Erbrecht, Familie und Gesellschaft im IPR

IPR-rechtliche Anknüpfung in Familie, Erbschaft und Gesellschaftsstruktur

Das Erbstatut ergibt sich aus der seit dem 17. August 2015 gültigen EuErbVO und gilt für alle nach diesem Datum verstorbenen Erblasser.

Anwendungsbereich

Auch diese Verordnung ist unabhängig davon anzuwenden, ob der Sachverhalt Bezüge zu Mitgliedstaaten oder Drittstaaten hat (Art. 20).

Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich dabei aber nach Art. 1 Abs. 2 u.a. nicht auf

  • den Personenstand und Familienverhältnisse (a); entsprechende Vorfragen (bspw. Eheschließung als Vorfrage des Ehegattenerbrechts) sind aber unselbstständig anzuknüpfen, also nach dem IPR des Erbstatuts;

  • die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von Personen (b); hierfür gilt Art. 7 EGBGB (Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit);

  • Rechtsgeschäfte unter Lebenden (g); hier gilt die Rom-I-VO;

  • gesellschaftsrechtliche Folgen (h); hier gilt das Gesellschaftsstatut.

Anknüpfung

Erbstatut ist grundsätzlich das Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 21 Abs. 1). Bestand eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als diesem Staat, ist dessen Recht anzuwenden (Abs. 2). Der gewöhnliche Aufenthalt befindet sich dort, wo eine Person ihren Daseinsmittelpunkt als Schwerpunkt ihrer familiären, sozialen und beruflichen Beziehung hat.

Hat allerdings der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung wirksam das Recht des Staates gewählt, dem er angehört, ist dieses maßgeblich (Art. 22).

Dem Erbstatut unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen (Art. 23 Abs. 1), soweit der Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist (zu den Ausnahmen s.o.). In Art. 23 Abs. 2 werden beispielhaft Einzelfragen aufgeführt.

  • Die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit der Verfügungen von Todes wegen und der Erbverträge richten sich dagegen grundsätzlich nach dem hypothetischen Erbstatut zum Zeitpunkt der Errichtung (Art. 24, 25). Zu beachten ist, dass die Verordnung ein gemeinschaftliches Testament als Erbvertrag qualifiziert (Art. 3 Abs. 1 lit. b). Für die Wirksamkeit eines zweiseitigen Erbvertrages kommt es auf die Statute beider Parteien an (Art. 25 Abs. 2). Der Umfang der vom hypothetischen Erbstatut erfassten Fragen der materiellen Wirksamkeit ergibt sich aus Art. 26. Eine Ausnahme gilt für die Formwirksamkeit, die selbstständig angeknüpft wird, und zwar in Bezug auf Erbverträge nach Art. 27, in Bezug auf Testamente jeder Art nach Art. 1 des HTestformÜ (Art. 75 Abs. 1 Satz 2).

Teilweise Gesamtverweisung

Wie in den bis hierher dargestellten Verordnungen verweisen die Kollisionsnormen zur Ermittlung des Erbstatuts zwar grundsätzlich auch nur in die Sachnormen des anzuwendenden Rechts, jedoch findet eine Gesamtnormverweisung in das Recht eines Drittstaates statt, wenn dessen IPR in das Recht eines Mitgliedsstaates oder das Recht eines anderen Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde, verweist (Art. 34).

Einzelne Rechtsgebiete - Familienrecht

Im Bereich des Familienrechts sind Eheschließung, -wirkungen und -scheidung von Bedeutung.

Eheschließung

Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen für beide Partner dem Recht des Staates, dem sie angehören (Art. 13 Abs. 1 EGBGB). Für jeden Partner müssen folglich die Voraussetzungen der jeweiligen Rechtsordnung vollständig vorliegen. Ist das nicht der Fall, wird unter den Voraussetzungen von Abs. 2 deutsches Recht angewendet. Nach fremdem Recht zulässige Ehen von Minderjährigen sind in Bezug auf Partner, die jünger als 16 Jahre sind, unwirksam, ansonsten aufhebbar (Abs. 3).

Für die Form gilt Abs. 4. Eine Ehe zwischen Partnern, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, kann unter den Voraussetzungen von Satz 2 vor einer anderen Stelle als einem Standesamt wirksam geschlossen werde.

Allgemeine Ehewirkungen

Die allgemeinen Ehewirkungen (bspw. Schlüsselgewalt) unterliegen nach Art. 14 EGBGB

  • dem Recht des Staates, dem beide Eheleute angehören;

  • sonst dem Recht des Staates, in denen sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben;

  • sonst dem Recht des Staates, mit dem die Eheleute auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind.

Ehescheidung

Für Rechtsfragen im Zusammenhang mit einer Ehescheidung gilt die wiederum universell anwendbare Rom- III-VO.

Die Eheleute können das anzuwendende Recht wählen, allerdings nicht das Recht eines beliebigen Staates (Art. 5 Abs. 1 Rom-III-VO).

Ohne Rechtswahl ist nach Art. 8 Rom-III-VO Scheidungsstatut grundsätzlich das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt des Scheidungsantrages. Bestand ein solcher nicht, kommt es auf den gemeinsamen Aufenthalt im letzten Jahr vor Anrufung des Gerichts an, soweit ein Partner dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Andernfalls wird an die gemeinsame Staatsangehörigkeit bei Antragseingang angeknüpft. Ist auch das nicht möglich, gilt das Recht am Gerichtsort.

Ob die Ehe wirksam geschlossen wurde, ist als Vorfrage selbstständig, also nach dem IPR der lex fori anzuknüpfen.

Eingetragene Lebenspartnerschaft und gleichgeschlechtliche Ehe

Für die eingetragene Lebenspartnerschaft und die gleichgeschlechtliche Ehe gelten die Sachvorschriften des Staates, in dessen Register die Eintragung erfolgt ist (Art. 17b EGBGB).

Einzelne Rechtsgebiete - Gesellschaftsstatut

Für die Ermittlung des Gesellschaftsstatuts kommen zwei Anknüpfungsmomente in Betracht: der Gründungsort der Gesellschaft und ihr (satzungsmäßiger oder tatsächlicher) Sitz.

Dies hat besondere Relevanz, wenn eine ausländische Gesellschaft ihren Sitz in die Bundesrepublik verlegt.

Das deutsche IPR knüpft grundsätzlich an den tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft an. Im Falle der Sitzverlegung muss die Gesellschaft also den Anforderungen des deutschen Gesellschaftsrechts entsprechen.

Nach Auffassung des EuGH verstößt diese Sitztheorie jedoch gegen die Niederlassungsfreiheit, so dass sie auf Gesellschaften, die ihren Sitz aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union in die Bundesrepublik verlegen, nicht angewendet werden darf. Hier muss vielmehr an das Recht des Gründungsortes (Gründungstheorie) angeknüpft werden, so dass eine Gesellschaft bei der Sitzverlegung innerhalb der EU ihr (ggf. liberaleres) Gründungsrecht mitnehmen kann.

Die Sitztheorie findet aber weiterhin Anwendung auf alle Gesellschaften, die ihren Sitz nicht aus einem Mitgliedstaat verlegt haben.