Der Schuldnerverzug

Der Schuldnerverzug (§ 286 BGB)

Schuldnerverzug ist die vom Schuldner zu vertretende Nichtleistung trotz Möglichkeit, Fälligkeit, Durchsetzbarkeit und Mahnung oder eines Mahnungssurrogats.1 Er ist in § 286 BGB geregelt.

§ 286 BGB ist keine Anspruchsgrundlage, sondern eine sog. Wirknorm. Der Schuldnerverzug kann Tatbestandsvoraussetzung von Anspruchsgrundlagen sein (z. B. §§ 280 I, II, 286; § 288 I BGB). Auch die Verwirkung einer Vertragsstrafe (§ 339 S. 1 BGB), das Recht des Vermieters zur Kündigung wegen Nichtzahlung der Miete (§ 543 II 1 Nr. 3 lit. a) BGB) und die Erweiterung der Haftung des bösgläubigen Besitzers (§ 990 II BGB) hängen vom Schuldnerverzug ab.

Prüfungsschema

§ 286 BGB ist grundsätzlich dispositives Recht, d. h. die Parteien können die Voraussetzungen für den Verzugseintritt in den allgemeinen Grenzen vertraglich abmildern oder verschärfen.2 Eine Grenze setzt § 286 V BGB durch einen Verweis auf § 271a I – IV BGB.3 Ohne vertragliche Modifikationen hat der Verzug des Schuldners folgende Voraussetzungen:

Prüfungsschema: Voraussetzungen des Schuldnerverzugs gemäß § 286 BGB

  1. Wirksamer, fälliger und durchsetzbarer Anspruch
  2. Möglichkeit der Leistung
  3. Mahnung nach Fälligkeit
  4. Nichtleistung nach Mahnung
  5. Keine Exkulpation des Schuldners

Wirksamer, fälliger und durchsetzbarer Anspruch

Der Gläubiger muss einen wirksamen, fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf die Leistung haben.4

Die Fälligkeit tritt, sofern keine abweichende Vereinbarung vorliegt, nach § 271 I BGB grundsätzlich sofort ein. Unvollkommene Verbindlichkeiten reichen nicht aus.5 Problematisch ist die Wirkung von Einreden. Deren Existenz schließt die Fälligkeit und damit mittelbar den Verzug nicht per se aus, weil der Schuldner sich auf die jeweilige Einrede berufen muss. Zudem muss danach gefragt werden, ob die (erhobene) Einrede den Verzug rückwirkend (ex tunc) oder nur für die Zukunft (ex nunc) ausschließt. Die Einrede der Verjährung (§ 214 I BGB) wirkt, sobald sie vom Schuldner erhoben worden ist, zurück und beseitigt die Verzugsfolgen auch für die Vergangenheit.6 Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB gibt dem Schuldner gemäß § 273 III BGB die Möglichkeit, das ZbR durch Sicherheitsleistung abzuwenden; damit ihm dieses Recht nicht rückwirkend genommen wird, kann die Einrede des § 273 BGB nicht zurückwirken, d. h. die bis dahin eingetretenen Verzugsfolgen bleiben bestehen und der Verzug fällt durch die Erhebung der Einrede7 und das Angebot der Leistung Zug-um-Zug8 nur für die Zukunft weg. Anders verhält es sich hingegen bei der Einrede des nicht erfüllten Vertrags gemäß § 320 BGB. Bei ihr hindert schon das bloße Bestehen der Einrede den Verzugseintritt. Der Schuldner kommt erst in Verzug, wenn der Gläubiger ihm die seinerseits geschuldete Leistung in Annahmeverzug begründender Weise anbietet.9

Möglichkeit der Leistung

Die geschuldete Leistung darf nicht bereits erbracht und sie darf zudem nicht unmöglich sein.10

Es darf kein Leistungshindernis gemäß § 275 I – III BGB vorliegen. In den Fällen von § 275 II, III BGB muss der Schuldner die Einrede dafür tatsächlich erhoben haben. Die Leistung muss noch nachholbar sein. Ist sie dauerhaft nicht zu erbringen, liegt Unmöglichkeit vor und der Verzug scheidet aus. Unmöglichkeit und Verzug schließen sich tatbestandlich aus. Ein bereits bestehender Verzug entfällt mit Eintritt der Unmöglichkeit.

Mahnung nach Fälligkeit

Schuldnerverzug tritt grundsätzlich erst dann ein, wenn der Schuldner nach Fälligkeit11 gemahnt worden ist (§ 286 I 1 BGB). Unter einer Mahnung versteht man die an den Schuldner gerichtete, empfangsbedürftige, eindeutige und bestimmte Aufforderung, mit welcher der Gläubiger unzweideutig zum Ausdruck bringt, dass er die geschuldete Leistung verlangt.12

Es handelt sich um eine geschäftsähnliche Handlung.13 Bestimmte Formulierungen sind nicht erforderlich. Es müssen auch keine Rechtsfolgen genannt oder Fristen gesetzt werden. Auch Höflichkeit schadet nicht.14 Mahnt der Gläubiger einen geringeren als den fälligen Betrag an („Zuwenigmahnung“), tritt Verzug nicht hinsichtlich des geringeren Betrags ein.15 Eine „Zuvielmahnung“ ist nur wirksam, wenn der Schuldner sie als Aufforderung zur Erbringung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss und der Gläubiger zur Annahme der tatsächlich ausstehenden (geringeren) Leistung bereit ist.

Der Mahnung stehen die Erhebung einer Leistungsklage16 und die Zustellung eines Mahnbescheids17 gleich (§ 286 I 2 BGB). Beides sind besonders eindrucksvolle Arten der Aufforderung zur Leistung.18

Nach § 286 II BGB bedarf es der Mahnung nicht, wenn

  • für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist (Nr. 1);19
  • die Leistungszeit in Abhängigkeit von einem vorangegangenen Ereignis bestimmbar ist (Nr. 2);20
  • der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (Nr. 3);21
  • aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugsgerechtfertigt ist (Nr. 4).22

Für Entgeltforderungen sieht § 286 III 1 ZPO einen weiteren Verzugsgrund vor: Der Schuldner kommt spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und dem Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufforderung in Verzug; gegenüber einem Verbraucher (§ 13 BGB) gilt dies allerdings nur, wenn er auf diese Folge besonders hingewiesen worden ist. Ist der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug (§ 286 III 2 ZPO). Entgeltforderungen sind nur Geldforderungen zur Vergütung einer Leistung im Rahmen eines Leistungsaustauschs.23 Die Geldforderung muss die Gegenleistung für eine von dem Gläubiger erbrachte oder noch zu erbringende Leistung sein.24

Nichtleistung nach Mahnung

Der Schuldnerverzug setzt weiter die Nichtleistung nach Mahnung voraus. Maßgebend ist die Vornahme der Leistungshandlung, nicht der Eintritt des Leistungserfolgs.25

Keine Exkulpation des Schuldners

Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat (§ 286 IV BGB). Der Verzug setzt also ein Vertretenmüssen des Schuldners voraus. Die Darlegungs- und Beweislast trifft den Schuldner; er muss sich exkulpieren.

Im Rahmen eines Anspruchs auf Ersatz des Verzögerungsschadens nach §§ 280 I, II, 286 BGB kommt § 286 IV BGB keine eigenständige Bedeutung zu, weil das (vermutete) Vertretenmüssen bereits in § 280 I 2 BGB geregelt ist; anders verhält es sich, wenn es um die Tatbestandswirkung des Verzugs in anderen Normen (z. B. §§ 287, 288 BGB) geht. Bei Geldschulden hat der Schuldner für einen Mangel an finanziellen Mitteln auch ohne Verschulden einzustehen hat („Geld hat man zu haben“).26

Beendigung des Schuldnerverzugs

Der Verzug wird beendet durch die Erbringung der Leistung, durch den Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB), durch Rücknahme der Mahnung, durch eine Stundung (Wegfall der Fälligkeit), das Entstehen bzw. die Geltendmachung einer Einrede sowie durch das Erlöschen der Forderung.27 Die Beendigung wirkt regelmäßig nur ex nunc, d. h. die bisher eingetretenen Verzugsfolgen bleiben grundsätzlich bestehen.

Verzugsfolgen

Der Schuldnerverzug lässt den Erfüllungsanspruch selbst unberührt; der Gläubiger kann diesen lediglich durch Rücktritt (§ 323 BGB) oder die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 I, III, 281 BGB) selbst beenden.28

Ab Eintritt des Verzugs kann der Gläubiger vom Schuldner Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung verlangen (§§ 280 I, II, 286 BGB).

Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen (§ 288 I 1 BGB); die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist dadurch nicht ausgeschlossen (§ 288 IV BGB).

Während des Verzugs hat der Schuldner jede Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 287 S. 1 BGB), auch dann, wenn er vorher für einfache Fahrlässigkeit nicht haften würde (z. B. §§ 521, 599 BGB). Für eine während des Verzugs eintretende Unmöglichkeit, Erschwerung oder Verschlechterung der Leistung haftet der Schuldner auch für Zufall, wenn er nicht nachweist, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre (§ 287 S. 2 BGB); das bedeutet eine Garantiehaftung des Schuldners im Verzug.29


  1. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 462.
  2. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 472.
  3. Die Regelung des § 271a BGB gilt seit dem 01.01.2015. Sie setzt die Neufassung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (RL 2011/7/EU v. 16.02.2011, Abl. E 2011 L 48, S. 1 ff.) um.
  4. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 463.
  5. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 5.
  6. Entsprechendes gilt für die §§ 348 IV, 821, 853, 770, 771, 1000 BGB (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 5).
  7. BGH, Urt. v. 04.07.2001 – VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114, 3115; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 5.
  8. BGH, Urt. v. 25.11.1970 – VIII ZR 101/69, NJW 1971, 421, Ls.
  9. BGH, Urt. v. 06.12.1991 – V ZR 229/90, NJW 1992, 556, Ls. 2 (zu § 320 BGB); Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 5; vgl. auch BGH, Urt. v. 11.12.2009 – V ZR 217/08, Rn. 23 (zu § 321 BGB).
  10. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 286 Rn. 4.
  11. Zulässig ist aber die Verbindung der Mahnung mit der Handlung, die die Fälligkeit begründet (BGH, Urt. v. 04.07.2001 – VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114, 3115). Beispiel: Übersendung einer Rechnung mit dem Vermerk „zahlbar sofort“. Eine Mahnung vor Fälligkeit ist wirkungslos (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 11) und bleibt es auch nach dem Fälligkeitszeitpunkt (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 464).
  12. BGH, Urt. v. 25.10.2007 – III ZR 91/07, Rn. 11; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 464.
  13. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 7.
  14. BGH, Urt. v. 10.03.1998 – X ZR 70/96, NJW 1998, 2132, 2133; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 464. Vgl. auch LG Frankfurt a. M., Urt. v. 17.02.1982 – 2/22 O 495/81, NJW 1982, 650 f.: Mahnung in Versform begründet Verzug.
  15. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 10.
  16. Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung der Klageschrift (§ 253 I ZPO). Durch sie wird die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet (§ 261 I ZPO).
  17. Die Zustellung des Mahnbescheids ist in § 693 ZPO geregelt.
  18. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 465.
  19. Die Bestimmung der Leistungszeit kann sich aus Gesetz, Urteil oder Rechtsgeschäft ergeben. Einseitige Zeitbestimmungen des Gläubigers begründen – von den seltenen Voraussetzungen des § 315 I BGB abgesehen – keinen Verzug nach dieser Regelung (BGH, Urt. v. 25.10.2007 – III ZR 91/07, Rn. 7; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 465).
  20. Beispiele: „zwei Wochen nach Lieferung“, „10 Tage nach Rechnungstellung“ (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 14).
  21. Die Verweigerung muss das „letzte Wort“ des Schuldners sein (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 467). Auch im Falle des § 286 II Nr. 3 BGB muss die Leistung aber fällig sein (BGH, Urt. v. 13.11.2018 – EnZR 39/17, Rn. 42).
  22. Das ist etwa dann der Fall, wenn sich der Schuldner einer Mahnung entzieht oder dem Gläubiger aufgrund des Verhaltens des Schuldners nur mit erheblichem Aufwand möglich ist (BGH, Urt. v. 04.05.2011 – VIII ZR 171/10, Rn. 20: Schuldner verlässt SB-Tankstelle ohne zu bezahlen). Entbehrlich ist die Mahnung auch dann, wenn die Leistung evident dringlich ist oder wenn der Schuldner ihr zuvorkommt und seine alsbaldige Leistung ankündigt oder zusichert (sog. Selbstmahnung; BGH, Urt. v. 16.01.2008 – VIII ZR 222/06, Rn. 16; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 467).
  23. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 21.
  24. BGH, Urt. v. 21.04.2010 – XII ZR 10/08, Ls. U. Rn. 23 (zu § 288 II BGB).
  25. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 470.
  26. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 471.
  27. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 485.
  28. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 473.
  29. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 481.