Fall: Die Gleichstellungsbeauftragte

Der Landtag des Landes Saarland beschließt nach langen Diskussionen eine Regelung zur Gleichstellung von Mann und Frau. Insbesondere sollen die Gemeinden ab einer gewissen Größenordnung zur Durchsetzung der Gleichstellung die Stelle einer hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten einrichten. Der entsprechende neu eingeführte Paragraf in der Kommunalverfassung lautet:

§ 2 Gleichstellungsbeauftragte

Zur Verwirklichung des Grundrechts der Gleichberechtigung von Mann und Frau haben die Gemeinden mit eigener Verwaltung eine Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen. Die Gleichstellungsbeauftragte ist in Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohnerinnen und Einwohnern grundsätzlich vollzeitig und nur ausnahmsweise teilzeitig tätig, wenn und soweit die ordnungsgemäße Erledigung der anfallenden Gleichstellungsaufgaben eine Teilzeittätigkeit zulässt. Eine teilzeitige Tätigkeit mit einem Arbeitsvolumen von weniger als der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitbeschäftigung ist ausgeschlossen; das Nähere regelt die Hauptsatzung.

B ist der Bürgermeister der Gemeinde G, die 23.000 Einwohner zählt. B und seine Kollegen aus der Gemeindevertretung sind über diese Regelung empört: Es könne nicht sein, dass die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten zwangsläufig durch eine Frau besetzt werden müsse. Außerdem seien die Gemeindekassen ohnehin schon leer und eine hauptamtliche Frauenbeauftragte würde die Gemeinde vollends handlungsunfähig machen.

Die Gemeinde G, vertreten durch den B, wendet sich daher kurz nach Verkündung des Gesetzes an das Bundesverfassungsgericht, um diese Regelung überprüfen zu lassen. Mit Erfolg?

Bearbeitervermerk: Gehen Sie für die Zwecke der Falllösung davon aus, dass das KSVG bisher keine solche Regelung enthält.


Die Klage vor dem Landesverfassungsgericht hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit
Die Klage müsste zulässig sein.

I. Zuständigkeit
Das Landesverfassungsgericht müsste zuständig sein. Vorliegend erhebt die Gemeinde die Kommunalverfassungsbeschwerde. Hierfür ist das Landesverfassungsgericht nach Art. 97 Nr. 4 LV; §§ 9 Nr. 13, 55 II VerfGHG zuständig. Damit wurde die Zuständigkeit gewahrt.

II. Beteiligtenfähigkeit, § 55 II VerfGHG
Ferner müsste die Gemeinde beteiligtenfähig sein, § 55 II VerfGHG. Gem. § 52 I VGHG können Gemeinde und Gemeindeverbände die Kommunalverfassungsbeschwerde erheben. Hier behauptet die Gemeinde G die Verletzung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Damit ist die Gemeinde G nach § 55 II VerfGHG beteiligtenfähig.

III. Prozessfähigkeit
Die Gemeinde ist durch die Vertretung durch den Bürgermeister B nach § 59 I KSVG prozessfähig.

IV. Beschwerdegegenstand, § 55 II VerfGHG
Zudem müsste ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegen. Dies ist gem. § 55 II VerfGHG jedes Landesgesetz. Hier erhebt G Beschwerde gegen § 2 KSVG. § 2 KSVG ist Landesgesetz und somit zulässiger Beschwerdegegenstand nach § 55 II VerfGHG.

V. Beschwerdebefugnis, § 55 II VerfGHG
G müsste auch beschwerdebefugt sein. Die Beschwerdebefugnis ist in § 55 II VerfGHG geregelt. Danach ist zur Beschwerde befugt, wer die mögliche Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts behauptet und selbst, unmittelbar sowie gegenwärtig betroffen ist.

1. Mögliche Verletzung der Art. 28 II GG; Art. 117 SVerf; § 1 KSVG
Die Gemeinde müsste zunächst die mögliche Verletzung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28 II GG; Art. 117 SVerf geltend machen. Hierbei genügt die Möglichkeit der Verletzung. Möglich ist, was von vornherein nicht ausgeschlossen ist. Im vorliegenden Fall könnte § 2 KSVG das Recht der Gemeinde aus Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf verletzen. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht umfasst alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Darunter werden alle Aufgaben verstanden, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder spezifischen Bezug zu ihr haben und von der örtlichen Gemeinschaft bewältigt werden können. Dies ist die historische Betrachtungsweise. Danach werden den Gemeinden historisch bestimmte Aufgaben zugeordnet. Dies betrifft zunächst die Gebietshoheit, die Organisationshoheit, die Personalhoheit und die Finanz- und Abgabenhoheit, die Planungshoheit, die Satzungshoheit die Daseinsvorsorge und schließlich die Kulturhoheit. Im vorliegenden Fall könnte zunächst die Organisationshoheit durch § 2 KSVG betroffen sein. Werden Gemeinden verpflichtet, eine Stelle für eine Gleichstellungsbeauftragte einzurichten, die die Gemeinden nicht wollen, dann könnte dadurch die Organisationshoheit der G betroffen sein. Dadurch, dass in § 2 KSVG vorgesehen ist, dass die Stelle hauptamtlich besetzt werden soll, d.h. zu vergüten ist, könnte ferner die Finanzhoheit der G betroffen sein. Weiterhin gibt § 2 KSVG vor, dass die Stelle nur von Frauen zu besetzen ist und damit scheiden Männer automatisch aus. Dies könnte eine Verletzung der Personalhoheit darstellen. Damit liegt eine mögliche Verletzung von Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf vor.

2. Selbst, unmittelbar, gegenwärtig
Ferner müsste G selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen sein. „Selbst“ meint, dass die Gemeinde G in ihren eigenen Rechten betroffen sein muss und keine fremden Rechte geltend machen darf. § 2 KSVG adressiert Gemeinden wie die G und das Recht aus Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf ist ein eigenes Recht der G. Damit ist G selbst betroffen. „Unmittelbar“ meint, dass es keines weiteren Vollzugsaktes bedarf, Gesetze wie § 2 KSVG müssen „Self-executing“ sein. § 2 KSVG begründet die Pflicht, eine Stelle für eine Gleichstellungsbeauftragte einzurichten. Hierfür bedarf es keines weiteren Umsetzungsaktes mehr. Damit betrifft § 2 KSVG die Gemeinde auch unmittelbar. Schließlich ist G gegenwärtig betroffen, das Gesetz wurde vor Kurzem verkündet und sieht keine weiteren zeitlichen Einschränkungen vor, ist damit bindend.

Damit ist G beschwerdebefugt, § 55 II VerfGHG.

VI. Form, Frist, §§ 16, 57, 56 II VerfGHG
Schließlich müssten die Form und Frist nach §§ 16, 57, 56 II VerfGHG gewahrt worden sein. Danach sind Anträge schriftlich, begründet und innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes einzureichen. Es ist davon auszugehen, dass G den Antrag form- und fristgerecht eingereicht hat.

VII. Ergebnis
Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist zulässig.

B. Begründetheit
Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist begründet, soweit die Gemeinde in ihrem kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf verletzt ist. Eine Verletzung liegt dann vor, wenn in den Schutzbereich eingegriffen wird und der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.

I. Schutzbereich
Der Schutzbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf müsste eröffnet sein.

1. Persönlich
Der Schutzbereich müsste in persönlicher Hinsicht eröffnet sein. In persönlicher Hinsicht gilt das kommunale Selbstverwaltungsrecht für Gemeinden (auch Städte) und Gemeindeverbände (Kreise). Hier wendet sich die Gemeinde G gegen § 2 KSVG. G wird vom Schutzbereich der Art. 28 II GG; Art. 117 SVerf erfasst. Damit ist der Schutzbereich in persönlicher Hinsicht eröffnet.

2. Sachlich
Ferner müsste der Schutzbereich in sachlicher Hinsicht betroffen sein. In sachlicher Hinsicht umfasst das kommunale Selbstverwaltungsrecht alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, Art. 28 II GG. Darunter werden alle Aufgaben verstanden, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder spezifischen Bezug zu ihr haben und von der örtlichen Gemeinschaft bewältigt werden können. Danach werden den Gemeinden historisch bestimmte Aufgaben zugeordnet. Dies betrifft die Gebietshoheit, die Organisationshoheit, die Personalhoheit, die Finanz- und Abgabenhoheit sowie die Planungshoheit, die Satzungshoheit, die Daseinsvorsorge und schließlich die Kulturhoheit. § 2 KSVG sieht vor, dass die Gemeinde eine Gleichstellungsbeauftragte hauptamtlich einsetzen und dass die Stelle mit einer Frau besetzt werden muss. Dadurch, dass die Stelle noch geschaffen werden muss, ist die Organisationshoheit der Gemeinde betroffen. Da die Stelle als eine hauptamtliche Stelle ausgeschrieben ist und damit vergütet werden muss, kann die Gemeinde nicht mehr entscheiden, ob und wie viel sie zahlt. Damit ist ferner die Finanzhoheit betroffen. Schließlich ist auch die Personalhoheit betroffen, da § 2 KSVG der Gemeinde vorschreibt, dass nur Frauen für diese Stelle eingesetzt werden können und Männer damit ausgeschlossen sind. Damit kann die Gemeinde nicht frei entscheiden, wem sie die Stelle vergeben möchte. Somit ist die Gemeinde in drei ihrer Aufgaben betroffen und damit Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf auch in sachlicher Hinsicht eröffnet.

Der Schutzbereich der Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf ist eröffnet.

II. Eingriff
In den Schutzbereich müsste eingegriffen worden sein. Eingriff meint jede Verkürzung des Schutzbereichs. Hier schreibt § 2 KSVG Art und Weise der Schaffung einer Stelle für eine Gleichstellungsbeauftragte vor und verkürzt damit die Betätigungsmöglichkeiten der Gemeinde G. Somit liegt ein Eingriff vor.

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Der Eingriff könnte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Eingriff Ausdruck der Schranke ist.

1. Bestimmung der Schranke
Die Schranke der Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf ist zu bestimmen. Art. 28 II 1 GG sieht seinem Wortlaut nach einen einfachen Gesetzesvorbehalt vor.

2. Formelle Verfassungsmäßigkeit
§ 2 KSVGmüsste formell verfahrensgemäß sein. Zuständigkeit, Verfahren und Form müssten gewahrt worden sein. Es ist davon auszugehen, dass das Verfahren und die Form gewahrt wurden. Die Zuständigkeit des Landes für den Erlass des § 2 KSVG folgt aus Art. 70 I GG. Damit ist § 2 KSVG formell verfassungsgemäß.

3. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Weiterhin müsste § 2 KSVG auch materiell verfassungsgemäß sein. Spezielle Anforderungen an § 2 KSVG bestehen aufgrund des einfachen Gesetzesvorbehalts nicht. Demnach ist insbesondere die Verhältnismäßigkeit des § 2 KSVG zu prüfen. § 2 KSVG müsste einem legitimen Ziel dienen, geeignet, erforderlich und angemessen sein.

a) Legitimes Ziel
§ 2 KSVG müsste einem legitimen Ziel dienen. Zweck der Regelung hier ist die Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau, Art. 3 II GG. Damit liegt ein zulässiger Zweck vor.

b) Geeignetheit
§ 2 KSVG müsste zudem geeignet sein. Eine Maßnahme ist geeignet, wenn sie zur Zweckerreichung förderlich ist. § 2 KSVG müsste die Durchsetzung der Gleichstellung von Mann und Frau aus Art. 3 II GG fördern. § 2 KSVG regelt, dass eine weibliche Gleichstellungsbeauftragte einzusetzen und hauptamtlich zu beschäftigen ist. Damit liegt der Fokus auf der Gleichstellung und es wird dadurch gewährleistet, dass in Entscheidungsprozessen die Belange einer Gleichstellung mitbedacht und umgesetzt werden. Damit fördert § 2 KSVG die Erreichung des Ziels und ist geeignet.

c) Erforderlichkeit
Zudem müsste § 2 KSVG erforderlich sein. Erforderlichkeit meint, dass es kein milderes Mittel gleicher Eignung geben darf. Alternativ könnte eine Ausgestaltung des § 2 KSVG in Form einer ehrenamtlichen Tätigkeit ein milderes Mittel darstellen. Die Gemeinden würden dann finanziell nicht so sehr belastet werden. Jedoch meint Ehrenamtlichkeit zugleich, dass die eingesetzte Beauftragte anderweitig Geld verdienen muss und deshalb nicht so Zeit und Konzentration hat wie eine Beauftragte, die für ihre Tätigkeit bezahlt wird. Deshalb ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Schaffung einer ehrenamtlichen Stelle nicht die gleiche Wirkung hat wie die einer hauptamtlichen Stelle, wenngleich sie ein milderes Mittel darstellen würde. Anderer Ansatzpunkt für ein milderes Mittel könnte sein, auch die Stelle auch mit Männern besetzen lassen zu dürfen, um mehr Betätigungsfreiheiten im Rahmen der Personalhoheit der Gemeinde G zu haben. Auch Männer können sich in Frauen hineinversetzen und damit die Belange einer Frau schützen. Allerdings geht es oft um die spezifischen Belange einer Frau und bei der zu schaffenden Stelle in § 2 KSVG soll darauf hingewirkt werden, dass Frauen im Verhältnis zu Männer gleichgesetzt werden und eine bessere Behandlung erfahren. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es Männer gibt, die sich nicht genauso gut in die Belange einer Frau wie eine Frau selbst hineinversetzen können. Zumindest ist dem Gesetzgeber auch eine Einschätzungsprärogative insofern zuzubilligen, als dass Frauen insgesamt die Belange von anderen Frauen besser einschätzen und sich dafür besser einsetzen können. Damit ist eine alternative Ausgestaltung des § 2 KSVG mit der Möglichkeit, den Beauftragten auch mit einem männlichen Kandidaten auszufüllen, nicht genauso effektiv. Somit ist § 2 KSVG erforderlich.

d) Angemessenheit
Schließlich müsste § 2 KSVG auch angemessen sein. Dies meint, dass die konfligierenden Interessen unter Berücksichtigung des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen sind. Auf der einen Seite steht das Ziel, Frauen und Männer gem. Art. 3 II GG gleichzustellen. Auf der anderen Seite wird durch § 2 KSVG das kommunale Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 II GG, Art. 117 SVerf in verschiedenen Ausprägungen in nicht unerheblichem Umfang beschränkt. Allerdings muss aus Gründen der Effektivität der Gleichstellung von Belangen von Frauen und Männern eine hauptamtliche Stelle geschaffen werden. Außerdem sieht § 2 KSVG vor, dass erst in Gemeinden mit mindestens 15.000 Einwohnern eine hauptamtliche Stelle für die Gleichstellungsbeauftragte geschaffen werden soll. Dies bedeutet für den Aspekt der finanziellen Belastung, dass gerade kleine Gemeinden, die keinen so großen Gemeindehaushalt haben, von der Regelung des § 2 KSVG verschont bleiben und damit keine unzumutbaren Kosten verlangt werden. Bei Gemeinden mit 15.000 Einwohnern kann davon ausgegangen werden, dass diese einen derartigen Haushalt haben, dass sie sich die Schaffung einer hauptamtlichen Stelle für eine Gleichstellungsbeauftragte leisten können. In § 2 KSVG ist bereits eine Abstufung erfolgt, die plausibel erscheint. Damit ist § 2 KSVG auch angemessen.

§ 2 KSVG ist verhältnismäßig und damit materiell verfassungsgemäß. Damit liegt eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in den Schutzbereich der Art. 28 II GG; 117 SVerf vor.

Folglich ist die Kommunalverfassungsbeschwerde mangels Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts unbegründet.

C. Ergebnis
Die Kommunalverfassungsbeschwerde der G ist zulässig, aber unbegründet. Damit hat sie keine Aussicht auf Erfolg.