Entscheidungsgründe
19) Entscheidungsgründe
Die Entscheidungsgründe enthalten eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (§ 313 Abs. 3 ZPO).
- Funktion
Die Entscheidungsgründe dienen der
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Selbstkontrolle des Gerichts
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Überzeugung der unterlegenen Partei durch Auseinandersetzung mit deren Argumenten
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Nachprüfbarkeit der Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht.
- Grundaufbau
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Obersatz mit Gesamtergebnis
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ggf. Auslegung des Klageantrags
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ggf. (Un-) Zulässigkeit der Klage
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(Un-) Begründetheit der Klage
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Nebenentscheidungen
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ggf. Rechtsbehelfsbelehrung
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Unterschrift(en)
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ggf. Streitwertbeschluss
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Obersatz mit Gesamtergebnis
Du leitest deine Entscheidungsgründe mit dem Gesamtergebnis ein. Dabei hast du zwei Möglichkeiten:
- Schreibst du später etwas zur Zulässigkeit der Klage, lauten deine Obersätze:
„Die Klage ist unzulässig.“
„Die Klage ist zulässig und begründet.“
„Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
„Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.“
- Schreibst du nichts zur Zulässigkeit, weil die Klage offensichtlich zulässig ist, formulierst du so:
„Die zulässige Klage ist begründet/unbegründet/nur teilweise begründet.“
- ggf. Auslegung des Klageantrags
In den wenigsten Klausuren wirst du Schwierigkeiten mit dem Antrag des Klägers haben. Hin und wieder kommt es aber vor, dass dir nicht völlig klar ist, was der Kläger begehrt. Dann musst du den Antrag auslegen.
Dabei darfst du nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern musst den wirklichen Willen des Klägers zu erforschen. Im Zweifel will er das, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und seiner wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH V ZR 53/14 Rn. 9). Eine Auslegung, die zur Unbestimmtheit des Antrags führt, soll die Ausnahme bleiben (vgl. BGH V ZR 204/16 Rn. 5). Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten (BGH V ZR 53/14 Rn. 9).
Bsp.: Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 10.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Nach §§ 291, 288 Abs. 1 BGB hat der Kläger einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Beantragt hat er jedoch nur fünf Prozent. Bist du nach § 308 Abs. 1 ZPO gebunden? Nur dann, wenn nicht eine Auslegung des Antrags zu einem anderen Ergebnis führt. Es liegt auf der Hand, dass sich der Kläger auf § 288 Abs. 1 BGB beziehen wollte. Du kannst ihm deshalb fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz zusprechen.
- (Un-) Zulässigkeit der Klage
Du musst die Zulässigkeit der Klage zwingend vor der Begründetheit prüfen. Es wäre falsch, würdest du offenlassen, ob die Klage überhaupt zulässig ist, weil du sie für unbegründet hältst. Der Grund liegt in der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung.
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Ist die Klage unzulässig, wird sie zwar auch abgewiesen. In Rechtskraft erwächst dabei aber nur der Ausspruch, dass die Klage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unzulässig war. Eine Entscheidung über den materiellen Anspruch liegt dagegen nicht vor (§ 322 Abs. 1 ZPO). Der Kläger kann deshalb nach Beseitigung des Zulässigkeitshindernisses denselben Streitgegenstand noch einmal gerichtlich verfolgen, ohne dass der Beklagte sich auf eine entgegenstehende Rechtskraft berufen kann.
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Bei Unbegründetheit der Klage ist das anders. Hier erwächst in materielle Rechtskraft, dass der Kläger zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch gegen den Beklagten hatte. Hier würdest dem Kläger der Anspruch also aberkennen (§ 322 Abs. 1 ZPO), obwohl du vielleicht gar nicht zuständig bist.
Denk aber daran: Es ist nur in den seltensten Fällen vom Klausurersteller beabsichtigt, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Regelmäßig musst du dann auch Hilfserwägungen zur Begründetheit der Klage anstellen.
Anders als im ersten Examen, wo du im Gutachtenstil alle Zulässigkeitsvoraussetzungen zumindest angesprochen hast, schreibst du jetzt nur noch zu denjenigen etwas, über die die Parteien streiten oder bei denen du konkreten Erläuterungsbedarf siehst. Das bedeutet, dass du die Zulässigkeit auch komplett weglassen kannst, wenn sie offensichtlich gegeben ist und auch der Beklagte hieran nicht zweifelt. Eine kurze Begründung der Zuständigkeit wird aber in diesen Fällen von den Korrektoren toleriert.
„Das erkennende Gericht ist für die Klage zuständig. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus § 23 Nr. 1 GVG. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 17 ZPO. Die Beklagte hat ihren Sitz im Gerichtsbezirk.“
- (Un-) Begründetheit der Klage
Die Begründetheit der Klage steht im Mittelpunkt der Klausur und bildet damit den Schwerpunkt der Bewertung. Hier musst du also besonders sorgfältig arbeiten.
Der Aufbau der Begründetheit hängt davon ab, ob du der Klage stattgibst oder sie zumindest teilweise abweist:
- Hat die Klage im vollen Umfang Erfolg, stellst du nur eine Anspruchsgrundlage dar, und zwar diejenige, die am einfachsten zu begründen ist. Du nimmst also den kürzesten Weg zur Entscheidung. Alle anderen einschlägigen Anspruchsgrundlagen darfst du dann nicht einmal erwähnen. Widerstehe also dem Drang, dem Korrektor zu zeigen, was du noch so alles gesehen und geprüft hast.
Die einfachste Anspruchsgrundlage ist diejenige mit dem geringsten prozessualen Aufwand. Hierum ging es auch schon in der Relation.
Einwendungen und Einreden des Beklagten handelst du vollständig ab, begründest aber jeweils nur den Punkt, an dem sie scheitern, also die tragenden Erwägungen. Die anderen Voraussetzungen lässt du offen.
Ansonsten orientierst du dich an deiner Lösungsskizze:
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Hauptforderung
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Anspruchsgrundlage
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Anspruchsvoraussetzungen mit anspruchshindernden Einwendungen
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anspruchsvernichtende Einwendungen sowie Einreden
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Nebenforderung
„I. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in tenorierter Höhe gemäß § 433 II BGB.
1. a) Zwischen den Parteien besteht ein wirksamer Kaufvertrag, aus dem der Beklagte verpflichtet ist, den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen.
b) Dieser Kaufvertrag ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB nichtig. Die vom Beklagten mit Schreiben vom … erklärte Anfechtung ist unwirksam. Dabei kann offenbleiben, ob zugunsten des Beklagten überhaupt ein Anfechtungsgrund vorlag, denn jedenfalls war bei Zugang der Anfechtungserklärung beim Kläger am … die Anfechtungsfrist abgelaufen. (Begründung)
2. Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§291, 288 I BGB. Rechtshängigkeit ist am (…) eingetreten, denn die Klage wurde dem Beklagten am … zugestellt. Zinsbeginn ist der darauffolgende Tag.“
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Ist die Klage unbegründet, musst du alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen darstellen. Auch hier beschränkst du dich aber auf die tragende Erwägung dafür, dass der Anspruch nicht besteht. Die anderen Punkte lässt du offen.
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erste Anspruchsgrundlage
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fehlende Voraussetzung bzw. durchgreifende Einwendung/Einrede
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zweite Anspruchsgrundlage
usw.
„Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen durchsetzbaren Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 1.000,00 Euro. Dabei kann offenbleiben, ob ein solcher Anspruch überhaupt entstanden ist, denn jedenfalls wäre der Beklagte berechtigt, eine Zahlung zu verweigern. Der Anspruch wäre verjährt (§ 214 Abs. 1 BGB).“
Nur ausnahmsweise darfst du Ausführungen zu einem Punkt machen, auf den es für deine Entscheidung gar nicht ankommt, und zwar dann, wenn er in den Schriftsätzen der Parteien einen größeren Raum einnimmt. (Das deutet in aller Regel darauf hin, dass es dem Klausurersteller auf ihn ankam.)
„Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Lieferung eines neuen Smartphones.
Zwar hat das Smartphone nicht die vereinbarte Beschaffenheit, denn (…).
Der Anspruch ist aber nach § 442 I 1 BGB ausgeschlossen. Der Kläger wusste bei Vertragsschluss, dass die Speicherkapazität nur 250 GB beträgt.“
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Ist die Klage teilweise begründet, kombinierst du beide Varianten. Dabei beginnst du aber immer mit dem erfolgreichen Teil. Das gilt auch für die Nebenforderungen, die du zusprichst.
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begründeter Teil
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Hauptforderung
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Anspruchsgrundlage
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Anspruchsvoraussetzungen mit rechtshindernden Einwendungen
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rechtsvernichtende Einwendungen sowie Einreden
-
Nebenforderung
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unbegründeter Teil
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erste Anspruchsgrundlage
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fehlende Voraussetzung bzw. durchgreifende Einwendung/Einrede
-
zweite Anspruchsgrundlage
usw.
- Nebenentscheidungen
Die Nebenentscheidungen beziehen sich auf den Tenor zur Kostentragungslast und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit.
Die Begründung beschränkt sich in der Regel auf die Wiedergabe der Vorschriften, die du angewendet hast:
„Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11 Alt. 1, 711 ZPO.“
Es gibt aber Konstellationen, in denen du etwas weiter ausholen solltest.
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Das gilt zunächst für die Anwendung bzw. Nicht-Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Hier musst du vor allem erläutern, warum eine Partei sämtliche Kosten trägt, obwohl sie teilweise gewonnen hat bzw. warum du eine Kostenquote gebildet hast.
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Besonders wichtig ist der Fall, dass die Parteien einen Teil der Klage übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Bezüglich dieses Teils ist die Rechtshängigkeit der Klage entfallen (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog) und du entscheidest nur noch über die Kosten in Anlehnung an § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Auch hier gilt aber der Grundsatz der Kosteneinheit: Es wäre falsch, wenn du einen gesonderten Kostenbeschluss fertigen würdest. Vielmehr musst du im Urteil eine sog. Kostenmischentscheidung treffen. Wer trägt die Kosten des streitigen Teils? Wer trägt die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils? Beide Ergebnisse führst du in einem einheitlichen Tenor zusammen. In den Entscheidungsgründen begründest du ausführlich deine Kostenentscheidung zum erledigten Teil. Die Einzelheiten erfährst du im Exkurs zu den übereinstimmenden Erledigungserklärungen.
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Ähnliches gilt, wenn der Beklagte einen Teil der Klageforderung anerkannt hat - und du ein Anerkenntnis-Teil- und Schlussurteil erlässt -, wenn du zu seinen Gunsten § 93 ZPO anwendest.
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ggf. Rechtsbehelfsbelehrung
Nach § 232 ZPO bedürfen anfechtbare Amtsgerichtsurteile einer Rechtsbehelfsbelehrung, auch wenn die Parteien anwaltlich vertreten sind. § 232 Satz 2 ZPO sieht nur für Verfahren mit Anwaltszwang keine Belehrung vor.
Du musst also prüfen, ob die unterlegene Partei gegen das Urteil Berufung einlegen kann. Nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hängt das vom Wert der Beschwer dieser Partei ab. Auf den Streitwert kommt es dagegen nicht an.
Du musst die Rechtsbehelfsbelehrung nicht ausformulieren. Es genügt, wenn du schreibst:
„Rechtsbehelf: Berufung, § 511 ZPO“
- Unterschrift(en)
Das Urteil muss die Unterschriften derjenigen Richter tragen, die an der Entscheidung mitgewirkt hat. Man nennt sie erkennende Richter. Es sind dieselben, die du im Rubrum aufgeführt hast.
Ob du deren Namen schreibst oder nur „Unterschriften der erkennenden Richter“ ist im Ergebnis egal. Achte hier wieder auf die Üblichkeit in deinem Ausbildungsbezirk.
- ggf. Streitwertbeschluss
Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG setzt das Gericht nach Beendigung des Verfahrens den Gebührenstreitwert durch Beschluss fest. Häufig geschieht das im Urteil.
Orientiere dich am Bearbeitervermerk: Ist dir die Streitwertfestsetzung erlassen? Falls du dazu keine Hinweise findest, bist du auf der sicheren Seite, wenn du einen solchen Beschluss noch abfasst, und zwar nach den Unterschriften unter dem Urteil. Es handelt sich um eine eigenständige Entscheidung, die auch gesondert angefochten werden kann (§ 66 GKG).
Wie du den Gebührenstreitwert bemisst, hast du im Rahmen des § 92 Abs. 1 ZPO erfahren: Maßgeblich ist der Wert der Klage bei ihrem Eingang (§ 40 GKG). Hat der Kläger die Klage erweitert, gilt der neue Wert. Mehrere Klagen werden addiert (§ 39 GKG). Ausnahmen gibt es für die Stufenklage (§ 44), Klage und Widerklage sowie Haupt- und Hilfsantrag (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Für eine Hilfsaufrechnung gibt § 45 Abs. 3 GKG.
Du musst den Beschluss nicht begründen. Er muss aber ebenfalls unterschrieben werden.
„Beschluss
Der Streitwert wird gemäß § 43 GKG auf … Euro festgesetzt.
(Unterschriften)“
Zwar gilt auch hier § 232 ZPO. Auf die Rechtsbehelfsbelehrung kannst du aber verzichten.