsätzen eine betriebsbereite Zapfsäule als konkludentes Angebot des Tankstellenbetreibers an alle potenziellen Kunden zu sehen ist. Dies wird unterschiedlich beurteilt.

4. Zapfsäule als invitatio ad offerendum

Teilweise wird die betriebsbereite Zapfsäule nur als invitatio ad offerendum angesehen. Das Angebot gehe vom Kunden, der sich an der Zapfsäule selbst bedient, aus. Die Annahme erkläre der Tankstellenbetreiber durch die betriebsbereite Zapfsäule, und zwar antizipiert und unabhängig davon, ob das Tankstellenpersonal den Tankvorgang zur Kenntnis nimmt bzw. zulässt.3 Nach dieser Auffassung erfolgen die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots und die vorweggenommene Annahme eines solchen Angebots mithin uno actu durch die betriebsbereite Zapfsäule. Zum Vertragsschluss kommt es nach dieser Auffassung also an der Zapfsäule.

Da zum Zeitpunkt des Einfüllens des Benzins durch S ein Preis von 1,50 EUR/l auf der elektronischen Anzeige der Zapfsäule angezeigt war, wäre zu diesen Bedingungen eine Einigung zwischen G und S zustande gekommen und G könnte von S folglich die Zahlung von 75 EUR für die von S insgesamt 50 l in den Tank seines Pkw eingefüllten Kraftstoffs verlangen.

5. Vertragsschluss erst an der Kasse

Andere gehen ebenfalls von einem konkludenten Angebot des Kunden durch Einfüllen des Benzins in den Tank des Fahrzeugs aus. Allerdings erkläre der Tankstellenbetreiber die Annahme nicht antizipiert bereits durch das Aufstellen einer betriebsbereiten Zapfsäule, sondern erst im Kassenraum, wenn er die Zahlung entgegennimmt und damit seinen Annahmewillen zumindest konkludent zum Ausdruck bringt. Das Angebot werde erst durch eine Kenntnisnahme des Tankstellenpersonals und den damit verbundenen Zugang (§ 130 I 1 BGB) wirksam und könne deshalb auch erst dann angenommen werden.4

Nach dieser Auffassung läge kein Angebot des G, sondern ein Angebot des S vor. Welchen Inhalt dieses Angebot hat, wäre zudem unklar. Während des Tankvorgangs würde ein objektiver Betrachter (vgl. §§ 133, 157 BGB) dem Verhalten des S den Erklärungswert beimessen, dass Super-Plus-Benzin zu dem auf der Zapfsäule angezeigten Preis von 1,50 EUR/l kaufen zu wollen. Wann eine solche Angebotserklärung wirksam wird, hängt von dem genauen Zeitpunkt ihres Zugangs bei G ab. Sollte G den Tankvorgang wahrgenommen haben, bevor S im Kassenraum seinen Wunsch geäußert hat, lediglich den aktuellen Preis von 1,48 EUR/l zu zahlen, wäre ein damit einhergehender (konkludenter) Widerruf des S gemäß § 130 I 2 BGB verspätet mit der Folge, dass mit der dem S zugegangenen Annahmeerklärung des G ein Kaufvertrag zum Preis von 1,50 EUR/l zustande gekommen wäre. Hätte G den Tankvorgang hingegen vor der Erklärung des S im Kassenraum, lediglich den aktuellen Preis zahlen zu wollen, nicht wahrgenommen, so hätte S das bis dato noch nicht wirksame Angebot über 1,50 EUR/l gemäß § 130 I 2 BGB wirksam widerrufen und durch ein neues Angebot über 1,48 EUR/l ersetzt.

Hinweis: Dieses (geänderte) Angebot des S hätte G wiederum abgelehnt, da er auf der Zahlung des aktuellen Preises besteht. Es läge damit in einem wesentlichen Punkt keine Einigung vor. Haben sich die Parteien über einen Punkt des Vertrages nicht geeinigt, der zu den wesentlichen Bestandteilen („essentialia negotii“), also zu den objektiven Wesenselementen des Vertrages gehört, ist von vornherein kein Vertrag zustande gekommen.5 Das folgt bereits aus dem Vertragsbegriff.6 Auf die Auslegungsregel des § 154 I 1 BGB kommt es hierfür nicht an. Nach ihr gilt ein Vertrag im Zweifel als nicht geschlossen, solange sich die Parteien nicht über alle Punkte des Vertrages geeinigt haben, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden sollte. Die Vorschrift betrifft nur solche Umstände, die nicht bereits zu den wesentlichen Bestandteilen des Vertrages zählen. Man nennt diese nicht zu den objektiven Wesenselementen des Vertrags zählenden Umstände die accidentalia negotii.7 In einer solchen Konstellation wäre ein Kaufvertrag zwischen G und S also nicht zustande gekommen, weder zum Preis von 1,50 EUR/l noch zum Preis von 1,48 EUR/l.

6. Zapfsäule als offerta ad incertas personas

Nach h. M. handelt es sich bei der Zurverfügungstellung einer betriebsbereiten Zapfsäule an einer SB-Tankstelle um ein Angebot an die Allgemeinheit (offerta ad incertas personas).8 Der Tankstellenbetreiber erklärt – ähnlich wie der Aufsteller eines Warenautomaten9 –, dass er im Rahmen seines Kraftstoffvorrats mit jedem Kunden einen Vertrag schießen möchte, der in die Tankstelle einfährt und durch die Selbstbedienung die Annahme erklärt.10 Die Bestimmung der konkreten Kraftstoffmenge bleibt dabei grundsätzlich dem Kunden überlassen (vgl. § 315 I BGB) und wird allenfalls durch die Angabe einer Mindest- und/oder Höchstabgabemenge auf der Zapfsäule begrenzt. Die Annahme erfolgt durch den Kunden, sobald dieser zu tanken beginnt.

Nach dieser Auffassung hat der G durch die betriebsbereite Zapfsäule ein Angebot an die Allgemeinheit gerichtet, welches der S konkludent durch die Selbstbedienung angenommen hat. Da die Annahme bereits zum Zeitpunkt des Einfüllens des Kraftstoffs erfolgt und zu diesem Zeitpunkt noch der Preis von 1,50 EUR/l auf der Anzeige der Zapfsäule angezeigt war, ist danach eine Einigung zwischen G und S zum Preis von 1,50 EUR/l erzielt worden.

7. Stellungnahme

Da die dargestellten Auffassungen zu (zumindest rechtskonstruktiv11 unterschiedlichen Ergebnissen führen, bedarf es einer Entscheidung des Meinungsstreits.

Die erstgenannte Ansicht vermag nicht zu überzeugen, weil die Kombination einer invitatio ad offerendum mit einer antizipierten Annahme eher gekünstelt erscheint.12

Gegen die zweitgenannte Auffassung spricht, dass es – wie hier – vom Zufall abhängen kann, mit welchem Inhalt die Angebotserklärung des Kunden wirksam wird bzw. ob er diese nach Beendigung des Tankvorgangs noch widerrufen (vgl. § 130 I 2 BGB) und abändern kann. Auch spricht umgekehrt gegen diese Auffassung, dass der Tankstelleninhaber noch an der Kasse das Angebot des Kunden ablehnen und ihm so die Position eines Berechtigten versagen könnte.13 Zudem käme nach dieser Auffassung kein Vertrag zustande, wenn es der Kunde vorzieht, die Tankstelle ohne Bezahlung des Kraftstoffs wieder zu verlassen.14 Diese Auffassung ist daher abzulehnen.

Überzeugend ist jedoch die zuletzt dargestellte und herrschende Auffassung, nach der in der betriebsbereiten Zapfsäule ein Angebot ad incertas personas, im Rahmen des Kraftstoffvorrats und der ggf. angegebenen Mindest- und Höchstmenge sowie unter dem Vorbehalt der Betriebsbereitschaft der Zapfvorrichtung die gewünschte Menge Kraftstoff zu kaufen, zu sehen ist.15 An einer SB-Tankstelle wird durch das Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank ein praktisch unumkehrbarer Zustand geschaffen, so dass es dem Interesse beider Parteien entspricht, dass bereits zu diesem Zeitpunkt ein Kaufvertrag zustande kommt. Der Tankstellenbetreiber hat bei Abschluss des Tankvorgangs durch das Überlassen des Kraftstoffs bereits die Hauptpflicht des Verkäufers jedenfalls zur Besitzverschaffung (§ 433 I 1 BGB) erfüllt und wird hierzu ohne eine vertragliche Bindung regelmäßig nicht bereit sein. Ebenso hat aber auch der redliche Kunde ein Interesse daran, den Kraftstoff aufgrund eines – mit dem Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank – geschlossenen Vertrages zu erlangen und ihn behalten zu dürfen, ohne dass dies davon abhängt, ob der Tankstellenbetreiber anschließend bereit ist, mit ihm einen Kaufvertrag abzuschließen. Aus der Sicht eines objektiven Betrachters in der Lage des jeweiligen Erklärungsgegners ist damit zum Zeitpunkt der Entnahme des Kraftstoffs durch den Kunden ein Kaufvertrag zu Stande gekommen, ohne dass es hierzu weiterer Willenserklärungen – etwa an der Kasse – bedarf.

Die herrschende Meinung verdient demnach Zustimmung. Legt man sie zugrunde, hat G vorliegend durch die betriebsbereite Zapfsäule ad incertas personas ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages zum Preis von 1,50 EUR/l unterbreitet.

8. Annahme des S

Dieses Angebot hat S mit der Inbetriebnahme der durch G bereitgestellten Zapfsäule angenommen. Da G auf den Zugang der (konkludenten) Annahmeerklärung gemäß § 151 S. 1 BGB verzichtet hat, ist die Annahmeerklärung des G auch sofort (noch an der Zapfsäule) wirksam geworden. Somit ist zwischen G und S durch den Tankvorgang ein Kaufvertrag zustande gekommen.

Da die Einigung zwischen G und S bereits mit dem Tankvorgang erfolgt ist, kann die spätere Preissenkung den Inhalt des bereits geschlossenen Kaufvertrags nicht mehr beeinflussen. Maßgeblich ist allein die Preisangabe auf der Zapfsäule zu Beginn des Tankvorgangs. Es gilt mithin ein Preis von 1,50 EUR/l.

9. Ergebnis zu I.

G kann von S gemäß § 433 II BGB die Zahlung von 75 EUR für das Benzin verlangen.

Hinweis: Ähnlich sieht es bei dem Leistungsangebot von Versorgungsunternehmen aus, die Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme an Versorgungsanschlüssen (insbesondere in Mietwohnungen) bereitstellen.16 In der Bereitstellung der Leistung liegt grundsätzlich ein Angebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer Realofferte, die von demjenigen konkludent angenommen wird, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt.17 Empfänger dieser Realofferte ist i.d.R. derjenige, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt.

II. Frage 2: Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB für den Schokoriegel

G könnte gegen S einen weiteren Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für den Schokoriegel in Höhe von 1,00 EUR haben. Auch ein solcher Anspruch aus § 433 II BGB setzt voraus, dass zwischen den Parteien ein wirksamer Kaufvertrag in Bezug auf den Schokoriegel zustande gekommen ist.

1. Angebot des G durch Ausstellen der Ware im Selbstbedienungsladen

Das Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages über den Schokoriegel zum Preis von 1,00 EUR könnte G durch Ausstellung der Ware in dem mit einem Selbstbedienungsladen vergleichbaren Kassenraum der Tankstelle („Shop“) unterbreitet haben. Hinreichend bestimmt wäre ein solches Angebot, weil Kaufgegenstand und Preis feststehen. Fraglich ist jedoch, ob die Warenauslage aus Sicht eines objektiven vernünftigen Kunden (§§ 133, 157 BGB) bereits einen Rechtsbindungswillen des G zum Ausdruck bringt.

Teilweise wird ein entsprechender Rechtsbindungswille des Inhabers eines Selbstbedienungsgeschäfts bejaht und ein verbindliches Angebot durch Warenauslage befürwortet.18 Das Angebot des Verkäufers beziehe sich allerdings im Zweifel nur auf die im Regal vorrätigen Waren und werde durch den Käufer durch Vorlage des ausgesuchten Gegenstandes an der Kasse angenommen.19 Diese Auffassung wird im Wesentlichen damit begründet, es sei kein schutzwürdiges Interesse des Ladenbetreibers zu erkennen, sich bezüglich der ausgelegten Ware nicht zu binden. Insbesondere greife das sonst zur Begründung einer invitatio ad offerendum bemühte Argument, die Auslegung als Angebot berge für den Verkäufer die Gefahr, dass mehr Kunden die Annahme erklären könnten, als er Ware zur Erfüllung der dann zahlreichen Verträge vorrätig hat, nicht. Das Angebot sei – anders als bei der Ausstellung in Schaufenstern – auf die tatsächlich ausgestellte Ware beschränkt, sodass es für den Verkäufer zu keinen Mengenproblemen kommen könne. Dies sei bei der Auslegung seiner Erklärung zu berücksichtigen und spreche für die Bejahung eines Rechtsbindungswillens.

Nach der Gegenauffassung stellt die Warenauslage mit Preisauszeichnung in Selbstbedienungsläden hingegen eine bloße invitatio ad offerendum dar.20 Zwar bestehe in einem Selbstbedienungsladen keine Gefahr der Mehrfachverpflichtung. Jedoch ergebe sich für einen objektiven vernünftigen Kunden der fehlende Rechtsbindungswille des Ladeninhabers aus anderen Gründen. So wolle sich der Ladeninhaber etwa die Möglichkeit erhalten, vom Vertragsschluss bei versehentlich mit einem falschen Preis ausgezeichnete Ware Abstand zu nehmen, um einen solchen Vertrag nicht erst durch Anfechtung beseitigen und dem Kunden dann ggf. nach § 122 BGB dessen Vertrauensschaden ersetzen zu müssen. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Verkäufer mit bestimmten Käufern nicht kontrahieren möchte. Hinzu kommt, dass andernfalls für den Ladeninhaber eine Art Kontrahierungszwang mit jedem entstünden, dem es gelingt, das Ladengeschäft zu betreten; folglich wäre der Ladeninhaber gezwungen, Eingangskontrollen durchzuführen, um missliebige Kunden fern zu halten. 21

2. Annahme des S?

Der vorstehende Meinungsstreit müsste nur dann entschieden werden, wenn das Verhalten des S als konkludente Annahme eines etwaigen Angebots des G anzusehen wäre.

S hat den Schokoriegel aus der Warenauslage genommen und in seiner Hand gehalten.22 Dies allein lässt aber noch keinen finalen Rechtsbindungswillen des S erkennen. In einem Selbstbedienungsladen kann die vom Kunden aus dem Regal entnommene Ware problemlos wieder zurückgelegt und anschließend an einen anderen Kunden verkauft werden; nach der Verkehrsanschauung führt deshalb allein die Entnahme der Ware aus dem Regal noch nicht zu den Bindungswirkungen eines Kaufvertrages.23

Da S den Schokoriegel an der Kasse dem G nicht vorgelegt und damit seine verbindliche Kaufabsicht kundgetan hat, liegt keine auf Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung des S vor. Es kann dabei dahinstehen, ob er dabei ein bereits erfolgtes Angebot des G nicht angenommen hat (so wäre die Lösung nach der erstgenannten Ansicht), oder ob der Aufforderung des G zur Abgabe eines Angebots nicht Folge geleistet und seinerseits kein Angebot abgegeben hat, welches der G hätte annehmen können (so wäre die Lösung nach der zweitgenannten Ansicht). In beiden Fällen ist zwischen G und S kein Kaufvertrag über den Schokoriegel zustande gekommen.

3. Ergebnis zu II.

G kann von S nicht gemäß § 433 II BGB die Zahlung eines weiteren Euros für den Schokoriegel verlangen.


  1. Zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 11.
  2. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, Fall Nr. 5, S. 191.
  3. Herzberg, NJW 1984, 896, 897.
  4. Deutscher, NStZ 1983, 507 f.; Gauf, NStZ 1983, 505, 507; Ranft, JA 1983, 1, 4 f.
  5. BGH, Urt. v. 12.05.2006 – V ZR 97/05, NJW 2006, 2843, Tz. 13; Erman/Armbrüster, BGB, 15. Aufl. 2017, § 154 Rn. 2.
  6. Leenen, AcP 188, 381, 411.
  7. Erman/Armbrüster, BGB, 15. Aufl. 2017, § 154 Rn. 2.
  8. BGH, Urt. v. 04.05.2011 – VIII ZR 171/10, Rn. 13 u. 16; Erman/Armbrüster, BGB, 15. Aufl. 2017, § 145 Rn. 10; Staudinger/Bork, BGB, 2015, § 145 Rn. 8; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 145 Rn. 8.
  9. Siehe hierzu den Fall Der Warenautomat.
  10. Hier und zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 13.
  11. Die erste und die dritte Auffassung führen im Ergebnis jeweils zu einem Vertragsschluss zum Preis von 1,50 EUR/l. Allerdings erklärt nach der ersten Auffassung der Kunde und nach der dritten Auffassung der Tankstellenbetreiber das Angebot. Deshalb erscheint es, um eine Parallelprüfung zu vermeiden, sinnvoll, den Meinungsstreit auch insoweit zu entscheiden (vgl. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 18).
  12. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 18.
  13. Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799, 2800; Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 17.
  14. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 17.
  15. Zum Folgenden: BGH, Urt. v. 04.05.2011 – VIII ZR 171/10, Rn. 16.
  16. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 19a.
  17. BGH, Urt. v. 25.02.2016 – IX ZR 146/15, Rn. 13; BGH, Urt. v. 22.07.2014 – VIII ZR 313/13, Rn. 12.
  18. Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 719; Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 145 Rn. 6; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 145 Rn. 8; Muscheler/Schewe, Jura 2000, 565, 567.
  19. Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 145 Rn. 6.
  20. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 18; MünchKomm-BGB/Busche, 7. Aufl. 2015, § 145 Rn. 12; Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 4 f.
  21. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 5.
  22. Dieses Verhalten ist vergleichbar mit dem Einpacken von Ware in einen Einkaufswagen, etwa in einem Lebensmittelgeschäft.
  23. BGH, Urt. v. 04.05.2011 – VIII ZR 171/10, Rn. 15.