Europarechtswidrige Beihilfe

Aufbau der Prüfung - Europarechtswidrige Beihilfe

Dieser Exkurs erörtert, an welchen Stellen sich eine europarechtswidrige Beihilfe in der Klausur niederschlägt. Beispiel: Das Land Niedersachsen möchte VW subventionieren, um Arbeitsplätze zu erhalten. Daher zahlt es dem Konzern eine Subvention aus, ohne vorher der Kommission Bescheid zu geben. Die Kommission bekommt Wind davon und beschließt, dass diese Beihilfe unzulässig ist, also unvereinbar ist mit dem gemeinsamen Markt. Die Kommission geht somit davon aus, dass eine europarechtswidrige Beihilfe vorliegt. Sie fordert das Land Niedersachsen daher auf, diese Beihilfe zurückzunehmen und bereits gezahlte Zuwendungen zurückzufordern. Nun klagt VW gegen Rücknahme und Rückforderung. Die europarechtswidrige Beihilfe ist an fünf bzw. sechs Stellen der Prüfung zu beachten.

A. Zulässigkeit

Zunächst müsste die von VW erhobene Klage zulässig sein. Es handelt sich hierbei um eine Anfechtungsklage nach § 42 I 1. Fall VwGO, weil sowohl Rücknahme als auch Rückforderung Verwaltungsakte sind. Die weiteren Voraussetzungen sind als gegeben zu unterstellen.

B. Begründetheit

Die Klage müsste darüber hinaus auch begründet sein. Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit die Verwaltungsakte rechtswidrig sind und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, vgl. § 113 I 1 VwGO.

I. Rücknahme

Zunächst ist die Rücknahme der per Bescheid erteilten Beihilfe zu erörtern.

1. Rechtswidrigkeit

Diese müsste rechtswidrig sein.

a) Ermächtigungsgrundlage: § 48 I 2, II VwVfG

Ermächtigungsgrundlage ist § 48 I 2, II VwVfG.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Die formelle Rechtmäßigkeit ist gegeben.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

aa) Voraussetzungen

Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit sind zuerst die Voraussetzungen der Rücknahme zu erörtern.

(1) Rechtswidrigkeit des Erst-Verwaltungsaktes

Diese verlangt als Erstes die Rechtswidrigkeit des Erst-Verwaltungsaktes, also der ursprünglichen Bewilligung.

(a) Nationales Recht

(b) Europarecht

Geht man davon aus, dass die Bewilligung der Beihilfe nach nationalem Recht rechtmäßig war, ist sodann zu prüfen, ob ein Verstoß gegen das Europarecht vorliegt.

(aa) Primärrecht

Hier könnte ein Verstoß gegen das Primärrecht in Gestalt des Art. 107 AEUV vorliegen. Diese Vorschriften über die Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem gemeinsamen Markt sind jedoch nicht hinreichend bestimmt, also nicht „self-executing“ und können daher nicht unmittelbar angewendet werden. In Betracht kommt allerdings ein Verstoß gegen Art. 108 III AEUV. Hier hat das Land Niedersachsen der Kommission nicht Bescheid gegeben, bevor die Beihilfe ausgezahlt wurde, und somit gegen die Notifizierungspflicht verstoßen. Diese Norm ist hinreichend konkret. Es liegt folglich ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Primärrecht vor. Nun könnte man denken, dass es sich hierbei um ein Kavaliersdelikt handelt, sodass eine rechtswidrige Beihilfe nur aufgrund dessen nicht gegeben ist. Jedoch würde das nach dem EuGH schon das für sich genommen ausreichen, um die Europarechtswidrigkeit des Erst-Verwaltungsaktes zu begründen und damit auch die Rücknahmemöglichkeit zu eröffnen. Denn die Auszahlung der Beihilfe ohne vorherige Absprache mit der Kommission verfälscht bereits den Markt, auch wenn sie später vielleicht wieder zurückgenommen wird. Es ist somit schon aufgrund dieses Verstoßes eine europarechtswidrige Beihilfe gegeben.

(bb) Sekundärrecht

Weiterhin könnte die europarechtswidrige Beihilfe auch auf Verstößen gegen Sekundärrecht beruhen. Hier hat die Kommission die Beihilfe durch Beschluss gemäß den Art. 288 IV, 108 II AEUV für unzulässig erklärt. Dieser Beschluss ist für die Mitgliedsstaaten verbindlich. Wegen dieser Feststellung kommt man dazu, dass der Erst-VA rechtswidrig ist, also eine europarechtswidrige Beihilfe gegeben ist.

(2) Begünstigend

Ferner war der Erst-Verwaltungsakt auch begünstigend und ein Geldleistungsverwaltungsakt.

(3) Geldleistungsverwaltungsakt

(4) Kein schutzwürdiges Vertrauen

(a) Kein Ausschluss, § 48 II 3 VwVfG

Es ist folglich zu klären, ob kein schutzwürdiges Vertrauen auf Seiten des Konzerns gegeben ist. Der Ausschlussgrund der arglistigen Täuschung gemäß § 48 II 3 VwVfG greift vorliegend nicht.

(b) Regelvermutung, § 48 II 2 VwVfG

Hat VW das Geld bereits ausgegeben, greift somit die Regelvermutung des § 48 II 2 VwVfG, wonach vermutet wird, dass das Vertrauen schutzwürdig ist.

(c) Interessenabwägung. § 48 II 1 VwVfG

Allerdings hat zusätzlich eine Interessenabwägung gemäß § 48 II 1 VwVfG zu erfolgen. Auf der einen Seite steht das öffentliche Interesse daran, einen rechtmäßigen Zustand herzustellen, auf der anderen Seite das private Interesse an dem status quo, da man darauf vertraut hat, dass der Bescheid Bestand haben werde. Hat VW das Geld bereits ausgegeben, greift die Regelvermutung des § 48 II 2 VwVfG, sodass umgekehrt für das öffentliche Interesse ein Schwergewicht in die Waagschale geworfen werden muss, um das vermutete schutzwürdige Vertrauen zu widerlegen.

An dieser Stelle ist zu beachten, dass eine europarechtswidrige Beihilfe vorliegt. Nach Europarecht gilt das Gebot der effektiven Umsetzung und Anwendung des Europarechts, der effet utile, vgl. Art 4 III EUV. Hiernach hat eine  europarechtskonforme Auslegung zu erfolgen. Vorliegend ist der gemeinsamen Markt und die funktionsfähige Wettbewerbsordnung betroffen. Zudem handelt es sich um substantielle Vorschriften des Europarechts, die verletzt wurden. Deshalb muss an dieser Stelle das Europarecht in die Anwendung der nationalen Vorschriften einfließen und, da eine europarechtswidrige Beihilfe gegeben ist, zum überwiegenden öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands führen.

(5) Frist, § 48 IV VwVfG

Zuletzt hat die Behörde nach § 48 IV VwVfG grundsätzlich ein Jahr ab Kenntnis der Tatsachen Zeit, den Verwaltungsakt zurückzunehmen. Mithin könnte das Land Niedersachsen die Zeit vertrödeln und dann nach dem Abwarten der Jahresfrist entschuldigend mit den Schultern Richtung Europa zucken. Sollte jedoch der nationale Rechtsanwender die Jahresfrist verstreichen lassen, sodass die Rücknahme eigentlich verfristet wäre, muss auch an dieser Stelle das Europarecht in die Waagschale geworfen werden und gesagt werden, dass die Jahresfrist zumindest dann nicht gilt, wenn das dazu führen würde, dass gegen europarechtliche Vorschriften verstoßen wird. Liegt eine europarechtswidrige Beihilfe vor, ist dies zu bejahen. Begründet wird dies wiederum mit dem effet utile und der damit verbundenen europarechtskonformen Auslegung.

bb) Rechtsfolge: Ermessen

Rechtsfolge des § 48 VwVfG ist ein Ermessen der Behörde. Auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist das Europarecht zu berücksichtigen. Wird eine europarechtswidrige Beihilfe zurückgenommen, ist diese Rücknahme auch verhältnismäßig.

2. Ergebnis

Somit ist die Klage, soweit sie sich gegen die Rücknahme wendet, unbegründet.

II. Rückforderung

1. Rechtswidrigkeit

Schließlich ist auch die Rechtmäßigkeit der Rückforderung zu prüfen.

a) Ermächtigungsgrundlage: § 49a VwVfG

Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes ist § 49a VwVfG.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Es soll unterstellt werden, dass die formelle Rechtmäßigkeit der Rückforderung gegeben ist.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

aa) Voraussetzungen

Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit der Rückforderung sind die Voraussetzungen des § 49a VwVfG zu erörtern. Insbesondere verweist § 49a II VwVfG auf das Bereicherungsrecht, vgl. §§ 812 ff. BGB. Nun könnte man auf die Idee kommen, dass, wenn das Geld schon ausgegeben wurde, sich VW auf Entreicherung berufen könnte, vgl. § 818 III BGB, sodass die europarechtswidrige Beihilfe im Ergebnis nicht zurückgefordert werden könnte. Wäre dies das Ergebnis, würde man auf der Zielgeraden alles zunichte machen, was man aufgebaut hat, denn es geht gerade darum, dass VW das Geld nicht behalten darf, weil dies gegen europarechtliche Grundsätze verstößt. Auch an dieser Stelle ist eine europarechtskonforme Auslegung und Anwendung Pflicht. Die Berufung auf die Entreicherungseinrede muss danach zumindest dann ausgeschlossen sein, wenn dadurch gegen Grundsätze des Europarechts verstoßen wird. Liegt eine europarechtswidrige Beihilfe vor, ist dies der Fall.

bb) Rechtsfolge: Gebundene Entscheidung

Rechtsfolge der Rücknahmevorschrift ist eine gebundene Entscheidung.

2. Ergebnis

Das bedeutet, dass die Klage auch diesbezüglich unbegründet ist.

Oft wird die Zusatzfrage gestellt, ob VW von dem Land Schadensersatz gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG fordern kann. Müsste jetzt dieselbe Summe unter dem Aspekt der Amtshaftung ausgezahlt werden, wäre dies ein Etikettenschwindel.  Dann würde das Land etwas, das es vorher als Subvention ausgezahlt hätte, nun unter der Überschrift „Schadensersatz“ auszahlen. Auch durch diesen Betrag würde der gemeinsame Markt gestört, sodass auch Sekundäransprüche ausgeschlossen sein müssen, wenn beispielsweise eine europarechtswidrige Beihilfe vorliegt.

 

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