Erfüllung
Erfüllung (§ 362 BGB)
§ 362 I BGB bildet den Grundtatbestand des Erlöschens eines Schuldverhältnisses.1 Danach erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Das Bewirken der geschuldeten Leistung nennt man Erfüllung.2 Die Erfüllungswirkung tritt grundsätzlich nur dann ein, wenn der richtige Schuldner dem richtigen Gläubiger die richtige Leistung am richtigen Ort erbringt.3
Bei rein tätigkeitsbezogenen Schuldverhältnissen reicht es für eine Erfüllung aus, wenn der Schuldner die geschuldete Leistungshandlung vornimmt.
Beispiel: Bei einem Dienstvertrag (§ 611 BGB) ist der Schuldner lediglich zur Vornahme einer Diensthandlung verpflichtet. Es reicht aus, wenn er die versprochenen Dienste als Leistungshandlung vornimmt.
Bei erfolgsbezogenen Schuldverhältnissen reicht es für die Erfüllung hingegen nicht aus, dass der Schuldner die Leistungshandlung vorgenommen hat. Es kommt vielmehr auf den Eintritt des Leistungserfolges an.4
Beispiel: Bei einem Werkvertrag (§ 631 BGB) schuldet der Unternehmer die Herstellung eines mangelfreien Werks. Solange dieser Erfolg nicht herbeigeführt ist, tritt keine Erfüllungswirkung ein.
Allerdings bleibt die Leistungshandlung auch bei erfolgsbezogenen Schuldverhältnissen ein Tatbestandsmerkmal des § 362 BGB, d. h. das Schuldverhältnis erlischt nicht, wenn der Erfolg ohne eine Leistungshandlung des Schuldners eintritt.5
Beispiel: S schuldet G 1.000 €. S ist Kunde bei der B-Bank. Überweist diese versehentlich 1.000 € an G, obwohl keine Anweisung durch S vorliegt, fehlt es an einer dem S zurechenbaren Leistungshandlung. Es tritt keine Erfüllungswirkung ein.
Nach der herrschenden Theorie der realen Leistungsbewirkung6 kommt es allein auf die Herbeiführung des Leistungserfolges durch die Leistungshandlung an. Eine Zweckbestimmung des Leistenden sei nicht erforderlich.7 Voraussetzung ist aber, dass die Leistung einem bestimmten Schuldverhältnis zugeordnet werden kann.8
Das ist etwa dann der Fall, wenn es sich um die allein geschuldete Leistung handelt und keine andere, gleichartige Schuld besteht, auf welche die Leistung daneben oder stattdessen erbracht worden sein könnte und der Schuldner keine Bestimmung trifft. Unproblematisch lässt sich der Erlöschenstatbestand auch dann feststellen, wenn der Schuldner einem einzigen Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen verpflichtet ist und das Geleistete zur Tilgung aller Verbindlichkeiten ausreicht. Eine rechtsgeschäftliche Einigung9 oder einseitige Tilgungsbestimmung des Schuldners ist in solchen Fällen nicht notwendig.
Ist der Schuldner aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen an denselben Gläubiger verpflichtet und reicht das Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, kommt es primär auf eine Tilgungsbestimmung durch den Schuldner an (§ 366 I BGB). Eine solche kommt allerdings nur bei freiwilligen Leistungen in Betracht, nicht hingegen dann, wenn gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung betrieben oder dessen sicherungshalber abgetretene Forderung verwertet wird.10 Fehlt eine (wirksame) Tilgungsbestimmung, gilt die gesetzliche Tilgungsreihenfolge des § 366 II BGB.
Handelt es sich dagegen nur um eine Forderung, die aus Hauptleistung, Zinsen und Kosten besteht, scheidet eine Tilgungsbestimmung durch den Schuldner aus. Vielmehr regelt § 367 I BGB die Reihenfolge (Kosten – Zinsen – Hauptforderung).11 Für den Verbraucherdarlehensvertrag enthält § 497 III 1 BGB eine von § 367 I BGB abweichende Regelung.
Obwohl für die Erfüllung danach keine Willenserklärungen erforderlich sind, kann die Erfüllung gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen nicht durch Leistung an diesen erfolgen, da die Erfüllung nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Durch die Erfüllung würde nämlich seine Forderung erlöschen. Deshalb fehlt dem Minderjährigen die Empfangszuständigkeit.12
Bei Geldschulden geht das Gesetz im Grundsatz davon aus, dass Bargeld als Zahlungsmittel eingesetzt wird. Erfüllung tritt dann ein, sobald der Schuldner dem Gläubiger gültige Banknoten durch Einigung und Übergabe (§ 929 S. 1 BGB) übereignet. Mittlerweile wird jedoch ein Großteil von Geldschulden bargeldlos beglichen.13 Die bargeldlose Zahlungsform ist allerdings nur zulässig, wenn eine entsprechende (i.d.R. konkludente) Vereinbarung zwischen den Parteien besteht; andernfalls kommt nur eine Leistung an Erfüllungs statt vor.
Bei der Verwendung von Giralgeld erhält der Gläubiger eine Forderung gegen das sein Konto führende Kreditinstitut. Bei einer Banküberweisung i.S.v. § 675f BGB durch den Schuldner tritt die Erfüllung dann ein, wenn der geschuldete Betrag auf dem Gläubigerkonto gutgeschrieben ist und der Gläubiger darüber verfügen kann (vgl. §§ 675c – 676c BGB). Hat der Gläubiger mehrere Konten und teilt er dem Schuldner mit, dass das Giralgeld auf ein bestimmtes Konto überwiesen werden soll, entfaltet die Überweisung i.d.R. keine Tilgungswirkung, wenn die Überweisung auf ein anderes Konto des Gläubigers erfolgt und das Giralgeld dort gebucht wird.14 Teilt der Gläubiger dem Schuldner ein neues Konto mit, kann durch eine Überweisung auf das frühere Konto keine Tilgungswirkung mehr eintreten, sofern der Gläubiger den Schuldner so auf die Änderung hingewiesen hat, dass er sie nicht übersehen kann.15
Häufig vereinbaren die Parteien auch ein Lastschriftverfahren. Bei dem zum 01.02.2014 eingeführten SEPA-Verfahren (Single Euro Payments Area) erteilt der Zahler dem Zahlungsempfänger ein Mandat zum Einzug fälliger Forderungen mittels Lastschrift, das die Weisung an seinen Zahlungsdienstleister (Zahlstelle) zur Einlösung durch Belastung seines Zahlungsgirokontos erhält. SEPA-Basislastschriften können grundsätzlich16 innerhalb eines Zeitraums von acht Wochen nach Belastung des Kontos zurückgegeben werden (§ 675x IV BGB). Gleichwohl tritt zunächst nur eine auflösend bedingte Erfüllungswirkung ein (vgl. §§ 675i II, 675p I BGB). Kommt es zu einer Rückbelastung des Gläubigerkontos, indem der Schuldner die Lastschrift zurückgibt, entfällt die auflösend bedingte Erfüllungswirkung rückwirkend (vgl. §§ 158 II, 159 BGB).17
Im Onlinehandel ist mittlerweile die Zahlung über PayPal üblich. Der Kunde hinterlegt hier bei der Anmeldung seine E-Mail-Adresse, ein Passwort und seine Bankdaten. Kauft er dann bei einem Onlinehändler, dessen Shop über eine PayPal-Anbindung verfügt, ein, und wählt er die angebotene Zahlungsmethode PayPal aus, erfolgt die Zahlung allein mittels seiner E-Mail-Adresse und der Eingabe seines hinterlegten Passworts. Sollte der Kunde über ein Guthaben auf seinem PayPal-Konto verfügen, wird die Zahlung aus diesem Guthaben bestritten. Andernfalls belastet PayPal das Bankkonto des Kunden. Die Erfüllung i.S.v. § 362 I BGB tritt – ebenso wie bei einer Banküberweisung (s.o.) – dann ein, wenn der geschuldete Betrag auf dem Gläubigerkonto gutgeschrieben ist und der Gläubiger darüber verfügen kann.18
Bei der Zahlung mittels Universalkreditkarte (Kreditkarte im Dreipartnersystem19) erlischt das Schuldverhältnis erst, nachdem das Kreditkartenunternehmen den Zahlbetrag auf das Konto des Gläubigers gutgeschrieben hat. Die Akzeptanz einer Universalkreditkarte erfolgt (nur) erfüllungshalber. Dasselbe gilt bei der Zahlung mittels Girocard (früher: ec-Karte) im Electronic-cash-Verfahren durch Verwendung der Karte nebst PIN-Eingabe in einem Terminal.
Auf Verlangen des Schuldners hat der Gläubiger eine Quittung zu erteilen (§ 368 S. 1 BGB). Mit einer solchen kann der Schuldner ggf. die Erfüllung beweisen. Die Kosten der Quittung hat regelmäßig der Schuldner zu tragen und vorzuschießen (vgl. § 369 BGB). Hatte der Schuldner einen Schuldschein ausgestellt, muss der Gläubiger diesen nach Erfüllung der Forderung zurückgeben (§ 371 BGB).
- R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 118. Unter „Schuldverhältnis" ist dabei die einzelne Leistungspflicht einer Partei zu verstehen (BGH, Urt. v. 17.07.2007 – X ZR 31/06, Rn. 17).
- Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 14 Rn. 1.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 14 Rn. 2.
- BGH, Urt. v. 20.07.2010 – XI ZR 236/07, Rn. 22. Siehe hierzu den Fall: „Rücktritt wegen verspäteter Zahlung“.
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 121.
- BGH, Urt. v. 17.07.2007 – X ZR 31/06, Rn. 17; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 126.
- So die Theorie der finalen Leistungsbewirkung (Muscheler/Bloch, JuS 2000, 729, 732 f.).
- Hier und zum Folgenden: BGH, Urt. v. 17.07.2007 – X ZR 31/06, Rn. 17.
- Nach der Vertragstheorie setzt der Erfüllungstatbestand hingegen neben einer tatsächlichen Bewirkung der Leistung noch eine Einigung der Parteien, dass die Schuld erlösche (Verfügungsvertrag), voraus. Die modifizierte Vertragstheorie fordert dies nur dann, wenn auch zur Herbeiführung des Leistungserfolgs ein Vertrag erforderlich ist. Beide Theorien haben sich nicht durchgesetzt (Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 362 Rn. 4).
- BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 353/07, Rn. 22; Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 14 Rn. 11.
- § 367 BGB ist insoweit lex specialis zu § 366 BGB (R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 159).
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 14 Rn. 4.
- Zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 127 ff.
- BGH, Urt. v. 05.05.1986 – II ZR 150/85, NJW 1986, 2428, 2428 f.
- BGH, Urt. v. 06.12.1994 – XI ZR 173/94, NJW 1995, 520, 521.
- Fehlt das gültige Mandat, verlängert sich die Frist auf 13 Monate (§ 676b II 1 BGB).
- Looschelders, JA 2014, 161, 166.
- Martens, JuS 2014, 200, 202.
- Beispiele: Visa, Mastercard, American Express.