Fall: Der falsus procurator

S betreibt ein nur freitags und samstags geöffnetes, auf den An- und Verkauf italienischer Oldtimer spezialisiertes Geschäft, das einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb nicht erfordert. S ist auch nicht nach § 2 HGB im Handelsregister eingetragen. Da S Wochenendarbeit für sich selbst ablehnt, hat er mit dem V einen Angestellten, der stets samstags tätig ist. Der S hat dem V erlaubt, Ankäufe bis zu einem Preis von 10.000 EUR nach eigenem Ermessen eigenständig vorzunehmen. Bei höheren Beträgen muss V sich vorher die Erlaubnis des S einholen. Daran hat sich V bislang während seiner mittlerweile 12-jährigen Tätigkeit für S stets gehalten.

Als V eines Samstags im Ladengeschäft des S die Post öffnet, fällt ihm ein Schreiben in die Hände, mit dem der G dem S aus dem von ihm angetretenen Erbe seines verstorbenen Vaters einen Citröen DS D Super 5, Baujahr 1975, Blau Metallic mit brauner Volllederausstattung und einer Laufleistung von lediglich 30.000 km als „gut erhaltener Garagenfund“ zum Preis von 12.000 EUR anbietet. V weiß, dass für eine solche „Göttin“ gerne auch über 20.000 EUR gezahlt werden und erhofft sich deshalb eine gute Händlermarge. Deshalb setzt er sofort ein Schreiben an G auf und erklärt in diesem im Namen des S die Annahme des Angebots. Dieses Annahmeschreiben versendet V noch am gleichen Tag. Es geht dem G am Dienstag der Folgewoche zu. Dem S legt er das Angebotsschreiben des G und eine Kopie des Annahmeschreibens auf den Schreibtisch.

Als S am kommenden Freitag sein Geschäft betritt und die beiden Schreiben vorfindet, ist er vollkommen fassungslos. Er fürchtet um seinen in der „Italo-Szene“ bekannten guten Ruf und lehnt es kategorisch ab, seine nur begrenzte Stellfläche mit einem französischen Gefährt zu besetzen. Zum Glück findet er auf dem Angebotsschreiben des G dessen Telefonnummer, die S sofort anwählt. S ruft bei G an und erklärt ihm, dass er das durch V abgeschlossene Geschäft nicht gegen sich gelten lassen könne. V sei zu Ankäufen oberhalb eines Preislimits von 10.000 EUR nicht befugt und daran habe sich der V bislang auch stets gehalten. G erwidert, derartige Interna gingen ihn nichts an. Er habe auf die Gültigkeit des Vertragsschlusses vertraut.

Am darauffolgenden Montag geht S und V jeweils ein Schreiben des G zu. In diesem besteht der G auf der Zahlung des vereinbarten Kaufpreises von 12.000 EUR. S und V schreiben zurück, dass sie nicht zur Zahlung verpflichtet seien, zumal G das Auto auch nicht geliefert habe. S ergänzt, dass er dem G seine Sicht der Dinge ja bereits telefonisch dargelegt und sich hieran auch nichts geändert habe. V ergänzt, dass er, sofern er hierzu verpflichtet sein sollte, den Preis zahlen werde, allerdings nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Autos.

Frage 1: Kann G von S Zahlung von 12.000 EUR verlangen?

Frage 2: Kann G von V Zahlung von 12.000 EUR verlangen?

Gliederung:

  1. Frage 1: Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB
    1. Angebot des G
    2. Annahme des S
      • a) Eigene Willenserklärung
      • b) Handeln in fremdem Namen (Offenkundigkeitsprinzip)
      • c) Vertretungsmacht
        • aa) Überschreiten der Innenvollmacht
        • bb) Rechtscheinsvollmacht
          • (1) Duldungsvollmacht
          • (2) Anscheinsvollmacht
    3. Genehmigung durch S
    4. Ergebnis zu Frage 1
  2. Frage 2: Anspruch des G gegen V aus § 179 I BGB
    1. Tatbestandsvoraussetzungen
    2. Erfüllungswahl
    3. Kein Anspruchsausschluss gemäß § 179 II, III BGB
    4. Einrede des nichterfüllten Vertrages, § 320 BGB
      • a) Gegenseitiger Vertrag
      • b) Nichterfüllung einer vollwirksamen und fälligen Hauptleistungspflicht
      • c) Keine Vorleistungspflicht des V
      • d) Eigene Vertragstreue des V
    5. Ergebnis zu Frage 2

Gutachten

I. Frage 1: Anspruch des G gegen S aus § 433 II BGB

G könnte gegen S einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB haben. Dazu müsste zwischen G und S durch Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB) ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen sein.

1. Angebot des G

Das Angebot könnte G durch sein an S adressiertes Schreiben unterbreitet haben. Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der dem Empfänger ein Vertragsschluss so angetragen wird, dass dieser lediglich „Ja“ zu sagen braucht, um den Vertrag zustande zu bringen. Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Angebots sind die inhaltliche Bestimmtheit und der Rechtsbindungswille. Die inhaltliche Bestimmtheit setzt grundsätzlich voraus, dass zumindest die wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) enthalten sind. Hierzu zählen der Vertragsgegenstand, die Vertragsparteien und bei entgeltlichen Verträgen die Gegenleistung. Das Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages muss also den Kaufgegenstand, den Käufer und den Verkäufer sowie den Kaufpreis umfassen. Der Rechtsbindungswille ist der Wille einer Person, sich rechtsgeschäftlich zu binden, also eine Verpflichtung einzugehen. Ob dieser Rechtsbindungswille bei Abgabe der Willenserklärung vorhanden war und dementsprechend ein Angebot vorliegt, ist durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) zu bestimmen.

Der G hat dem S in seinem Schreiben ein genau beschriebenes Fahrzeug zu einem mit 12.000 EUR festgelegten Preis zum Kauf angeboten. Dies stellt ein rechtsverbindliches Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages (§ 433 BGB) dar. Dieses Angebot ist dem S – am Freitag der Folgewoche selbst – zugegangen und damit gemäß § 130 I 1 BGB wirksam geworden.

2. Annahme des S

Das Angebot des G müsste durch S angenommen worden sein. S selbst war am Vertragsschluss nicht beteiligt. Ihm könnte jedoch die dem G zugegangene (vgl. § 130 I 1 BGB) schriftliche Annahmeerklärung des V gemäß § 164 I 1 BGB zuzurechnen sein. Nach § 164 I 1 BGB wirkt eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, unmittelbar für und gegen den Vertretenen. Eine wirksame Stellvertretung setzt neben der – hier unproblematischen – Anwendbarkeit der Stellvertretungsregeln1 und der – hier ebenfalls unproblematischen – Zulässigkeit der Stellvertretung2 voraus, dass (i) der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung abgibt, er dabei (ii) in fremdem Namen auftritt und (iii) mit Vertretungsmacht handelt.

a) Eigene Willenserklärung

V müsste eine eigene Willenserklärung abgegeben haben. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zum Boten.3 Während der Bote eine bereits „fertige“ Willenserklärung des Geschäftsherrn übermittelt, vollzieht sich die für die konkrete Erklärung maßgebliche Willensbildung erst beim Stellvertreter. Der Stellvertreter ist der Erklärende. Die Abgrenzung bestimmt sich nach dem Auftreten der Hilfsperson aus der Sicht eines objektiven Empfängers (Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont, §§ 133, 157 BGB). Ein wichtiges Indiz ist dabei das Maß an Entscheidungsspielraum, welches der Hilfsperson eingeräumt ist. Trifft die Hilfsperson aus der Sicht eines objektiven Empfängers eine eigenständige Entscheidung hinsichtlich (zumindest) eines für das konkrete Rechtsgeschäft relevanten Punktes, so liegt in der Regel eine Stellvertretung vor. Beschränkt sich die Eigenständigkeit der Hilfsperson hingegen auf Nebensächlichkeiten, ist regelmäßig von einer Botenschaft auszugehen.

S hatte dem V für den Ankauf von Fahrzeugen ein freies Ermessen eingeräumt und ihm lediglich eine preisliche Obergrenze gesetzt. Welches konkrete Fahrzeug zu welchem konkreten Preis eingekauft wird, durfte der V mithin ohne weitere Vorgaben des S frei entscheiden. Deshalb ist die an G adressierte schriftliche Annahmeerklärung des V als dessen eigene Willenserklärung anzusehen.

Beachte: Selbst ein fehlender Entscheidungsspielraum muss nicht zwingend gegen eine Stellvertretung sprechen.4 Z.B. der Kassierer im Supermarkt hat keinen Entscheidungsspielraum bezüglich des Vertragsinhalts und der Vertragspartner. Gleichwohl ist er ein Vertreter, und zwar mit gebundener Marschroute, weil jeder einzelne Vertragsschluss von seiner vorgegebenen Willensbildung abhängig ist.

b) Handeln in fremdem Namen (Offenkundigkeitsprinzip)

V handelte ausdrücklich im Namen des S (§ 164 I 2 Alt. 1 BGB).

c) Vertretungsmacht

Fraglich ist jedoch, ob V „innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht“ (§ 164 I 1 BGB) gehandelt hat.

aa) Überschreiten der Innenvollmacht

S hat dem V erlaubt, in seinem Namen Fahrzeuge innerhalb eines vorgegebenen Budgets in seinem Namen (des S) anzukaufen. Damit hat er ihm eine entsprechende Innenvollmacht (§ 167 I Alt. 1 BGB) eingeräumt. Da diese Innenvollmacht der Höhe nach auf einen Betrag von 10.000 EUR– und zudem wohl auch zumindest konkludent auf den Ankauf italienischer Oldtimer – beschränkt war, hat V mit dem Ankauf eines französischen Fahrzeugs zu einem Preis von 12.000 EUR seine Vertretungsmacht jedoch überschritten und somit ohne Vertretungsmacht (§§ 177 ff. BGB) gehandelt.5 Ein Vertreter handelt nämlich nicht nur dann „ohne Vertretungsmacht“ i.S.v. § 177 I BGB, wenn er überhaupt keine Vertretungsmacht hatte, sondern auch dann, wenn der Vertreter seine Vertretungsmacht bewusst oder unbewusst überschreitet.6

Möglicherweise muss G die Beschränkungen der Vertretungsmacht jedoch gemäß § 54 III HGB nicht gegen sich gelten lassen. Voraussetzung hierfür wäre, dass der S dem V eine Handlungsvollmacht i.S.v. § 54 I HGB erteilt hat und G Beschränkungen dieser Handlungsvollmacht weder kannte noch kennen musste. Vollmachtgeber einer Handlungsvollmacht kann jedoch nur der Inhaber eines Handelsgewerbes sein, also Kaufleute i.S.d. §§ 1 – 6 HGB.7 Dazu gehören Istkaufleute (§ 1 I HGB), eingetragene Kannkauflleute (§§ 2, 3 II HGB), Handelsgesellschaften (§ 6 I HGB) sowie Formkaufleute (§ 6 II HGB) und Kaufleute kraft Eintragung (§ 5 HGB). Das Geschäft des S wäre grundsätzlich für ein Handelsgewerbe i.S.v. § 1 I HGB geeignet; die Kaufmannseigenschaft des S scheitert gleichwohl daran, dass sein Geschäftsbetrieb keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert. Da S auch nicht nach § 2 HGB ins Handelsregister eingetragen ist, ist § 54 HGB unanwendbar.

bb) Rechtsscheinsvollmacht

Gleichwohl könnte unter dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinshaftung von einer wirksamen Vertretungsmacht des V auszugehen sein. Es ist anerkannt, dass der sich Vertretenen am Rechtsschein einer Bevollmächtigung festhalten lassen muss, wenn er beim Vertragspartner ein schutzwürdiges Vertrauen in das Bestehen der Vertretungsmacht geweckt hat.8 In Anlehnung an die §§ 170 – 173 BGB und § 56 HGB hat die Rechtsprechung zwei Tatbestände der Rechtsscheinsvollmacht entwickelt: Die Duldungsvollmacht und die Anscheinsvollmacht. Diese können auch dann eingreifen, wenn eine tatsächliche Bevollmächtigung nichtig ist9 oder ihre Grenzen – wie hier – überschritten werden. Liegen die – sogleich erörterten – Voraussetzungen einer Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht vor, kann sich der Vertretene nicht auf die fehlende Vollmacht berufen.

(1) Duldungsvollmacht

Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene es willentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, und der Geschäftspartner dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin versteht und auch verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde zu den vorgenommenen Erklärungen bevollmächtigt ist.10 Vorliegend war V durch S tatsächlich bevollmächtigt, sodass es auf einen durch S ggf. gesetzten Rechtsschein nur ankommen könnte, soweit V seine für Ankäufe von Fahrzeugen betragsmäßig beschränkte Vertretungsmacht überschritten hat. Da V sich an diese Beschränkungen jedoch bislang stets gehalten hat, fehlt es bereits an dem Rechtsschein einer entsprechenden Bevollmächtigung. Der Rechtsschein einer Bevollmächtigung liegt im Sinne einer Duldungsvollmacht nämlich nur dann vor, wenn der Vertretene es – i.d.R. über einen längeren Zeitraum – wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn ohne eine Bevollmächtigung als Vertreter auftritt und der Vertragspartner dieses bewusste Dulden dahin nach Treu und Glauben verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist.11 Ferner wäre ein solcher Rechtsschein dem S als Vertretenem jedenfalls nicht zurechenbar. Dafür wäre es nämlich erforderlich, dass er das den Rechtsschein begründende Verhalten des V kennt und es nicht verhindert, obwohl ihm das möglich gewesen wäre. Ein solches Verhalten fällt dem S hier nicht zur Last.

Die Voraussetzungen der Duldungsvollmacht sind demnach nicht erfüllt.

(2) Anscheinsvollmacht

Das Handeln des V könnte dem S allerdings über eine Anscheinsvollmacht zurechenbar sein. Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters, anders als bei der Duldungsvollmacht, zwar nicht kennt, jedoch es bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der andere darauf vertraut hat und vertrauen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Vertreters.12 Es müsste also auch hier zunächst einmal grundlegend der Rechtsschein einer Bevollmächtigung vorliegen. Dies erfordert objektive Umstände, die den Schluss auf eine Bevollmächtigung zulassen. Dafür ist im Grundsatz erforderlich, dass das Verhalten des Geschäftsherrn, aus dem der Geschäftsgegner auf die Bevollmächtigung des Dritten schließt, von einer gewissen Dauer und Häufigkeit ist.13 Schon daran fehlt es hier, weil V seine Vertretungsmacht erstmals überschritten hat. Auch sonst ist dem S kein Verhalten vorzuwerfen, welches als ursächlich für einen etwaig erzeugten Rechtsschein anzusehen sein könnte. Auch wenn der Vertretene bei der Anscheinsvollmacht – im Gegensatz zur Duldungsvollmacht – bereits dann für den Rechtsschein haftet, wenn er die Entstehung des Rechtsscheins bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt (§ 276 II BGB) hätte erkennen und verhindern können,[^14] fehlt hier jeder Grund für die Annahme sorgfaltspflichtwidrigen Verhaltens des S.

Die Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht sind demnach ebenfalls nicht erfüllt.

3. Genehmigung durch S

Damit hängt die Wirksamkeit des Vertrages für und gegen S gemäß § 177 I BGB von dessen Genehmigung ab. Rechtsfolge der fehlenden Vertretungsmacht ist die schwebende Unwirksamkeit des durch den Vertreter geschlossenen Vertrages. Genehmigt der Vertretenen den Vertrag durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, auf die die §§ 182 ff. BGB anzuwenden sind,14 wird der Vertrag mit der Genehmigung voll wirksam, verweigert er die Genehmigung, ist der Vertrag hingegen endgültig unwirksam.15

S hat den G angerufen und diesem erklärt, dass er das durch V abgeschlossene Geschäft nicht gegen sich gelten lassen könne. Dies ist als eine gemäß §§ 182 I, 184 I BGB gegenüber G erklärte Genehmigungsverweigerung auszulegen. Der Kaufvertrag ist damit endgültig unwirksam geworden.

4. Ergebnis zu Frage 1

G hat keinen Anspruch gegen S auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB.

II. Frage 2: Anspruch des G gegen V aus § 179 I BGB

G könnte gegen V einen Anspruch auf Erfüllung des Vertrags und damit auf Zahlung von 12.000 EUR aus § 179 I BGB haben. Danach haftet derjenige, der einen Vertrag als Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossen hat, dem anderen Teil nach dessen Wahl auf Erfüllung oder Schadensersatz, wenn der Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert.16 Es handelt sich dabei um eine Garantiehaftung für enttäuschtes Vertrauen.17

1. Tatbestandsvoraussetzungen

Die Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt. V hat als Vertreter ohne Vertretungsmacht im Namen des S einen Kaufvertrag mit G abgeschlossen und S hat die nach § 177 I BGB mögliche Genehmigung durch Erklärung gegenüber G gemäß §§ 182 I, 184 I BGB verweigert.

2. Erfüllungswahl

G verlangt von V die Zahlung des Kaufpreises und damit die Erfüllung des Vertrags. Es liegt mithin eine Erfüllungswahl vor.

Beachte: Nach h. M. führt das Recht des anderen Teil zur Wahl zwischen Erfüllung und Schadensersatz gemäß § 179 I BGB zu einer gesetzlichen Wahlschuld, auf welche die §§ 262 ff. BGB anzuwenden sind.18 Eine starke Gegenauffassung nimmt hingegen eine elektive Konkurrenz an.19 Der Unterschied besteht im Wesentlichen darin, dass die Wahl bei der elektiven Konkurrenz nicht bindet und bei ihr konkurrierende Rechte nebeneinander bestehen, während der Geschäftsgegner bei der Wahlschuld an seine einmal getroffene Wahl gebunden ist (vgl. § 263 II BGB).20

3. Kein Anspruchsausschluss gemäß § 179 II, III BGB

Ein Anspruch auf Erfüllung wäre gemäß § 179 II BGB ausgeschlossen, wenn V das Fehlen seiner Vertretungsmacht nicht bekannt gewesen wäre. War dem Vertreter bei Abschluss des Vertrags der Mangel der Vertretungsmacht nicht bekannt, ist er dem Geschäftsgegner nur zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet.21 V wusste aber um den Umfang seiner Vertretungsbefugnis, sodass die Voraussetzungen des § 179 II BGB nicht vorliegen.

Nach § 179 III 1 BGB haftet der Vertreter nicht, wenn der Geschäftsgegner das Fehlen der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste, also infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (vgl. § 122 II BGB). Auch leichte Fahrlässigkeit genügt.22 Allerdings darf der Geschäftsgegner in der Regel der ausdrücklichen oder schlüssigen Behauptung der Vertretungsmacht glauben und braucht keine Nachforschungen anzustellen.23 Der G hatte keinen Anlass, an der Vertretungsmacht des V zu zweifeln. Interne Beschränkungen zwischen S und V kannte G nicht um musste G auch nicht kennen. Daher ist der Anspruch des G gegen V auf Erfüllung aus § 179 I BGB auch nicht gemäß § 179 III 1 BGB ausgeschlossen.

4. Einrede des nichterfüllten Vertrages, § 320 BGB

Es stellt sich aber die Frage, ob der V dem G die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gemäß § 320 BGB entgegenhalten kann. Nach § 320 I 1 BGB kann derjenige, der aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorleistungsverpflichtet ist.24

a) Gegenseitiger Vertrag

§ 320 I 1 BGB setzt einen gegenseitigen Vertrag voraus, der wirksam geschlossen und zumindest als Abwicklungsverhältnis – z.B. aufgrund eines Rücktritts (§ 348 BGB) – noch bestehen muss.25 Vorliegend ist ein wirksamer Kaufvertrag des G aber weder mit S (s.o.) noch mit dem V zustande gekommen. Auch wenn der Geschäftsgegner – wie hier der G – Vertragserfüllung wählt, wird der Vertreter nicht selbst Vertragspartei.26 Aus § 179 I BGB folgt nur ein gesetzlicher, nicht aber ein vertraglicher Erfüllungsanspruch.27 Es entsteht kraft Gesetzes zwischen dem Vertreter und dem Vertragsgegner ein Schuldverhältnis, das den gleichen Inhalt hat wie der für den Vertretenen geschlossene Vertrag.28

Nach der Wahl der Erfüllung kann der Vertreter seinerseits die Erfüllung durch den Vertragspartner verlangen, allerdings erst, wenn er die dann von ihm geschuldete Leistung erbracht hat.29 Er hat aber (auch vor eigener Erfüllung) die Gegenrechte, die sonst dem Vertretenen zustünden, insbesondere die Rechte aus den §§ 320 ff. BGB. Dies folgt letztlich aus dem Sinn und Zweck der Haftung nach § 179 BGB:30 Die Haftung des vollmachtlosen Vertreters ist deshalb angeordnet, weil dieser beim Vertragspartner das Vertrauen darauf geweckt hat, mit dem Vertretenen einen Vertrag schließen zu können. Die Haftung nach § 179 I BGB soll dieses Vertrauen schützen und die Nachteile der fehlenden Vertretungsmacht ausgleichen, den Vertragspartner aber nicht darüber hinaus begünstigen. Gerade dies wäre aber der Fall, wenn der Vertreter nicht die Einwendungen und Einreden geltend machen bzw. erheben könnte, die der Vertretene im Falle eines wirksamen Vertragsschlusses auch gehabt hätte. Aus diesem Grund kann V dem G insbesondere die Einrede des nicht erfüllten Vertrags nach § 320 I 1 BGB entgegenhalten, sofern deren sonstige Voraussetzungen vorliegen, obwohl gar kein (gegenseitiger) Vertrag zwischen G und V besteht. Denn wäre ein wirksamer Kaufvertrag zwischen G und S zustande gekommen, würde es sich um einen gegenseitigen Vertrag handeln, bei dem die Kaufpreiszahlungs- und die Lieferpflicht als Hauptpflichten im Gegenseitigkeitsverhältnis stünden.

b) Nichterfüllung einer vollwirksamen und fälligen Hauptleistungspflicht

Die Einrede des § 320 I 1 BGB erfasst nur Leistungspflichten, die aufgrund ihrer synallagmatischen Abhängigkeit im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen.31 In einem Gegenseitigkeitsverhältnis befinden sich alle Hauptleistungspflichten. Nebenleistungspflichten und Schutzpflichten (§ 241 II BGB) stehen dagegen in der Regel nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis, sodass § 320 BGB auf sie nicht anwendbar ist. Maßgeblich für die Abgrenzung ist der Wille der Parteien, der durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln ist. Die Gegenforderung des Gläubigers muss zudem vollwirksam und fällig sein.32

Der vollmachtlose Vertreter erlangt im Falle der Erfüllungswahl nach § 179 I BGB keinen isoliert durchsetzbaren Erfüllungsanspruch. Er erwirbt vielmehr durch die Inanspruchnahme auf Erfüllung ein Recht auf die Gegenleistung, welches er nicht isoliert, sondern erst nach eigener Erfüllung oder über die Einrede des § 320 I 1 BGB durchzusetzen vermag. Um den Vertragspartner nicht besser zu stellen, als er im Falle wirksamer Vertretung stünde, muss es vermieden werden, dass er die Leistung ohne seine Gegenleistung erhält.33 Daher ist bei der Anwendung des § 320 I 1 BGB auf die Situation abzustellen, die bestünde, wenn der Vertrag mit dem Vertretenen zustande gekommen wäre. Wäre der Kaufvertrag zwischen G und S zustande gekommen, hätte S dem G über § 320 I 1 BGB seinen Erfüllungsanspruch aus § 433 I 1 BGB entgegenhalten können, der vollwirksam und mangels anderer Abreden gemäß § 271I BGB auch fällig gewesen wäre. Um eine Besserstellung des G durch die fehlende Vertretungsmacht des V zu vermeiden, muss Entsprechendes auch für den V im Zuge seiner Inanspruchnahme auf Erfüllung gemäß § 179 I BGB gelten.

c) Keine Vorleistungspflicht des V

Die Geltendmachung der Einrede aus § 320 I 1 BGB ist ausgeschlossen, wenn derjenige, der sich auf sie beruft, vorzuleisten verpflichtet ist. Eine Vorleistungspflicht des S war jedoch nicht vereinbart. Das Kaufrecht sieht eine solche Vorleistungspflicht des Käufers ebenfalls nicht vor. Deshalb ist auch der V nicht zur Vorleistung verpflichtet.

d) Eigene Vertragstreue des V

Ungeschriebene Voraussetzung ist schließlich die eigene Vertragstreue des Schuldners.34 Schon aufgrund der Zweckbestimmung des § 320 BGB, dem Schuldner zur Verwirklichung des eigenen Anspruchs zu verhelfen, ist vom Schuldner zu verlangen, dass er selbst am Vertrag festhalten will, wenn er das Leistungsverweigerungsrecht geltend macht. Lehnt er hingegen die Erbringung der eigenen Leistung ab, muss er sich auf andere Rechtsbehelfe als auf die lediglich dilatorische Einrede des § 320 BGB stützen. Auch wenn der Schuldner sich im Schuldnerverzug (§ 286 BGB) befindet, fehlt die von seiner Seite erforderliche Vertragstreue.

V wurde durch G bislang nicht in Verzug gesetzt. Er hat dem G gegenüber zudem signalisiert, den Kaufpreis seinerseits zu zahlen, sofern ihm im Gegenzug durch G das Auto übergeben und übereignet wird. Deshalb ist V seinerseits als vertragstreu anzusehen.

Damit sind die Voraussetzungen des § 320 I 1 BGB allesamt erfüllt. V ist dementsprechend berechtigt, die Kaufpreiszahlung bis zur Übergabe und Übereignung des Autos zu verweigern.

5. Ergebnis zu Frage 2

G kann von H gemäß § 179 I BGB die Zahlung von 12.000 EUR verlangen, jedoch nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Autos (§§ 320 I 1, 322 I BGB).


  1. Die Stellvertretungsregeln der §§ 164 ff. BGB gelten direkt (nur) für Willenserklärungen (vgl. § 164 I 1 BGB). Um eine solche Willenserklärung geht es hier, weshalb die Anwendbarkeit der Stellvertretungsregeln unproblematisch ist. Anders und damit in der Falllösung zu thematisieren wäre dies, wenn es um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (z .B. Mahnung, Fristsetzung) ginge, weil auf die §§ 164 ff. BGB auf diese (lediglich) analog anzuwenden sind. Keine Anwendung finden die §§ 164 ff. BGB bei Realakten.
  2. Die Stellvertretung kann ausnahmsweise ausgeschlossen sein. Man spricht dann von höchstpersönlichen Rechtsgeschäften (hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 10 Rn. 17 – 19). Vertretungsverbote können ausdrücklich normiert sein (z. B. § 1311 S. 1 BGB), aus der Natur des Rechtsgeschäfts folgen (z. B. Verlöbnis, §§ 1297 ff. BGB) oder rechtsgeschäftlich vereinbart werden („gewillkürte Höchstpersönlichkeit“).
  3. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, Fall Nr. 56, S. 347 f.
  4. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 10 Rn. 21.
  5. Vgl. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 39 Rn. 7.
  6. Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 177 Rn. 1.
  7. Hier und zum Folgenden: Oetker/Schubert, HGB; 5. Aufl. 2017, § 54 Rn. 4.
  8. Vgl. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 39 Rn. 8.
  9. BGH, Urt. v. 25.03.2003 – XI ZR 227/02 NJW 2003, 2091, 2092; BGH, Urt. v. 20.04.2004 – XI ZR 164/03, NJW 2004, 2745, 2746.
  10. BGH, Urt. v. 22.07.2014 – VIII ZR 313/13, Rn. 26; BGH, Urt. v. 11.05.2011 – VIII ZR 289/09, Rn. 15.
  11. BGH, Urt. v. 22.07.2014 – VIII ZR 313/13, Rn. 26; BGH, Urt. v. 11.05.2011 – VIII ZR 289/09, Rn. 15.
  12. BGH, Urt. v. 26.01.2016 – XI ZR 91/14, Rn. 61; BGH, Urt. v. 16.03.2006 – III ZR 152/05, Rn. 17.
  13. BGH, Urt. v. 26.01.2016 – XI ZR 91/14, Rn. 61; BGH, Urt. v. 11.05.2011 – VIII ZR 289/09, Rn. 16.
  14. Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 177 Rn. 6.
  15. Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 177 Rn. 5.
  16. Der Anspruch gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht entsteht erst mit der Verweigerung der Genehmigung. Solange der Schwebezustand andauert, soll der Dritte zunächst abwarten, ob der Vertrag nicht doch mit dem Vertretenen als dem ursprünglich ins Auge gefassten Vertragspartner zustande kommt (Hk-BGB/Dörner, BGB, 10. Aufl. 2019, § 179 Rn. 4).
  17. Hk-BGB/Dörner, BGB, 10. Aufl. 2019, § 179 Rn. 1.
  18. RGZ 154, 58, 60; Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 1630; MünchKomm-BGB/Schubert, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 37.
  19. Hilger NJW 1986, 2237ff.; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 179 Rn. 5; Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 179 Rn. 8.
  20. _ MünchKomm-BGB/Schubert, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 38.
  21. Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 179 Rn. 14.
  22. Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 179 Rn. 18.
  23. BGH, Urt. v. 10.05.2001 – III ZR 111/99, BGHZ 147, 381, 385; BGH, Urt. v. 20.10.1988 – VII ZR 219/87, BGHZ 105, 283, 285 f.; Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 179 Rn. 18.
  24. Im Prozess für die Erhebung der Einrede nach § 320 BGB zur Verurteilung Zug um Zug (vgl. § 322 I BGB).
  25. Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 2.
  26. Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 179 Rn. 9.
  27. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 39 Rn. 21.
  28. Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 179 Rn. 9.
  29. Hier und zum Folgenden: Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 179 Rn. 10.
  30. Zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 39 Rn. 22.
  31. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 3.
  32. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 4.
  33. Zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 39 Rn. 24.
  34. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 6.
  35. BGH, Urt. v. 26.01.2016 – XI ZR 91/14, Rn. 61.