Fall: Marktblockaden

Der Großhändler G importiert Gemüse aller Art aus Frankreich und Spanien nach Deutschland. Dieses Gemüse wird je nach Qualität entweder über Supermärkte an den Endverbraucher gegeben, oder von einem Großkunden des G, dem Suppenhersteller S zu unterschiedlichen Arten von Gemüsesuppen verarbeitet. Bei den meisten von G importierten Gemüsen handelte es sich um solche, die auch in Deutschland angebaut werden. G importiert sie jedoch, da er von den französischen und spanischen Erzeugern wesentlich bessere Einkaufspreise erhält, als dies bei deutschen der Fall ist.

Dem Verband der deutschen Gemüseerzeuger (V) ist dieses Vorgehen des G schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Von daher beschlossen die Mitglieder des V im Januar 2014 einstimmig, zukünftig die Importe des G dadurch zu stören, dass die Lastwagen mit den Gemüsen kurz nach ihrem Grenzübertritt auf deutsches Gebiet gestoppt werden und so eine Einfuhr des französischen oder spanischen Gemüses verhindert wird. Dabei kam es schon im Februar 2014 zu ersten derartigen Blockadeaktionen, wobei die Fahrzeuge des G nicht nur gestoppt wurden, sondern die Ladung teilweise auch von nicht mehr zu ermittelnden Einzelpersonen, von denen sich die V ausdrücklich distanziert, vollständig zerstört wurde. In der Folgezeit wurden diese Blockadeaktion regelmäßig in dieser Form wiederholt.

Der G ist aufgrund langfristiger Verträge und auch aufgrund des erheblichen Preisunterschieds daran gebunden, seinen Gemüsebedarf durch Importe aus Frankreich und Spanien zu decken. Er ging daher dazu über, seine Fahrzeuge umzulackieren und zu tarnen, so dass die Blockadeaktionen der V zunächst häufiger auch ins Leere gingen.

Dem V kam die Idee, dass dann, wenn man die LKW des G nicht mehr erkennen kann, diese sich gleichwohl dadurch aufhalten lassen, dass gegen die Importe kurz hinter der Grenze auf den betreffenden Straßen, die zu den deutsch-französischen Grenzübergängen führen, Protestkundgebungen mit damit zwangsläufig verbundenen Straßenblockaden stattfinden. Dem V war zudem bekannt, dass aufgrund des Ablaufs der Erntezeit für eine Reihe von Gemüsen Anfang August 2014 eine Vielzahl von LKW des G die deutsch-französische Grenze passieren müssen. Er meldete daher für den 1., 2. und 3. August jeweils eine Versammlung mit ca. 2.000 Personen für die Zufahrtsstraßen der in Betracht kommenden deutsch-französischen Grenzübergänge an.

Tatsächlich fanden diese Demonstrationen statt und die LKW des G wurden in erheblichem Maße entweder solange aufgehalten, dass die von G transportierten Waren verdarben oder Waren durch vereinzelte, unbekannte Demonstranten absichtlich zerstört wurden.

Der nächste große Transport des G steht nun bevor und G möchte verhindern, dass seine LKW wieder durch Versammlungen der V blockiert werden und seine Ladung dadurch verdirbt oder dabei zerstört wird. G stellte daher rechtzeitig vor dem Transport einen Antrag auf Erlass eines Versammlungsverbots für die betreffenden Zufahrtsstraßen, den die Behörde noch am Folgetage mit formell ordnungsgemäßer Begründung und dem Hinweis „die Inanspruchnahme des Ermessens kommt hier nicht in Betracht“ schriftlich ablehnte.

G kommt nun zu Ihnen und möchte wissen, ob er einen Anspruch auf den Erlass eines Versammlungsverbots für den 1. und 2. September 2014 bezüglich der betreffenden Zufahrtsstraßen hat, auf der die von G importierten Güter transportiert werden. Er wisse - tatsächlich zutreffend - aus verschiedenen Quellen, dass für diesen Termin erneut Demonstrationen der betreffenden Art und Größenordnung durch V geplant seien. Er lässt Sie zudem wissen, dass er der Ansicht ist, er habe einen Anspruch, der sich aus der Verpflichtung des Staates, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Warenverkehrsfreiheit zu treffen, ergebe. G nennt (unstrittig zu Recht) alle von ihm transportierten Waren sein Eigen.

Aus dem Kreis eines zuverlässigen Informanten ist der Versammlungsbehörde bekannt, dass unbekannte Nichtmitglieder der V auch und gerade für die nächste Versammlung planen, die importierten Waren des G nach Möglichkeit vollumfänglich zu zerstören.

Steht dem G ein Anspruch auf Erlass eines entsprechenden Versammlungsverbots zu?




Ergänzungsfrage:

Unabhängig von Ihrer Einschätzung zur Ausgangsfrage hat sich die S überlegt, dass sie nicht mehr davon abhängig sein möchte, ob der G sie mit Gemüse beliefern kann oder nicht. Sie plant daher den Bau eines Suppenherstellungswerkes direkt in Frankreich. Den Auftrag zur Entwicklung eines entsprechenden Fertigungswerks vergibt sie an ein ostdeutsches Ingenieurbüro (I). Nach Fertigstellung aller erforderlichen Pläne durch I beantragte die S formell ordnungsgemäß alle erforderlichen Genehmigungen bei der zuständigen französischen Behörde. Diese lehnte den Antrag ab und verwies als Begründung darauf, dass Bauvorhaben, die Ingenieurleistungen erfordern, in Frankreich zur Stärkung der eigenen Wirtschaft nur von einheimischen Ingenieuren geplant und betreut werden dürften. Auf der Grundlage der Pläne des I käme daher eine Genehmigung nicht in Betracht.

Die S ist der Ansicht, dass sich die französische Behörde in Widerspruch zu europäischem Recht setzt und möchte hierzu von Ihnen eine gutachterliche Einschätzung.



1. Teil: Ausgangsfrage
Damit dem G ein Anspruch auf Erlass eines Versammlungsverbots zusteht, bedürfte es einer wirksamen Anspruchsgrundlage und es müssten deren formelle und materielle Voraussetzungen gegeben sein.

A. Anspruchsgrundlage
Mögliche Anspruchsgrundlage für das Versammlungsverbot ist hier § 15 I VersG.

B. Formelle Voraussetzungen
In formeller Hinsicht müsste G einen Antrag bei der zuständigen Behörde auf Erlass des Versammlungsverbots gestellt haben. Mangels gegenteiliger Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass dies der Fall ist.

C. Materielle Voraussetzungen
Es müssten auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 I VersG vorliegen, d.h. es müsste die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung einer öffentlichen Versammlung (oder eines solchen Aufzugs) unmittelbar gefährdet sein. Zudem müsste V der richtige Adressat der Ordnungsverfügung sein.

a) Öffentliche Versammlung
Zunächst müsste es sich um eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel handeln.

aa) Versammlung
Eine Versammlung in diesem Sinne ist das Zusammenkommen mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck. Fraglich und umstritten ist insofern, wie viele Personen dafür mindestens erforderlich sind. Nach einer Ansicht genügen hierfür zwei Personen, während nach anderer Ansicht dafür drei erforderlich sind. Ein Streitentscheid kann hier diesbezüglich unterbleiben, da die angekündigten Veranstaltungen mit circa 2.000 Personen stattfinden sollen, so dass die Erfordernisse beider Ansichten in jedem Falle gewahrt sind. Umstritten ist darüber hinaus, was unter „gemeinsamem Zweck“ zu verstehen ist. Nach einer Ansicht reicht insoweit jeder Zweck. Eine andere Ansicht verlangt einen politischen Zweck, während wiederum eine andere Ansicht einen kommunikativen Zweck, inklusive privater Zwecke (auch nonverbal geäußert), genügen lässt. Die „schärfste“ Ansicht ist damit diejenige, die einen politischen Zweck verlangt. Vorliegend geht es bei der Veranstaltung des V um die Vertretung nationaler wirtschaftlicher Interessen und damit zugleich um politische Fragen und Ziele, die der V mit der Veranstaltung befördern oder erreichen will. Damit sind hier die Erfordernisse der schärfsten Ansicht, die die Erfordernisse der anderen Ansichten mitumfasst, erfüllt, so dass es hier keines Streitentscheids bedarf. Es liegt damit insoweit nach allen Ansichten eine Versammlung vor.
Problematisch ist hier ferner, dass es bei den bisherigen Versammlungen regelmäßig zu Zerstörungen der Waren und damit zu Straftaten kam. Art. 8 GG schützt nur friedliche Versammlungen, so dass fraglich ist, ob sich die vorliegende Versammlung überhaupt auf den Schutz der Versammlungsfreiheit und des diese einschränkenden Versammlungsgesetzes berufen kann. Insoweit ist hier aber zu beachten, dass es sich jeweils um Einzelpersonen unbekannter Herkunft handelt, von deren Verhalten sich die V ausdrücklich distanziert. Es ist daher davon auszugehen, dass das unfriedliche Verhalten dieser einzelnen Personen nicht der gesamten Versammlung zuzurechnen ist. Sie sind daher als Minus-Maßnahme anstelle etwa eines Versammlungverbots oder einer Versammlungsauflösung (einzeln) auszuschließen.
Nach allem ist hier vom Vorliegen einer Versammlung im Sinne des § 15 I VersG auszugehen.

bb) Öffentlich
Die Versammlung müsste ferner öffentlich sein. Öffentlich ist eine Versammlung, wenn sie jedermann zugänglich ist. Hier findet die Versammlung auf Zufahrtsstraßen zu Grenzübergängen statt, die von jedermann erreicht und betreten werden können. Damit ist die Versammlung jedermann zugänglich und damit öffentlich im Sinne des Versammlungsgesetzes.

cc) Unter freiem Himmel
Die Versammlung müsste auch unter freiem Himmel stattfinden. Vorliegend soll die geplante Versammlung auf offener Straße, ohne räumlich näher bestimmte Begrenzung durchgeführt werden. Sie findet damit auch unter freiem Himmel statt.

b) Schutzgut (öffentliche Sicherheit / öffentliche Ordnung)
Weiterhin müsste auch ein Schutzgut betroffen sein. Schutzgüter des § 15 I VersG sind die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung. Vorliegend könnte die öffentliche Sicherheit betroffen sein. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst - wie im Polizeirecht - den Schutz von Individualgütern, den Schutz des gesamten geschriebenen Rechts und den Schutz des Bestands des Staates und seiner Einrichtungen.
In Betracht kommt hier eine Beeinträchtigung von Individualgütern. Insoweit ist zu beachten, dass sich bei Drittkonstellationen der Anspruch (wie z.B. hier der Anspruch eines Dritten auf behördliches Einschreiten) nur aus dem Verstoß gegen drittschützende (individualschützende) Vorschriften ergeben kann. In Betracht kommt hier zumindest eine Verletzung des Eigentums des G, da - schon zum wiederholten Male - eine Zerstörung des Eigentums des G an seinen Gemüsen stattgefunden hat. Damit ist G hier in seinen Individualinteressen beeinträchtigt. G gehört hier als unmittelbar Betroffener auch zum Kreis der Geschützten. Damit liegen die Voraussetzungen für ein subjektiv-öffentliches Recht grundsätzlich vor (vgl. Schutznormtheorie), so dass das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit hier betroffen ist.

c) Unmittelbare Gefahr
Es müsste auch eine unmittelbare Gefahr für das Schutzgut gegeben sein. Eine solche liegt vor, wenn aufgrund der Umstände mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass bei ungestörtem Fortgang des Geschehens eine Rechtsgutsbeeinträchtigung in allernächster Zeit eintreten wird oder schon eingetreten ist. Vorliegend ist es bereits mehrfach zu Zerstörungen der Waren des G gekommen. Außerdem steht aus der Quelle eines zuverlässigen Informanten die Information zur Verfügung, dass V für die nächste Versammlung sogar eine nach Möglichkeit vollumfängliche Zerstörung aller durch V importierten Waren anstrebt. Damit ist nach allen zur Verfügung stehenden Informationen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es anlässlich der Versammlung zur Verletzung des Eigentums des G und damit eines Schutzguts im Sinne des § 15 I VersG kommen wird. Es liegt daher hier eine unmittelbare Gefahr vor.

d) Richtiger Adressat (Störer)
V müsste auch Störer und damit richtiger Adressat der Ordnungsverfügung sein. V könnte hier Verhaltensstörer sein. Verhaltensstörer i.S.d. Gefahrenabwehrrechts ist, wessen Verhalten unmittelbar die Gefahrgrenze überschreitet. Durch das Blockieren der Straße setzt der V mit seinen Mitgliedern die zeitlich letzte Ursache für die unmittelbare Gefahr und überschreitet damit auch unmittelbar und selbst die Gefahrgrenze. Er ist daher Verhaltensverantwortlicher. Damit liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 I VersG vor.

e) Rechtsfolge
Als Rechtsfolge sieht § 15 I VersG Ermessen vor („kann“). Dabei ist zwischen dem Entschließungs- und dem Auswahlermessen zu unterscheiden. Damit G einen Anspruch auf ein Versammlungsverbot hat (und nicht nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung), müssten sowohl das Entschließungs- als auch das Auswahlermessen hier auf Null reduziert sein.

aa) Entschließungsermessen
Das Entschließungsermessen wäre fehlerfrei ausgeübt und damit (schon) ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung erloschen, wenn die Entscheidung nicht einzuschreiten, ermessensfehlerfrei war.
Beim Entschließungsermessen geht es um die Frage des „ob“, des ordnungsbehördlichen Einschreitens. Diese Frage müsste die Behörde ermessensfehlerhaft entschieden haben, damit der Anspruch noch nicht erloschen ist. Vorliegend hat sich die Behörde dafür entschieden, nicht gegen die erkannten Gefahren einzuschreiten. Hierin könnte ein Ermessensfehler in der Form des Ermessensausfalls liegen. Ein Ermessensausfall liegt vor, wenn die Behörde von ihrem Ermessen überhaupt keinen Gebrauch macht. Vorliegend hat die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen ein Versammlungsverbot oder eine Auflage zu erlassen, tatsächlich und ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht (vgl. „Inanspruchnahme des Ermessens kommt hier nicht in Betracht“). Warum dies der Fall war, ist hier nicht bekannt, kann indes aber auch dahinstehen, da es nicht darauf ankommt, warum sie keinen Gebrauch von ihrem Ermessen gemacht hat, sondern nur, dass sie es nicht getan hat. Liegt damit hier ein Ermessensfehler in Form des Ermessensausfalls vor, so reicht dies alleine für das (Fort-) Bestehen eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung aus, gibt aber noch keinen Anspruch auf Einschreiten. Es müsste dafür auch eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen (s.o.).
Eine solche liegt vor, wenn nach den Umständen des Einzelfalls nur eine einzige Entscheidung rechtmäßig ist. Dies ist bzgl. § 15 I VersG, wie bei der polizeirechtlichen Generalklausel in der Regel nur dann der Fall, wenn eine hohe Gefahrintensität oder eine Gefahr für ein hochrangiges Schutzgut gegeben ist. Vorliegend ist es während der letzten Versammlungen bereits mehrfach zu Zerstörungen der Waren des G gekommen und diese stehen jetzt wieder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevor (s.o.), so dass vom Vorliegen einer hinreichend hohen Gefahrintensität und von daher auch von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen ist.
Darüber hinaus könnte eine Ermessensreduzierung auf Null und damit eine Verpflichtung der Versammlungsbehörde hier auch daraus folgen, dass das gezielte Blockieren von Transporten aus anderen EU-Ländern möglicherweise eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs und damit einer europarechtlichen Grundfreiheit darstellt. In Betracht kommt insoweit eine Verletzung der Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt aus Art. 34 ff. AEUV i.V.m. Art. 28, 26 II AEUV. Nach Art. 34 AEUV sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Bei dem Nichteingreifen der Versammlungsbehörde handelt es sich zwar nicht um mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, es könnte sich jedoch um eine Maßnahme gleicher Wirkung handeln. Solche Maßnahmen gleicher Wirkung sind nach der sog. „Dassonville-Formel“ alle Handelsregelungen der Mitgliedstaaten, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.

Eine solche Behinderung der Warenverkehrsfreiheit muss nicht immer aus einem aktiviertem Handeln resultieren, sie kann auch bei einem Unterlassen gegeben sein.
Etwa wenn ein Mitgliedstaat bei Handelshindernissen für den freien Warenverkehr untätig bleibt oder es versäumt, ausreichende Maßnahmen zu deren Beseitigung vorzunehmen. Dies umfasst auch den Fall, dass solche Handelshindernisse durch das Verhalten von Privatpersonen entstehen bzw. bestehen und der Staat dagegen nicht einschreitet.
Dabei folgt die den jeweiligen Mitgliedstaat treffende Handlungspflicht aus einer aus Art. 4 III 2 EUV folgenden Garantenstellung, die ihn verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Vertragspflichten zu ergreifen. Im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit folgt damit aus Art. 4 III 2 EUV i.V.m. Art. 34 AEUV die Verpflichtung des jeweiligen Mitgliedstaates, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um auf seinem Staatsgebiet die Freiheit des Warenverkehrs zu gewährleisten. Aus dieser Verpflichtung des Mitgliedstaats folgt hier, dass es nicht ins Ermessen der insoweit betroffenen Behörden gestellt ist, diesem europarechtlichen Gebot, wenn es etwa wie hier bedroht ist, durch geeignete Maßnahmen zur Geltung zu verhelfen oder nicht. Vielmehr besteht vor dem dargelegten Hintergrund eine Verpflichtung der Behörde diesem europarechtlichen Grundgedanken zur Geltung zu verhelfen, die hier ein Entschließungsermessen bei Bedrohung der Warenverkehrsfreiheit ausschließt. Auch von daher ist also eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben. In dem die Behörde sich entschloss, nichts zu unternehmen, hat sie damit ihr Entschließungsermessen fehlerhaft ausgeübt.


bb) Auswahlermessen
Weiterhin müsste das Auswahlermessen auf Null reduziert sein. Dies ist der Fall, wenn nur eine bestimmte Maßnahme geeignet ist, die Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter des G zu beseitigen. Hier beantragt G, die von V zum Zwecke der Verhinderung der Importe des G angemeldete Versammlung zu verbieten. Fraglich ist, ob hier ein milderes Mittel, als ein Verbot in Betracht kommt. Insoweit ist an den Erlass einer Auflage zu denken, die Versammlung von der Straße auf das Gebiet neben der Straße zu verlagern. Dies wäre zwar milder, als ein vollständiges Verbot der Versammlung, aber nicht ebenso effektiv, da die Versammlungsteilnehmer jederzeit auf die Fahrbahn gehen könnten und es dann wiederum zu der zu verhindernden Blockadesituation käme. Dies ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, da es gerade dem erklärten Ziel der V entspricht, durch eine Blockade der Zufahrtstraßen zu den Grenzübergängen ein Importieren der Waren des G zu verhindern. Ein anderes geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich, so dass das Verbot hier allein geeignet ist, die Gefahr abzuwehren. Damit ist das Ermessen auch hinsichtlich des Auswahlermessens auf Null reduziert.

Der G hat damit einen Anspruch auf Erlass eines Versammlungsverbots für die näher bezeichneten Straßen am 1. und 2. September.


2. Teil: Ergänzungsfrage
Die Ablehnung der Genehmigung durch die französische Behörde könnte gegen die Warenverkehrsfreiheit i.S.d. Art. 34, 28 II AEUV oder gegen die Dienstleistungsfreiheit i.S.d. Art. 56, 57 AEUV verstoßen.

A. Schutzbereich
Es müsste zunächst der Schutzbereich einer der genannten Grundfreiheiten betroffen sein.

I. Nichtvorliegen spezielleren Sekundärrechts
Ein Rückgriff auf die Grundfreiheiten kommt nur in Betracht, wenn bezüglich der zu überprüfenden Maßnahme kein spezielleres Sekundärrecht (Verordnungen oder Richtlinien) einschlägig ist, da dieses als lex specialis gegenüber den Grundfreiheiten insoweit vorrangig wäre.
Vorliegend ist kein spezielleres Sekundärrecht, dass den vorliegenden Fall betrifft, ersichtlich. Dies steht daher einem Rückgriff auf die Grundfreiheiten hier nicht entgegen.
Die S kann sich überdies auch auf die Grundfreiheiten berufen, da diese Individualrechte begründen und unmittelbar innerstaatlich anwendbar sind.

II. Grenzüberschreitender Sachverhalt
Es müsste zudem ein grenzüberschreitender (also nicht allein ein innerstaatlicher) Sachverhalt vorliegen, da die Grundfreiheiten nur auf solche anwendbar sind (vgl. Art. 34, 49 AEUV). Dafür genügt ein hinreichend konkreter Bezug zum Gemeinschaftsrecht. Dieser liegt vor, wenn der Wirtschaftsverkehr zwischen Mitgliedstaaten betroffen ist. Im vorliegenden Fall will die S die in Deutschland erbrachten Ingenieurleistungen in Frankreich baulich umsetzen lassen, so dass von daher ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt.

III. Sachlicher Schutzbereich
Gegenstand und Umfang des sachlichen Schutzbereichs hängen davon ab welche Grundfreiheit betroffen ist. in Betracht kommen hier sowohl die Warenverkehrsfreiheit i.S.d. Art. 34, 28 II AEUV als auch die Dienstleistungsfreiheit i.S.d. Art. 56, 57 AEUV.

1. Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV
Es könnte zunächst die Warenverkehrsfreiheit betroffen sein. Diese umfasst den grenzüberschreitenden Handel mit körperlichen und sonstigen handelbaren Gegenständen. Hier ist davon auszugehen, dass die Ingenieurpläne sich auf körperlichen Gegenständen wie etwa Papier oder Datenträgern befinden und somit selbst auch körperliche Gegenstände sind.
Darüber hinaus müssten die Voraussetzung des Art. 28 II AEUV gegeben sein. Die Vorschrift lautet sinngemäß: Artikel 30 AEUV und Art. 34 ff. AEUV (bezogen auf das Kapitel 3) gelten für die aus den Mitgliedstaaten stammenden Waren sowie für diejenigen Waren aus dritten Ländern, die sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden. Hier könnte die Ware aus einem Mitgliedstaat, nämlich der Bundesrepublik Deutschland, stammen. Die Ware stammt aus einem Mitgliedstaat, wenn dort die letzte wirtschaftlich wesentliche Verarbeitung durchgeführt wurde und zu einer neuen Herstellungsstufe geführt hat. Im vorliegenden Fall wurden die Ingenieurpläne vollumfänglich in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt. Dieser Vorgang stellt gegenüber dem bloßen Papier oder den Datenträgern auf denen die Pläne sich befinden, eine wesentliche Verarbeitung dar, die zu einer neuen Herstellungsstufe geführt hat. Damit liegen die Voraussetzungen des Artikels 28 II AEUV hier vor. Der sachliche Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit ist damit öffnet.

2. Dienstleistungsfreiheit, Art. 56, 57 AEUV
Fraglich ist, ob auch der sachliche Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit betroffen ist. Nach Art. 57 I AEUV sind Dienstleistungen im Sinne der Verträge Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Dazu werden alle selbstständigen, in der Regel gegen Entgelt erbrachten Tätigkeiten gerechnet, die zeitlich begrenzt sind und eine Grenze zwischen Mitgliedstaaten überschreiten. Hier ist davon auszugehen, dass das Ingenieurbüro die Erstellung der Pläne gegen Entgelt vorgenommen hat. Die Erstellung der Pläne ist hier auch zeitlich begrenzt, da sie mit deren Fertigstellung endet. Problematisch könnte sein, dass sowohl der Auftraggeber als auch der Ersteller der Pläne im Rahmen der Herstellung und Fertigstellung der Pläne keine Grenze zu einem Mitgliedstaat überschreiten. Insoweit ist jedoch anerkannt, dass es auch genügt, wenn nur die Leistung selbst die Grenze zu einem Mitgliedstaat überschreitet. Hier kommt die Dienstleistung, die Ingenieurpläne, in Frankreich zum Einsatz, so dass sie die deutsch-französische Grenze und damit die Grenze zwischen Mitgliedstaaten überschreitet. Der sachliche Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ist damit eröffnet.

3. Abgrenzung zwischen Warenverkehrsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit
Nachdem vorstehend festgestellt wurde, dass sowohl der sachliche Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit, als auch derjenige der Dienstleistungsfreiheit betroffen sind, stellt sich nun die Frage, wie diese beiden Grundfreiheiten voneinander abzugrenzen sind. In Ansehung der Formulierung „soweit“ in Art. 57 I AEUV könnte man an eine Nachrangigkeit der Dienstleistungsfreiheit denken. Dem steht jedoch gegenüber, dass alle Grundfreiheiten grundsätzlich als gleichrangig anzusehen sind. Vor diesem Hintergrund bis zur Abgrenzung der vorgenannten Grundfreiheiten insbesondere auf den Schwerpunkt der zu beurteilenden Tätigkeit abzustellen. Vorliegend mit der Schwerpunkt der Arbeit des Ingenieurbüros in der intellektuellen technisch-planerischen Erstellung des Ingenieurplans, der in Frankreich durch andere Unternehmen technisch erst umgesetzt werden soll. Damit liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit des I hier weniger auf der Erstellung eines körperlichen Gegenstands, als auf einer geistigen Leistung, mithin einer Dienstleistung, so dass hier die Dienstleistungsfreiheit einschlägig ist.

Der sachliche Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ist betroffen.

IV. Keine Bereichsausnahme
Weiterhin dürfte keine Bereichsausnahme vorliegen, da eine solche die Anwendung der betreffenden Grundfreiheit schon auf der Schutzbereichsebene ausschließt. Für die Dienstleistungsfreiheit ist eine Bereichsausnahme in Art. 62 i.V.m. 51 I AEUV geregelt. Nach Art. 51 I AEUV müsste es sich dafür bei der betreffenden Tätigkeit um die Ausübung öffentlicher Gewalt handeln. Vorliegend handelt es sich um eine Ingenieurdienstleistung und damit nicht um die Ausübung öffentlicher Gewalt, so dass die Bereichsausnahme des Art. 51 I i.V.m. 62 AEUV hier nicht greift.

V. Persönlicher Schutzbereich
Ferner müsste I auch in persönlicher Hinsicht unter den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit fallen. der persönliche Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit umfasst nach Art. 56 I AEUV nur Unionsbürger, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind. Hier ist I in einem Mitgliedstaat, der Bundesrepublik Deutschland, ansässig. Zwar ist nicht bekannt, ob es sich bei I um eine natürliche oder eine juristische Person oder eine sonstige Gesellschaft handelt. Dies kann hier aber dahinstehen, da die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 54 i.V.m. Art 62 AEUV auch Gesellschaften schützt. Der Ausschluss des Art. 54 II AEUV greift hier bezüglich der I nicht, da davon auszugehen ist, dass das Ingenieurbüro einen Erwerbszweck verfolgt.

Damit ist der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit hier eröffnet.

B. Beeinträchtigung des Schutzbereichs
Es müsste eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs vorliegen.

I. Handeln eines durch die Grundfreiheiten Verpflichteten
Dafür müsste ein Handeln eines durch die Grundfreiheiten Verpflichteten vorliegen. Durch die Grundfreiheiten verpflichtet sind die Mitgliedstaaten inklusive aller staatlichen Organisationen und Untergliederungen, wie Länder und Gemeinden. Vorliegend weigert sich die betreffende französische Behörde eine Genehmigung zu erteilen. Dieses Handeln der französischen Behörde ist dem französischen Staat und damit einem den Grundfreiheiten Verpflichteten zuzurechnen.

II. Diskriminierung
Es könnte eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs in Form einer Diskriminierung vorliegen. Eine solche liegt nach dem sog. weiten Diskriminierungsbegriff vor, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt schlechter behandelt wird als ein Vorgang, der sich nur in einem der Mitgliedstaaten abspielt. Insoweit ist zwischen einer offenen und einer verdeckten Diskriminierung zu unterscheiden. Eine offene Diskriminierung liegt vor, wenn die Maßnahme ausdrücklich zwischen dem inländischen und dem grenzüberschreitenden Sachverhalt differenziert (Abstellen auf Ausländer- bzw. Inländerstatus). Demgegenüber werden bei einer verdeckten Diskriminierung EU-Ausländer bzw. deren Produkte nicht ausdrücklich schlechter gestellt, jedoch belastet sie die Maßnahme der Mitgliedstaaten typischerweise stärker als die inländischen Produkte bzw. Personen. Hier stellte die französische Behörde ausdrücklich auf die Ausländereigenschaft bzgl. der Herkunft der Dienstleistung ab, so dass eine offene Diskriminierung vorliegt.

Der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ist daher beeinträchtigt.

C. Rechtfertigung der Beeinträchtigung
Fraglich ist, ob die Beeinträchtigung gerechtfertigt ist. Dies wäre sie dann, wenn sie Ausdruck der europarechtlichen Schranken ist.

I. Ausdrückliche Schranken
Es könnte eine ausdrückliche Schranke, die die Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit rechtzeitig, eingreifen. Als solche kommt hier Art. 62 i.V.m. 52 I AEUV in Betracht. Dann müsste die Beeinträchtigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erfolgen. Im vorliegenden Fall handelt die französische Behörde ausschließlich zur Stärkung der eigenen Wirtschaft und damit nicht aus den vorgenannten Gründen, so dass die ausdrückliche Schranke des Art. 62 i.V.m. 52 I AEUV die Beschränkung hier nicht rechtfertigt.

II. Ungeschriebene Schranken
Neben den ausdrücklichen Schranken anerkennt der Europäische Gerichtshof grundsätzlich auch bestimmte ungeschriebene Schranken. Jedoch scheidet eine Rechtfertigung über ungeschriebene Schranken bei der Beeinträchtigung einer Grundfreiheit durch eine offene Diskriminierung aus, da eine solche nur durch eine der im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen ausdrücklichen Schranken gerechtfertigt werden kann, da in diesem Fall ein erheblicher Verstoß gegen das Ziel des gemeinsamen Binnenmarktes i.S.d. Art. 26 II AEUV vorliegt.

Die Ablehnung der französischen Behörde ist damit nicht gerechtfertigt. Sie verstößt gegen die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56, 57 AEUV.