Erhebliches Verteidigungsvorbringen
7) Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten
Ist die Klage schlüssig, prüfst du im nächsten Schritt, ob der Beklagte erhebliche Verteidigungsmittel vorgebracht hat.
Der Beklagte kann:
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die Tatsachenbehauptungen des Klägers bestreiten
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Tatsachen vortragen, die Einwendungen und Einreden begründen und
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Gegenforderungen geltend machen.
- Zulässiges Bestreiten
Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO muss sich jede Partei zum Tatsachenvortrag des Gegners äußern.
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Sie kann dabei den Vortrag ausdrücklich einräumen (§ 288 ZPO). Ein solches Geständnis kann nur widerrufen werden, wenn die Partei nachweisen kann, dass es unwahr ist und durch einen Irrtum veranlasst wurde (§ 290 ZPO).
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Sie kann den Vortrag bestreiten. Dann kommt es darauf an, ob das Bestreiten als solches oder die konkrete Art und Weise zulässig ist. Ein unzulässiges Bestreiten gilt als nicht erfolgt (§ 138 Abs. 3 ZPO).
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Äußert sie sich nicht, gilt die Behauptung als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Wichtig: Du musst für jede Anspruchsvoraussetzung gesondert prüfen, ob sie vom Beklagten bestritten wird.
Wie der Klägervortrag kann auch das Bestreiten des Beklagten unbeachtlich sein, weil es
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nach Schluss der mündlichen Verhandlung in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz erfolgt ist (§ 296a Satz 1 ZPO);
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nach § 296 Abs. 1, 2 ZPO präkludiert ist oder
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die Behauptung des Klägers zwischen den Parteien bereits rechtskräftig festgestellt wurde.
Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für den Klägervortrag. Schau dir gg. den Exkurs zur Schlüssigkeit der Klage noch einmal an.
Im Rahmen der Schlüssigkeit der Klage hast du dich auch schon mit Fragen der Substanziierung befasst. Auch bezüglich des Bestreitens kommt es darauf an, ob die Substanziierungsanforderungen erfüllt sind.
Die Anforderungen an die Substanziierungslast des Beklagten hängen davon ab, wie substanziiert der Kläger vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag darüber hinaus substanziieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen. Je detaillierter der Vortrag der darlegungsbelasteten Partei ist, desto höher ist die Erklärungslast des Gegners. Liegt danach hinreichender Gegenvortrag der nicht darlegungsbelasteten Partei vor, ist es wiederum Sache der darlegungs- und beweisbelasteten Partei, ihren Sachvortrag zu ergänzen und näher aufzugliedern (zum Ganzen BGH II ZR 88/16 Rn. 19).
Konkret bedeutet das:
- Hat der Kläger die Tatsachenbehauptung substanziiert aufgestellt, muss der Beklagte sie auch substanziiert bestreiten, das heißt konkreten Gegenvortrag leisten. Tut er das nicht, gilt die klägerische Behauptung als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Der Beklagte ist allerdings nicht verpflichtet, zur Substanziierung ein Gegengutachten einzuholen, wenn der Kläger seine Behauptung mit einem Parteigutachten untermauert hat (BGH IV ZR 321/02 Rn. 10).
- Behauptet der Kläger dagegen lediglich das Vorliegen der Tatsache ohne Substanz, kann der Beklagte sich auf ein einfaches Bestreiten zurückziehen.
Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn der Kläger keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Beklagte alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (zum Ganzen BGH VI ZR 367/19 Rn. 16).
Die wichtigsten Anwendungsfälle sind:
- Das Gesetz macht den Anspruch vom Nichtvorliegen bestimmter Umstände abhängig. Hier genügt es, wenn der Kläger dies schlicht behauptet. Es ist dann Sache des Beklagten, das Vorliegen der Tatsache darzulegen.
Bsp.: Voraussetzung einer Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ist neben dem durch Leistung erlangten Bereicherungsgegenstands das Fehlen eines Rechtsgrunds. Hier muss der Beklagte im Rahmen der sekundären Darlegungslast darlegen, auf welchen Rechtsgrund er sich beruft.
- Das Gesetz knüpft den Anspruch an innere Vorgänge beim Schuldner. Hier genügt es, wenn der Kläger Indizien für das Vorliegen dieser Voraussetzung vorträgt. Der Beklagte muss diese dann entkräften.
Bsp.: Beruft sich der Kläger gegen den vereinbarten Gewährleistungsausschluss darauf, dass der Beklagte den streitgegenständlichen Mangel arglistig verschwiegen habe (§ 444 BGB), muss er hierfür Anhaltspunkte vortragen. Gelingt ihm das, ist es Aufgabe des Beklagten, darzulegen, warum er dennoch nicht arglistig gehandelt haben will.
Beachte: Aus einer sekundären Darlegungslast folgt keine Beweislastumkehr!
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Unter den Voraussetzungen von § 138 Abs. 4 ZPO kann der Beklagte die Tatsachenbehauptungen des Klägers mit Nichtwissen bestreiten.
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Die Tatsache war auch nach dem Klägervortrag keine eigene Handlung des Beklagten.
Bsp.: Der Kläger behauptet, er habe die streitgegenständliche Sache von D erworben.
- Die Tatsache war auch nach dem Klägervortag nicht Gegenstand der eigenen Wahrnehmung des Beklagten.
Bsp. Der Kläger behauptet, infolge des vom Beklagten verursachten Unfalls sei an seinem Fahrrad ein Totalschaden eingetreten.
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Ein Bestreiten eigener Wahrnehmungen und Handlungen mit Nichtwissen kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können. Sie muss dabei aber nähere Umstände dartun, die das Fehlen von Erinnerung glaubhaft machen. Bestreitet der Gegner diese Umstände, muss sie die Partei, die sich auf fehlende Erinnerung beruft, beweisen (zum Ganzen BGH VI ZR 428/17 Rn. 8).
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Eine Erklärung mit Nichtwissen ist außerhalb des Bereichs der eigenen Handlungen und eigenen Wahrnehmung dann unzulässig, wenn und soweit eine Informationspflicht der Partei hinsichtlich der vom Gegner behaupteten Tatsachen besteht. Die Partei trifft eine solche Erkundigungspflicht, sofern die maßgebenden Tatsachen Personen bekannt sind, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind. Die Anforderungen an die Erkundigungspflicht dürfen allerdings nicht überspannt werden. Einer Partei darf nur eine zumutbare Informationspflicht auferlegt werden.
Auch bei Bestehen einer Informationspflicht ist eine Erklärung mit Nichtwissen zulässig, wenn sich für die Partei nach Einholen der Erkundigungen bei den maßgeblichen Personen keine weiteren Erkenntnisse ergeben oder die Partei nicht beurteilen kann, welche von mehreren unterschiedlichen Darstellungen über den Geschehensablauf der Wahrheit entspricht, und sie das Ergebnis ihrer Erkundigungen in den Prozess eingeführt hat (zum Ganzen BGH VI ZR 337/18 Rn. 10, 11).
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Könnte der Beklagte auch mit Nichtwissen bestreiten, weil die behaupteten Tatsachen weder eigene Handlungen noch Gegenstand eigener Wahrnehmung waren, führt der Versuch, das Bestreiten näher zu begründen, auch dann nicht zur Unbeachtlichkeit des Bestreitens mit Nichtwissen, wenn der Beklagte dabei Behauptungen ins Blaue aufstellt (vgl. BGH I ZR 5/18 Rn. 10).
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Auch das Bestreiten mit Nichtwissen ist immer nur in Bezug auf eine konkrete Tatsachenbehauptung zulässig. Es kann deshalb sein, dass es teilweise zulässig und teilweise unzulässig ist.
Bsp.: Der Kläger nimmt den Beklagten nach einem Unfall auf Schadensersatz in Anspruch. Er hat behauptet, der Beklagte habe die Vorfahrt missachtet; durch den Unfall habe sein Mofa einen Totalschaden erlitten. Der Beklagte bestreitet diesen Vortrag mit Nichtwissen.
Hier musst du unterscheiden:
Die Behauptung, die Vorfahrt missachtet zu haben, kann der Beklagte nicht mit Nichtwissen bestreiten, denn sie soll Gegenstand einer eigenen Handlung gewesen sein. Hier müsste der Beklagte also ausdrücklich sagen, dass es nicht stimmt, andernfalls gilt diese Behauptung als unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Dagegen ist es zulässig, die Beschädigung des Mofas mit Nichtwissen zu bestreiten, denn davon muss der Beklagte tatsächlich nichts wissen.
- Einwendungen und Einreden
Weiterhin musst du prüfen, ob sich aus dem Vortrag beider Parteien Tatsachen ergeben, die Einwendungen oder Einreden begründen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil sich der Beklagte auf Einwendungen nicht ausdrücklich berufen muss.
Bsp.: Gegen den Zahlungsanspruch des Klägers bringt der Beklagte vor, das Geld in bar übergeben zu haben. Hier musst du prüfen, ob der Anspruch durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen ist, auch wenn der Beklagten den Begriff Erfüllung nicht verwendet.
Ansonsten gilt Dasselbe wie für den Klägervortrag: Der Beklagte muss die Voraussetzungen der Einwendungen und Einreden schlüssig dartun. Der Kläger muss hierauf erwidern.
Grundsätzlich genügt der Beklagte seiner Substanziierungspflicht, wenn er Tatsachen vorträgt, die iVm einem Rechtssatz geeignet sind, das vom Kläger geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (zum Ganzen BGH XII ZR 67/19 Rn. 9.
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Nimm auch den Klägervortrag in den Blick und prüfe, ob sich daraus Einwendungen oder Einreden ergeben. Das gilt besonders für die Erhebung der Einrede der Verjährung. Diese muss zwar in den Prozess eingeführt werden, aber nicht zwangsläufig vom Beklagten selbst. Hat der Kläger in der Klage ausgeführt, dass der Beklagte vorprozessual zu Unrecht die Einrede der Verjährung erhoben habe, ist diese Einrede in den Prozess eingeführt. Ist der Anspruch verjährt, wird die Klage abgewiesen.
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Auf der anderen Seite kann es aber auch sein, dass der Beklagte zwar entsprechende Tatsachen vorträgt, die den vom Kläger geltend gemachten Anspruch hindern oder vernichten, jedoch zugleich die Voraussetzungen eines anderen Anspruchs, der auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet ist, begründen. Man spricht hier von äquipollentem (gleichwertigen) Vortrag.
Bsp.: Der Kläger hat den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und verlangt vom Beklagten die Herausgabe einer Anzahlung. Der Beklagte verteidigt sich mit der Behauptung, er sei bei Vertragsschluss geschäftsunfähig gewesen.
Zwar ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch aus § 346 Abs. 1 BGB nicht entstanden, wenn der Beklagte tatsächlich geschäftsunfähig war. Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig (§ 104 BGB). Ohne eine wirksamen Kaufvertrag ging der Rücktritt des Klägers ins Leere
Allerdings ist der Beklagte in diesem Fall verpflichtet, den Vorschuss nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB herauszugeben. Kann er gegen diesen Anspruch keine Einwendungen geltend machen (bspw. Bereicherung nach § 818 Abs. 3 ZPO), kommt es auf seinen Vortrag zur Geschäftsunfähigkeit nicht an. Das Gericht würde hierüber nicht Beweis erheben, sondern den Beklagten zur Rückzahlung verurteilen.
- Gegenforderungen
Der Beklagte kann eigene Forderungen gegen den Kläger mit der Prozessaufrechnung oder einer Widerklage geltend machen oder sich auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen. Die Einzelheiten hierzu erfährst du in den entsprechenden Exkursen.