Enteignender Eingriff
Aufbau der Prüfung - Enteignender Eingriff
Auch ein enteignender Eingriff gehört zu den staatshaftungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen, die auf Geld gerichtet sind. Ein enteignender Eingriff kommt jedoch nur in Betracht, wenn ein rechtmäßiger Eingriff zugrunde liegt. Beispiel: Ein Geiselnehmer hat eine Geisel in seinem Kofferraum. Ein Polizist gibt einen gezielten Schuss ab, um das Fluchtfahrzeug zum Stehen zu zwingen. Die Kugel prallt gegen den Stoßfänger und sodann gegen eine Straßenlaterne, um in der Auslage des Geschäfts des A zu landen und die sich dort befindliche Ware zu zerstören. Nun verlangt A eine Entschädigung vom Staat.
A. Herleitung
Zunächst muss eine Herleitung des enteignenden Eingriffs erfolgen. Ein enteignender Eingriff kann sowohl aus den §§ 74, 75 EALR oder aus dem Gewohnheitsrecht hergeleitet werden. Insofern ergibt sich keinen Unterschied zu dem enteignungsgleichen Eingriff. Formulierungsbeispiel: A könnte gegen den Staat einen Anspruch aus dem staatshaftungsrechtlichen Institut des enteignenden Eingriffs haben, dessen Herleitung aus den §§ 74, 75 EALR oder aus Gewohnheitsrecht hier dahinstehen kann.
B. Voraussetzungen
Ein enteignender Eingriff hat fünf Voraussetzungen.
I. Eigentum, Art. 14 GG
Zunächst setzt ein enteignender Eingriff voraus, dass das Eigentum betroffen ist. Dies ist i.S.v. Art. 14 GG zu verstehen. Der Anwendungsbereich ist - anders als beim Amtshaftungsanspruch - auf dieses Schutzgut beschränkt.
II. Unmittelbarer, hoheitlicher, faktischer Eingriff
Weiterhin verlangt ein enteignender Eingriff einen unmittelbar hoheitlichen, faktischen Eingriff. Unmittelbar meint in diesem Zusammenhang kausal-adäquat. Es muss sich somit um eine typische und somit nicht atypische Folgen eines bestimmten Eingriffs handeln. "Faktisch" bedeutet, dass der Eingriff ungewollt, also nicht final, ist. Es geht nur um ungewollte Nebenfolgen an sich rechtmäßigen, staatlichen Handelns. Im Beispielsfall sollte das Fluchtauto zum Stillstand gebracht werden. Das Beschädigen der Auslage des B war hingegen eine unbeabsichtigte Nebenfolge des staatlichen Handelns.
III. Gemeinwohlbezogenheit
Ferner fordert ein enteignender Eingriff eine Gemeinwohlbezogenheit. Hierbei geht es um den Aufopferungsgedanken der §§ 74, 75 EALR.
IV. Rechtmäßigkeit des Eingriffs
Zudem setzt ein enteignender Eingriff die Rechtmäßigkeit des Eingriffs voraus. Schlimmstenfalls muss an dieser Stelle inzidenter die Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns geprüft werden. Dies wird üblicherweise den Schwerpunkt der Klausur darstellen. Darüber hinaus kann es jedoch nicht sein, dass jedes rechtmäßige, staatliche Handeln einen Entschädigungsanspruch auslöst. Deshalb erfordert ein enteignender Eingriff zudem eine enteignende Wirkung. Diese liegt vor, wenn sich der Eingriff nicht im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung bewegt und daher nicht Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums ist. Dies folgt aus Art. 14 I 2, II GG. Letztlich sind hier die einfachgesetzlichen Wertungen zu übernehmen, denn das einfache Gesetz bestimmt überhaupt erst Inhalt und Schranken des Eigentums und die Grenze der Sozialbindung. Beispiel: § 906 BGB analog, der Wertungen darüber enthält, welche Einwirkungen ein Grundstückseigentümer hinnehmen muss.
C. Rechtsfolge: Entschädigung
Ein enteignender Eingriff hat eine angemessene Entschädigung als Rechtsfolge. Dieser Anspruch ist immer auf Geld gerichtet. Es geht jedoch nicht um Schadensersatz, sodass der entgangene Gewinn nicht erfasst ist.
D. Kein Ausschluss
Zuletzt darf ein enteignender Eingriff nicht ausgeschlossen sein. Beispiel: „Kein Dulde und Liquidiere!“ Allerdings sind die primären Rechtsschutzmöglichkeiten gegen rechtmäßiges Handeln, insbesondere bei ungewollten Nebenfolgen, begrenzt. Aus diesem Grund greift dieser Ausschlussgrund regelmäßig nicht.
E. Rechtsweg
Zuständig für Ansprüche aus enteignendem Eingriff sind die ordentlichen Gerichte (Zivilgerichte). Dies ergibt sich aus der abdrängenden Sonderzuweisung des § 40 II VwGO (Aufopferung).