Einspruch gegen ein VU - Gutachten

9) Einspruch gegen ein Versäumnisurteil – Prozessrechtliches Gutachten

Zu den am häufigsten gewählten Fallkonstellationen einer Beklagtenklausur zählt der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, oft in Verbindung mit einem Wiedereinsetzungsantrag.

Da gemäß § 700 Abs. 1 ZPO der Vollstreckungsbescheid einem Versäumnisurteil gleichsteht, gelten die folgenden Ausführungen auch für den Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid.

A. Begehr des Mandanten

Auch hier stellst du zunächst dar, dass der Mandant das Versäumnisurteil aus der Welt geschafft haben möchte. Dabei solltest du auch die Prozesslage kurz erwähnen. Eventuell verfolgt er auch noch andere Ziele, bspw. die Durchsetzung einer Gegenforderung.

B. Prozessrechtliches Gutachten

Wie in jeder Beklagtenklausur und im Gegensatz zur Klägerklausur prüfst du zunächst, welche prozessualen Möglichkeiten der Mandant hat. Du verwendest den Gutachtenstil für die problematischen Fragen, ansonsten den Urteilsstil.

I. Gibt es einen statthaften Rechtsbehelf?

Gegen ein Versäumnisurteil ist grundsätzlich nur der Einspruch zulässig (§ 338 ZPO). Berufung kann dagegen nicht mit Erfolg eingelegt werden (§ 514 Abs. 1 ZPO).

II. Wäre ein Einspruch zulässig?

Bevor du dich mit den materiellen Fragen des Falls beschäftigst, muss feststehen, dass ein Einspruch noch zulässig eingelegt werden könnte.

1. Läuft die zweiwöchige Einspruchsfrist noch?

Der Einspruch muss innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Versäumnisurteils an den Mandanten eingelegt werden (§ 339 Abs. 1 ZPO).

a) Wann hat die Frist begonnen?

Du ermittelst zunächst den Fristbeginn. Dabei unterstellst du, dass die Zustellung wirksam war und die Frist in Gang gesetzt hat. Erst wenn du zu dem Ergebnis kommst, dass die Frist rechnerisch abgelaufen ist, prüfst du, ob die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist.

Beachte:

Bei einem Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren (§ 331 Abs. 3 ZPO) ist die spätere Zustellung an eine der Parteien maßgeblich (Umkehrschluss aus § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Bei öffentlicher Zustellung des Versäumnisurteils beginnt die Einspruchsfrist erst einen Monat nach Aushang (§ 188 Satz 1 ZPO).

Für die Fristberechnung gilt § 222 Abs. 1 ZPO, der in die §§ 186 ff. BGB verweist.

Der Fristbeginn bestimmt sich deshalb nach § 187 BGB. Es kommt darauf an, wodurch der Fristbeginn ausgelöst wird. Die Zustellung eines Versäumnisurteils ist ein Ereignis iSv § 187 Abs. 1. Der Tag der Zustellung zählt folglich nicht mit, sondern die Frist beginnt am nächsten Tag.

Beachte: Für den Fristbeginn spielt es keine Rolle, ob „der nächste Tag“ ein Samstag, Sonntag oder Feiertag ist.

b) Läuft die Frist noch?

Für die Berechnung des Fristendes gilt § 188 Abs. 2 BGB. Danach endet die nach Wochen bestimmte Einspruchsfrist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den die Zustellung als Ereignis gefallen ist. Handelt es sich dabei um einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, endet die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages (§ 222 Abs. 2 ZPO).

c) ggf.: Konnte die Zustellung die Frist wirksam in Gang setzen?

Lautet dein Ergebnis, dass die Einspruchsfrist rechnerisch abgelaufen ist, nimmst du die Zustellung etwas genauer in den Blick. Das wird dich wahrscheinlich von den meisten anderen unterscheiden, die sich sofort - wenn überhaupt - auf die Wiedereinsetzung stürzen.

Nur eine ordnungsgemäße Zustellung kann die Einspruchsfrist auslösen. Du musst also prüfen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Zustellung nicht nach den gesetzlichen Regeln durchgeführt wurde.

aa) Wurden mögliche Zustellungsmängel geheilt (§ 189 ZPO)?

Hast du einen solchen Hinweis gefunden, solltest du erst einmal prüfen, ob der mögliche Mangel bereits geheilt wurde, und zwar zu einem Zeitpunkt, der ebenfalls zum Fristablauf führen würde.

Bsp.: Das Versäumnisurteil wird dem anwaltlich vertretenen Beklagten persönlich zugestellt, der sich damit noch am selben Tag zu seinem Anwalt begibt. Hier war die Zustellung zwar unwirksam, denn gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO hätte dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zugestellt werden müssen. Dieser Mangel wurde aber dadurch geheilt, dass den Anwalt des Beklagten das Versäumnisurteil noch am selben Tag erreicht hat (§ 193 ZPO).

bb) Ist das Versäumnisurteil dem richtigen Empfänger zugestellt worden?

Eine Zustellung ist fehlerhaft, wenn sie nicht den richtigen Empfänger erreicht hat.

  • Im Anwaltsprozess ist das - wie gezeigt - der Prozessbevollmächtigte (§ 172 Abs. 1 ZPO). Das gilt auch vor dem Amtsgericht.

  • Im Parteiprozess wird der Partei selbst zugestellt bzw. ihrem gesetzlichen Vertreter (§ 171 ZPO) oder Bevollmächtigten (§ 172 ZPO).

cc) Wurde die Zustellung ordnungsgemäß ausgeführt?

Findest du im Aktenauszug Angaben zur konkreten Art der Zustellung, solltest du genau hinsehen.

(1) Zustellung an den Prozessbevollmächtigten

Die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten erfolgt gegen Empfangsbekenntnis (§ 174 Abs. 1), auf das der Anwalt das Datum des Tages vermerken muss, an dem er das Versäumnisurteil erstmals in der Hand gehalten hat, und das er unterschrieben an das Gericht zurücksendet (Abs. 4 Satz 1).

(2) Zustellung an die Partei

Für die Zustellung an die Partei gilt Folgendes:

  • Die Zustellung erfolgt grundsätzlich durch unmittelbare Übergabe (§ 177 ZPO).

  • Ist das nicht möglich, ist eine Ersatzzustellung nach § 178 ZPO möglich. In der Wohnung des Empfängers kann das Versäumnisurteil einem erwachsenen Familienangehörigen oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner übergeben werden (Nr. 1 ZPO). Dabei kommt es für die Frage, ob eine Person erwachsen ist, nur auf die konkrete Einsichtsfähigkeit an. Der Zusteller muss also einschätzen, ob das Kind oder der Jugendliche bereits in der Lage ist zu erkennen, dass das Versäumnisurteil unbedingt aushändigt werden muss, oder ob das im nächsten Moment schon wieder vergessen ist.

In den Geschäftsräumen des Empfängers kann das Versäumnisurteil einer dort beschäftigten Person übergeben werden (Nr. 2).

Wird die Annahme unberechtigt verweigert, lässt der Zusteller das Versäumnisurteil in der Wohnung oder dem Geschäftsraum zurück, womit es als zugestellt gilt (§ 179 ZPO).

  • Erst dann, wenn eine Ersatzzustellung in der Wohnung oder dem Geschäftsraum nicht möglich ist, darf der Zusteller das Versäumnisurteil in den zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten werfen, was ebenfalls zur Zustellung führt (§ 180 ZPO).

  • Gibt es keinen eindeutig zuzuordnenden Briefkasten zur Wohnung oder ist er voll, wird das Versäumnisurteil in einer Postfiliale niedergelegt und der Empfänger hiervon schriftlich benachrichtigt, womit die Zustellung wiederum als bewirkt gilt (§ 181 ZPO).

Die konkrete Ausführung der Zustellung wird in der Zustellungsurkunde vermerkt (§ 182 ZPO). Sie gilt als öffentliche Urkunde (Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das bedeutet, sie begründet vollen Beweis der darin bezeugten Zustellung (§ 418 Abs. 1 ZPO). Der Partei steht zwar der Gegenbeweis, dass die Zustellung so nicht ausgeführt wurde, offen (Abs. 2). Er ist aber nur schwer zu führen.

(3) Öffentliche Zustellung

An eine öffentlich Zustellung wegen des unbekannten Aufenthalts des Empfängers (§ 185 Nr. 1 ZPO) werden strenge Anforderungen gestellt. Dem Kläger muss es auch durch Nachforschungen im Familienkreis und bei der letzten bekannten Arbeitsstelle nicht gelungen sein, eine zustellungsfähige Anschrift zu ermitteln.

2. ggf.: Kann Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist beantragt werden?

Ist die Zustellung wirksam und die Einspruchsfrist abgelaufen, kommt nur noch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (§ 233 ff. ZPO).

a) Statthaftigkeit (§ 233 Satz 1 ZPO)

Die Wiedereinsetzung ist u.a. dann statthaft, wenn die Partei eine Notfrist versäumt hat. Die Einspruchsfrist ist eine solche Frist (§ 339 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO).

b) Läuft die Frist noch?

Bevor du dich mit der Frage beschäftigst, ob der Mandant ohne sein Verschulden die Einspruchsfrist versäumt hat, solltest du wiederum prüfen, ob ein Wiedereinsetzungsantrag noch zulässig ist.

Auch die Wiedereinsetzung ist an eine Frist gebunden (§ 234 ZPO). Sie beträgt zwei Wochen (Abs. 1 Satz 1) und beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis, das zur Fristversäumung geführt hat, behoben ist (Abs. 2). Nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende der Einspruchsfrist ist die Wiedereinsetzung aber selbst dann ausgeschlossen, wenn die Partei noch keine Kenntnis von der Zustellung des Versäumnisurteils hat (Abs. 3).

c) Hat der Mandant die Frist unverschuldet versäumt?

Der Antrag ist begründet, wenn der Mandant die Einspruchsfrist unverschuldet versäumt hat (§ 233 Satz 1 ZPO). Das wird vermutet, wenn das Versäumnisurteil eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung nach § 232 ZPO enthält (Satz 2).

Ansonsten muss eine Partei nicht nur für eigenes Verschulden einstehen, sondern sich auch das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Dabei erstreckt sich die Zurechnung zwar nicht auf ein Verschulden der Angestellten des Prozessbevollmächtigten, weil diese im Verhältnis zum Mandanten nicht Erfüllungsgehilfen iSv § 278 ZPO sind. In diesem Fall kann aber ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten als wiederum zuzurechnendes eigenes Verschulden in Betracht kommen.

Hier musst du die Argumente des Sachverhalts sammeln und - soweit möglich - einer vertretbaren Argumentation zugunsten des Mandanten zuführen.

d) Wiedereinsetzungsantrag (§ 236 ZPO)

Die Wiedereinsetzung muss beim Prozessgericht (§ 237 ZPO) beantragt werden.

Die Form des Antrags richtet sich nach den Vorschriften für die versäumte Prozesshandlung (§ 236 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 340 Abs. 1 ZPO wird der Einspruch durch eine Einspruchsschrift eingelegt. Der Wiedereinsetzungsantrag muss deshalb ebenfalls schriftsätzlich erfolgen.

Außerdem muss innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die versäumte Prozesshandlung nachgeholt werden. Der Wiedereinsetzungsantrag sollte deshalb mit der Einspruchsschrift verbunden werden.

Im Antrag müssen diejenigen Tatsachen, mit denen die Wiedereinsetzung begründet wird, glaubhaft gemacht werden (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Hierfür können sämtliche Beweismittel verwendet werden und darüber hinaus eine eidesstattliche Versicherung (§ 294 ZPO).