Die Tathandlung

Die Tathandlung

Der Handlungsbegriff

Unter einer Straftat ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung zu verstehen.1 Eine Handlung im strafrechtlichen Sinne setzt ein willentliches, d. h. von menschlichem Willen beherrschtes oder beherrschbares äußeres Verhalten (Tun oder Unterlassen) voraus.2

Erforderlich ist ein menschliches Verhalten. Tiere können nicht handeln. Nach h. M. sind auch juristische Personen (z. B. eine GmbH) nicht handlungsfähig.

Bewegungsvorgänge, die ohne Mitwirkung der Geisteskräfte ablaufen und deshalb der Beherrschbarkeit durch den Willen entzogen sind (Beispiele: Körperbewegungen im Zustand des Schlafs oder der Ohnmacht, Krampfanfall eines Epileptikers3, Reflexbewegungen), sind keine Handlungen. Von den unwillentlich ablaufenden Bewegungsvorgängen sind „halbautomatisierte“ Verhaltensweisen (Beispiele: Spontanreaktionen, Kurzschlusshandlungen) abzugrenzen, die i.d.R. Handlungen sind. Verhaltensweisen, die durch äußere unwiderstehliche Gewalt (vis absoluta) erzwungen werden, sind keine Handlungen. Soweit der Wille nur gebeugt wird (vis compulsiva), bleibt die Handlungsqualität hingegen unberührt.

Nur ein sozial erhebliches, also ein äußerliches Verhalten kann eine Handlung sein. Vorgänge, die sich nur im Inneren des Menschen abspielen (Beispiele: Gedanken, Gesinnungen, Gefühle, Absichten), sind keine Handlungen. Beim Unterlassen kommt es darauf an, dass das gebotene Verhalten „Außenwirkung“ gehabt hätte.

Handlungslehren

Die Tatbestandsmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit bilden zusammen den Unrechtstatbestand. Die Schuld betrifft hingegen die persönliche Verantwortlichkeit. Daran knüpft der dreistufige Deliktsaufbau an. Die Einordnung des Vorsatzes in diesem dreistufigen Deliktsaufbau ist umstritten.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde mehrheitlich die sog. kausale Handlungslehre vertreten.4 Nach ihr wurde der Tatbestand rein objektiv verstanden und als erfüllt angesehen, wenn eine willentliche Körperbewegung des Täters (= Handlung) kausal für den Erfolgseintritt war. Auf einen Vorsatz des Täters kam es insoweit nicht an. Auch auf der Ebene der Rechtswidrigkeit stellte man allein auf das objektive Vorliegen eines Rechtsfertigungsgrundes ab. Dass der Täter um den Rechtsfertigungsgrund wusste und mit Rechtfertigungswillen handelte, hielt man für nicht erforderlich. Erst auf der dritten Stufe, der Schuld, wurde nach der Zurechnungsfähigkeit, dem Vorsatz (hinsichtlich des gesamten Unrechts) und etwaigen Schuldausschließungsgründen gefragt. Nach diesem „klassischen Verbrechensbegriff“ wurde der Vorsatz mithin als Bestandteil der Schuld angesehen.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts herrscht die sog. finale Handlungslehre vor.5 Nach ihr gehört der Vorsatz zum (subjektiven) Tatbestand. Auf der Ebene der Schuld werden nur noch die Schuldfähigkeit, das Unrechtsbewusstsein und das Vorliegen von Entschuldigungsgründen geprüft. Prägend für die finale Handlungslehre ist der finale Handlungsbegriff; danach ist die Handlung definiert als Ausübung menschlicher Zwecktätigkeit6 und charakterisiert durch ein bewusstes Steuern und Lenken des Geschehensablaufs (Finalität). Die Schwäche dieses Ansatzes besteht darin, dass mit ihm Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte nicht überzeugend erklärt werden können.

Heute wird überwiegend eine kombinierte Theorie, die sog. soziale Handlungslehre vertreten.7 Auch sie folgt dem dreistufigen Verbrechensaufbau und hält – im Sinne der finalen Handlungslehre – am Standort des Vorsatzes im subjektiven Tatbestand fest. Auf der ersten Stufe (Tatbestandsmäßigkeit) wird zunächst geprüft, ob der Täter die zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Merkmale erfüllt hat (objektiver Tatbestand). Als strafrechtlich relevante Handlung wird dabei jedoch – hierin liegt der wesentliche Unterschied zur finalen Handlungslehre – ein willensgetragenes, sozialerhebliches, menschliches Verhalten (Tun oder Unterlassen) verstanden. Handelt es sich um ein Vorsatzdelikt, wird sodann der Tatbestandsvorsatz geprüft (subjektiver Tatbestand). Auf der zweiten Stufe erfolgt die Prüfung der Rechtswidrigkeit, wobei die Tat immer dann rechtswidrig ist, wenn dem Täter kein anerkannter Rechtfertigungsgrund zur Seite steht und er nicht mit Rechtfertigungswillen gehandelt hat. Die dritte Stufe, die Schuld, umfasst die Schuldfähigkeit, die Vorsatzschuld, das Unrechtsbewusstsein und die Entschuldigungsgründe.

Ein theoretischer Abriss zu den vorsehenden Handlungslehren ist in Klausuren nicht gefragt. Auch ist der Prüfungsaufbau nicht zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Da das maßgebliche Unrecht nach heute ganz h. M. auch durch den Vorsatz charakterisiert wird, sollte man – bei Vorsatzdelikten8 – den Vorsatz als Tatbestands- und nicht als Schuldelement begreifen. Sodann ist der Vorschrift des § 17 StGB folgend zunächst zwischen dem (den Tatbestandsvorsatz umfassenden) Unrechtstatbestand und der Schuld zu differenzieren. Das Unrechtsbewusstsein ist dabei nicht als Vorsatzbestandteil, sondern als eigenständiges Element der Schuld anzusehen.9


  1. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 7 Rn. 1.
  2. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 7 Rn. 8 – 16.
  3. BGH, Urt. v. 17.11.1994 – 4 StR 441/94, BGHSt 40, 341, 343.
  4. Zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 64; zur Vertiefung siehe Ambos, JA 2007, 1 ff.
  5. Zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 66.
  6. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 7 Rn. 4.
  7. Zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 68.
  8. Fahrlässigkeitsdelikte vermag die kausale Handlungslehre vorzüglich erklären. Hinsichtlich der Vorsatzdelikte sollte aber die finale oder die soziale Handlungslehre bevorzugt werden (R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 69).
  9. Hierzu grundlegend: BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschl. v. 18.03.1952 – GSSt. 2/51, BGHSt 2, 194 ff.