Die Leistungsverzögerung (Überblick)

Die Leistungsverzögerung (Überblick)

Erbringt ein Schuldner, ohne dass ein Fall des § 275 BGB vorliegt, die Leistung nicht rechtzeitig, so verletzt er eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis.1 Ist ihm die Leistung möglich, ist er von der Leistungspflicht jedenfalls nicht endgültig2 befreit. Der Erfüllungsanspruch (Primäranspruch) ist weiter fällig und kann klageweise durchgesetzt werden.

Im Gegensatz zu Unmöglichkeitsfällen setzen sämtliche im Fall der Leistungsverspätung einschlägigen Normen einen „fälligen“ Primäranspruch voraus (vgl. §§ 281, 286, 323 BGB). Im Falle der Leistungsbefreiung nach § 275 I – III BGB liegt gerade kein fälliger Primäranspruch vor. Unmöglichkeit und Verspätung schließen sich also tatbestandlich aus.

Wird eine fällige Leistung trotz Möglichkeit nicht erbracht, handelt es sich um eine Leistungsverzögerung.3 Die in der bloßen Nichterfüllung eines fälligen Anspruchs liegende Pflichtverletzung hat allerdings für sich genommen noch keine spezifisch leistungsstörungsrechtlichen Konsequenzen.4 Der Gläubiger kann seinen ursprünglichen Erfüllungsanspruch weiterhin geltend machen. Nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 281, 286, 323 BGB stehen dem Gläubiger weitere Rechte zu.

Rücktritt

Der Gläubiger kann gemäß § 323 BGB von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten.

§ 281 BGB hat eine ähnliche Struktur wie das Rücktrittsrecht nach § 323 BGB.5 Insbesondere soll dem Schuldner durch das Fristsetzungserfordernis eine zweite Chance eingeräumt werden. Der wichtigste Unterschied des Schadensersatzanspruchs zum (verschuldensunabhängigen) Rücktrittsrecht ist das Erfordernis des Vertretenmüssens; nur dieses rechtfertigt die für den Schuldner deutlich schärfere Rechtsfolge „Schadensersatz“.

Schadensersatz

Entsteht dem Gläubiger durch eine Verzögerung der Leistung ein Schaden, so kann er diesen nicht ohne Weiteres nach § 280 I BGB, sondern gemäß § 280 II BGB nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 BGB, d .h. im Falle des Schuldnerverzugs, ersetzt verlangen. Ein Anspruch auf Ersatz der aufgrund des Verzugs eingetretenen Verzögerungsschäden kommt naturgemäß erst ab Eintritt des Verzugs in Betracht und folgt aus §§ 280 I, II, 286 BGB (Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung).6 Es handelt sich um einen Schadensersatzanspruch neben der Leistung.

Gegenstand dieses Schadensersatzes sind in Abgrenzung zum Schadensersatz statt der Leistung alle Schäden, die endgültig eingetreten sind, d. h. durch eine Nachholung der Leistung nicht mehr behoben würden und allein7 auf die Verzögerung der Leistung zurückzuführen sind. Der Gläubiger kann verlangen, so gestellt zu werden, als ob rechtzeitig erfüllt worden wäre.

Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger im Falle der Verspätung der Leistung unter den Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 BGB verlangen.

Aufwendungsersatz

Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung kann der Gläubiger nach § 284 BGB auch Ersatz seiner Aufwendungen verlangen.8


  1. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 461.
  2. Bei vorübergehender Unmöglichkeit ist der Erfüllungsanspruch analog § 275 I BGB gehemmt.
  3. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 363.
  4. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 23 Rn. 1.
  5. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 505.
  6. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 474.
  7. Nach h. M. fallen unter den Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung nur diejenigen Schäden, die ausschließlich auf die Verzögerung der Leistung zurückzuführen sind (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 475). Das ist für den „mangelbedingten Betriebsausfall“ von Bedeutung (BGH, Urt. v. 19.06.2009 – V ZR 93/08).
  8. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 515.