Fall: Gefahrtragung bei Annahmeverzug

Fall: Gefahrentragung bei Annahmeverzug

Sachverhalt:

Der S kauft bei dem G für sein Grundstück eine Mülltonnenverkleidungsbox aus Aluminium des Typs „Quader 1000“ zum Preis von 500 €. G soll die Box, in der 3 große Standart-Mülltonnen Platz finden und die äußerst schwer ist, am 15.03. zwischen 16 und 18 Uhr von einem seiner Mitarbeiter anliefern und mit einer geeigneten Kranvorrichtung auf ein bereits vorhandenes Betonfundament auf dem Grundstück des S stellen lassen. G sagt zu, den Preis bei der Ablieferung in bar an den Mitarbeiter des S zu zahlen.

Am 15.03. erscheint der D, Mitarbeiter des G, um 17:45 Uhr am vereinbarten Ort mit einem mangelfreien Exemplar der standardisierten Mülltonnenverkleidungsbox. S ist jedoch nicht zugegen, weil er in einem Shopping-Center im Fahrstuhl stecken geblieben ist und dort noch auf seine Bergung wartet. Da S in dem Fahrstuhl keinen Empfang hat, konnte er den G nicht über sein Handy informieren und den Anlieferungstermin verschieben.

Der seit mehreren Jahren stets sorgfältig und zuverlässig agierende D wartet noch bis 18:10 Uhr vergebens auf S, bevor er sich auf den Rückweg zum Betriebsgelände des G macht. Auf der Rückfahrt verursacht D leicht fahrlässig einen Verkehrsunfall, bei dem die Mülltonnenverkleidungsbox vollständig zerstört wird.

G verlangt von S die Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 500 €. Hierzu ist S nur gegen Lieferung einer neuen Müllverkleidungsbox bereit. Dies aber lehnt G ab.

Wie ist die Rechtslage?

Gliederung:

Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB

  • I. Anspruch entstanden
  • II. Anspruch erloschen: § 326 I 1 BGB
    • 1. Gegenseitiger Vertrag
    • 2. Befreiung des G von der Leistungspflicht nach § 275 I – III BGB
      • a) Unmöglichkeit bei der Stückschuld
      • b) Konkretisierung gemäß § 243 II BGB
    • 3. Kein Fall des § 326 II 1 Alt. 1 BGB
    • 4. Kein Fall des § 326 II 1 Alt. 2 BGB
      • a) Annahmeverzug des S
        • aa) Leistungsberechtigung des G
        • bb) Möglichkeit der Leistung
        • cc) Ordnungsgemäßes Leistungsangebot
        • dd) Nichtannahme der Leistung durch S
      • b) Kein Vertretenmüssen des G
        • aa) Eigenes Verhalten des G
        • bb) Zurechnung des Verhaltens des D
      • c) Ergebnis zu 4.
  • III. Anspruch durchsetzbar
  • IV. Ergebnis

Lösung:

Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB

G könnte gegen S einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 II BGB haben.

I. Anspruch entstanden

G und S haben sich über den Kauf einer Mülltonnenverkleidungsbox aus Aluminium des Typs „Quader 1000“ zum Preis von 500 € geeinigt. Es ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen. Damit ist auch der Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB entstanden.

II. Anspruch erloschen

Der Anspruch des G aus § 433 II BGB könnte jedoch gemäß § 326 I 1 Hs. 1 BGB erloschen sein. Danach entfällt bei einem gegenseitigen Vertrag der Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Schuldner nach § 275 I – III BGB nicht zu leisten braucht.1

1. Gegenseitiger Vertrag

Erforderlich ist zunächst ein gegenseitiger Vertrag. Ein solcher liegt vor, wenn die eine Vertragspartei ihre Leistung verspricht, um von der anderen eine Gegenleistung zu erhalten (do ut des).2 Der Kaufvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, weil der Käufer gemäß § 320 I BGB grundsätzlich nur Zug um Zug gegen Lieferung der Kaufsache zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet ist.3 Die Verkäuferpflicht aus § 433 I BGB und die Käuferpflicht aus § 433 II BGB sind synallagmatisch miteinander verknüpft. Dementsprechend sind G und S durch einen gegenseitigen Vertrag wechselseitig gebunden. Der Anwendungsbereich des § 326 BGB ist damit eröffnet.

2. Befreiung des G von der Leistungspflicht nach § 275 I – III BGB

G müsste von seiner im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungspflicht aus § 433 I 1 BGB nach § 275 I – III BGB befreit sein. Dies wäre dann der Fall, wenn ihm die Erfüllung seiner Pflicht zur Verschaffung von Eigentum und Besitz i.S.v. § 275 I BGB unmöglich geworden ist,4 weil die Mülltonnenverkleidungsbox auf der Rückfahrt durch den Verkehrsunfall des D vollständig zerstört worden ist.

a) Unmöglichkeit bei der Stückschuld

Die Zerstörung des Leistungsgegenstandes führt nur bei einer Stückschuld ohne Weiteres zur Unmöglichkeit.5 Eine solche ist zwischen G und S jedoch nicht vereinbart worden, weil es sich bei der Mülltonnenverkleidungsbox aus Aluminium des Typs „Quader 1000“ um eine standardisierte Box handelt. Damit haben G und S eine Gattungsschuld vereinbart. Eine Gattungsschuld liegt vor, wenn die geschuldete Leistung nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmt ist.6 Das Schuldverhältnis ist bei ihr auf die Leistung einer vertretbaren Sache i.S.v. § 91 BGB gerichtet. Um eine solche vertretbare Sache handelt es sich vorliegend bei der standardisierten Box.

b) Konkretisierung gemäß § 243 II BGB

Dem G wäre seine Leistung gleichwohl unmöglich, wenn sich die Gattungsschuld bereits vor dem Unfall, bei dem die Kaufsache vollständig zerstört wurde, zur Stückschuld konkretisiert hätte. Nach § 243 II BGB beschränkt sich die Gattungsschuld auf eine konkrete Sache, wenn der Schuldner das zur Leistung „einer solchen Sache“, also einer der Gattung zuzuordnenden Sache mittlerer Art und Güte (vgl. § 243 I BGB), seinerseits Erforderliche getan hat. Was unter dem „seinerseits Erforderlichen“ zu verstehen ist, hängt von der Art der Schuld ab.

Der Schuldner muss eine Sache mittlerer Art und Güte aussondern, damit die anfängliche Gattungsschuld durch Konkretisierung zur Stückschuld wird.7 Eine Aussonderung liegt vor, wenn der Schuldner die Ware von anderen Sachen derselben Gattung trennt und sie als die für den Gläubiger bestimmte Ware kennzeichnet. Was zudem erforderlich ist, damit der Schuldner das „seinerseits Erforderliche“ getan hat, bestimmt sich nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses, namentlich nach der Art der Schuld und dabei insbesondere nach dem Leistungsort.8

Bei einer Holschuld muss der Schuldner aus der Gattung eine Sache mittlerer Art und Güte auswählen und aussondern sowie den Gläubiger auffordern, die ausgesonderte Sache innerhalb angemessener Zeit abzuholen.

Bei einer Bringschuld muss der Schuldner dem Gläubiger die ausgewählte und ausgesonderte Sache mittlerer Art und Güte am vereinbarten Ort in einer den Annahmeverzug begründenden Weise tatsächlich anbieten (§ 294 BGB).

Bei einer Schickschuld reicht es grundsätzlich9 aus, wenn der Schuldner die ausgewählte und ausgesonderte Sache mittlerer Art und Güte richtig adressiert und frankiert an eine geeignete Transportperson aushändigt.

Hier haben G und S eine Anlieferung und Aufstellung der Mülltonnenverkleidungsbox durch einen Mitarbeiter des G vereinbart, was angesichts der sperrigen Kaufsache auch notwendig war. G und S haben somit eine von § 269 I BGB abweichende Regelung des Leistungsorts und eine Bringschuld vereinbart.

Nach § 269 I BGB kommt es primär auf die Parteivereinbarung an, die ausdrücklich oder konkludent geschlossen werden kann.10 Die Abrede, dass der Schuldner die Kosten der Versendung übernimmt, spricht allein noch nicht dafür, dass der Leistungsort beim Gläubiger sein soll und eine Bringschuld vorliegt (§ 269 III BGB). Fehlt eine Parteivereinbarung, ist der Leistungsort nach § 269 I BGB anhand der Umstände, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses zu entnehmen. Dabei sind die Verkehrssitte (§ 157 BGB) und bei Geschäften des Handelsverkehrs der Handelsbrauch zu berücksichtigen. Lässt sich danach noch immer nicht feststellen, wo sich der Leistungsort befindet, so greift die Regelung in § 269 I Hs. 2 BGB. Danach ist die Leistung an dem Ort zu erbringen, an dem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz – bzw. bei gewerblichen Verpflichtungen seine gewerbliche Niederlassung (§ 269 II BGB) – hatte. Daraus folgt aber nur, dass im Zweifel keine Bringschuld vorliegt.11 Ob eine Hol- oder eine Schickschuld vorliegt, ist damit noch nicht geklärt. § 269 BGB legt nämlich nur fest, wo der Leistungsort vorliegt. Zum Erfolgsort trifft die Vorschrift hingegen keine Aussage. Wo der Erfolgsort liegt, muss erneut durch Auslegung ermittelt werden. Im hier zu beurteilenden Fall haben G und S eine klare Parteivereinbarung getroffen und sich auf eine Bringschuld des G verständigt. Auf die Zweifelsregelung des § 269 I BGB kommt es deshalb nicht an. Es wäre fehlerhaft, das Vorliegen einer Bringschuld mit einem Hinweis auf diese Vorschrift zu begründen.

Dementsprechend muss der G dem S eine von ihm ausgewählte und ausgesonderte Sache mittlerer Art und Güte am vereinbarten Ort in einer den Annahmeverzug begründenden Weise tatsächlich angeboten haben. Dies entspricht im Ergebnis einem tatsächlichen Angebot i.S.v. § 294 BGB.

Die Konkretisierung gemäß § 243 II BGB setzt allerdings keinen Annahmeverzug i.S.v. §§ 293 ff. BGB voraus.12 Bei der Bringschuld decken sich die Anforderungen an das „seinerseits Erforderliche“ mit dem tatsächlichen Angebot i.S.v. § 294 BGB. In der Regel fallen die Voraussetzungen der Konkretisierung und des Annahmeverzugs auch zusammen. Zwingend ist dies aber nicht.

Bei einem tatsächlichen Angebot i.S.v. § 294 BGB muss das Leistungsangebot des Schuldners so beschaffen sein, dass der Gläubiger nichts weiter zu tun braucht, als zuzugreifen und die ihm angebotene Leistung anzunehmen.13 Ein tatsächliches Angebot i.S.v. § 294 BGB ist ein in der Leistungshandlung enthaltender Realakt.14 Die Vorschriften der §§ 130 ff. BGB über die Abgabe und den Zugang von Willenserklärungen sind dementsprechend nicht, auch nicht analog anwendbar. Voraussetzung ist nur, dass der Schuldner alles getan hat, was ohne die Mitwirkung des Gläubigers möglich ist. Dabei muss er die Leistung so anbieten, „wie sie zu bewirken ist“. Der Schuldner muss also die richtige Leistung zur richtigen Zeit (§ 271 BGB) am richtigen Ort (§§ 269, 270 BGB) anbieten.

D hat auf entsprechende Anweisung des G zur vereinbarten Leistungszeit am Leistungsort ein mangelfreies Exemplar der standardisierten Mülltonnenverkleidungsbox und damit einer Sache mittlerer Art und Güte i.S.v. § 243 I BGB abliefern wollen. Dass S nicht zugegen war und die ihm angebotene Leistung deshalb nicht entgegennehmen konnte, steht einem tatsächlichen Angebot i.S.v. § 294 BGB nicht entgegen, weil dieses als Realakt nicht i.S.v. § 130 BGB zugehen muss. G hat somit – unter Einschaltung des D – das seinerseits Erforderliche getan, um seine Leistung zu erbringen. Das Schuldverhältnis hat sich deshalb gemäß § 243 II BGB auf die zerstörte Box beschränkt, d. h. die ursprüngliche Gattungsschuld des G ist durch Konkretisierung zur Stückschuld geworden.

Auf die Frage, ob die Leistungsgefahr auch nach § 300 II BGB auf S übergegangen ist, kommt es nicht mehr an.15 Bei Gattungsschulden geht nach dieser Vorschrift mit dem Gläubigerverzug „die Gefahr auf den Gläubiger über“. Damit ist die Leistungsgefahr gemeint. Eine Regelung für die Leistungsgefahr enthält bei der Gattungsschuld jedoch bereits § 243 II BGB (Übergang der Leistungsgefahr mit der Konkretisierung). Deshalb erlangt § 300 II BGB neben § 243 II BGB nur dann Bedeutung, wenn der Schuldner bei einer Bring- oder Schickschuld durch ein wörtliches Angebot (§ 295 S. 1 BGB) den Annahmeverzug herbeigeführt hat, ohne nach § 243 II BGB alles zur Leistung seinerseits Erforderliche getan zu haben, und im Falle einer Geldschuld, auf die § 243 II BGB wegen § 270 I BGB keine (auch keine analoge) Anwendung findet, wohl aber § 300 II BGB (analog).

Die Schuld des G war somit auf die Übergabe und Übereignung der bereits ausgewählten und ausgesonderten Mülltonnenverkleidungsbox begrenzt. Die Erfüllung dieser Verkäuferpflicht ist infolge der Zerstörung der konkreten Box i.S.v. § 275 I BGB (objektiv) unmöglich. Damit ist nicht nur G von seiner Leistungspflicht befreit, sondern nach § 326 I 1 Hs. 1 BGB grundsätzlich auch der S von seiner Gegenleistungspflicht gemäß § 433 II BGB.

3. Kein Fall des § 326 II 1 Alt. 1 BGB

Abweichend von § 326 I 1 BGB behält der Schuldner der unmöglichen Leistung (hier: G) den Anspruch auf die Gegenleistung (hier: auf Kaufpreiszahlung), wenn der Gläubiger (hier: S) für den zum Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 I – III BGB führenden Umstand allein oder weit überwiegend verantwortlich ist (§ 326 II 1 Alt. 1 BGB).16 Die Unmöglichkeit wurde hier durch einen Verkehrsunfall herbeigeführt, an dem der S nicht beteiligt gewesen ist. Ein etwaiger Annahmeverzug der S kann, wie sich aus der Systematik des § 326 II BGB ergibt, allein nicht ausreichen, um eine alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des S für den Ausschluss der Leistungspflicht des G gemäß § 275 I BGB zu begründen, weil dann für die zweite Tatbestandsvariante des § 326 II 1 BGB kein eigener Anwendungsfall verbliebe.17 S ist folglich nicht für den Untergang der Mülltonnenverkleidungsbox verantwortlich.

4. Kein Fall des § 326 II 1 Alt. 2 BGB

Der Schuldner der unmöglichen Leistung behält abweichend von § 326 I 1 BGB auch dann den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der zum Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 I – III BGB führenden und vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher sich der Gläubiger im Annahmeverzug i.S.v. §§ 293 ff. BGB befindet (§ 326 II 1 Alt. 2 BGB).

a) Annahmeverzug des S

Der S müsste sich im Zeitpunkt der Leistungsbefreiung des G, also im Augenblick der unfallbedingten Zerstörung der Mülltonnenverkleidungsbox, nach Maßgabe der §§ 293 ff. BGB im Annahmeverzug befunden haben.18

aa) Leistungsberechtigung des G

Der Schuldner muss zur Leistung berechtigt sein. Die Leistung muss erfüllbar sein.

G sollte die Mülltonnenverkleidungsbox am 15.03. zwischen 16 und 18 Uhr auf dem Grundstück des S auf dem dafür bereits angelegten Betonfundament abliefern. Abweichend von der Zweifelsregelung des § 271 II BGB durfte G die Leistungshandlung nicht sofort, sondern nur innerhalb dieses Zeitfensters erbringen. Dies ist aber auch geschehen. G hat – durch D – seine Leistung innerhalb der vertraglich vorgesehenen Leistungszeit angeboten.

bb) Möglichkeit der Leistung

Der Schuldner muss ferner zur Leistung bereit und imstande sein (§ 297 BGB). Kann er zeitweilig oder endgültig nicht leisten, scheidet ein Gläubigerverzug aus.19

Die Leistungsbereitschaft und –fähigkeit des G zeigt sich in dem Lieferversuch des D. An der Leistungsfähigkeit ändert insbesondere die Abwesenheit des S nichts. Es reicht aus, dass der Schuldner leisten könnte, sobald der Gläubiger zur Annahme oder zu einer sonstigen Mitwirkungshandlung bereit ist.20

cc) Ordnungsgemäßes Leistungsangebot

Der Annahmeverzug setzt regelmäßig ein Angebot der Leistung durch den Gläubiger voraus (§ 293 BGB). Im – auch hier vorliegenden – Regelfall muss der Schuldner dem Gläubiger die Leistung so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich anbieten, d. h. am rechten Ort und zur rechten Zeit, vollständig und in rechter Beschaffenheit.

Ein solches tatsächliches Angebot des G i.S.v. § 294 BGB liegt, wie bereits aufgezeigt, vor.

dd) Nichtannahme der Leistung durch S

Der Annahmeverzug setzt schließlich voraus, dass der Gläubiger das Leistungsangebot des Schuldners nicht angenommen oder die nötige Mitwirkungshandlung nicht vorgenommen hat (§ 293 BGB). Auf ein Verschulden des Gläubigers kommt es – anders als beim Schuldnerverzug (§ 286 IV BGB) – nicht an.

S hat die ihm (tatsächlich) angebotene Leistung nicht angenommen. Der D hätte die Mülltonnenverkleidungsbox allerdings auch in Abwesenheit des S auf dem Grundstück des S abladen und somit für G die geschuldete Leistungshandlung erbringen können. Die Leistung des G sollte allerdings nur Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung erfolgen. Ist der Schuldner nur gegen Leistung des Gläubigers zu leisten verpflichtet, so kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er zwar die angebotene Leistung anzunehmen bereit ist, die verlangte Gegenleistung aber nicht anbietet (§ 298 BGB). Ein Verschulden des Gläubigers oder eine ausdrücklich erklärte Weigerung, die Gegenleistung zu erbringen, sind dabei nicht erforderlich.21 Da S zur vereinbarten Zeit seinerseits den Kaufpreis nicht i.S.v. § 294 BGB angeboten hat, ist er somit nach § 298 BGB in Annahmeverzug geraten. Dass dies aufgrund eines Umstands (stehengebliebener Fahrstuhl), den S nicht zu vertreten hat, geschehen ist, ist unerheblich, weil der Annahmeverzug tatbestandlich kein Verschulden des Gläubigers voraussetzt.

b) Kein Vertretenmüssen des G

G dürfte seine Leistungsbefreiung gemäß § 326 II 1 Alt. 2 BGB nicht zu vertreten haben. Grundsätzlich hat der Schuldner gemäß § 276 I 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten.

aa) Eigenes Verhalten des G

Ein eigenes schuldhaftes Verhalten des G liegt nicht vor. G hat die Mülltonnenverkleidungsbox selbst nicht zerstört. Er hat diese als Sache mittlerer Art und Güte i.S.v. § 243 I BGB ebenso sorgfältig ausgewählt wie seinen Mitarbeiter D, der seit Jahren zuverlässig für ihn arbeitet.

bb) Zurechnung des Verhaltens des D

G könnte sich jedoch gemäß § 278 BGB das Verhalten des D zurechnen lassen müssen. Nach der – zwischen G und S vertraglich nicht abbedungenen22 – Vorschrift des § 278 S. 1 BGB hat der Schuldner ein Verschulden der Personen, denen er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. § 278 BGB ist eine Zurechnungsnorm im Rahmen bestehender Schuldverhältnisse.23

Vorliegend könnte G den D zur Erfüllung seiner aus dem Kaufvertrag mit S resultierenden Verkäuferpflichten als Erfüllungsgehilfen eingesetzt haben. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten bei der Erfüllung einer Verbindlichkeit des Schuldners mit dessen Willen als dessen Hilfsperson tätig wird.24 Der Schuldner muss sich der Hilfspersonen „bedienen“; das schließt es aus, dem Schuldner Tätigkeiten anderer zuzurechnen, wenn er diese nicht gewollt und gebilligt hat. Nicht erheblich sind die Art der Tätigkeit und das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und dem Gehilfen. Der Erfüllungsgehilfe muss allerdings in Erfüllung einer Verbindlichkeit des Schuldners handeln. Davon umfasst sind alle Arten von Verbindlichkeit des Schuldners.25 Voraussetzung für die Zurechnung nach § 278 BGB ist ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten der Hilfsperson und den Aufgaben, die ihr im Hinblick auf die Vertragserfüllung zugewiesen waren.26 Eine Handeln des Gehilfen nur „bei Gelegenheit“ der Erfüllung ist dem Schuldner nicht nach § 278 BGB zurechenbar.27

G hat D mit der Auslieferung der Mülltonnenverkleidungsbox an S beauftragt, um hierdurch seine gegenüber S aus dem Kaufvertrag bestehende Pflicht nach § 433 I 1 BGB zu erfüllen. Gleichzeitig und konkludent hat der G dem D dabei die Pflicht übertragen, den Leistungsgegenstand sorgfältig zu behandeln.28 Diese Schutzpflicht i.S.v. § 241 II BGB hat der D verletzt, als er auf dem Rückweg fahrlässig einen Unfall verursachte und dabei den (konkretisierten) Kaufgegenstand zerstörte.

D müsste diese Schutzpflichtverletzung zu vertreten haben. Der Schuldner (hier: G) hat unter den Voraussetzungen des § 278 S. 1 BGB das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen (hier: D) in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Dabei geht es allerdings nicht allein um eine Zurechnung des Verschuldens i.e.S., sondern um eine Zurechnung des Verhaltens. Maßstab ist, ob das Verhalten des Erfüllungsgehilfen, gedacht als ein Verhalten des Schuldners, eine rechtswidrige und schuldhafte Pflichtverletzung darstellen würde.29 Der D verursachte den Verkehrsunfall leicht fahrlässig i.S.v. § 276 II BGB. Nach § 300 I BGB war der Haftungsmaßstab des G jedoch auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt, weil sich S zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls im Annahmeverzug befand (s.o.). Deshalb hat G die Pflichtverletzung gemäß §§ 276 I 1, 300 I i.V.m. § 278 S. 1 BGB nicht zu vertreten.

c) Ergebnis zu 4.

Der Anspruch des G gegen S auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB besteht somit nach § 326 II 1 Alt. 2 BGB fort.

III. Anspruch durchsetzbar

Der Kaufpreiszahlungsanspruch des G ist auch durchsetzbar. Insbesondere kann S die Zahlung des Kaufpreises nicht gemäß § 320 I 1 BGB bis zur Lieferung einer neuen Mülltonnenverkleidungsbox verweigern, weil ihr Gegenanspruch aus § 433 I 1 BGB gemäß § 275 I BGB erloschen ist (s.o.).

IV. Ergebnis

G kann von S gemäß § 433 II BGB die Zahlung von 500 € verlangen, ohne seinerseits (erneut) leisten zu müssen.


  1. Soweit die primäre Leistungspflicht erst durch Erhebung einer Einrede erlischt (§ 275 II, III BGB), muss der Schuldner die Einrede auch erhoben haben; denn nur dann „braucht“ er i.S.v. § 326 I 1 BGB nicht zu leisten (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 326 Rn. 3).
  2. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 353.
  3. Hk-BGB/Saenger, 10. Aufl. 2019, Vor § 433 Rn. 1.
  4. § 326 I 1 BGB erfasst sowohl die anfängliche als auch die nachträgliche Unmöglichkeit (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 326 Rn. 1), ebenso die objektive Unmöglichkeit und die subjektive Unmöglichkeit („Unvermögen“).
  5. Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 9, Rn. 5.
  6. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 1; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 94 f.
  7. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 6; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 97 – 103.
  8. Unter dem Leistungsort versteht man den Ort, an dem Schuldner die Leistungshandlung vorzunehmen hat. Davon zu unterscheiden ist der Erfolgsort, an dem der Leistungserfolg eintreten muss.
  9. Etwas anderes gilt nach § 475 II BGB beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB).
  10. BGH, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, Rn. 29 (zum Erfüllungsort der Nacherfüllung im Kaufrecht).
  11. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 79.
  12. Hier und zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 9, Rn. 11.
  13. BGH, Beschl. v. 05.10.2010 – IV ZR 30/10, Rn. 9.
  14. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 294 Rn. 2 f.
  15. Zum Folgenden: Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 26 Rn. 14.
  16. Insoweit gelten die §§ 276, 278 BGB analog. Eine „weit überwiegende“ Verantwortlichkeit meint Fälle, in denen ein Schadensersatzanspruch nach § 254 BGB komplett ausgeschlossen wäre (Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 40).
  17. Vgl. Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 9, Rn. 15.
  18. Zum Folgenden: Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 26 Rn. 3 – 10; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 546 – 552.
  19. Dann greifen die Regeln über die Unmöglichkeit ein (§§ 275, 280, 283, 326 BGB).
  20. Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 9, Rn. 21; Gursky, AcP 173 (1977), 450, 454 f.
  21. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 298 Rn. 2.
  22. Anders als für eigenes Verschulden kann die Haftung für Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 S. 2 BGB durch abweichende Parteivereinbarung auch für Vorsatz ausgeschlossen werden.
  23. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 278 Rn. 1.
  24. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 278 Rn. 5 f.; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 376.
  25. Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 278 Rn. 9.
  26. BGH, Urt. v. 15.03.2012 – III ZR 148/11, Rn. 19.
  27. Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 278 Rn. 11; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 381.
  28. Vgl. Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 9, Rn. 26.
  29. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 383.