Fall: Das Salatblatt
Fall: Das Salatblatt
Sachverhalt:
Die G begibt sich in den Supermarkt des S, um dort Lebensmittel einzukaufen. Direkt hinter dem Eingang befindet sich die Obst- und Gemüseabteilung. G rutscht dort auf einem auf dem Boden liegenden Salatblatt aus und bricht sich das Bein. Dadurch entstehen ihr Artkosten und sie erleidet Schmerzen. G nimmt S auf Erstattung der Arztkosten und auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Anspruch. S wendet ein, in träfe keine Schuld. Das Salatblatt könne auch von einem anderen Kunden fallen gelassen worden sein.
Ist das Begehren der G berechtigt?
Abwandlung:
G wird von ihrer Minderjährigen Tochter (D) begleitet. D rutscht beim Aussuchen der Waren auf dem Salatblatt aus und bricht sich das Bein.
Welche Ansprüche hat D gegen S?
Gliederung:
A. Grundfall
I. Anspruch des G gegen S aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB
1. Schuldverhältnis
a) Vertragliches: Kaufvertrag (§ 433 BGB)
b) Vorvertragliches: § 311 II BGB
aa) Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 II Nr. 1 BGB)
bb) Anbahnung eines Vertrages (§ 311 II Nr. 2 BGB)
2. Pflichtverletzung
3. Keine Exkulpation, § 280 I 2 BGB
4. Kausaler, ersatzfähiger Schaden
a) Behandlungskosten
b) Schmerzensgeld
5. Ergebnis zu I.
II. Anspruch des G gegen S aus § 823 I BGB
1. Rechtsgutsverletzung
2. Handlung
3. Haftungsbegründende Kausalität
4. Rechtswidrigkeit
5. Verschulden
6. Kausaler, ersatzfähiger Schaden
7. Ergebnis zu II.
B. Abwandlung
I. Anspruch des D gegen S aus §§ 280 I, 311 III, 241 II BGB
1. Schuldverhältnis
a) Anbahnung eines Vertrages (§ 311 II Nr. 2 BGB)
b) Einbeziehung der D in den Schutzbereich des Vertragsanbahnungsverhältnisses zwischen G und S
aa) Leistungsnähe der D
bb) Einbeziehungsinteresse der G
cc) Erkennbarkeit für S
dd) Schutzbedürftigkeit der D
2. Sonstige Tatbestandsvoraussetzungen
3. Ergebnis zu I.
II. Anspruch des D gegen S aus § 823 I BGB
Lösung:
A. Grundfall
I. Anspruch des G gegen S aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB
G könne einen Anspruch gegen S auf Ersatz der ihr entstandenen Arztkosten und auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus § 280 I BGB haben. Dafür müsste S eine der G gegenüber bestehende Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt haben.
1. Schuldverhältnis
Der Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 I 1 BGB setzt zunächst ein Schuldverhältnis zwischen dem Anspruchsteller und dem Anspruchsgegner voraus.
a) Vertragliches: Kaufvertrag (§ 433 BGB)
G und S könnten einen Kaufvertrag (§ 433 BGB) geschlossen haben. Dafür müssten sie sich durch Angebot und Annahme gemäß §§ 145 ff. BGB geeinigt haben.
Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Warenauslage mit Preisauszeichnung in einem Selbstbedienungsladen stelle eine bloße invitatio ad offerendum dar.1 Zwar bestehe keine Gefahr der Mehrfachverpflichtung. Jedoch ergebe sich für einen objektiven vernünftigen Kunden der fehlende Rechtsbindungswille des Ladeninhabers aus anderen Gründen. So wolle sich der Ladeninhaber etwa die Möglichkeit erhalten, vom Vertragsschluss bei versehentlich mit einem falschen Preis ausgezeichnete Ware Abstand zu nehmen, um einen solchen Vertrag nicht erst durch Anfechtung beseitigen und dem Kunden dann ggf. nach § 122 BGB dessen Vertrauensschaden ersetzen zu müssen. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Verkäufer mit bestimmten Käufern nicht kontrahieren möchte. Hinzu komme, dass andernfalls für den Ladeninhaber eine Art Kontrahierungszwang mit jedem entstünde, dem es gelingt, das Ladengeschäft zu betreten; folglich wäre der Ladeninhaber gezwungen, Eingangskontrollen durchzuführen, um missliebige Kunden fern zu halten.2
Die Gegenauffassung bejaht einen Rechtsbindungswillen des Inhabers des Selbstbedienungsgeschäfts und erblickt in der Warenauslage ein verbindliches Angebot.3 Das Angebot des Verkäufers beziehe sich allerdings im Zweifel nur auf die im Regal vorrätigen Waren und werde durch den Käufer durch Vorlage des ausgesuchten Gegenstandes an der Kasse angenommen.4 Diese Auffassung wird im Wesentlichen damit begründet, es sei kein schutzwürdiges Interesse des Ladenbetreibers zu erkennen, sich bezüglich der ausgelegten Ware nicht zu binden. Insbesondere greife das sonst zur Begründung einer invitatio ad offerendum bemühte Argument, die Auslegung als Angebot berge für den Verkäufer die Gefahr, dass mehr Kunden die Annahme erklären könnten, als er Ware zur Erfüllung der dann zahlreichen Verträge vorrätig hat, nicht. Das Angebot sei – anders als etwa bei der Ausstellung in Schaufenstern – auf die tatsächlich ausgestellte Ware beschränkt, sodass es für den Verkäufer nicht zu Mengenproblemen kommen könne. Dies sei bei der Auslegung seiner Erklärung zu berücksichtigen und spreche entscheidend für die Bejahung eines Rechtsbindungswillens.
Selbst wenn man der letztgenannten Auffassung folgen wollte, würde die Annahme des Angebots durch den Kunden jedoch erst an der Kasse durch Vorlage der Waren erfolgen.5 In dem Moment, in dem die G unmittelbar nach dem Betreten des Ladengeschäfts des S in der Obst- und Gemüseabteilung stürzte, ist also keinesfalls – nach keiner der beiden genannten Auffassungen – ein Kaufvertrag zustande gekommen.
Ein vertragliches Schuldverhältnis zwischen G und S in Gestalt eines Kaufvertrages (§ 433 BGB) liegt nicht vor.
b) Vorvertragliches: § 311 II BGB
In Betracht kommt jedoch ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen G und S.
Nach § 311 II BGB kann ein Schuldverhältnis mit Schutzpflichten gemäß § 241 II BGB bereits in einem vorvertraglichen Stadium entstehen. Es handelt sich dabei um ein Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflichten, in dem lediglich Schutzpflichten bestehen.6 Das vorvertragliche Schuldverhältnis entsteht ohne Vertrag und ist deshalb ein gesetzliches Schuldverhältnis. Es entfaltet aber zum Teil die gleichen Wirkungen wie ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis.7
aa) Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 II Nr. 1 BGB)
Nach § 311 II Nr. 1 BGB entsteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit Schutzpflichten nach § 241 II BGB durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Dafür genügen bereits einseitige Maßnahmen eines Vertragsteils, die den anderen zu einem Vertragsschluss veranlassen sollen.8 Das Betreten eines Selbstbedienungsladens allein genügt jedoch noch nicht, um den Tatbestand der Vertragsverhandlungen zu erfüllen; dies gilt selbst denn, wenn Waren ausgesucht werden, weil es an der für die Verhandlung erforderlichen Kommunikation zwischen den Parteien fehlt.9 Ein Fall des § 311 II Nr. 1 BGB liegt mithin nicht vor.
bb) Anbahnung eines Vertrages (§ 311 II Nr. 2 BGB)
Auch ohne den Eintritt in Vertragsverhandlungen kann nach § 311 II Nr. 2 BGB bereits die Anbahnung eines Vertrages das vorvertragliche Schuldverhältnis begründen.10 Dafür reicht indes nicht jeder „soziale Kontakt“, der die Möglichkeit zur Einwirkung auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen eröffnet. Vielmehr muss der eine Partner dem anderen Teil gerade im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Einwirkungsmöglichkeiten gewährt oder ihm seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen anvertraut haben. Entscheidend ist, dass die Eröffnung der Einwirkungsmöglichkeiten und deren Gebrauch durch die andere Seite im Zusammenhang mit einem eventuellen Vertragsschluss stehen. Der Geschädigte muss sich mit dem Ziel des Vertragsschlusses oder der Anbahnung geschäftlicher Kontakte zumindest als möglicher Kunde in den Einflussbereich des Unternehmers begeben haben.11
So liegt der Fall hier. G hat den Supermarkt des S in der Absicht betreten, dort Lebensmittel einzukaufen. Dadurch hat sie dem S „im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung … die Möglichkeit zur Einwirkung auf [ihre] Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt“ (vgl. § 311 II Nr. 2 BGB). Ob es dann später tatsächlich zu einem Vertragsschluss kommt, ist unerheblich.12 Es liegt ein durch Vertragsanbahnung i.S.v. § 311 II Nr. 2 BGB begründetes vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen G und S vor.
2. Pflichtverletzung
S müsste eine sich aus diesem Schuldverhältnis ergebende Pflicht verletzt haben (vgl. § 280 I 1 BGB). § 311 II BGB spricht aus, dass im Rahmen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses (nur) „Pflichten nach § 241 II BGB“ gelten. Dem S müsste mithin eine Schutzpflicht verletzt haben. Nach § 241 II BGB ist im Rahmen eines Schuldverhältnisses jeder Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Was dies konkret bedeutet, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen und muss im jeweiligen Einzelfall konkretisiert werden.
Den Inhaber eines Geschäfts trifft gegenüber Personen, die sich zum Zwecke einer möglichen Vertragsanbahnung in seinen Einflussbereich begeben, in der Weise eine Obhuts- und Schutzpflicht i.S.v. § 241 II BGB, dass er es durch geeignete Maßnahmen und Vorkehrungen verhindert, dass seine (potentiellen) Kunden durch am Boden liegende Gegenstände zu Fall kommen.13 S hat es innerhalb seines Organisations- und Gefahrenbereichs versäumt, das am Boden liegende Salatblatt und damit eine Gefahrenquelle für seine Kunden zu beseitigen.14 Hierdurch hat S eine Schutzpflicht i.S.v. § 241 II BGB verletzt, die ihn (auch) im Rahmen des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zur G traf. Eine Pflichtverletzung des S ist demnach zu bejahen.
3. Keine Exkulpation, § 280 I 2 BGB
Der Schadensersatzanspruch bestünde gemäß § 280 I 2 BGB nicht, wenn S die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hätte. Das Vertretenmüssen wird vermutet. S kann sich jedoch exkulpieren. Fraglich ist, ob ihm dies gelingt.
S hat nach § 276 I 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Unter Vorsatz versteht man das Wissen und Wollen eines rechtswidrigen Erfolgs.15 Absicht ist hierfür nicht erforderlich; ausreichend ist die billigende Inkaufnahme des rechtswidrigen Erfolges, also Eventualvorsatz (dolus eventualis).16 Dass der S die Verletzung seiner Kunden (und namentlich der G) billigend in Kauf genommen hat, ist jedoch nicht ersichtlich. Auch fehlt es am kognitiven Element des Vorsatzes; ein wissentliches Handeln des S liegt nicht vor. Ein vorsätzliches Handeln des S scheidet aus.
Dem S könnte jedoch Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. § 276 II BGB definiert diese als die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Der Fahrlässigkeitsvorwurf setzt damit die Vorhersehbarkeit der Gefahr und die Vermeidbarkeit des schädigenden Erfolgs voraus.17 Die Pflichtverletzung des S liegt vorliegend darin, dass er das Salatblatt nicht entfernt bzw. die Reinigung und Überwachung des Gefahrenbereichs nicht ausreichend organisiert hat.18 Dafür spielt es keine Rolle, ob – worauf S hinweist – eventuell ein anderer Kunde das Salatblatt hat fallen lassen. Die Fahrlässigkeit des S wäre nur dann ausgeschlossen, wenn er sein Personal im erforderlichen Umfang angewiesen hätte, den potentiell besonders gefährlichen Obst- und Gemüsebereich des Supermarktes in kurzen Abständen auf Verunreinigungen des Bodens zu kontrollieren und ggf. auftretende Gefahren sofort zu beseitigen. Seiner ihm durch § 280 I 2 BGB auferlegten Darlegungs- und Beweislast würde der S nur gerecht, wenn er Tatsachen vortragen und ggf. beweisen würde, aus denen sich ergibt, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Durch den bloßen Hinweis auf die Möglichkeit, dass ein anderer Kunde das Salatblatt fallen gelassen haben könnte, wird S seiner Darlegungs- und Beweislast jedoch nicht gerecht. Insbesondere hat S nicht dargelegt, dass er alle ihm zumutbaren Vorkehrungen zur regelmäßigen Beseitigung von Bodenverunreinigungen und damit zur Vermeidung eines Unfalls, wie ihn die S erlitten hat, getroffen hat. Deshalb kann sich der S nicht i.S.v. § 280 I 2 BGB exkulpieren.
4. Kausaler, ersatzfähiger Schaden
Der G müsste jedoch auch ein kausaler, ersatzfähiger Schaden entstanden sein.
Hinweis zum Aufbau von Schadensersatzansprüchen: Die Prüfung eines Schadensersatzanspruchs erfolgt grundsätzlich in zwei Schritten.19 Zunächst ist zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer Anspruchsgrundlage erfüllt sind, deren Rechtsfolge auf den Ersatz eines Schadens gerichtet ist (haftungsbegründender Tatbestand). Ist dies der Fall, muss sodann geklärt werden, ob durch die Rechtsgutverletzung ein Schaden eingetreten ist, ob dies kausal durch den haftungsbegründenden Tatbestand erfolgt ist und in welchem Umfang der Schaden zu ersetzen ist (haftungsausfüllender Tatbestand). Dies ist durch die §§ 249 ff. BGB geregelt.
Ein Schaden ist jede unfreiwillige Vermögenseinbuße, die jemand infolge eines bestimmten Umstands an seinen Rechtsgütern erleidet. Zu unterscheiden sind Vermögensschäden und Nichtvermögensschäden. Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn der Geschädigte eine in Geld bezifferbare Vermögenseinbuße an seinen Rechtsgütern erlitten hat.20 Ein Nichtvermögensschaden (immaterieller Schaden) liegt demgegenüber vor, wenn der Geschädigte durch die Verletzung seines Körpers oder seiner Psyche Schmerzen oder Aufregungen erlitten hat.
a) Behandlungskosten
G könnte durch den Beinbruch zunächst ein Vermögensschaden in Gestalt der angefallen Arztkosten entstanden. Nach der Differenzhypothese ist ein Vermögensschaden zu bejahen, wenn die tatsächliche Vermögenslage, wie sie sich nach dem schädigenden Ereignis darstellt, negativ von der hypothetischen Lage abweicht, wie sie sich ohne das schädigenden Ereignis darstellen würde.21
Der Bruch ihres Beines musste ärztlich behandelt werden. Die Behandlungskosten beruhen adäquat-kausal auf der Pflichtverletzung des S. Nach der sog. Adäquanztheorie ist eine Ursache dann kausal, wenn der Erfolg nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit lag.22 Dass ein Kunde, der auf einem Salatblatt ausrutscht, eine ernsthafte Verletzung wie beispielsweise einen Beinbruch erleidet, ist keinesfalls ungewöhnlich und liegt nach der allgemeinen Lebenserfahrung schon gar nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit.
Nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm ist ein Schaden allerdings trotz adäquat-kausaler Verursachung dem Schädiger nur dann zurechenbar, wenn er nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzweck der verletzten Handlungsnorm fällt. Es muss sich um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte (vor)vertragliche Pflicht übernommen worden ist.23 Ein Schaden fällt nicht unter den Schutzweck der verletzten Norm, wenn er in keinerlei innerem Zusammenhang mit der vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage steht. Man spricht deshalb auch vom Rechtswidrigkeitszusammenhang.24 Verwirklicht sich durch eine schädigende Handlung lediglich das allgemeine Lebensrisiko, steht der dadurch eingetretene Schaden nicht in einem inneren Zusammenhang mit der vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage. Schäden, die auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten entstanden wären, sind vom Schutzzweck der Norm regelmäßig nicht erfasst.25 Vorliegend verhält es sich jedoch so, dass die Pflicht des S zur Beseitigung von Bodenverunreinigungen gerade dem Zweck dient, den Eintritt von Schäden wie den vorliegenden zu verhindern. Hätte S seine Sorgfaltspflicht beachtet, wäre der Schaden der S aller Voraussicht nach ausgeblieben.26 Es hat sich durch den Sturz auf dem Salatblatt für G nicht nur das allgemeine Lebensrisiko, sondern eine besondere Gefahr verwirklicht, vor der der G sie durch sorgfältige Überwachung des durch ihn geschaffenen Gefahrenbereichs hätte schützen müssen.
Wer – wie hier der S – zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 I BGB). Man nennt dies Naturalrestitution. Die Schadenswiedergutmachung in Natur bildet den Grundgedanken der §§ 249 ff. BGB.27 Würde man ihn hier zur Anwendung bringen, wäre dem S das Recht eingeräumt, den Beinbruch der G selbst zu behandeln. Dies ist aber weder sinnvoll noch für G zumutbar und im Übrigen auch deshalb nicht (mehr) möglich, weil die Behandlung der G bereits durch einen Arzt erfolgt ist.
An der Ersatzfähigkeit der Behandlungskosten ändert dies aber nichts. Ist wegen der Beschädigung einer Sache oder – wie hier – wegen der Verletzung einer Person Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung in Natur den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (§ 249 II 1 BGB). Dem Gläubiger wird also eine Ersetzungsbefugnis eingeräumt. Er kann anstelle der Herstellung in Natur den dazu erforderlichen Geldbetrag vom Schuldner verlangen.28 G kann von S demnach die Zahlung des Geldbetrages verlangen, der für eine angemessene und fachgerechte ärztliche Behandlung erforderlich ist.29
b) Schmerzensgeld
In Betracht kommt außerdem nach § 253 II BGB ein Schmerzensgeldanspruch der G. Diese Vorschrift gewährt dem Geschädigten in den dort genannten Fällen einen Anspruch auf „billige Entschädigung in Geld“, also auf ein Schmerzensgeld. § 253 II BGB ist keine Anspruchsgrundlage; 30 die Norm erweitert vielmehr den Umfang des Schadensersatzes, wenn die Voraussetzungen einer haftungsbegründenden Norm – hier: § 280 I 1 BGB – erfüllt sind.31 Die Höhe des Anspruchs hat der Richter gemäß § 287 ZPO nach freiem Ermessen zu bestimmen.32
Voraussetzungen eines Schmerzensgeldanspruchs sind mithin die Verletzung eines der in § 253 II BGB genannten Rechtsgüter sowie das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs.33 Der Beinbruch stellt eine Verletzung des Körpers und der Gesundheit der G dar. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB sind ebenfalls erfüllt (s.o.). Deshalb umfasst der Ersatzanspruch der G gegen S nach § 253 II BGB auch ein angemessenes Schmerzensgeld.
Die Höhe des Schmerzensgeldes ist in der Praxis der Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen zu entnehmen. Diese Rechtsprechung ist in Schmerzensgeldtabellen34 zusammengefasst. Diese sind zwar nicht verbindlich, dienen aber als Orientierungshilfe; will der Richter im Rahmen seines Ermessens gemäß § 287 ZPO von vergleichbaren Fällen abweichen, muss er dies besonders umfassend begründen.35
5. Ergebnis zu I.
G hat gegen S einen Anspruchs aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB auf Erstattung der zur Behandlung des Beinbruchs erforderlichen Arztkosten sowie auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes.
II. Anspruch des G gegen S aus § 823 I BGB
Dieser Anspruch der G gegen S könnte zudem aus § 823 I BGB folgen. Danach ist der Schädiger dem Geschädigten zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, der aus einer vorsätzlichen oder fahrlässigen widerrechtlichen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit, des Eigentums oder eines sonstigen Rechts entsteht.
1. Rechtsgutsverletzung
Es liegt eine Verletzung des Körpers und der Gesundheit der G vor.
2. Handlung
Diese Verletzung müsste auf einer Handlung des S beruhen. Ein aktives Tun fällt S nicht zur Last. In Betracht kommt aber ein pflichtwidriges Unterlassen. Unter den Handlungsbegriff fällt nämlich nicht nur das positive Tun, sondern auch ein Unterlassen.36
Denkbar ist insbesondere die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.37 Derjenige, der eine Gefahrenquelle für andere Personen eröffnet, muss alle ihm zumutbaren Maßnahmen unternehmen, um den Eintritt von Schäden zu verhindern.38 Als Betreiber eines Supermarktes traf S die Pflicht dafür zu sorgen, dass niemand durch am Boden liegende Gegenstände zu Schaden kommt. Insbesondere hatte er dafür Sorge zu tragen, dass durch geeignete organisatorische Maßnahmen in engen zeitlichen Abständen herumliegend Gegenstände entfernt werden. Dieser Pflicht ist S nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.
3. Haftungsbegründende Kausalität
Die Verletzung des durch § 823 I BGB geschützten Rechts bzw. Rechtsguts muss der Handlung des Schädigers objektiv zurechenbar sein. Diese Verbindung zwischen Handlung und Verletzungserfolgt wird als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet.39 Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht führte zum Sturz der G und somit zur Verletzung deren Körpers und Gesundheit. Das Unterlassen des S war nicht nur adäquat-kausal für den Eintritt des Verletzungserfolges; vielmehr ist der Schaden der G auch vom Schutzzweck der Verkehrssicherungspflicht des S umfasst (s.o.). Die haftungsbegründende Kausalität ist deshalb zu bejahen.
4. Rechtswidrigkeit
Eine Haftung gemäß § 823 I BGB setzt voraus, dass der Anspruchsgegner ein Recht bzw. Rechtsgut des Geschädigten widerrechtlich verletzt hat. Nach der herrschenden Lehre vom Erfolgsunrecht ist die Rechtswidrigkeit durch die Verletzung indiziert; sie entfällt nur, wenn sich der Schädiger auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann.40 Nach der Gegenauffassung, welche als Lehre vom Handlungsunrecht bezeichnet wird, lässt allein der Erfolgseintritt nicht den Schluss auf ein rechtswidriges Handeln des Anspruchsgegners zu; eine Rechtswidrigkeit liege nur dann vor, wenn positiv festgestellt werden könne, dass der Schädiger gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (vgl. § 276 I 2 BGB) verstoßen hat. Welcher der beiden Auffassungen der Vorzug gebührt, kann hier somit dahinstehen,41 sofern dem S jedenfalls Fahrlässigkeit zur Last fällt (dazu gleich).
5. Verschulden
Die Haftung nach § 823 I BGB setzt voraus, dass der rechtswidrige Eingriffe in das Recht bzw. Rechtsgut schuldhaft erfolgt.42 Als Schuldformen kommen Vorsatz und Fahrlässigkeit in Betracht. Ein vorsätzliches Handeln des S scheidet aus (s.o.). In Betracht kommt allein ein fahrlässiges Verhalten des S.43 Da S sein Verschulden bestreitet und auf eine Verursachung durch einen anderen Kunden hinweist, müsste an sich G beweisen, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (vgl. § 276 II BGB) außer Acht gelassen hat. Die Beweislast für das Verschulden (und auch für die haftungsausfüllende Kausalität) trägt im Rahmen des § 823 I BGB der Geschädigte.44 Da nicht auszuschließen ist, dass das Salatblatt, auf dem G ausgerutscht ist, durch einen anderen Kunden fallen gelassen worden ist, wird G ein naturwissenschaftlicher Vollbeweis kaum gelingen. Im Falle einer – hier vorliegenden (s.o.) – Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht greift jedoch zu Gunsten des Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins.45 Diesen Anscheinsbeweis kann S nicht durch den bloßen Hinweis auf die Möglichkeit einer Fremdverursachung entkräften. Er müsste vielmehr – etwa durch Vorlage eines detaillierten Reinigungsplans – nachweisen, dass er alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um Verletzungen seiner Kunden zu vermeiden.46 Da S dies nicht tut, kann aus dem Vorliegen einer objektiven Verletzung der Verkehrssicherungspflicht prima facie auf ein fahrlässiges Verhalten des S geschlossen werden. Ein Verschulden des S ist demnach zu bejahen.
6. Kausaler, ersatzfähiger Schaden
Zum Schaden gelten die Ausführungen zu § 280 I BGB entsprechend (s.o.).
7. Ergebnis zu II.
Der Anspruch des G gegen S auf Erstattung der zur Behandlung des Beinbruchs erforderlichen Arztkosten sowie auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes folgt auch aus § 823 I BGB.
B. Abwandlung
I. Anspruch der D gegen S aus §§ 280 I, 311 III, 241 II BGB
Ein Schadensersatzanspruch der D gegen S könnte sich aus den §§ 280 I, 311 III, 241 II BGB in Verbindung mit den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (VSD) ergeben.
1. Schuldverhältnis
Es müsste ein Schuldverhältnis zwischen D und S vorliegen.
a) Anbahnung eines Vertrages (§ 311 II Nr. 2 BGB)
Da D den Supermarkt des S nicht in eigener Kaufabsicht, sondern lediglich als Begleiterin ihrer Mutter (G) betreten hat, scheidet ein Schuldverhältnis zwischen D und S infolge einer Vertragsanbahnung gemäß § 311 II Nr. 2 BGB aus.47 Auch ein ähnlicher geschäftlicher Kontakt i.S.v. § 311 II Nr. 3 BGB liegt nicht vor, weil kein mit der Anbahnung eines Vertrages vergleichbarer und lediglich zeitlich vorgelagerter Fall vorliegt. In den Fällen des § 311 II BGB sind die Parteien des vorvertraglichen Schuldverhältnisses grundsätzlich nur die Partner des möglicherweise zustande kommenden Vertrags.48
b) Einbeziehung der D in den Schutzbereich des Vertragsanbahnungsverhältnisses zwischen G und S
Die D könnte jedoch nach den Grundsätzen des VSD in den Schutzbereich des Vertragsanbahnungsverhältnisses zwischen G und S49 einbezogen sein.
Nach § 311 III 1 BGB kann ein Schuldverhältnis mit Schutzpflichten nach § 241 II BGB auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen.50 Zwar betrifft die Vorschrift vorrangig Fälle, in denen ein Dritter verpflichtet ist. Dritte können entsprechend den Grundsätzen über den VSD aber auch berechtigt sein. Vom Wortlaut des § 311 III 1 BGB ist auch diese Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses mit umfasst. Einem Dritten kann ein eigener Schadensersatzanspruch aus der Verletzung von Sorgfalts- und Schutzpflichten zustehen, wenn er in den Schutzbereich eines (vor-)vertraglichen Schuldverhältnisses einbezogen ist.51 Ein solcher Drittschutz setzt Folgendes voraus:52
aa) Leistungsnähe der D
Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger. Das ist zu bejahen, da D der Gefahr eines Unfalls in der Obst- und Gemüseabteilung des Supermarkts des S gleichermaßen ausgesetzt ist wie die G.
bb) Einbeziehungsinteresse der G
Der Gläubiger muss ein berechtigtes Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben. Ein solches Interesse ist stets zu bejahen, wenn der Gläubiger im Rahmen eines Fürsorgeverhältnisses mit personenrechtlichem Einschlag für das „Wohl und Wehe“ des Dritten verantwortlich ist.53 So liegt der Fall hier. Die G ist infolge elterliche Sorge gemäß § 1626 I 1 BGB für das „Wohl und Wehe“ ihrer Tochter D verantwortlich und hat deshalb ein berechtigtes Interesse an der Einbeziehung der D in den Schutzbereich des durch Vertragsanbahnung begründeten (vorvertraglichen) Schuldverhältnisses mit S.
cc) Erkennbarkeit für S
Für den Schuldner muss die Leistungsnähe des Dritten und dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Schuldverhältnisses erkennbar und zumutbar sein. Dies ist hier der Fall. Für S als Supermarktbetreiber ist ohne Weiteres klar, dass Eltern beim Einkaufen durch ihre Kinder begleitet werden.
dd) Schutzbedürftigkeit der D
Der Dritte muss schließlich schutzbedürftig sein. An der Schutzbedürftigkeit des Dritten fehlt es, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben wie diejenigen Ansprüche, die ihm über eine Einbeziehung in den Schutzbereich des Schuldverhältnisses zukämen. Ein eigener vertraglicher oder vertragsähnlicher Schadensersatzanspruch der D gegen S besteht jedoch – wie soeben aufgezeigt54 – nicht, sodass D schutzbedürftig ist.
Damit greifen die Grundsätze des VSD hinsichtlich der D ein.
2. Sonstige Tatbestandsvoraussetzungen
Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs liegen vor. Insoweit kann zur Vermeidung unnötiger Redundanzen auf die vorstehenden Ausführungen zum Grundfall55 verwiesen werden.
3. Ergebnis zu I.
D hat gegen S gemäß §§ 280 I, 311 III, 241 II BGB i. V. m. den Grundsätzen über den VSD einen Anspruch auf Erstattung der zur Behandlung des Beinbruchs erforderlichen Arztkosten sowie auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes.
II. Anspruch des D gegen S aus § 823 I BGB
Ein solcher Anspruch folgt auch aus § 823 I BGB. Auch hier darf zur Vermeidung unnötiger Redundanzen auf die vorstehenden Ausführungen zum Grundfall56 verwiesen werden.
Ergänzende Hinweise:
Der Fall befasst sich mit der Haftung im vorvertraglichen Stadium. Neben einer deliktischen Haftung (§§ 823 ff. BGB) kommt eine Haftung auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo in Betracht. Obwohl die Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen bzw. -anbahnung keine vertragliche, sondern eine Haftung aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis ist, knüpft sie an eine vorvertragliche Sonderverbindung an und hat deshalb vertragsähnlichen Charakter.57
Der Anspruch auf Schadensersatz folgt in diesen Fällen aus den §§ 280 I, 311 II/ III, 241 II BGB. Da es im vorvertraglichen Stadium noch keine Leistungspflichten geben kann, handelt es sich um „einfachen“ Schadensersatz nach § 280 I BGB; Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung (§ 280 I, II, 286 BGB) oder Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 I, III, 281 – 283 BGB) sind bei der vorvertraglichen Pflichtverletzung nicht denkbar.58
Regelmäßig ist diese Haftung den Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse) gerichtet.59 Es gibt aber auch Fälle, in denen die Haftung auf das Erfüllungsinteresse (positives Interesse) gerichtet ist. Es sollte deshalb in der Fallbearbeitung besser nicht mit diesen Begriffen operiert und vielmehr allgemein auf die Differenzhypothese des § 249 I BGB abgestellt werden: Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stünde, wenn das schädigende Ereignis ausgeblieben wäre.
§ 311 II, III BGB decken unterschiedliche Anwendungsfälle der c.i.c. ab. Diese lassen sich nach dem Verhältnis des Schadens zu dem von den Parteien intendierten Vertrag wie folgt kategorisieren:60
Der spätere Vertragsschluss kann für den Schaden gleichgültig sein. So verhält es sich in folgenden Fallgruppen:
Körper- und Eigentumsschäden („deliktsähnliche Fälle“)
Verletzt im Zusammenhang mit einem rechtsgeschäftlichen Kontakt ein Beteiligter den anderen an seinem Körper oder Eigentum, ergibt sich zunächst ein Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB. Daneben kann ein Anspruch aus den §§ 280 I, 311 II/III, 241 II BGB treten. Dies bietet für den Geschädigten zum einen den Vorteil, dass sich der Schädiger das Verhalten (insbesondere das Verschulden) seiner Hilfspersonen gemäß § 278 BGB zurechnen lassen zu muss, während der Geschäftsherr im Deliktrechts nach § 831 BGB nur für eigenes (vermutetes) Auswahl- und Überwachungsverschulden haftet. Zum anderen kommt dem Geschädigten bei der vertragsähnlichen Haftung nach §§ 280 I, 311 II, III, 241 II BGB hinsichtlich des Vertretenmüssens die Beweislastumkehr des § 280 I 2 BGB zugute, während er bei § 823 I BGB das Verschulden des Schädigers darlegen und beweisen muss (allerdings mit der Möglichkeit der Beweiserleichterung, vgl. hierzu den vorstehenden Fall). Der Rückgriff auf die Haftung aus c.i.c. dient in dieser Fallgruppe, der auch der hiesige Fall zuzuordnen ist, also vor allem dazu, als unbillig empfundene Härten des Deliktsrechts auszugleichen.
Vermögensschäden
Wird ein an Vertragsverhandlungen Beteiligter nicht an einem durch § 823 I BGB geschützten Recht bzw. Rechtsgut, sondern an seinem Vermögen verletzt, scheidet eine deliktische Haftung nach § 823 I BGB aus. Das Deliktsrecht gewährt in diesen Fällen nur dann einen Ersatzanspruch, wenn die Schädigung durch den Verstoß gegen ein einschlägiges Schutzgesetz erfolgt (§ 823 II BGB) oder ein (seltener) Fall des § 826 BGB vorliegt. In diesen Fällen erfüllt die Haftung aus c.i.c. eine Auffangfunktion.
Der Schaden kann sich aber auch gerade aus dem Fehlen eines wirksamen Vertrages ergeben. So verhält es sich in folgenden Fallgruppen:
Abbruch von Vertragsverhandlungen
Der Abbruch von Vertragsverhandlungen stellt grundsätzlich keine Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht gemäß § 241 II BGB dar. Die Vertragsabschlussfreiheit erlaubt es den Verhandelnden, die Verhandlungen auch in einem fortgeschrittenen Stadium abzubrechen. Das gilt auch dann, wenn die andere Partei bereits erhebliche Kosten aufgewandt oder auf andere Abschlussmöglichkeiten verzichtet hat. Solche Aufwendungen im Vorfeld eines Vertrags erfolgen grundsätzlich auf eigene Gefahr.61 Etwas anderes jedoch dann, wenn eine Partei die Vertragsverhandlungen nur zum Schein führt, d.h. sie beginnt oder zu einem Zeitpunkt weiterführt, in welchem jegliche Abschlussbereitschaft fehlt. Darüber hinaus soll nach der Rechtsprechung eine Haftung aus c.i.c. auch schon dann eingreifen, wenn eine Vertragspartei die Verhandlungen ohne triftigen Grund abbricht, nachdem sie zunächst das Vertrauen des anderen Teils geweckt hatte, der Vertrag würde mit Sicherheit zustande kommen.62
Bei einem Grundstückskaufvertrag, zu dessen Wirksamkeit die notarielle Beurkundung erforderlich ist (§ 311b I 1 BGB), sind an die Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten besonders strenge Anforderungen zu stellen.63
„Bei einem Grundstückskaufvertrag sind an die Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten strengere Anforderungen zu stellen. Bei einem solchen Vertrag löst die Verweigerung der Mitwirkung an der Beurkundung durch einen Verhandlungspartner nicht schon dann Schadensersatzansprüche aus, wenn es an einem triftigen Grund dafür fehlt, sondern nur, wenn eine besonders schwerwiegende, in der Regel vorsätzliche Treuepflichtverletzung vorliegt. Eine solche ist beispielsweise beim Vorspiegeln einer tatsächlich nicht vorhandenen Abschlussbereitschaft oder auch dann gegeben, wenn ein Verhandlungspartner zwar zunächst verkaufsbereit war, im Verlaufe der Verhandlungen aber innerlich von dieser Bereitschaft abgerückt ist, ohne dies zu offenbaren (…). Begründete schon das Fehlen triftiger Gründe für die Verweigerung der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrags die Haftung des Verhandlungspartners, bedeutete das nämlich einen indirekten Zwang zum Abschluss des Vertrags. Ein solcher Zwang liefe dem Zweck der Formvorschrift des § 311b BGB zuwider, nach der wegen der objektiven Eigenart des Vertragsgegenstandes eine Bindung ohne Einhaltung der Form verhindert werden soll (…).“
▪ Herbeiführung eines unwirksamen Vertrags
Eine vorvertragliche Schutzpflichtverletzung kommt auch dann in Betracht, wenn ein Vertrag zwar abgeschlossen wird, dieser aber unwirksam ist. Erkennt eine Partei dies nicht und erleidet sie hierdurch einen Schaden, ist zunächst an eine Haftung nach § 122 BGB und § 179 BGB zu denken. In beiden Fällen ist das negative Interesse zu ersetzen und grundsätzlich eine Begrenzung auf das positive Interesse zu beachten. Aus beiden Vorschriften lässt sich aber der allgemeine Rechtsgedanke ableiten, dass derjenige auf das negative Interesse – begrenzt durch das positive Interesse – haftet, wer schuldhaft die andere Partei nicht über bestimmte Umstände informiert, die der Wirksamkeit des Geschäfts entgegenstehen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt dann auch eine Haftung aus c.i.c. in Betracht. Schuldhaft kann das Unterlassen einer Information allerdings nur sein, wenn zu ihr eine Pflicht bestand. Eine solche Aufklärungspflicht kommt nur in Betracht, wenn der Unwirksamkeitsgrund allein aus der Sphäre des Aufklärungspflichtigen stammt oder die Pflicht aus Vertrag, Gesetz oder vorangegangenem Tun resultiert.
Schließlich kann sich der Schaden auch aus der Belastung mit einem wirksamen, aber unerwünschten Vertrag ergeben:
Positive Falschangaben
Eine Haftung aus c.i.c. kommt insbesondere dann in Betracht, wenn im Vorfeld eines Vertrags vorsätzliche oder fahrlässige positive Falschangaben gemacht werden, sofern nicht ausnahmsweise ein „Recht auf Lüge“ besteht. In solchen Fällen ist der Anspruch aus §§ 280 I, 311 II/III, 241 II auf Vertragsaufhebung64 gerichtet und tritt ggf. neben die Möglichkeit der Anfechtung des Vertrages gemäß § 123 I Alt. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung.
Unterlassene Aufklärung
Häufiger sind Fälle, in denen der Schwerpunkt des Vorwurfs in einem Unterlassen besteht. In Betracht kommt dann die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht. Es gibt allerdings keine allgemeine Pflicht, dem anderen Teil bei der Anbahnung eines Vertrages ungefragt alle Tatsachen mitzuteilen, die für dessen Entscheidung von Bedeutung sein könnten. Eine Aufklärungspflicht ist nur dann zu bejahen, wenn ein Umstand für die Entschließung des Gegners von erkennbar entscheidender Bedeutung ist und dieser nach der Verkehrssitte eine Aufklärung darüber erwarten darf.65
Hierzu führt der BGH aus: 66
„Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht bei Vertragsverhandlungen zwar keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handelns selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage besteht allerdings bereits dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (…).“
- Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 18; MünchKomm-BGB/Busche, 7. Aufl. 2015, § 145 Rn. 12; Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 4 f.
- Fritzsche, Fälle zum BGB AT, 7. Aufl. 2019, Fall 11, Rn. 5.
- Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 719; Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 145 Rn. 6; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 145 Rn. 8; Muscheler/Schewe, Jura 2000, 565, 567.
- Hk-BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 145 Rn. 6.
- Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 145 Rn. 8; Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 3.
- Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 5 Rn. 1.
- Die Überschrift des § 311 BGB spricht deshalb von einem „rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnis“.
- Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 311 Rn. 15.
- Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 5.
- Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 311 Rn. 16.
- BGH, Urt. v. 28.01.1976 – VIII ZR 246/74, BGHZ 66, 52, 54 (Gemüseblatt).
- em>Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 6.
- BGH, Urt. v. 28.01.1976 – VIII ZR 246/74, BGHZ 66, 52, 54 (Gemüseblatt); BGH, Urt. v. 26.09.1961 – VI ZR 92/61, NJW 1962, 31, 32 (Bananenschale).
- Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 6.
- BGH, Urt. v. 15.07.2008 – VI ZR 212/07, Rn. 30.
- Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 357.
- Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 358.
- Hier und zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 9 – 11.
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 862 – 864.
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 870, 872.
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 871.
- BGH, Urt. v. 23.10.1951 – I ZR 31/51, BGHZ 3, 261, 266.
- BGH, Urt. v. 26.02.2013 – VI ZR 116/12, Rn. 12.
- Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § Vor § 249 Rn. 29.
- BGH, Urt. v. 26.10.1999 – X ZR 30/98, NJW 2000, 661, 663; BGH, Urt. v. 24.10.1985 – IX ZR 91/84, BGHZ 96, 157, 173.
- Dass der Sturz eines Kunden auf einem Salatblatt auch bei Beachtung der Sorgfaltspflichten des Betreibers eines Supermarktes nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, steht dem nicht entgegen.
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 899 f.
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 901.
- Daran ändert sich nichts, falls G krankenversichert ist und der Versicherer die Behandlungskosten bereits beglichen hat. In einem solchen Fall geht der Anspruch der G gegen S nach § 86 I VVG (cessio legis) auf den Versicherer über.
- Erman/Ebert, BGB, 15. Aufl. 2017, § 253 Rn. 11; Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 13; Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 253 Rn. 2; a. A. Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 253 Rn. 4.
- Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 253 Rn. 13.
- Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 253 Rn. 20.
- Erman/Ebert, BGB, 15. Aufl. 2017, § 253 Rn. 11.
- Z. B. Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeld-Beträge, 37. Aufl.2019, Slyzik, Beck´sche Schmerzensgeldtabelle, 15. Aufl. 2019.
- Erman/Ebert, BGB, 15. Aufl. 2017, § 253 Rn. 30.
- Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 823 Rn. 46.
- Hier und zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 21.
- Grüneberg/Sprau, BGB, 83. Aufl. 2024, § 823 Rn. 45 ff.
- Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 823 Rn. 45.
- Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 823 Rn. 72 f.
- Der BGH hat sich bislang nicht eindeutig positioniert, tendiert aber zur erstgenannten Auffassung (Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 823 Rn. 74).
- Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 823 Rn. 45.
- Zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 24.
- Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 823 Rn. 86.
- BGH, Urt. v. 11.03.1986 – VI ZR 22/85, NJW 1986, 2757, 2758; Hk-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 823 Rn. 87. Allgemein zum Anscheinsbeweis (prima facie) siehe Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO; 40. Aufl. 2019, § 286 Rn. 12 ff.
- BGH, Urt. v. 27.11.1984 – VI ZR 49/83, NJW 1985, 484, 484 f.
- Hier und zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 30.
- Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 311 Rn. 18.
- Siehe A.I.1.b) bb).
- Zum Folgenden: Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 32 f.; Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 311 Rn. 18.
- BGH, Urt. v. 02.07.1996 – X ZR 104/94, NJW 1996, 2927, 2928 („Nitrierofen“).
- Zum Folgenden: BGH, Urt. v. 07.12.2017 – VII ZR 204/14, Rn. 18; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 43. Aufl. 2019, § 33 Rn. 8 – 12; Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, Vor § 328 Rn. 10; konkret zum Fall: Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 8. Aufl. 2019, Fall 2, Rn. 34 – 37.
- BGH, Urt. v. 21.07.2010 – XII ZR 189/08, Rn. 19; BGH, Urt. v. 15.06.1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 273.
- Siehe B.I.1.a).
- Siehe A.I.2.bis 4.
- Siehe A.II.
- Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 531.
- Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 528.
- Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 530.
- Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 530.
- BGH, Urt. v. 13.10.2017 – V ZR 11/17, Rn. 5.
- BGH, Urt. v. 13.10.2017 – V ZR 11/17, Rn. 5; BGH, Urt. v. 09.11.2012 – V ZR 182/11, Rn. 7.
- Zum Folgenden: BGH, Urt. v. 13.10.2017 – V ZR 11/17, Rn. 6.
- BGH, Beschl. v. 21.09.2011 – IV ZR 38/09, Rn. 38 („HEROS II“).
- Bevor der Anspruch auf Vertragsaufhebung erfüllt ist, besteht ein vorgelagerter Anspruch, aus dem „unerwünschten“ Vertrag nicht in Anspruch genommen zu werden (Canaris, AcP 200 [2000], 273, 304; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 537).
- Zum Folgenden: BGH, Urt. v. 14.09.2017 – VII ZR 307/16, Rn. 14.