Fall: Gesamtschuldverhältnis von Gesellschafter-Mitbürgen

Fall: Gesamtschuldverhältnis von Gesellschafter-Mitbürgen

Sachverhalt:

S1 und S 2 sind Gesellschafter der S-GmbH. S1 hält einen Gesellschaftsanteil von 80%, S2 von 20%. Zur Sicherung sämtlicher Ansprüche der G-Bank gegen die S-GmbH übernahmen S1 und S2 im Jahr 2010 gemeinsam im Zuge einer Darlehensvergabe an die S-GmbH Höchstbetragsbürgschaften, und zwar S1 bis zu einem Betrag von 300.000 € und B bis zu einem Betrag von 150.000 €. Diese von den Gesellschaftsanteilen abweichenden Bürgschaftshöchstbeträge resultieren aus einer gemeinsamen Absprache zwischen den Gesellschaftern und der Bank.

Nach Eintritt der Fälligkeit im Jahre 2015 kann die S-GmbH das ihr ausgereichte Darlehen in Höhe von 300.000 € nicht zurückzahlen. Deshalb fordert die G-Bank den S1 dazu auf, aus der Bürgschaft an sie einen Betrag von 300.000 € zu zahlen. S2 wird durch die G-Bank nicht in Anspruch genommen. S1 zahlt den angeforderten Betrag noch im Jahre 2015 an die G-Bank.

Im Jahre 2019 fordert S1 den S2 im Hinblick auf dessen Bürgschaft dazu auf, an ihn eine Ausgleichszahlung in Höhe von 100.000 € vorzunehmen. S2 lehnt dies ab. Er sei allenfalls zur Zahlung von 60.000 € verpflichtet gewesen. In dieser Höhe sei der Ausgleichsanspruch aber nicht mehr durchsetzbar, weil er verjährt sei; jedenfalls berufe sich S2 ausdrücklich auf Verjährung.

Was kann S1 von S2 verlangen?

Gliederung:

I. Anspruch des S1 gegen S2 aus § 426 I 1 BGB

1. Bestehen eines Gesamtschuldverhältnisses

2. Kein vertraglicher Ausschluss des Innenausgleichs

3. Höhe des Innenausgleichsanspruchs

a) Innenausgleich bei Höchstbetragsbürgschaften

b) Innenausgleich bei Gesellschafter-Mitbürgen

c) Innenausgleich bei Gesellschafter-Mitbürgen mit unterschiedlichen Bürgschaftshöchstbeträgen

4. Durchsetzbarkeit des Innenausgleichsanspruchs

a) Entstehung des Ausgleichsanspruchs aus § 426 I 1 BGB

b) Kenntnis des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners

5. Ergebnis zu I.

II. Anspruch des S1 gegen S2 aus § 426 II 1 i.V.m. 765 I BGB

III. Anspruch des S1 gegen S2 aus §§ 683 S. 1, 670 BGB

IV. Anspruch des S1 gegen S2 aus § 812 I 1 BGB

V. Gesamtergebnis

Lösung:

I. Anspruch des S1 gegen S2 aus § 426 I 1 BGB

Dem S1 könnte gegen S2 ein Innenausgleichsanspruch aus § 426 I 1 BGB zustehen. Voraussetzung eines solchen Innenausgleichs ist die Haftung für eine Forderung als Gesamtschuldner; zudem darf der Innenausgleich zwischen den Gesamtschuldnern nicht vertraglich ausgeschlossen sein.1

1. Bestehen eines Gesamtschuldverhältnisses

Zwischen S 1 und S 2 müsste ein Gesamtschuldverhältnis bestehen. Dies ist nach § 769 BGB deshalb der Fall, weil sich S1 und S2 für dieselbe Verbindlichkeit der S-GmbH gegenüber der G-Bank verbürgt haben (Mitbürgschaft).2

2. Kein vertraglicher Ausschluss des Innenausgleichs

Der Innenausgleich dürfte zwischen S1 und S2 nicht vertraglich ausgeschlossen sein. Ein solcher Ausschluss wäre auch im Hinblick auf § 769 BGB möglich, weil diese Vorschrift weder eine von ihr abweichende Vereinbarung im Außenverhältnis zum Gläubiger noch eine solche im Innenverhältnis zwischen den Mitbürgen ausschließt.3

Vorliegend haben S1 und S2 eine von § 769 BGB abweichende vertragliche Regelung, nach der ein Innenausgleich ausgeschlossen ist, aber nicht getroffen. Folglich besteht dem Grunde nach ein Innenausgleichsanspruch des S1 gegen S2 aus § 426 I 1 BGB.

3. Höhe des Innenausgleichsanspruchs

Nach § 426 I 1 BGB sind die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Eine anderweitige Bestimmung kann sich dabei aus einer gesetzlichen Regelung, einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung, der Natur der Sache oder dem Inhalt und Zweck des in Frage stehenden Rechtsverhältnisses ergeben.4

a) Innenausgleich bei Höchstbetragsbürgschaften

Bei Höchstbetragsbürgschaften ist der Innenausgleich zwischen den Bürgen grundsätzlich nach dem Verhältnis der jeweils übernommenen Höchstbeträge durchzuführen, sofern nichts anderes vereinbart ist.5 Dies würde hier dazu führen, dass S1 den S2 in Höhe von 100.000 € in Regress nehmen könnte, weil sein Bürgschaftshöchstbetrag auf 300.000 € lautet und derjenige des S2 lediglich auf 150.000 €. Diese Auffassung vertritt S1.

b) Innenausgleich bei Gesellschafter-Mitbürgen

Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass sich S1 und S2 jeweils in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter für eine Verbindlichkeit der S-GmbH verbürgt haben. In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass Gesellschafter einer GmbH, die für eine Verbindlichkeit der Gesellschaft Bürgschaften übernommen haben, im Innenverhältnis im Zweifel anteilig in Höhe ihrer jeweiligen Anteile am Gesellschaftsvermögen haften.6Dies würde hier dazu führen, dass S1 den S2 lediglich in Höhe von 60.000 € in Regress nehmen könnte, weil S1 mit 80% am Stammkapital der S-GmbH beteiligt ist und der S2 lediglich mit 20%. Diese Auffassung vertritt S2.

c) Innenausgleich bei Gesellschafter-Mitbürgen mit unterschiedlichen Bürgschaftshöchstbeträgen

Vorliegend kollidieren die beiden vorstehenden Ansätze miteinander, sodass es einer auf den Einzelfall bezogenen Lösung bedarf. Es verhält es sich hier so, dass sich S1 und S2 auf der Grundlage einer gemeinsamen Absprache mit der G-Bank für die Verbindlichkeiten der S-GmbH mit unterschiedlichen und zugleich von dem Verhältnis ihrer Gesellschaftsbeteiligungen abweichenden Höchstbeträgen verbürgt haben.7 Damit haben sie stillschweigend zum Ausdruck gebracht, dass sie auch intern in dem Verhältnis haften wollten, in dem sie eine Haftung nach außen übernahmen. Dass die Übernahme der Höchstbetragsbürgschaften auf der Grundlage einer gemeinsamen Absprache erfolgte, spricht dafür, dass die Mitbürgen nicht nur im Fall ihrer vollen Inanspruchnahme bis zum jeweiligen Höchstbetrag, sondern auch bei einer nur teilweisen, die Summe der Höchstbeträge nicht erreichenden Inanspruchnahme im Innenverhältnis nach dem Verhältnis der jeweils übernommenen Höchstbeträge haften wollten. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Übernahme der Bürgschaften zeitlich nach den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen erfolgte. Durch die Übernahme von Bürgschaften mit Höchstbeträgen, deren Verhältnis zueinander vom Verhältnis ihrer Gesellschaftsanteile abweicht, haben die Mitbürgen zu erkennen gegeben, dass sie im Hinblick auf die Bürgschaften an der dem Verhältnis der jeweiligen Gesellschaftsanteile folgenden Risikoverteilung nicht festhalten wollten. Durch die Übernahme unterschiedlicher Höchstbeträge sind die einzelnen Bürgen im Außenverhältnis unterschiedliche Risiken eingegangen. Der in der Übernahme eines höheren Höchstbetrags zum Ausdruck kommende Wille, ein größeres Risiko als andere Bürgen zu übernehmen, zieht folgerichtig auch eine höhere Haftung im Innenverhältnis nach sich. Die Festlegung unterschiedlicher Höchstbeträge und der darin zum Ausdruck kommende Wille, das Haftungsrisiko in unterschiedlicher Weise zu begrenzen, ist für die Bürgschaftsübernahmen derart prägend, dass eine Haftungsverteilung nach dem Verhältnis dieser Höchstbeträge auch im Innenverhältnis gerechtfertigt ist.

Demnach ist in diesem Punkt die Rechtsauffassung des S1 zutreffend. Sein Ausgleichsanspruch gegen S2 richtet sich nicht nach dem Verhältnis der Gesellschaftsbeteiligungen, sondern vielmehr nach dem Verhältnis der Bürgschaftshöchstbeträge. Der Innenausgleichsanspruch des S 1 gegen S 2 aus § 426 I 1 BGB ist deshalb in Höhe von 100.000 € entstanden.

4. Durchsetzbarkeit des Innenausgleichsanspruchs

Der Anspruch des S1 gegen S 2 aus § 426 I 1 BGB ist auch nicht nachträglich wieder erloschen. Er könnte aber nicht durchsetzbar sein, weil S 2 die Einrede der Verjährung erhoben hat (vgl. § 214 I BGB).

Der Ausgleichsanspruch aus § 426 I 1 BGB unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB.8 Die Frist beginnt gemäß § 199 I BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Sollten diese Voraussetzungen bereits im Jahre 2015 (oder früher) eingetreten sein, wäre der Ausgleichsanspruch des S1 gegen S2 aus § 426 I 1 BGB gemäß §§ 195, 199 I, 187 I, 188 II BGB mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt. Dann würde der im Jahre 2019 durch S2 erhobene Verjährungseinwand durchgreifen, weil S1 bis zum Ende des Jahres 2018 keine verjährungshemmenden Maßnahmen (vgl. hierzu § 204 BGB) ergriffen hat. Entscheidend für die Durchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruch des S1 gegen S2 aus § 426 I 1 BGB ist also, ob die regelmäßige Verjährungsfrist nach Maßgabe des § 199 I BGB bereits im Jahre 2015 (oder früher) zu laufen begann.

a) Entstehung des Ausgleichsanspruchs aus § 426 I 1 BGB

Nach st. Rspr. des BGH entsteht der Ausgleichsanspruch aus § 426 I 1 BGB mit der Entstehung der Gesamtschuld im Außenverhältnis.9 Er besteht zunächst als Mitwirkungs- und Befreiungsanspruch und wandelt sich nach Befriedigung des Gläubigers durch einen Gesamtschuldner in einen Zahlungsanspruch gegen die weiteren Gesamtschuldner um. Unabhängig von seiner Ausprägung als Mitwirkungs-, Befreiungs- oder Zahlungsanspruch handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch, der einer einheitlichen Verjährung unterliegt und mit der Begründung der Gesamtschuld entstanden ist.

Die Begründung des Gesamtschuldverhältnisses erfolgte mithin durch den Abschluss der Bürgschaftsverträge im Jahre 2010. Würde man auf dieses Datum abstellen, würde die Verjährungsfrist für den Innenausgleichsanspruch aus § 426 I 1 BGB jedoch zu laufen beginnen, bevor die G-Bank überhaupt die Rückzahlung des Darlehens von der S-GmbH verlangen konnte. Für die Anspruchsentstehung i.S.v. § 199 I Nr. 1 BGB ist jedoch grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Anspruch fällig wird.10 Ein Anspruch ist im Sinne des § 199 I BGB entstanden, wenn er geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann; das ist grundsätzlich der Zeitpunkt seiner Fälligkeit.11 Fälligkeit ist der Zeitpunkt, in dem der Gläubiger die Leistung verlangen kann, der Schuldner also spätestens leisten muss.12

Ein Anspruch aus § 426 I 1 BGB entsteht deshalb mit der Begründung und Fälligkeit der Gesamtschuld im Verhältnis zwischen Gesamtschuldgläubiger und Gesamtschuldnern.13

Der Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen aus § 765 I BGB setzt voraus, dass die Hauptschuld notleidend geworden ist, der Hauptschuldner also trotz Fälligkeit nicht leistet (sog. Bürgschaftsfall).14 Vor diesem Zeitpunkt muss der Bürge nicht leisten. Daraus folgt, dass der Anspruch gegen den Bürgen aus § 765 I BGB grundsätzlich15 erst mit der Fälligkeit der Hauptschuld selbst fällig wird. Die Bürgenschuld wird zugleich mit der Hauptschuld fällig, ohne dass es hierfür zudem einer Inanspruchnahme des Bürgen durch den Gläubiger bedarf.16 Der Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen entsteht demnach i.S.v. § 199 I Nr. 1 BGB mit der Fälligkeit der Hauptforderung, nicht dagegen mit der Inanspruchnahme des Bürgen durch den Gläubiger.17

Von einer Fälligkeit des Bürgschaftsanspruchs der G-Bank gegen S1 und S2 und damit zugleich von einer Entstehung des Ausgleichsanspruchs des S1 gegen S2 i.S.v. § 199 I Nr. 1 BGB ist damit vorliegend erst im Jahre 2015 auszugehen, weil erst in diesem Jahr die Fälligkeit der Hauptschuld der S-GmbH gegenüber der G-Bank eingetreten ist. Dass S2 durch die G-Bank aus seiner Bürgschaft nicht in Anspruch genommen wurde, steht der Entstehung des Ausgleichsanspruchs des S1 aus § 426 I 1 BGB nicht entgegen.

Der Ausgleichsanspruch des S1 gegen S 2 aus § 426 I 1 BGB ist somit bereits im Jahre 2015 i.S.v. § 199 I Nr. 1 BGB entstanden.

b) Kenntnis des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners

Neben der Entstehung des Anspruchs setzt der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist gemäß § 199 I Nr. 2 BGB voraus, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Für diese Kenntnis aller Umstände, die einen Ausgleichsanspruch nach § 426 I 1 BGB begründen, ist es erforderlich, dass der Ausgleichsberechtigte (hier: S1) Kenntnis von den Umständen, die einen Anspruch des Gläubigers (hier: der G-Bank) gegen den Ausgleichspflichtigen (hier: S2) begründen, von den Umständen, die einen Anspruch des Gläubigers gegen ihn selbst begründen sowie von Umständen, die das Gesamtschuldverhältnis begründen und schließlich von den Umständen, die im Innenverhältnis eine Ausgleichspflicht begründen, hat.18

S1 und S2 haben sich im Jahr 2010 im Zuge einer Darlehensvergabe an die S-GmbH gemeinsam gegenüber der G-Bank verbürgt. Daraus folgt, dass S1 Kenntnis sowohl von der eigenen Bürgenschuld als auch von der Bürgenschuld des S2 hatte. Da sich beide Bürgschaften auf dieselbe Verbindlichkeit der S-GmbH bezogen, hatte S1 zugleich Kenntnis von den Umständen, die nach § 769 BGB das Gesamtschuldverhältnis begründen. Da S1 mit 300.000 € nicht nur den Höchstbetrag aus seiner Bürgschaft, sondern zugleich auch die gesamte Hauptschuld beglich, wusste er zudem, dass S2 keine (weitere) Zahlung an die G-Bank getätigt hat und deshalb ein Ausgleichsanspruch nach § 426 I 1 BGB gegen S2 besteht.

Somit hatte S1 im Jahre 2015 in jeder Hinsicht eine ausreichende Kenntnis i.S.v. § 199 I Nr. 2 BGB. Die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann mithin gemäß § 199 I BGB im Jahre 2015 zu laufen und endete folglich gemäß §§ 187 I, 188 BGB mit Ablauf des 31.12.2018. Die durch S2 erhobene Verjährungseinrede greift somit durch und steht der Durchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruchs des S1 aus § 426 I 1 BGB entgegen.

5. Ergebnis zu I.

Der dem Grunde nach in Höhe von 100.000 € bestehende Ausgleichsanspruch des S1 gegen S2 aus § 426 I 1 BGB ist verjährt und deshalb nicht durchsetzbar.

II. Anspruch des S1 gegen S2 aus § 426 II 1 i.V.m. 765 I BGB

Ein Regressanspruch des S 1 gegen S 2 könnte sich aus § 426 II 1 i.V.m. § 765 I BGB ergeben. Soweit ein Gesamtschuldner den Gläubiger befriedigt und von den übrigen Schuldnern Ausgleichung verlangen kann, geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihn über (§ 426 II 1 BGB). Es handelt sich um einen gesetzlichen Forderungsübergang (cessio legis).19 In welcher Höhe die Forderung übergeht, bestimmt sich allein nach dem Ausgleichsanspruch gemäß § 426 I 1 BGB.

S1 stand dem Grunde nach ein Ausgleichsanspruch gegen S 2 nach § 426 I 1 BGB in Höhe von 100.000 € zu. In dieser Höhe ist mithin die Bürgschaftsforderung der G-Bank gegen S2 aus § 765 I 1 BGB durch gesetzlichen Forderungsübergang nach § 426 II 1 BGB auf den S1 übergegangen.20 S1 muss sich jedoch gemäß § 412 i.V.m. § 404 BGB die „Einwendungen“ – darunter fallen auch Einreden21 – entgegensetzen lassen, die zur Zeit des gesetzlichen Forderungsübergangs gegen den bisherigen Gläubiger begründet waren. Die Bürgschaftsforderung aus § 765 I BGB verjährt selbständig nach den §§ 195, 199 BGB.22 Wie bereits ausgeführt, wurde die Bürgschaftsforderung zeitgleich mit der durch sie besicherten Hauptforderung der G-Bank gegen die S-GmbH aus § 488 I 2 BGB im Jahre 2015 fällig. Die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB lief somit gemäß §§ 199 I, 187 I, 188 II BGB mit Ablauf des 31.12.2018 ab. Demnach ist die nach § 426 II 1 BGB (anteilig) auf S1 übergegangene Forderung aus § 765 I BGB gegen S2 verjährt und infolge der Erhebung der Einrede der Verjährung (§ 214 I BGB) durch S2 nicht durchsetzbar.

Auch aus § 426 II 1 i.V.m. § 765 I BGB hat S 1 somit keinen durchsetzbaren Anspruch gegen S2.

III. Anspruch des S1 gegen S2 aus §§ 683 S. 1, 670 BGB

Ansprüche des S1 gegen S2 aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), insbesondere ein Anspruch wegen echter berechtigter GoA auf Aufwendungsersatz gemäß §§ 683 S. 1, 670 BGB bestehen nicht.

Zwar dürften die §§ 677 ff. BGB trotz des Wortlauts des § 774 II BGB, nachdem Mitbürgen einander „nur nach § 426“ BGB haften, anwendbar sein. Die Anordnung in § 774 II BGB ist aufgrund ihrer systematischen Stellung lediglich als Ausschluss des Mitbürgenregresses nach §§ 774 I 1, 412, I BGB zu verstehen;23 andere Regressansprüche werden hierdurch nicht ausgeschlossen.24 Die Anspruchsvoraussetzungen sind aber nicht erfüllt. Es ist schon zweifelhaft, ob die Zahlung durch S1 an die G-Bank ein für S1 fremdes Geschäft ist. Ein objektiv fremdes Geschäft, welches eine Tätigkeit voraussetzt, die bereits ihre Natur oder ihrem äußeren Erscheinungsbild nach in einen anderen Rechts- oder Interessenkreis fallen,25 liegt nicht vor, weil S1 auf eine eigene Bürgschaftsschuld gegenüber der G-Bank gezahlt hat. In Betracht kommt allenfalls ein „auch-fremdes“ Geschäft, weil die Zahlung durch S1 an die G-Bank auch dem weiteren Bürgen S2 zu Gute kommt; es ist aber wenig überzeugend, in solchen Fällen den Willen des Geschäftsführers (hier: S1), ein fremdes Geschäft mit zu besorgen, zu vermuten, in denen er gleichzeitig eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten hat (sog. pflichtgebundener Geschäftsführer).26 Im Ergebnis kann aber auch dies dahinstehen, weil ein etwaiger Anspruch aus §§ 683 S. 1, 670 BGB jedenfalls mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt und deshalb nicht (mehr) durchsetzbar ist (vgl. §§ 195, 199 I, 187 I, 188 II BGB).

IV. Anspruch des S1 gegen S2 aus § 812 I 1 BGB

Auch Bereicherungsansprüche des S1 gegen S2 aus § 812 I 1 BGB scheiden aus.

Eine Leistungskondiktion gemäß § 812 I 1 Alt. 1 BGB scheidet schon deshalb aus, weil die Zahlung des S1 auf seine eigene Bürgschaftsschuld eine Leistung an die G-Bank und nicht (zugleich) eine Leistung an S2 darstellt. In Höhe von 100.000 € hat S2 zudem nichts erlangt, insbesondere nicht die Befreiung von einer Verbindlichkeit, weil die Bürgschaftsforderung der G-Bank gegen S2 aus § 765 I 1 BGB in dieser Höhe gemäß § 426 II 1 BGB auf den S1 übergegangen ist (s.o.).

In Höhe von 50.000 € – dies ist die Differenz zwischen dem Bürgschaftshöchstbetrag des S2 (150.000 €) und der nach § 426 II 1 BGB auf S1 übergegangenen Teilforderung gemäß § 765 I BGB (100.000 €) – ist auch eine Rückgriffskondiktion aus § 812 I 1 Alt. 2 BGB ausgeschlossen, weil S2 die Befreiung von seiner Verbindlichkeit gegenüber der G-Bank gemäß § 426 I 1 BGB (Befreiungsanspruch gegen S1, s.o.) mit Rechtsgrund erlangt hat.

Im Übrigen wären beide Ansprüche jedenfalls mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt und deshalb nicht (mehr) durchsetzbar (vgl. §§ 195, 199 I, 187 I, 188 II BGB).

V. Gesamtergebnis

S1 hat keinen durchsetzbaren Regressanspruch gegen S2.


  1. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 426 Rn. 2.
  2. Eine Mitbürgschaft kann von den Mitbürgen gemeinschaftlich durch einen einheitlichen Vertrag (§ 427 BGB) oder unabhängig voneinander durch selbständige Verträge – auch ohne Kenntnis voneinander – begründet werden (Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 769 Rn. 1).
  3. BGH, Urt. v. 13.01.2000 – IX ZR 11/99, NJW 2000, 1034, 1035; Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 769 Rn. 2.
  4. BGH, Urt. v. 27.09.2016 – XI ZR 81/15, Rn. 16.
  5. BGH, Urt. v. 09.12.2008 – XI ZR 588/07, Rn. 15.
  6. BGH, Urt. v. 05.04.2011 – II ZR 279/08, Rn. 13.
  7. Zum Folgenden: BGH, Urt. v. 27.09.2016 – XI ZR 81/15, Rn. 17 – 20.
  8. BGH, Urt. v. 07.05.2015 – VII ZR 104/14, Rn. 19; OLG Bremen, Beschl. v. 15.01.2016 – 4 W 5/15, NJW 2016, 1248, Rn. 9; Erman/Böttcher, BGB, 15. Aufl. 2017, § 426 Rn. 7; Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 195 Rn. 1.
  9. Hier und zum Folgenden: BGH, Urt. v. 08.11.2016 – VI ZR 200/15, Rn. 11; BGH, Urt. v. 07.05.2015 – VII ZR 104/14, Rn. 19; BGH, Urt. v. 18.10.2012 – III ZR 312/11, Rn. 13; BGH, Versäumnisurt. v. 18.06.2009 – VII ZR 167/08, Rn. 12.
  10. Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 199 Rn. 3.
  11. BGH, Versäumnisurt. v. 18.06.2009 – VII ZR 167/08, Rn. 19.
  12. BGH, Urt. v. 11.12.2013 – IV ZR 46/13, Rn. 22; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 80.
  13. OLG Bremen, Beschl. v. 15.01.2016 – 4 W 5/15, NJW 2016, 1248, Rn. 12; Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 199 Rn. 3.
  14. Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 765 Rn. 6.
  15. Zwischen Gläubiger und Bürge kann etwas Abweichendes vertraglich vereinbart werden.
  16. BGH, Urt. v. 11.11.2014 – XI ZR 265/13, Rn. 21; Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 768 Rn. 5; a. A. Schmolke, WM 2013, 148, 151; Gay, NJW 2005, 2585, 2588.
  17. Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 199 Rn. 3.
  18. BGH, Versäumnisurt. v. 18.06.2009 – VII ZR 167/08, Ls. 2 u. Rn. 21; Erman/Böttcher, BGB, 15. Aufl. 2017, § 426 Rn. 7.
  19. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 426 Rn. 12.
  20. Beachte: Nach § 426 II 1 BGB geht „die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Gläubiger“ auf den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner über. Die Forderung der G-Bank gegen S2 ist die Bürgschaftsforderung gemäß § 765 I BGB und nicht etwa die Darlehensforderung gegen die S-GmbH (Hauptschuldnerin) aus § 488 I 2 BGB. Die Darlehensforderung aus § 488 I 2 BGB gegen die S-GmbH ist gemäß § 774 I 1 BGB ebenfalls durch cessio legis in voller Höhe von 300.000 € auf S 1 übergegangen. Mit der Darlehensforderung sind deshalb gemäß §§ 412, 401 BGB grundsätzlich auch alle (akzessorischen) Sicherungsrechte der G-Bank auf S1 übergegangen, also auch die (volle) Bürgschaftsforderung gegen S2. § 774 II BGB stellt jedoch klar, das Mitbürgen einander nur nach § 426 BGB haften. Auf den Bürgen, der den Gläubiger befriedigt, geht deshalb die Bürgschaftsforderung nur insoweit über, wie ihm die Mitbürgen im Innenverhältnis verpflichtet sind (Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 774 Rn. 9).
  21. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 404 Rn. 2 (explizit für die Einrede der Verjährung).
  22. BGH, Urt. v. 11.11.2014 – XI ZR 265/13, Rn. 21; Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 768 Rn. 5.
  23. BeckOGK/Madaus, Stand: 01.12.2019, § 774 Rn. 65.
  24. MünchKomm-BGB/Habersack, 7. Aufl. 2017, § 774 Rn. 16.
  25. Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 677 Rn. 5.
  26. Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 677 Rn. 5 mit Hinweis auf § 687 I BGB.