Entscheidungsgründe Urteilsstil
20) Urteilsstil
Es gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für deinen Klausurerfolg, dass du den Urteilsstil sicher beherrschst. Hast du damit im Examen noch immer Probleme, wird es schwer. Deshalb auch hier der Tipp: Schreib so viele Übungsklausuren, wie du schaffst.
- Aufbau
Der Urteilsstil unterscheidet sich vom Gutachtenstil – den du für die Anwaltsklausuren weiterhin brauchst – dadurch, dass du das Ergebnis schon im Obersatz mitteilst und in der Folge - über mehrere Teilergebnisse - begründest. Die einzelnen Prüfungspunkte knüpfen also an den vorhergehenden an und begründen diese. Dasselbe gilt für die einzelnen Sätze innerhalb eines Prüfungspunktes.
Ob du richtig liegst, merkst du, wenn die Sätze mit „denn“, „weil“ oder „da“ beginnen könnten. Passt nur „deshalb, daher, somit, also“, schreibst du im Gutachtenstil und musst den Abschnitt noch einmal neu fassen. Hier sind die Korrektoren eher streng.
- Ergebnisobersatz
„Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 600 Euro gemäß §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 Satz 1 BGB.“
- Definition
Unter den Punkt Definition fällt zum einen die Wiedergabe der Voraussetzungen einer Norm als auch die Bestimmung einzelner Tatbestandsmerkmale.
„Nach § 441 Abs. 4 Satz 1 BGB muss der Verkäufer dem Käufer einer mangelhaften Sache den Mehrbetrag erstatten, den der Käufer über den geminderten Kaufpreis hinaus gezahlt hat.“
- Zwischenergebnis
Im Anschluss an die Definition stellst du ein Zwischenergebnis dar, teilst also mit, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht. Das erleichtert es dir, in der Folge mit einem „denn, weil, also“-Satz fortzufahren.
„Das ist in Höhe von 600 Euro der Fall.“
- Subsumtion
(denn) „In diesem Umfang war der Kaufpreis zu mindern.“
- erste Anspruchsvoraussetzung
„1. Die Klägerin hat in der Klageschrift die Minderung des Kaufpreises erklärt.“
- nächste Anspruchsvoraussetzung
„2. Die gelieferte Druckmaschine ist mangelhaft.“
Das ist wieder ein Obersatz mit einem Zwischenergebnis. Es folgt also zwingend eine Definition:
„Eine Sache ist mangelhaft, wenn ihre tatsächliche Beschaffenheit von der Beschaffenheit, die sie haben soll, zum Nachteil des Käufers abweicht.“
Wieder ein Zwischenergebnis:
„Das ist hier der Fall.“
Und die Subsumtion:
(Denn) „Statt der im Kaufvertrag vereinbarten 500 druckt die Maschine nur 450 Seiten pro Minute. (Denn_) Das steht nach der Anhörung des Sachverständigen S fest._ (Denn) Dieser hat erläutert, dass …
Und dann: NICHTS! Widerstehe dem nachvollziehbaren Drang, ein Ergebnis zu formulieren. Das hast du ja schon getan.
- nächste Anspruchsvoraussetzung usw.
- Weitere Tipps
-
Gliedere deine Entscheidungsgründe nicht nur durch Absätze, sondern auch mit Gliederungsebenen, aber nicht zu vielen.
-
Schreibe in kurzen, klaren Sätzen. Vermeide (zu lange) Nebensätze.
-
Schreibe im Präsens. Nur für die Prozessgeschichte (Perfekt) und vergangene Ereignisse (Präteritum) gilt das nicht.
-
Urteile werden aus der sachlichen Perspektive des „Gerichts“ geschrieben, also nicht in der Ich- oder Wir-Form.
„Das Gericht ist der Auffassung … Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest …“
-
Zitiere die Normen so genau, wie du sie anwendest.
-
Vermeide obiter dicta und „Lehrbuchstil“. Lass grundsätzlich alle Fragen offen, auf die es für deine Entscheidung nicht ankommt. Das sollten allerdings nicht viele sein, weil du sonst wahrscheinlich etwas übersehen hast.
-
Knüpfe deine Formulierungen an die Rechtsfolge des Gesetzes an. Damit zeigst du dem Leser, warum es auf diesen Prüfungspunkt ankommt.
Statt: „Der Anspruch ist verjährt.“, schreibst du: „Der Beklagte kann die Zahlung gemäß § 214 Abs. 1 BGB verweigern. (Denn) Der Anspruch ist verjährt.“
Statt: „Den Kläger trifft ein Mitverschulden.“, schreibst du: „Der Anspruch ist gemäß § 254 I BGB um … Euro zu kürzen. (Denn) In diesem Umfang hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Klägers mitgewirkt.“
- Übernimm die Ergebnisse deiner Relation.
Ist die Klage bspw. unschlüssig, schreibst du das auch so. Du weißt ja nicht, ob der Kläger nicht doch einen Anspruch hat, dargetan hat er ihn jedenfalls nicht. Also nicht: Der Kläger hat keinen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten, sondern, „Der Kläger hat einen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten nicht schlüssig dargetan.“
-
Argumentiere folgerichtig anhand des Gesetzes und deines Sachverhalts. Hierfür gibt es die Punkte. Setz dich vor allem mit den Argumenten der unterlegenen Partei auseinander. Ziehe ggf. Parallelen zu BGH-Entscheidungen (Kommentar!), die eine vergleichbare oder gerade nicht vergleichbare Konstellation zum Gegenstand haben.
-
Auf Streitstände in der Literatur kommt es grundsätzlich nur dann an, wenn es keine einheitliche Linie in der Rechtsprechung gibt.
Aber auch dann solltest du deine Prüfung an dem konkreten Tatbestandsmerkmal, um das es geht, anknüpfen und die bekannten Auslegungsmethoden anwenden.
-
Die Auslegung orientiert sich zunächst am Wortlaut der Norm (grammatikalische/semantische Auslegung), darf aber dort nicht enden. In der Regel geht es um das Verständnis mehrdeutiger Begriffe. Maßgeblich sind vor allem Wortsinn und Satzbau.
-
Bei der systematischen Auslegung wird die Stellung der Norm im Gesetz und ihr Zusammenhang mit anderen Vorschriften, die dieselbe Rechtsfrage betreffen, in den Blick genommen. Das müssen nicht zwangsläufig andere Paragrafen sein.
-
Im Rahmen der historisch-genetischen Auslegung werden vor allem die Gesetzesmaterialien darauf untersucht, ob sich ihnen ein eindeutiger Regelungswille des Gesetzgebers entnehmen lässt. Hierzu gehören neben der amtlichen Gesetzesbegründung vor allem die Gesetzentwürfe und die Stellungnahmen im Gesetzgebungsprozess.
Außerdem werden bei der historischen Auslegung auch die Umstände zur Zeit der Gesetzesentstehung in den Blick genommen. Die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie bislang erlassenen Gesetze wird man nur dann richtig verstehen und anwenden, wenn man die wirtschaftliche Situation ab Frühjahr 2020 vor Augen hat.
-
Die teleologische Auslegung fragt nach dem Sinn und Zweck eines Gesetzes und dem in ihm zum Ausdruck kommenden Ausgleich widerstreitender Interesse. Dabei werden nicht allein die Maßstäbe des historischen Gesetzgebers angelegt. Vielmehr wird geprüft, ob Entwicklungen, die der Gesetzgeber nicht vorhersehen konnte (bspw. elektronischer Rechtsverkehr), von dem konkreten Gesetzeszweck (bspw. Beweisfunktion schriftlicher Erklärungen) erfasst werden.
-
Wenn du einen Streitgegenstand darstellen willst, hast du zwei Möglichkeiten:
-
Du führst dein Ergebnis an und begründest es (mit den Argumenten der Auffassung, der du folgst). Anschließend sagst du, warum du dich nicht der Gegenauffassung angeschlossen hast.
„§ … findet auch in der vorliegenden Konstellation Anwendung. Dies folgt daraus, dass … (Argumentation).
Soweit die Gegenauffassung meint, dass § … hinter die Regelung in § … zurücktreten müsse, folgt ihr das Gericht nicht. (Argumentation)“
- Oder du wendest die „BGH-Methode“ an, bei der du erst die verschiedenen Ansichten erläuterst und dich im Anschluss für eine entscheidest.
„Ob § … auch in der vorliegenden Konstellation Anwendung findet, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet.
Teilweise wird vertreten, die Vorschrift müsse hinter § … zurücktreten. (…)
Die Gegenansicht hält die Vorschrift für die speziellere Regelung. (…)
Das Gericht schließt sich der letztgenannten Auffassung an. (Argumentation)“