Fall: Der Doppelverkauf

Fall: Der Doppelverkauf

Sachverhalt:

Der V verkauft dem K seinen handgefertigten Kapuzenmantel, bei dem es sich um ein Einzelstück handelt, zu einem angemessenen Preis von 40 €. Den Mantel, den K selbst in seiner Freizeit tragen möchte, soll er erst später gegen Barzahlung bei V abholen, da V diesen noch aus der Reinigung abholen muss.

In der Reinigung wird V überraschend durch den D angesprochen. D berichtet, dass er noch am gleichen Abend im Theaterstück „Robin Hood“ den Bruder Tuck spielt und einer seiner Kollegen ihm bei der Generalprobe soeben mit Fliederbeersaft sein Kostüm ruiniert hat. Als er den Mantel des V erblickt, fleht D den K an, ihm diesen Mantel zu verkaufen. Mit einigen Handgriffen ließe sich der Mantel perfekt zur Kutte des Bruder Tuck umfunktionieren. V sagt dem D, dass der Mantel bereits dem D „versprochen“ sei. Daraufhin zückt D seinen Geldbeutel und bietet dem V für den Mantel 200 € an. Diese Chance lässt sich V nicht entgehen; er schlägt ein, nimmt das Geld entgegen und überreicht dem D den Mantel, der freudestrahlend von dannen zieht.

Als K bei V erscheint, um den Mantel abzuholen, berichtet V dem K von dem Geschehen in der Reinigung. Zu seiner Verwunderung hat K jedoch nicht das geringste Verständnis. K sagt, dass er genau einen solchen Mantel schon seit Längerem gesucht hatte und ihn unbedingt haben möchte. V solle alles dafür tun, ihn von D wieder zu besorgen. Deshalb wendet sich V am nächsten Tag an D und bittet diesen, ihm den Mantel zurück zu verkaufen. Dazu ist D, dessen Theateraufführung ein großer Erfolg war und der nunmehr eine professionelle Schauspielkarriere plant, jedoch nur gegen Zahlung von 4.000 € bereit; der Mantel habe schließlich schon jetzt Erinnerungswert für ihn. V erklärt dem K, dass er so viel Geld nicht habe und es auch als vollkommen unangemessen empfindet, einen derart erhöhten Preis an den D zu zahlen; dies könne K nicht ernsthaft von ihm verlangen.

K fragt, ob V ihm den Mantel noch verschaffen muss. Falls dies nicht der Fall ist, möchte er von V den durch D an ihn gezahlten Kaufpreis von 200 € ausbezahlt kommen.

Was kann K von V verlangen?

Gliederung:

I. Anspruch des K gegen V aus § 433 I 1 BGB

1. Anspruch entstanden

2. Anspruch gemäß § 275 I BGB erloschen

3. Leistungsverweigerungsrecht des V gemäß § 275 II BGB

a) Aufwand des V

b) Leistungsinteresse des K

c) Grobes Missverhältnis

d) Erhebung der Einrede

4. Ergebnis zu I.

II. Anspruch des K gegen V auf Erlösherausgabe

1. Anspruch aus § 285 I BGB

a) Schuldverhältnis

b) Anspruch auf Leistung eines Gegenstandes

c) Befreiung von der Leistungspflicht gemäß § 275 I – III BGB

d) Erlangung eines Ersatzes oder Ersatzanspruchs „infolge des Umstands“

e) Wirtschaftliche Identität

f) Ergebnis zu 1.

2. Anspruch aus §§ 687 II, 681 S. 2, 667 BGB

3. Anspruch aus § 816 I 1 BGB

III. Gesamtergebnis

Lösung:

I. Anspruch des K gegen V aus § 433 I 1 BGB

K könnte gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Mantels aus § 433 I 1 BGB haben.

1. Anspruch entstanden

Der Anspruch ist durch den Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages zum Preis von 40 € entstanden.

2. Anspruch gemäß § 275 I BGB erloschen

V wäre jedoch gemäß § 275 I BGB von seiner Leistungspflicht befreit, wenn ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung unmöglich geworden ist. Dafür spricht, dass er infolge der Übereignung des Mantels durch Einigung und Übergabe an D gemäß § 929 S. 1 BGB nicht mehr Eigentümer des Mantels ist1 und dem K deshalb in Erfüllung des Anspruchs aus § 433 I 1 BGB nicht mehr das Eigentum an dem Mantel verschaffen kann. Es liegt aber jedenfalls keine objektive Unmöglichkeit vor, weil die Übereignung des Mantels nicht jedermann unmöglich ist.

Es könnte allenfalls ein Fall der subjektiven Unmöglichkeit vorliegen, der allerdings auch von § 275 I BGB umfasst ist.2 Subjektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Leistung zwar von einem Dritten, aber – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – nicht vom Schuldner erbracht werden kann (sog. Unvermögen).3 Dies darf allerdings nicht vorschnell bejaht werden. Das nur finanzielle Unvermögen zu leisten oder seine finanzielle Leistungsfähigkeit herzustellen befreit den Schuldner nicht von seiner Leistungspflicht („Geld hat man zu haben“). Auch die Tatsache, dass ein Verkäufer nicht Eigentümer der verkauften Sache ist und deshalb (derzeit) die Pflicht aus § 433 I 1 BGB zur Übereignung (und ggf. auch zur Besitzverschaffung) nicht erfüllen kann, führt noch nicht zwingend zu subjektiver Unmöglichkeit; diese setzt vielmehr voraus, dass der Schuldner auch nicht in der Lage ist, sich die Sache (wieder) zu beschaffen oder den Verfügungsberechtigten zur Leistung an den Gläubiger zu veranlassen.4

Vorliegend ist D jedoch dazu bereit, dem V den Mantel zurück zu verkaufen und zurück zu übereignen. V ist also in der Lage, seine Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Deshalb liegt kein Unvermögen i.S.v. § 275 I BGB vor.

3. Leistungsverweigerungsrecht des V gemäß § 275 II BGB

Dem V könnte jedoch gemäß § 275 II BGB ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen. Nach § 275 II 1 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht.

Die Leistung muss den Schuldner deutlich mehr kosten, als sie dem Gläubiger nützt.5 Um den Grundsatz der Vertragsbindung nicht aufzuweichen, muss § 275 II BGB jedoch auf wirkliche Extremfälle beschränkt bleiben.6 Der Schuldner soll eine Leistung nur dann nicht erbringen müssen, wenn sie jeglichem sinnvollen Kosten-Nutzen-Verhältnis zuwiderläuft.7Das Missverhältnis muss ein geradezu untragbares Ausmaß erreichen (faktische Unmöglichkeit). Nicht von § 275 II BGB erfasst sind demgegenüber Fälle der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, bei denen die Erbringung der Leistung zwar auch mit erheblichen Aufwendungen für den Schuldner verbunden ist, diese aber noch nicht das Ausmaß einer faktischen Unmöglichkeit annehmen.8

a) Aufwand des V

Zunächst ist der Aufwand des Schuldners zu ermitteln. Der Begriff „Aufwand“ erfasst neben Aufwendungen in Geld auch persönliche Anstrengungen des Schuldners.9 V kann seine Verkäuferpflichten aus § 433 I 1 BGB gegenüber K nur erfüllen, wenn der den Mantel von D für 4.000 € zurückerwirbt. Weitergehende persönliche Anstrengungen des V sind nicht ersichtlich. Der Aufwand des V ist demnach mit 4.000 € zu beziffern.

b) Leistungsinteresse des K

Der Aufwand des Schuldners muss zum Leistungsinteresse des Gläubigers ins Verhältnis gesetzt werden. Bezugspunkt der nach § 275 II BGB gebotenen Abwägung ist das objektive Leistungsinteresse des Gläubigers, das sich aus dem Inhalt des Vertrages und dem darin vereinbarten oder vorausgesetzten (möglicherweise auch rein ideellen) Leistungszweck unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ergibt.10 Ausgangspunkt des Leistungsinteresses ist der zwischen V und K vereinbarte Kaufpreis für den Mantel von 40 € als Mindestinteresse.11 Dieses Interesse wäre nach oben zu korrigieren, wenn der Wert des Kaufgegenstandes in Wirklichkeit deutlich höher ist oder besondere (auch immaterielle) Interessen des Gläubigers hinzutreten. Da der zwischen V und K vereinbarte Kaufpreis jedoch „angemessen“ war, darf davon ausgegangen werden, dass er dem objektiven Wert des Mantels entsprach. Besondere (immaterielle) Interessen des K sind ebenfalls nicht ersichtlich, da er den Mantel selbst in seiner Freizeit tragen wollte. Das Leistungsinteresse des K ist demnach mit 40 € zu beziffern.

c) Grobes Missverhältnis

Ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners gemäß § 275 II 1 BGB liegt nur dann vor, wenn die Leistung einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Ein grobes Missverhältnis liegt vor, wenn der Aufwand des Schuldners erheblich über dem Leistungsinteresse des Gläubigers liegt.12 Dies ist dann der Fall, wenn die Bemühungen des Schuldners, den Leistungsgegenstand zu beschaffen, verglichen mit dem Nutzen für den Gläubiger ein völlig überzogenes und untragbares Ausmaß erreichen, sodass unter Berücksichtigung von Treu und Glauben kein vernünftiger Gläubiger Erfüllung verlangen würde.13 Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist allerdings auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (§ 275 II 2 BGB).14 Hat der Schuldner das Leistungshindernis i.S.v. §§ 276 ff. BGB zu vertreten, so sind nach § 275 II 2 BGB erhöhte Anstrengungen zu dessen Überwindung zu erwarten15 Ein Schuldner, der den Vertragsgegenstand schuldhaft an einen Dritten verkauft, muss daher für dessen Rückerwerb in der Regel wesentlich mehr als den Marktpreis bieten, um in den Genuss der Befreiung von seiner Primärleistungspflicht zu kommen.

V hat den Mantel in Kenntnis seiner Verkäuferpflichten gegenüber K bewusst und damit vorsätzlich (§ 276 I 1 BGB) an den D veräußert, um in den Genuss des höheren Kaufpreises zu gelangen. Deshalb sind ihm nach § 275 II 2 BGB besondere Aufwendungen für den Rückerwerb zuzumuten. Vorliegend überstiege der von V zu betreibende Aufwand (4.000 €) das Leistungsinteresse des K (40 €) um das 100-fache. Obgleich Prozentsätze insoweit nur als vager Anhaltspunkt dienen,16 ist bei einer derart gravierenden Diskrepanz zwischen dem Leistungsinteresse des Gläubigers und dem Aufwand des Schuldners von einem groben Missverhältnis i.S.v. § 275 II 1 BGB auszugehen,17 und zwar selbst dann, wenn der Schuldner das Leistungshindernis – wie hier – i.S.v. § 275 II 2 BGB zu vertreten hat.

d) Erhebung der Einrede

Liegen die Voraussetzungen des § 275 II 1 BGB vor, so kann der Schuldner die Leistung verweigern. Er muss dies aber nicht. Im Gegensatz zu § 275 I BGB liegt in den Fällen des § 275 II BGB (und auch in denjenigen des § 275 III BGB) keine im Prozess von Amts wegen zu beachtende Einwendung, sondern lediglich eine Einrede vor. Diese Einrede müsste V mithin erhoben haben.

V hat dem K erklärt, dass er es als vollkommen unangemessen empfindet, einen derart erhöhten Preis an den D zu zahlen; dies könne K nicht ernsthaft von ihm verlangen. Durch diese Erklärung hat V sich zumindest sinngemäß auf das grobe Missverhältnis berufen und dadurch die Leistung gemäß § 275 II BGB (konkludent) verweigert.

4. Ergebnis zu I.

Der Anspruch des K gegen V aus § 433 I 1 BGB ist gemäß § 275 II BGB nicht durchsetzbar.

II. Anspruch des K gegen V auf Erlösherausgabe

K könnte jedoch einen Anspruch gegen V auf Herausgabe des durch diesen aus der Zweitverkauf an D erlangten Kaufpreises in Höhe von 200 € haben. Der Sache nach geht es dabei um die Herausgabe des durch Rechtsgeschäft erzielten Erlöses.

1. Anspruch aus § 285 I BGB

Ein solcher Erlösherausgabeanspruch könnte sich zunächst aus § 285 I BGB ergeben. Danach kann der Gläubiger, sofern der Schuldner infolge des Umstands, auf Grund dessen er die Leistung nach § 275 I – III BGB nicht zu erbringen braucht, für den geschuldeten Gegenstand einen Ersatz erlangt, die Herausgabe des als Ersatz Empfangenen verlangen.

a) Schuldverhältnis

Es muss zunächst, wie sich aus den Worten „Gläubiger“ und „Schuldner“ in § 285 I BGB ergibt, ein Schuldverhältnis zwischen K und V vorliegen. § 285 BGB ist auf alle vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnisse anwendbar.18

K und V verbindet ein (wirksamer) Kaufvertrag und damit ein vertragliches Schuldverhältnis.

b) Anspruch auf Leistung eines Gegenstandes

Der Gläubiger muss ursprünglich einen Anspruch auf Leistung eines Gegenstandes gehabt haben.19

Dies ist hier der Fall. K hatte gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Mantels aus § 433 I 1 BGB.

c) Befreiung von der Leistungspflicht gemäß § 275 I – III BGB

Der Schuldner muss die an sich geschuldete Leistung gemäß § 275 I – III BGB nicht (mehr) erbringen.20 Ob es sich um anfängliche oder nachträgliche Unmöglichkeit handelt, ist unerheblich.21 Auch kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner die Leistung zu vertreten hat. In den Fällen von § 275 II, III BGB muss der Schuldner die Einrede dabei tatsächlich erhoben haben.22

Vorliegend ist V gemäß § 275 II BGB zur Leistungsverweigerungsberechtigt und er hat die Einrede gegenüber K auch (konkludent) erhoben (s.o.).

d) Erlangung eines Ersatzes oder Ersatzanspruchs „infolge des Umstands“

Der Schuldner muss für den Gegenstand einen Ersatz oder Ersatzanspruch erlangt haben. Ersatzerlangung und ursprünglich geschuldeter Gegenstand müssen dabei in einem adäquaten Kausalzusammenhang stehen („infolge des Umstands“).23

V hat für den Mantel auch einen Ersatz erlangt, nämlich den durch D an ihn gezahlten Kaufpreis in Höhe von 200 €. Fraglich ist jedoch, ob dies gerade infolge des Umstands, der zur Leistungsbefreiung des V gegenüber K geführt hat, geschehen ist. Den Kaufpreis hat V streng genommen durch die Übereignung des Geldes durch D gemäß § 929 S. 1 BGB zum Zwecke der Erfüllung dessen Käuferpflicht aus § 433 II BGB erlangt. Hierdurch ist jedoch keine Unmöglichkeit im Verhältnis zwischen V und K eingetreten. Diese ist vielmehr (zunächst) dadurch eingetreten, dass V dem D den Mantel gemäß § 929 S. 1 BGB zur Erfüllung seiner Verkäuferpflicht gemäß § 433 I 1 BGB übereignet hat. Eine solch strenge, allein juristische und das Trennungsprinzip betonende Betrachtungsweise wird durch die ganz h. M. jedoch abgelehnt und durch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ersetzt.24 Dies entspricht dem Sinn des § 285 I BGB, Vermögenswerte demjenigen zuzuführen, dem sie wirtschaftlich zustehen.25 Deshalb gehört zum stellvertretenden commodum, auf dessen Herausgabe der § 285 I BGB abzielt, auch das durch Rechtsgeschäft erzielte Surrogat (sog. commodum ex negotiatione).26

Klar läge der Fall in diesem Sinne dann, wenn D nicht zur Rückübereignung des Mantels bereit gewesen wäre. Dann läge, da es sich um ein handgefertigtes Einzelstück handelt und eine Ersatzbeschaffung durch V im Übrigen somit ausschiede, ein Fall der (subjektiven) Unmöglichkeit nach § 275 I BGB vor. Vorliegend ist D jedoch zur Rückgabe und Rückübereignung des Mantels an den V bereit; dies allerdings nur gegen Zahlung eines derart hohen Preises, dass V im Verhältnis zu K zur Leistungsverweigerung gemäß § 275 II BGB berechtigt ist (s.o.). Der Umstand, auf Grund dessen V die Leistung nach § 275 II BGB nicht zu erbringen braucht, stand also zumindest nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Erlangung des Erlöses.

Im Ergebnis darf der Erlösherausgabeanspruch des K gegen V aus § 285 I BGB aber nicht davon abhängen, ob der D nicht oder nur gegen Zahlung eines i.S.v. § 275 II BGB unangemessen hohen Kaufpreises zur Rückübereignung des Mantels an V bereit ist. Dass auch Fälle des § 275 II BGB in den Anwendungsbereich des § 285 I BGB fallen, lässt sich dessen Wortlaut unzweifelhaft entnehmen. Im Übrigen ist auch in dieser Konstellation eine am Regelungszweck des § 285 I BGB orientierte wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten.27 Im Verhältnis zu K ist die vertragswidrige Veräußerung durch V an D unabhängig davon, ob D später zur Rückgabe und Rückübereignung nicht oder nur gegen Zahlung eines deutlich überhöhten Kaufpreises bereit ist, für die Leistungsbefreiung des V ursächlich. § 285 I BGB will auch in einer solchen Situation eine Bereicherung des Schuldners (hier: V) aufgrund eines leistungsbefreienden Umstandes verhindern und dem Gläubiger (hier: K) dasjenige zuwenden, was wirtschaftlich an die Stelle des geschuldeten Gegenstandes (hier: des Mantels) getreten ist. Dies spricht dafür, die erforderliche Kausalität zwischen dem Ereignis, das zum Ausschluss der Leistungspflicht des V geführt hat, und der Erlangung des stellvertretenden commodums durch V zu bejahen (a. A. vertretbar).

e) Wirtschaftliche Identität

Es liegt schließlich auch eine wirtschaftliche Identität zwischen dem geschuldeten und dem vom Schuldner aufgrund der Leistungsbefreiung erlangten Gegenstand vor. Erforderlich ist, dass der Gläubiger den Leistungsgegenstand auf dieselbe Weise hätte nutzen dürfen.28

Dies ist der Fall, weil V den Kaufpreis i.H.v. 200 € für den Mantel erhalten hat und die Erzielung dieses Erlöses dem K möglich gewesen wäre, wenn V zuvor die ihm gegenüber bestehende Pflicht aus § 433 I 1 BGB erfüllt hätte.

f) Ergebnis zu 1.

K kann von V gemäß § 285 I BGB die Herausgabe des von D erlangten Kaufpreises und damit die Zahlung von 200 € verlangen.

2. Anspruch aus §§ 687 II, 681 S. 2, 667 BGB

Ein Anspruch des K gegen V auf Herausgabe des von D erlangten Kaufpreises i.H.v. 200 € könnte sich unter dem Gesichtspunkt der angemaßten Eigengeschäftsführung auch aus §§ 687 II, 681 S. 2, 667 BGB ergeben. Bei der angemaßten Eigengeschäftsführung (auch unechte GoA genannt) weiß der Geschäftsführer zwar, dass er ein fremdes Geschäft führt (kognitives Element), aber er will es nicht für den Geschäftsherrn führen (finales Element), sondern die Vorteile des Geschäfts für sich selbst behalten.29 Voraussetzungen der angemaßten Geschäftsführung sind das Vorliegen eines objektiv fremden Geschäfts, die Nichtberechtigung des Geschäftsführers und dessen positive Kenntnis von der Nichtberechtigung.30

Objektiv fremde Geschäfte sind Tätigkeiten, die bereits ihrer Natur oder ihrem äußeren Erscheinungsbild nach in einen anderen Rechts- und Interessenkreis fallen.31 Vorliegend müsste also die Veräußerung des Mantels an D in den Rechts- und Interessenkreis des K fallen. Das ist aber deshalb nicht der Fall, weil im Zeitpunkt der Veräußerung an D noch V der Eigentümer des Mantels war. Es liegt schon kein objektiv fremdes Geschäft vor, sodass ein Anspruch des K gegen V aus §§ 687 II, 681 S. 2, 667 BGB nicht besteht.

3. Anspruch aus § 816 I 1 BGB

Aus demselben Grund scheidet auch ein Anspruch des K gegen V auf Herausgabe des von D erlangten Kaufpreises i.H.v. 200 € aus § 816 I 1 BGB aus. Diese Vorschrift setzt die Verfügung eines Nichtberechtigten voraus, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Zwar handelt es sich bei der Übertragung des Eigentums auf D gemäß § 929 S. 1 BGB um eine Verfügung; darunter versteht man nämlich jedes Rechtsgeschäft, das die dingliche Rechtslage unmittelbar ändert, sei es durch Übertragung, Belastung, Aufhebung oder inhaltliche Änderung eines bestehenden Rechts.32 V verfügte jedoch als Eigentümer, der in seiner Verfügungsmacht nicht beschränkt gewesen ist, und damit als Berechtigter.33

III. Gesamtergebnis

K kann von V die Herausgabe des von D erlangten Kaufpreises i.H.v. 200 € verlangen (sog. Erlösherausgabe). Der Anspruch folgt (allein) aus § 285 I BGB. Weitergehende Ansprüche stehen dem K gegen V nicht zu.


  1. Achtung: Nicht der Abschluss des (schuldrechtlichen) Kaufvertrages mit D führt zur Unmöglichkeit, sondern die dingliche Übereignung des Mantels an D gemäß § 929 S. 1 BGB. Hier ist unbedingt das Trennungsprinzip zu beachten!
  2. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 4.
  3. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 7 f.
  4. BGH, Urt. v. 19.01.2018 – V ZR 273/16, Rn. 23; BGH, Urt. v. 20.11.2013 – IV ZR 54/13, Rn. 26; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 408. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Unvermögens i.S.v. § 275 I BGB trifft in diesem Fall den Schuldner (BGH, Urt. v. 19.01.2018 – V ZR 273/16, Rn. 25).
  5. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 415.
  6. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 19.
  7. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 6, Rn. 4.
  8. In diesen Fällen greift § 313 BGB ein (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 415).
  9. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 275 Rn. 21.
  10. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 275 Rn. 28; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 275 Rn. 21.
  11. Vgl. (auch zum Folgenden) Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 6, Rn. 6.
  12. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 275 Rn. 21.
  13. Canaris, JZ 2001, 499, 501; Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 6, Rn. 7.
  14. Den Umkehrschluss, dass der Schuldner überhaupt keine Anstrengungen zu unternehmen braucht, wenn er das Leistungshindernis nicht zu vertreten hat, erlaubt § 275 II 2 BGB dagegen nicht (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 275 Rn. 22). In diesem Fall sind nur die von ihm zu erwartenden Bemühungen und Aufwendungen geringer (BT-Drucks. 14/6040, S. 131).
  15. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 275 Rn. 22.
  16. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 6, Rn. 7.
  17. Vgl. BGH, Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 96/12, Rn. 28 (Nacherfüllungskosten i.H.v. 12.900 € bei einem Zeitwert von 1.200 €).
  18. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 285 Rn. 2.
  19. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 285 Rn. 3.
  20. Zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 285 Rn. 2.
  21. Die Vorschrift ist zu lesen: „Erlangt der Schuldner … für den geschuldeten oder versprochenen Gegenstand einen Ersatz …“ (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 425).
  22. BGH, Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 96/12, Rn. 28.
  23. BGH, Teilurt. v. 10.05.2019 – LwZR 4/18, Rn. 9.
  24. Vgl. statt vieler: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 285 Rn. 6.
  25. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 27.
  26. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 27; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 285 Rn. 6.
  27. Zum Folgenden vgl. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 6, Rn. 16 f.
  28. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 424.
  29. Hier und zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 687 Rn. 2 f.
  30. Bei lediglich fahrlässiger Unkenntnis liegt eine irrtümliche Eigengeschäftsführung i.S.v. § 687 I BGB und damit kein Fall der GoA vor.
  31. Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 677 Rn. 5.
  32. Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 816 Rn. 2.
  33. Nichtberechtigter i.S.v. § 816 I 1 BGB ist demgegenüber jeder, der nicht entweder Rechtsinhaber oder gemäß § 185 I BGB zu der Verfügung ermächtigt ist (Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 816 Rn. 2).