Fall: Das Scheingeschäft

V will sein Grundstück an K verkaufen. V und K einigen sich mündlich auf einen Kaufpreis von 700.000 EUR. Um Grunderwerbssteuer und Notarkosten zu sparen beschließen sie jedoch, nur einen Kaufpreis von 500.000 EUR notariell beurkunden zu lassen. So geschieht es dann auch. Bei dem Notar N wird der Grundstückskaufvertrag mit einem Kaufpreis von 500.000 EUR beurkundet, obgleich V und K sich nach wie vor, wie sie es vorsorglich auch privatschriftlich mit dem Hinweis, dass niemand aus der Nichteinhaltung gesetzlich vorgegebener Formen Rechte herleiten könne, festgehalten haben, darüber einig sind, dass der wahre Kaufpreis 700.000 EUR betragen soll.

Kann K von V die nicht mit beurkundete Auflassung verlangen?

Abwandlung:

K bezahlt 500.000 EUR an V und wird nach der Auflassung als neuer Eigentümer des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen. Kann V von K die Zahlung weiterer 200.000 EUR verlangen?

Gliederung:

  1. Grundfall: Anspruch des K gegen V aus § 433 I 1 BGB
    1. Kaufvertrag zu einem Kaufpreis von 500.000 EUR
      • a) Nichtigkeit gemäß § 125 S. 1 i.V.m. § 311b I 1 BGB
      • b) Nichtigkeit gemäß § 117 I BGB
        • aa) Empfangsbedürftige Willenserklärungen
        • bb) Erklärte Rechtsfolgen sind nicht gewollt
        • cc) Simulationsabrede
      • c) Ergebnis zu 1.
    2. Kaufvertrag zu einem Kaufpreis von 700.000 EUR
      • a) Nichtigkeit gemäß § 125 S. 1 i.V.m. § 311b I 1 BGB
      • b) Abweichende Vereinbarung
      • c) Ergebnis zu 2.
    3. Ergebnis zu I.
  2. Abwandlung: Anspruch des V gegen K aus § 433 II BGB
    1. Scheingeschäft
    2. Verdecktes Geschäft
      • a) Nichtigkeit gemäß § 125 S. 1 i.V.m. § 311b I 1 BGB
      • b) Heilung gemäß § 311b I 2 BGB
    3. Ergebnis zu II.

Gutachten

I. Grundfall: Anspruch des K gegen V aus § 433 I 1 BGB

K kann von V gemäß § 433 I 1 BGB die Übergabe und Übereignung – Einigung („Auflassung“) und Eintragung in das Grundbuch (§§ 873, 925 BGB) – des Grundstücks verlangen, wenn die Parteien einen wirksamen Kaufvertrag mit einem entsprechenden Inhalt geschlossen haben. Das setzt zwei korrespondierende, in Bezug auf einander abgegebene Willenserklärungen – Angebot und Annahme – voraus.

1. Kaufvertrag zu einem Kaufpreis von 500.000 EUR

Vor N haben sich V und K auf einen Kaufvertrag mit einem Kaufpreis von 500.000 EUR geeinigt. Fraglich ist aber die Wirksamkeit dieser Einigung.

a) Nichtigkeit gemäß § 125 S. 1 i.V.m. § 311b I 1 BGB

Das Rechtsgeschäft zwischen V und K wäre gemäß § 125 S. 1 BGB nichtig, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene Form nicht eingehalten wurde. Nach § 311b I 1 BGB bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet,1 das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkundung.

Ein Kaufvertrag zwischen V und K ist mit einem Kaufpreis von 500.000 EUR i.S.v. § 128 BGB i.V.m. §§ 6 ff. BeurkG notariell beurkundet worden. Mit diesem Inhalt wurde der Vertrag mithin formwirksam abgeschlossen. Insoweit scheidet eine Formnichtigkeit gemäß § 125 S. 1 i.V.m. § 311b I 1 BGB aus.

b) Nichtigkeit gemäß § 117 I BGB

Durch V und K tatsächlich gewollt war jedoch ein höherer Kaufpreis von 700.000 EUR. Deshalb könnte der durch N beurkundete Kaufvertrag gemäß § 117 I BGB nichtig sein. Ein Vertrag ist nach § 117 I BGB nichtig, wenn nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien das Vereinbarte keine Geltung haben soll.2

aa) Empfangsbedürftige Willenserklärungen

Bei den auf Abschluss eines Grundstückskaufvertrages gerichteten Willenserklärungen von V und K handelt es sich um solche, die im Sinne des § 117 I BGB „einem anderen gegenüber abzugeben“ sind, also um empfangsbedürfte Willenserklärungen.

bb) Erklärte Rechtsfolgen sind nicht gewollt

Die empfangsbedürftigen Willenserklärungen müssen nach § 117 I BGB „nur zum Schein“ abgegeben worden sein. Das ist der Fall, wenn die nach außen hin erklärten Rechtsfolgen nicht gewollt sind. Dies ist hier deshalb der Fall, weil V und K nicht den beurkundeten und damit nach außen hin erklärten Kaufpreis von 500.000 EUR, sondern den zuvor mündlich vereinbarten und privatschriftlich festgehaltenen Kaufpreis von 700.000 EUR gelten lassen wollen. Die aus der Sicht eines objektiven Empfängers erklärten Rechtsfolgen sind also nicht gewollt.

cc) Simulationsabrede

Im Unterschied zu den Fällen des § 116 BGB (geheimer Vorbehalt) setzt ein Scheingeschäft i.S.v. § 117 I BGB noch weitergehend voraus, dass zwischen den Parteien ein Einverständnis über den Nichteintritt der erklärten Rechtsfolgen besteht. Dieses Einverständnis ist mehr als die bloße Kenntnis i.S.v. § 116 S. 2 BGB. Erforderlich ist vielmehr die Abrede zwischen den Parteien, dass die erklärten Rechtsfolgen keine Wirkung entfalten sollen.3

So liegt der Fall hier. V und K waren sich darüber einig, dass sie an die vor dem N abgegebenen Willenserklärungen nicht gebunden sein wollten und der niedrigere Kaufpreis von 500.000 EUR nur zum Schein abgegeben werden sollte, um Steuern und Notargebühren zu sparen. Beide Willenserklärungen sind deshalb nach § 117 I BGB nichtig.

c) Ergebnis zu 1.

Ein Kaufvertrag über das Grundstück zum Preis von 500.000 EUR ist deshalb nicht zustande gekommen. Das sog. simulierte Geschäft ist nach § 117 I BGB nichtig.

Hinweis:4Man könnte auch an eine Nichtigkeit des simulierten Grundstückskaufvertrags gemäß § 134 BGB i.V.m. § 370 AO (Steuerhinterziehung) bzw. § 263 StGB (Betrug zu Lasten des Notars) denken. Nach der Rechtsprechung tritt die Nichtigkeitsfolge allerdings nur dann ein, wenn die Verwirklichung des gesetzlichen Verbots gerade der Hauptweck des Vertrages ist. 5 Der Vertragsschluss müsste also vorrangig zum Zwecke der Steuerhinterziehung bzw. des Betrugs zu Lasten des Notars erfolgen. Bei einem Grundstückskaufvertrag ist dies aber dann nicht der Fall, wenn mit diesem die ernsthafte schuldrechtliche Verpflichtung zur Übertragung des Grundeigentums bezweckt wird und lediglich „nebenbei“ durch Angabe eines niedrigeren als des gewollten Kaufpreises Steuern und Gebühren gespart werden sollen. So liegt der Fall hier: V und K wollen die Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag – Übertragung des Eigentums und Zahlung des Kaufpreises – ernstlich herbeiführen. Deshalb scheidet eine Nichtigkeit des simulierten Geschäfts nach § 134 BGB aus.

2. Kaufvertrag zu einem Kaufpreis von 700.000 EUR

Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so finden nach § 117 II BGB auf die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung. Liegen alle für das verdeckte (dissimulierte) Rechtsgeschäft geltenden Wirksamkeitsvoraussetzungen vor, gilt das eigentlich Gewollte.6

a) Nichtigkeit gemäß § 125 S. 1 i.V.m. § 311b I 1 BGB

Das verdeckte Rechtsgeschäft ist ebenfalls ein Grundstückskaufvertrag und könnte gemäß § 125 S. 1 BGB nichtig sein. Wie bereits zum simulierten Geschäft dargestellt, bedarf der Grundstückskaufvertrag gemäß § 311b I 1 BGB der notariellen Beurkundung. Der von V und K in Wahrheit gewollte Kaufpreis für das Grundstück von 700.000 EUR ist aber nicht notariell beurkundet, sondern lediglich privatschriftlich festgehalten worden. Das Beurkundete ist nicht gewollt, das Gewollte ist nicht beurkundet. 7 Damit ist das dissimulierte Rechtsgeschäft zwischen V und K gemäß §§ 117 II, 125 S. 1, 311b I 1 BGB formnichtig.

b) Abweichende Vereinbarung

Zu prüfen ist, ob V und K durch ihre privatschriftliche Vereinbarung, in der sie festgehalten haben, dass niemand aus der Nichteinhaltung gesetzlich vorgeschriebener Formen Rechte herleiten können soll, das Formerfordernis nach § 311b I 1 BGB wirksam abbedungen haben. Das wäre nur dann der Fall, wenn es sich bei dieser Formvorschrift um dispositives, also nicht zwingendes und abweichenden Parteivereinbarungen zugängliches Recht handelt.

Die Formvorschrift des § 311b I 1 BGB dient mehreren Formzwecken.8 Zweck des Formzwangs ist neben der Erhaltung des Grundbesitzes und dem Schutz des Grundeigentümers auch der Schutz des Erwerbers vor übereilten Verpflichtungen. Der Übereilungsschutz wird durch die u. a. in den §§ 9, 13 BeurkG geregelte notarielle Beurkundung und die damit verbundene Belehrung der Beteiligten angestrebt (Warnfunktion). Daneben dient der Formzwang auch der Rechtssicherheit, da durch ihn Rechtsstreitigkeiten über das Zustandekommen des Vertrags und über den Inhalt der getroffenen Abrede vorgebeugt werden soll (Beweisfunktion).

Die vorstehende Formzwecke können nur dann verwirklicht werden, wenn es nicht im Belieben der Parteien steht, auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form zu verzichten. Deshalb ist die Vorschrift des § 311b BGB zwingend.9 Von ihr kann nicht durch Parteivereinbarung abgewichen werden. Deshalb bleibt es auch im Hinblick auf die durch V und K getroffene privatschriftliche Vereinbarung bei der Formnichtigkeit des verdeckten Geschäfts.

c) Ergebnis zu 2.

Deshalb ist auch ein Kaufvertrag mit einem Kaufpreis von 700.000 EUR nicht wirksam zustande gekommen. Der mit diesem Inhalt lediglich privatschriftlich zwischen V und K geschlossene Vertrag ist gemäß § 125 S. 1 BGB nichtig.

3. Ergebnis zu I.

K hat keinen Anspruch auf Auflassung gemäß § 433 I 1 BGB gegen V.

II. Abwandlung: Anspruch des V gegen K aus § 433 II BGB

Ein Anspruch des V gegen K auf Zahlung weiterer 200.000 EUR könnte sich aus § 433 II BGB ergeben und setzt voraus, dass zwischen den Parteien ein wirksamer Kaufvertrag mit einem Kaufpreis von 700.000 EUR besteht.

1. Scheingeschäft

Wie bereits im Ausgangsfall festgestellt, ist das beurkundete Rechtsgeschäft gemäß § 117 I BGB als Scheingeschäft nichtig. Im Übrigen würde dieses Scheingeschäft den K ohnehin nur zur Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 500.000 EUR verpflichten.

2. Verdecktes Geschäft

Ein weiterer Zahlungsanspruch über 200.000 EUR könnte nur aus dem privatschriftlich geschlossenen dissimulierten Geschäft folgen.

a) Nichtigkeit gemäß § 125 S. 1 i.V.m. § 311b I 1 BGB

Dieser Vertrag ist, wie bereits im Ausgangsfall festgestellt, gemäß §§ 117 II, 125 S. 1, 311b I 1 BGB nichtig.

b) Heilung gemäß § 311b I 2 BGB

Der Formmangel10 kann aber gemäß § 311b I 2 BGB geheilt worden sein. Danach wird ein ohne Beachtung der in § 311b I 1 BGB vorgesehenen Form – notarielle Beurkundung (§ 128 BGB) – geschlossener Vertrag seinem ganzen Inhalt nach11 mit Wirkung für die Zukunft12 gültig, wenn die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgen. Einer formgerechten Neuvornahme (§ 141 I BGB) bedarf es dann ausnahmsweise nicht.13 Dass die Parteien den Formmangel bei Vertragsschluss kannten, schadet ebenfalls nicht.14

Vorliegend ist die Auflassung erfolgt und K ist auch als neuer Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen worden. Damit der von V und K eigentlich gewollte Kaufvertrag über 700.000 EUR wirksam geworden.

Ein Anspruch des V gegen K auf Zahlung dieses Kaufpreises ist damit wirksam entstanden. Da auf diese Schuld bislang mit Zustimmung des V (vgl. § 266 BGB) durch K lediglich eine Teilerfüllung (vgl. § 362 I BGB) erfolgt ist, schuldet K dem V den noch offenen Restbetrag in Höhe von 200.000 EUR.

3. Ergebnis zu II.

V hat gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 200.000 EUR aus § 433 II B


  1. Dem Formerfordernis unterliegen schuldrechtliche Verträge, die mindestens für eine Partei die Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb eines Grundstücks begründen (z. B. Kauf, Tausch, Schenkung). Dingliche Verfügungsgeschäfte fallen dagegen nicht unter § 311b I 1 BGB; ihre Formerfordernisse sind in den §§ 873, 925 BGB festgelegt (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311b Rn. 3).
  2. BGH, Urt. v. 05.07.2002 – V ZR 229/01, NJW-RR 2002, 1527.
  3. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 18, Fall Nr. 36, S. 265.
  4. Zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 18, Fall Nr. 36, S. 266; Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 24, Rn. 16.
  5. BGH, Urt. v. 05.07.2002 – V ZR 229/01, NJW-RR 2002, 1527; BGH, Urt. v. 09.06.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 30 f.
  6. Damit gehen zwei wesentliche Aussagen einher (vgl. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 18, Fall Nr. 36, S. 266): § 117 II BGB erklärt zum Einen den übereinstimmenden Willen der Parteien trotz anderweitiger Erklärung für maßgeblich und ist damit Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der falsa demonstratio non nocet. Zum anderen wird bestimmt, dass jedenfalls bei einer absichtlichen Falschbezeichnung (Scheingeschäft) die gesetzlichen Vorschriften über die Wirksamkeit von Willenserklärungen auf das verdeckte Geschäft anzuwenden sind.
  7. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 18, Fall Nr. 36, S. 267.
  8. Zum Folgenden: Erman/Grziwotz, BGB, 15. Aufl. 2017, § 311b Rn. 2.
  9. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 24, Rn. 8.
  10. Nach § 311b I 2 BGB wird ausschließlich der Formmangel geheilt, nicht aber etwaige andere Mängel (z. B. Einigungsmängel, mangelnde Vertretungsmacht oder fehlende behördliche Genehmigung; HK-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311b Rn. 19).
  11. Die Wirkung der Heilung erstreckt sich auf den gesamten Inhalt des Vertrages einschließlich aller Nebenabreden, die bis zum Zeitpunkt der Heilung bereits getroffen worden sind (HK-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311b Rn. 22).
  12. Durch die Heilung wird der Vertrag in dem Zeitpunkt mit Wirkung ex nunc gültig, zu dem die Auflassung und Eintragung erfolgt (HK-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311b Rn. 23).
  13. HK-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311b Rn. 19.
  14. Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 24, Rn. 12.