Fall: Das Chor Archiv

„Chor-Archiv“

Sachverhalt:

Der G-e.V. aus Weimar ist ein internationaler Chor mit langer Tradition. In seinem Archiv findet sich nahezu vollständig das gesamte Repertoire seit Gründung. Auf Anfrage stellt der Chor sein Archiv zu wissenschaftlichen Zwecken zur Verfügung. Auch die Promotionsstudentin S aus Potsdam hatte die Gelegenheit, für zwei Wochen das gesamte Archiv mit nach Hause zu nehmen. Während dieser Zeit erfuhr S, dass der materielle Wert des Archivs nur ca. 1.000,00 Euro beträgt, der immaterielle Wert aber sehr viel höher ist. Daraufhin beschloss sie, das Archiv nicht zurückzugeben. Dies führte letztlich zu einer Klage des G gegen S vor dem Amtsgericht Weimar, in dem G von S die Herausgabe des Archivs gemäß § 985 BGB verlangte. Das Verfahren endete mit einem Versäumnisurteil gegen S. Der Tenor zur Hauptsache entspricht den Anträgen des G und lautet wie folgt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger das Archiv (…) herauszugeben.

2. Der Beklagten wird eine Herausgabefrist von vier Wochen ab Zustellung des Urteils gesetzt.

3. Für den Fall der Nichtherausgabe des Archivs innerhalb der unter 2. genannten Frist wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.000,00 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem Ablauf der unter 2. genannten Frist zu zahlen.

S lässt diese Frist bewusst verstreichen und überweist dem G sodann 1.000,00 Euro zuzüglich Zinsen. Kurz darauf erhält sie ein Schreiben eines Gerichtsvollziehers, der ihr die Zwangsvollstreckung des Herausgabeanspruchs ankündigt. Das Geld war mittlerweile von G zurücküberwiesen worden.

S sucht Rat bei einer befreundeten Rechtsreferendarin, die ihr empfiehlt, beim Amtsgericht Potsdam eine Vollstreckungsabwehrklage zu erheben, was S auch tut. Allerdings vergisst sie später, zur mündlichen Verhandlung zu gehen. G beantragt, die Klage durch Versäumnisurteil abzuweisen. Genauso entscheidet das Gericht.

S begibt sich schließlich am 27. des Monats zu Rechtsanwältin R und bittet um Rechtsrat. Sie teilt ihr mit, dass ihr das Versäumnisurteil am Samstag, dem 10. zugestellt worden sei. Sie habe auch schon am gestrigen Montag zu R kommen wollen, sei auf dem Weg aber in einen Unfall verwickelt worden und habe den ganzen Tag in der Notaufnahme zugebracht.

Was wird R der S raten?

(Sollte ein Vorgehen für unzulässig erachtet werden, ist die Begründetheit in einem Hilfsgutachten zu erörtern. Soweit bestimmte Hinweise oder Belehrungen des Gerichts für erforderlich erachtet werden, ist davon auszugehen, dass diese erteilt wurden.)

Lösungsvorschlag:

Der Rat der R an S wird davon abhängen, ob S noch eine prozessuale Möglichkeit hat, ihre Vollstreckungsabwehrklage „zu retten“, und ob ein solches Vorgehen auch materiell Aussicht auf Erfolg hat.

A. Prozessuale Möglichkeit

S hat den Verhandlungstermin verpasst, so dass gegen sie ein Versäumnisurteil ergangen ist. Da sie die Klägerin ist, wurde ihre Klage abgewiesen (§ 330 ZPO).

I. Einspruch

Allerdings hat sie grundsätzlich die Möglichkeit, gegen das Versäumnisurteil Einspruch einzulegen (§ 338 ZPO). Dies muss sie innerhalb der Notfrist von zwei Wochen seit Zustellung des Versäumnisurteils tun (§ 339 Abs. 1 ZPO). Es kommt also vor allem darauf an, ob diese Frist noch läuft.

Für die Fristberechnung gelten gemäß § 222 Abs. 1 ZPO die §§ 187 ff. BGB entsprechen.

1. Fristbeginn

Der Fristbeginn richtet sich nach § 187 BGB, der danach unterscheidet, ob ein Ereignis bzw. ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgeblich ist (Abs. 1) oder der Anfang eines Tages (Abs. 2). Die Zustellung ist ein Ereignis. Für den Fristbeginn wird deshalb der Tag der Zustellung nicht mitgerechnet. Die Zustellung erfolgte am Sonnabend, dem 10. Fristbeginn war also Sonntag, der 11.

2. Fristende

Das Fristende muss sich aus § 188 Abs. 2 BGB ergeben. Danach endet eine nach Wochen zu bestimmende Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, welcher durch seine Benennung dem Tag entspricht, in den das Ereignis fiel. Da die Zustellung an einem Sonnabend erfolgte, endete die Zweiwochenfrist also am übernächsten Sonnabend, dem 24. Allerdings bestimmt § 222 Abs. 2 ZPO, dass in einem solchen Fall das Fristende erst auf den nächsten Werktag fällt. Das war jedoch bereits Montag, der 26., mit dessen Ablauf die Einspruchsfrist ablief. Da S erst am Dienstag, dem 27. bei R erscheint, ist die Frist zur Einspruchseinlegung abgelaufen.

II. Berufung

Noch nicht abgelaufen wäre dagegen die Berufungsfrist, denn diese beträgt einen Monat ab Zustellung (§ 517 ZPO). Gegen ein (erstes) Versäumnisurteil ist die Berufung jedoch nicht statthaft (§ 514 Abs. 1 ZPO).

III. Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist

Möglicherweise kann S aber die Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist beantragen (§ 233 Satz 1 ZPO). Die Einspruchsfrist wird als Notfrist von § 233 ZPO erfasst.

1. Schuldlose Säumnis

S müsste diese Frist ohne ihr Verschulden versäumt haben. Nach dem Sachverhalt wollte sie bereits am Montag bei R erscheinen, war hieran ab wegen eines Unfalls gehindert. Wie gezeigt, lief am Montag die Einspruchsfrist noch, so dass noch Einspruch hätte eingelegt werden können. S kann nicht vorgeworfen werden, wegen eines Unfalls nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, sich Rechtsrat zu holen. Ob sie den Unfall selbst verursacht hat, ist hierfür unerheblich. Ebenso wenig ist von Bedeutung, dass sie erst am letzten Tag der Frist R aufsuchen wollte. Eine Frist darf vollständig ausgenutzt werden. S hat deshalb die Einspruchsfrist unverschuldet versäumt.

2. Wiedereinsetzungsfrist

Gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden, die nach Absatz 2 mit dem Tag beginnt, an dem das Hindernis behoben ist. Das Hindernis für die Einhaltung der Einspruchsfrist war der Krankenhausaufenthalt der S. Es ist mittlerweile behoben. S ist gleich am nächsten Tag bei R erschienen. Die Wiedereinsetzungsfrist läuft also noch.

3. Wiedereinsetzungsantrag

Die Wiedereinsetzung muss grundsätzlich beantragt werden (§ 236 Abs. 1 ZPO). Lediglich dann, wenn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die versäumte Prozesshandlung – hier der Einspruch – nachgeholt wird, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag bewilligt werden (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO).

a) Form

Die Form des Antrags richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten (§ 236 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 340 Abs. 1 ZPO wird der Einspruch durch Einreichung der Einspruchsschrift eingelegt. Der Wiedereinsetzungsantrag muss deshalb schriftlich gestellt werden.

b) Zuständigkeit

Zuständig für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist das Gericht, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht (§ 237 ZPO). Nach § 340 Abs. 1 ZPO ist die Einspruchsschrift an das Prozessgericht zu richten. Zuständig ist also das Gericht, welches das Versäumnisurteil erlassen hat. Das ist hier das Amtsgericht Potsdam. Vor einem Amtsgericht könnte S auch selbst auftreten (§ 79 Abs. 1 ZPO). Der Wiedereinsetzungsantrag muss also nicht zwingend von R gestellt werden.

c) Glaubhaftmachung

In dem Antrag muss S diejenigen Tatsachen, die ihre schuldlose Säumnis belegen, angeben; sie sollte diese auch gleich glaubhaft machen (§ 236 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Maßgeblich für die unverschuldete Säumnis ist der ganztägige Aufenthalt in der Notaufnahme. Diesen muss S glaubhaft machen. Nach § 294 ZPO kann sie sich hierfür sämtlicher Beweismittel bedienen (Freibeweis) und darüber hinaus der eidesstattlichen Versicherung. Es würde deshalb genügen, wenn S eidesstattliche versichert, aufgrund eines Unfalls den gesamten Montag in der Notaufnahme verbracht zu haben, obwohl sie R haben aufsuchen wollen.

4. Einspruchsschrift

Außerdem müsste S innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die versäumte Prozesshandlung nachholen, also eine Einspruchsschrift einreichen (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO). Zweckmäßig ist es, dies mit dem Wiedereinsetzungsantrag zu verbinden.

IV. Ergebnis

S kann mit hohen Erfolgsaussichten Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist beantragen. Damit wäre ihr Einspruch zulässig. Sie hat also eine prozessuale Möglichkeit, ihre Vollstreckungsabwehrklage „zu retten.“

B. Erfolgsaussichten des Einspruchs

Es ergibt allerding nur dann einen Sinn, Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen, wenn es wahrscheinlich ist, dass das Amtsgericht das Versäumnisurteil aufhebt und der Klage stattgibt (§ 343 ZPO). R muss deshalb prüfen, ob die Vollstreckungsabwehrklage zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit der Vollstreckungsabwehrklage

Die Vollstreckungsabwehrklage müsste zulässig sein.

1. Zuständigkeit des Amtsgerichts Potsdam

Das Amtsgericht Potsdam muss für die Klage zuständig sein.

a) Sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich grundsätzlich nach dem Wert der Klage (§§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 ZPO). Der Wert einer Vollstreckungsabwehrklage bestimmt sich nach der zu vollstreckenden Forderung. Diese beträgt vorliegend 1.000,00 Euro. Das Amtsgericht ist sachlich zuständig.

b) Örtliche Zuständigkeit

Gemäß § 767 Abs. 1 ZPO ist die Vollstreckungsabwehrklage beim Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu erheben. Hierunter ist das Gericht zu verstehen, das den Titel, aus dem der Gläubiger vollstreckt, erlassen hat. Das war das Amtsgericht Weimar. Diese Zuständigkeit gilt ausschließlich (§ 802 ZPO).

Es ist jedoch fraglich, ob das Amtsgericht Weimar für die Herausgabeklage des G aus § 985 BGB tatsächlich zuständig war. Nach § 24 ZPO besteht ein ausschließlicher dinglicher Gerichtsstand am Ort der Belegenheit der Sache. Das wäre hier der Wohnort der S, also Potsdam gewesen.

Hierauf kommt es jedoch schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 767 Abs. 1 ZPO nicht an.

Danach wäre das Amtsgericht Potsdam unzuständig.

Seine Zuständigkeit könnte sich aber aus § 39 Satz 1 ZPO ergeben. Hierfür hätte G zur Hauptsache mündlich verhandeln müssen, ohne die Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen (rügelose Einlassung). Nach dem Sachverhalt hat G lediglich den Antrag auf Klageabweisung und Erlass eines Versäumnisurteils stellen können. Fraglich ist, ob er damit zur Hauptsache verhandelt hat. Hierfür spricht, dass es ihm ohne Weiteres möglich gewesen wäre, die Unzuständigkeit zu rügen und den Erlass eines Prozessurteils zu beantragen. Dies hat er nicht getan, sondern den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt. Das hatte die Klageabweisung zur Folge (§ 330 Abs. 1 ZPO). Ohne Einspruch der S würde das Versäumnisurteil rechtskräftig werden und S könnte nicht noch einmal eine Vollstreckungsabwehrklage auf dieselben Einwendungen stützen. Im Übrigen beginnt die mündliche Verhandlung mit dem Stellen der Anträge (§ 137 Abs. 1 ZPO). Auch das spricht dafür, bereits in dem Klageabweisungsantrag des G ein Verhandeln zur Hauptsache zu sehen.

Dies allein könnte jedoch noch nicht genügen, um eine rügelose Einlassung anzunehmen. § 39 Satz 2 ZPO setzt darüber hinaus die Belehrung des G nach § 504 ZPO voraus. Gemäß § 504 ZPO muss ein Amtsgericht den Beklagten vor dem Verhandeln auf seine Unzuständigkeit und die Folgen einer rügelosen Einlassung hinweisen. Hier findet das Verfahren vor dem Amtsgericht statt. Nach dem Bearbeitervermerk sind die erforderlichen Hinweise und Belehrungen erteilt worden, also auch die nach § 504 ZPO.

G hat sich deshalb auf die Vollstreckungsabwehrklage vor dem örtlich unzuständigen Amtsgericht Potsdam eingelassen.

Zu beachten ist jedoch, dass gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 ZPO die rügelose Einlassung dann nicht zur Zuständigkeit des unzuständigen Gerichts führt, wenn für die Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist. Wie bereits erwähnt, sind nach § 802 ZPO die im achten Buch der ZPO angeordneten Gerichtsstände ausschließliche. Dies gilt deshalb auch für die Vollstreckungsabwehrklage in § 767 ZPO.

Es bleibt somit bei der örtlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Potsdam.

c) Konsequenz

Die Klage vor dem Amtsgericht Potsdam ist unzulässig. Das Versäumnisurteil würde deshalb zwar als Sachurteil aufgehoben werden, das Gericht würde sodann aber die Klage der S durch Prozessurteil und mit Kostentragungslast der S (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO) als unzulässig abweisen. S müsste eine neue Klage vor dem Amtsgericht Weimar erheben, was nicht zur wertvolle Zeit, sondern im Hinblick auf die dort erneut einzuzahlenden Gerichtskosten auch Geld kostet.

S hat jedoch die Möglichkeit, die Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich ausschließliche Amtsgericht Weimar zu beantragen (§ 281 Abs. 1 ZPO). Das Verfahren würde dann dort fortgesetzt werden. Ein erneuter Kostenvorschuss würde für S nicht anfallen. Einziger Nachteil wäre, dass sie in jedem Fall die Kosten der Verweisung tragen müsste (§ 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Das ist im Vergleich zum Prozessverlust jedoch das deutlich kleinere Übel.

Die örtliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts Potsdam ist also kein Grund, von einem Einspruch abzusehen.

2. Richtiger Beklagter

Die Vollstreckungsgegenklage muss sich gegen den Gläubiger des titulierten Anspruchs richten. Das ist G.

G müsste partei- und prozessfähig sein.

Parteifähig ist, wer rechtsfähig ist (§ 50 Abs. 1 BGB). Grundsätzlich erlangt ein Verein Rechtsfähigkeit durch seine Eintragung in das Vereinsregister (§ 21 BGB). G ist ein eingetragener Verein (e.V.) und damit rechtsfähig.

Um auch prozessfähig zu sein, müsste sich G durch Verträge verpflichten können (§ 52 Abs. 1 BGB). Ob juristische Personen prozessfähig sind, ist umstritten. Hierauf kommt es aber nicht an, denn selbst wenn man sie als prozessunfähig betrachten würde, würden sie ihre Prozessfähigkeit dadurch erlangen, dass sie von ihren zuständigen Organen im Prozess vertreten werden. Gesetzlicher Vertreter eines Vereins ist der Vorstand (§ 26 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB). G ist also prozessfähig, wenn er im Prozess von seinem Vorstand vertreten wird.

3. Rechtsschutzbedürfnis

S bräuchte ein Rechtsschutzbedürfnis für die Vollstreckungsabwehrklage. Das hat sie solange, wie die Zwangsvollstreckung andauert. Vorliegend ist ihr vom Gerichtsvollzieher die Herausgabevollstreckung angedroht worden. Die Zwangsvollstreckung ist also noch nicht beendet, so dass S ein Rechtsschutzbedürfnis hat.

4. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen

Schließlich müssen auch die weiteren allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen.1 Der Sachverhalt gibt keinen Hinweis darauf, dass das nicht der Fall sein könnte.

5. Ergebnis

Die Klage ist aufgrund der örtlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Potsdam zwar zurzeit noch unzulässig. Dieser Mangel könnte aber durch eine Verweisung an das Amtsgericht Weimar behoben werden. Alle anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

II. Begründetheit

Die Vollstreckungsabwehrklage müsste aber auch begründet sein. Das ist sie dann, wenn S Einwendungen gegen den titulierten Anspruch hat, die die Zwangsvollstreckung unzulässig machen.

1. Einwendung

Als Einwendung kommt hier das Erlöschen des Herausgabeanspruchs gemäß § 281 Abs. 4 BGB in Betracht.

Danach ist der Anspruch auf die Primärleistung ausgeschlossen, sobald der Gläubiger statt der Leistung Schadensersatz verlangt hat.

a) Anwendbarkeit von § 281 Abs. 4 BGB

§ 281 Abs. 4 BGB müsste auf den Herausgabeanspruch des G anwendbar sein. G hat seine Klage auf § 985 BGB gestützt. Ob hierauf § 281 BGB Anwendung findet, ist umstritten.2

  • Eine Ansicht meint, dass die Folgen der Nichtherausgabe des Eigentums in den §§ 989, 990 BGB abschließend geregelt seien. Danach könnte G nur Ersatz desjenigen Schadens verlangen, der ihm durch die Verschlechterung, den Untergang oder die sonstige Unmöglichkeit der Herausgabe entstanden ist. Hierzu würde der Wert des Archivs nicht gehören, da es von S nach wie vor herausgegeben werden könnte. Auch sonstige Vorenthaltungsschäden wären nicht erfasst. Zur Begründung verweist diese Auffassung vor allem auf die Funktion des § 985 BGB, bei dem es allein auf die Zusammenführung von Eigentum und Besitz ankomme. Bei einer Anwendung von § 281 Abs. 4 BGB würde beides jedoch dauerhaft auseinanderfallen. Zudem käme schon im Hinblick auf § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB auch die Haftung solcher Besitzer in Betracht, die nicht die von § 990 BGB vorausgesetzte Kenntnis ihres fehlenden Besitzrechts hätten.

  • Überwiegend wird jedoch vertreten, dass § 281 BGB auf § 985 BGB anwendbar sei. Auch der Eigentümer habe ein schützenswertes Interesse daran, statt der Herausgabe der Sache Schadensersatz zu verlangen. Andernfalls müsse er nach der vergeblichen Vollstreckung eines Herausgabetitels eine neue Klage auf Schadensersatz nach §§ 989, 990 BGB anstrengen. Dies sei jedoch nicht im Sinne des Gesetzgebers, der dem Gläubiger mit der Regelung in § 281 Abs. 4 BGB die Möglichkeit habe geben wollen, nach Ablauf der Herausgabefrist unmittelbar Schadensersatz verlangen zu können. Die prozessualen Möglichkeiten hierfür böten §§ 255, 259 ZPO. Allerdings finde § 281 BGB nur mit den Einschränkungen der §§ 989, 990 BGB Anwendung, also nur gegenüber dem verklagten oder bösgläubigen Besitzer.

Nach dieser Auffassung wäre § 281 Abs. 4 BGB für G anwendbar, wenn S bösgläubig im Sinne von § 990 BGB war. Hierfür müsste sie schon bei Besitzerwerb gewusst oder später erfahren haben, dass sie nicht zum Besitz des Chor-Archivs berechtigt ist. Bei Erwerb des unmittelbaren Besitzes von G war S zum Besitz berechtigt. Dieses Besitzrecht galt jedoch nur für die vereinbarten Frist von zwei Wochen und erlosch mit deren Ablauf. S gab das Archiv bewusst nicht heraus, um es für sich zu behalten. Ihr war klar, dass sie hierzu nicht berechtigt war. S war damit bösgläubig iSv § 990 BGB.

Da beide Auffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würden, stellt sich die Frage, welcher der Vorzug zu geben ist.

  • Die von der erstgenannten Ansicht angeführten Bedenken lassen sich auch bei Anwendung des § 281 BGB ausräumen. Wie gezeigt, wendet die Gegenansicht § 281 BGB nur gegen den verklagten oder bösgläubigen Besitzer an, so dass der gutgläubige Besitzer denselben Schutz genießt wie im Anwendungsbereich der §§ 989, 990 BGB. Die Sorge vor einem dauerhaften Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz ist zwar zunächst berechtigt, denn das Schadensersatzverlangen führt für sich genommen nicht zu einer Eigentumsübertragung auf den Besitzer. Dem kann aber dadurch begegnet werden, dass der Eigentümer in entsprechender Anwendung des § 255 BGB verpflichtet wird, das Eigentum auf den Besitzer zu übertragen.3

  • Damit bestehen keine grundlegenden Bedenken mehr gegen die Anwendung des § 281 BGB auf den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB. Gleichzeitig besteht für den Eigentümer dasselbe Interesse an einem erleichterten Übergang vom Herausgabe- auf den Schadensersatzanspruch wie für den Gläubiger eines schuldrechtlichen Anspruchs, ohne dass zu erkennen wäre, warum beide unterschiedlich behandelt werden sollten.

§ 281 Abs. 4 BGB ist deshalb vorliegend anwendbar.

b) Schadensersatzverlangen

Der Ausschluss des Herausgabeanspruchs setzt voraus, dass G statt der Herausgabe Schadensersatz verlangt hat.

  • Ein ausdrückliches Verlangen ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil: G hat durch die Rücküberweisung der 1.000,00 Euro und die Androhung der Herausgabevollstreckung durch den Gerichtsvollzieher mehr als deutlich gemacht, dass er an seinem Herausgabeanspruch festhalten möchte.

  • G könnte jedoch durch seine Antragstellung im Vorprozess gegen S bereits Schadensersatz statt der Herausgabe für den Fall des erfolglosen Fristablaufs verlangt haben.

  • Erster Anknüpfungspunkt hierfür könnte sein, dass G überhaupt schon einen Antrag auf Verurteilung zur Schadensersatzzahlung gestellt hat. Dies würde allerdings sein Wahlrecht nach § 281 Abs. 4 BGB aushebeln. Um dies zu vermeiden, müsste jeder Gläubiger zunächst nur auf Herausgabe und ggf. auf Fristsetzung (§ 255 ZPO) klagen. Dies würde jedoch wiederum dem Sinn und Zweck des § 281 BGB widersprechen. Wie bereits ausgeführt, ging es dem Gesetzgeber gerade darum, dem Gläubiger zu ermöglichen, nach Ablauf der Herausgabefrist direkt Schadensersatz verlangen zu können. Die Verbindung der drei Anträge stellt deshalb noch kein Schadensersatzverlangen dar.4

  • Das Schadensersatzverlangen könnte jedoch in der konkreten Form des Schadensersatzanspruchs liegen. Hierzu müsste eine Auslegung des Antrags ergeben, dass G sein Wahlrecht für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs bereits ausgeübt hat. Hierfür spricht, dass er Prozesszinsen auf den Schadensersatzbetrag bereits ab dem ersten Tag des Fristablaufs begehrt hat. Das zeigt, dass er sich nicht vorbehalten wollte, trotz Fristablaufs weiterhin Herausgabe zu verlangen, sondern mit Fristablauf nur noch Schadensersatz begehrte.

Ein Schadensersatzverlangen des G liegt deshalb vor.

c) Ergebnis

Der Herausgabeanspruch des G ist mit dem fruchtlosen Ablauf der Herausgabefrist erloschen. S steht damit eine Einwendung gegen den Herausgabetitel zu.

2. Entstehungszeitpunkt

Gemäß § 767 Abs. 2 ZPO muss diese Einwendung nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Verfahren vor dem Amtsgericht Weimar entstanden sein. Die Herausgabefrist begann erst mit Rechtskraft des Urteils und konnte damit zwangsläufig erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung ablaufen.

3. Ergebnis

Die Vollstreckungsabwehrklage ist begründet.

C. Gesamtergebnis

R wird S raten, Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen und dabei Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist sowie die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Weimar zu beantragen.


  1. Hierzu Exkurs ZPO I 5. ↩︎

  2. Vgl. die Darstellung in BGH (V ZR 89/15). ↩︎

  3. Vgl. BGH (V ZR 89/15). ↩︎

  4. Vgl. BGH (IX ZR 305/16). ↩︎