Durchsetzbarkeit von Ansprüchen (Einreden)

Durchsetzbarkeit von Ansprüchen (Einreden)

Ist ein Anspruch entstanden und nicht wieder erloschen, stellt sich auf einer dritten und letzten Ebene der Anspruchsprüfung die Frage, ob der Anspruch durchsetzbar ist. Der Durchsetzbarkeit können rechtshemmende Einwendungen entgegenstehen. Da diese im Gegensatz zu rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen grundsätzlich nicht von Amts wegen, sondern nur dann berücksichtigt werden, wenn sich der Schuldner auf sie beruft, werden sie als Einreden bezeichnet. Es gilt der Merksatz: „Bei Einreden muss der Schuldner reden.“

Im Zivilprozess ist der Unterschied überschaubar, weil dort der Beibringungsgrundsatz gilt.1 Auch für rechtshindernde und rechtsvernichtende Einwendungen muss der darlegungs- und beweisbelastete Schuldner den Sacherhalt vortragen und in den Prozess einführen. Erst dann muss das Gericht den Sachvortrag „von Amts wegen“ berücksichtigen und seiner Entscheidung zugrunde legen. Dies ist nicht zu verwechseln mit einer echten Amtsermittlung, wie sie beispielsweise im Strafprozess stattfindet.

Grundlegend zu unterscheiden sind peremptorische und dilatorische Einreden. Bei einer peremptorischen Einrede ist der Anspruch dauerhaft nicht durchsetzbar, bei einer dilatorischen Einrede nur vorübergehend.

Zum Prüfungsaufbau in der Klausur: Da peremptorische Einreden dem Schuldner einen weitergehenden Schutz vermitteln als dilatorische, sind peremptorische stets vor dilatorischen Einreden zu prüfen.

Dauerhafte (peremptorische) Einreden

Greift eine peremptorische Einrede ein, ist der betreffende Anspruch dauerhaft nicht durchsetzbar.

Beispiele: Einrede der Verjährung (§ 214 I BGB), Bereicherungseinrede (§ 821 BGB),2 Arglisteinrede (§ 853 BGB). 3

Vorübergehende (dilatorische) Einreden

Bei einer dilatorischen Einrede wird der Anspruch nur vorübergehend gehemmt, nämlich solange, wie die Voraussetzungen der Einrede vorliegen. Wichtige Beispiele sind § 273 BGB (Zurückbehaltungsrecht) und § 320 BGB (Einrede des nicht erfüllten Vertrags4. In diesen Fällen hat die Erhebung der Einrede grundsätzlich zur Folge, dass der Gläubiger seinen Anspruch gegen den Schuldner nur Zug-um-Zug gegen Erbringung einer Gegenleistung an den Schuldner durchsetzen kann (§§ 274 I, 322 I BGB).

§ 273 BGB wird im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV, §§ 987 ff. BGB) um das Zurückbehaltungsrecht des Besitzers gemäß § 1000 BGB ergänzt. Weitere Beispiele sind die Stundungsvereinbarung,5 das Stillhalteabkommen (pactum de non petendo)6 und die §§ 258 S. 2 Hs. 2, 519 I, 770, 771, 811 II 2, 867 S. 3 Hs. 1, 997 I 2 BGB.

„Einreden“ aus § 242 BGB

Nach § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Über den Wortlaut des § 242 BGB hinaus bindet der Grundsatz von Treu und Glauben aber nicht nur den Schuldner, sondern auch den Gläubiger.7

Die Parteien einer Sonderbeziehung haben sich vor, während und nach deren Abwicklung an die Gebote der Verlässlichkeit, Rücksichtnahme und Loyalität zu halten. § 242 BGB hat dabei die Aufgabe, diese Grundsätze zu konkretisieren. Bestehende Vertragspflichten sind nach Treu und Glauben zu konkretisieren, neue Nebenpflichten zur Sicherung der Vertragsdurchführung oder zum Schutz des Vertragspartners werden nach Treu und Glauben begründet (Ergänzungsfunktion). Rechtsverhältnisse können nach Treu und Glauben an veränderte Umstände angepasst werden (Korrekturfunktion; vgl. § 313 BGB). Schließlich begründen Treu und Glauben immanente Schranken für die Ausübung bestehender Rechte (Schrankenfunktion).8 Im Rahmen seiner Schrankenfunktion führt der Grundsatz von Treu und Glauben dazu, dass ein bestehendes Recht nicht (vollständig) ausgeübt werden darf, soweit die jeweilige „immanente Schranke“ reicht (Verbot unzulässiger Rechtsausübung).

Der Schranke für den Gläubiger entspricht spiegelbildlich eine Einwendung für den Schuldner, gegen den das Recht im Rahmen seiner immanenten Schranke nicht durchgesetzt werden darf. Als Einwendung ist die unzulässige Rechtsausübung von Amts wegen zu berücksichtigen.9 Da sie jedoch zur Beschränkung der Durchsetzbarkeit eines bestehenden – entstandenen und nicht wieder erloschenen – Rechts führt, bietet es sich an, diese von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung auf der Ebene der Durchsetzbarkeit des Anspruchs zu prüfen. Relevant sind insbesondere folgende Fallgruppen:

  • Rechtserwerb kraft unredlichen Verhaltens („exceptio doli“)10

Durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte sind nicht schutzwürdig. Es widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben, aus einem durch eigene Pflichtverletzung geschaffenen Tatbestand Rechte gegen einen anderen zu dessen Nachteil herzuleiten. Voraussetzung ist die Schaffung von unredlich verursachten Vorteilen für den unredlichen Gläubiger oder von Nachteilen für den Schuldner, der sich mit diesem Einwand wehrt.11 Beispiele: Annahme eines auf einem evidenten Kalkulationsirrtum beruhenden Angebots und Bestehen auf den günstigen Konditionen;12 für den Vertragspartner ist es offenkundig, dass ein Vertreter seine Vertretungsmacht überschritten hat.13

  • Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr (dolo-agit-Einwand)

Rechtsmissbräuchlich ist das Einfordern einer Leistung, die der Gläubiger aus anderem Rechtsgrund seinerseits sofort wieder zurückgewähren müsste („dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“).14 Beispiel: Herausgabeverlangen des Eigentümers gegenüber dem Anwartschaftsberechtigten, der alsbald Eigentümer wird.15

  • Widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium)16

Widersprüchliches Verhalten gibt dem Schuldner dann ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn die Ausübung des Rechts zum bisherigen Verhalten des Gläubigers in unlösbarem Widerspruch steht und zudem schutzwürdiges Vertrauen des Schuldners enttäuscht wurde. Erforderlich ist die Schaffung von Vertrauen, der mit dem späteren widersprüchlichen Verhalten enttäuscht wird. 17 Beispiel: Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bei bewusster Eigengefährdung.18

  • Verwirkung

Die Verwirkung ist ein Sonderfall unzulässiger Rechtsausübung und mit dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens verwandt. Sie setzt voraus, dass der Gläubiger einen Anspruch längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (Zeitmoment), und der Schuldner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Gläubigers darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Umstandsmoment).19


  1. Jacoby, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2022, Rn. 99.
  2. § 821 BGB ist eine dauerhafte Einrede, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 24.10.2017 – XI ZR 362/15, Rn. 11, 15, 22, 24; BGH, Urt. v. 29.06.2005 – VIII ZR 299/04, NJW 2005, 2991, 2993).
  3. § 853 BGB stellt einen speziellen Anwendungsfall des Einwands unzulässiger Rechtsausübung (exceptio doli) gemäß § 242 BGB dar (Hk-BGB/Staudinger, 11. Aufl. 2022, § 853 Rn. 1).
  4. Siehe hierzu auch den Fall: „Der falsus procurator“.
  5. Eine Stundungsvereinbarung können Gläubiger und Schuldner nach Fälligkeit des Anspruchs (auch konkludent) treffen (Hk-BGB/Dörner, 11. Aufl. 2022, § 205 Rn. 2).
  6. Die Parteien können neben einem gesetzlichen Leistungsverweigerungsrecht (auch konkludent) ein Stillhalteabkommen vereinbaren, das die Klagbarkeit eines Anspruchs auch auf vertraglicher Grundlage ausschließt. Ein verjährungshemmendes Stillhalteabkommen ist allerdings nur anzunehmen, wenn der Schuldner auf Grund einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung berechtigt sein soll, vorübergehend die Leistung zu verweigern, und der Gläubiger sich umgekehrt der Möglichkeit begeben hat, seine Ansprüche jederzeit weiterzuverfolgen (BGH, Urt. v. 14.12.2017 – IX ZR 118/17, Rn. 23, 25).
  7. Hier und zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, BGB, 18. Aufl. 2022, § 242 Rn. 1 – 5.
  8. BGH, Urt. v. 18.11.1955 – I ZR 176/53, BGHZ 19, 72, 75.
  9. Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 242 Rn 25.
  10. BGH, Urt. v. 09.02.2009 – II ZR 292/07, Rn. 28.
  11. Hier und zum Folgenden: Erman/Böttcher, BGB, 16. Aufl. 2020, § 242 Rn. 108.
  12. BGH, Urt. v. 07.07.1998 – X ZR 17/97, ZIP 1998, 1640.
  13. BGH, Urt. v. 31.01.1991 – VII ZR 291/88, NJW 1991, 1812, 1813.
  14. BGH, Urt. v. 27.04.2023 – VII ZR 144/22, Rn. 32.
  15. BGH, Urt. v. 21.05.1953 – IV ZR 192/52, NJW 1953, 1099.
  16. BGH, Urt. v. 02.02.2022 – XII ZR 46/21, Rn. 20.
  17. Erman/Böttcher, BGB, 16. Aufl. 2020, § 242 Rn. 106.
  18. BGH, Urt. v. 07.02.2006 – VI ZR 20/05, NJW-RR 2006, 672, 674 (Verletzung bei Tanzspiel).
  19. BGH, Urt. v 19.12.2018 – XII ZR 5/18, Rn. 28.