Der Rücktritt des Beteiligten
Der Rücktritt des Beteiligten (§ 24 II StGB)
Sind an der gemäß § 22 StGB versuchten Tat mehrere beteiligt, greift die Rücktrittsregelung des § 24 II StGB ein.1 Von dem Beteiligtenbegriff des § 24 II StGB erfasst sind Mittäter (§ 25 II StGB), Anstifter (§ 26 StGB) und Gehilfen (§ 27 StGB).
Der mittelbare Täter (§ 25 I Alt. 2 StGB) fällt grundsätzlich unter § 24 I StGB. Nur dann, wenn er „Täter hinter dem Täter“ ist, ist § 24 II StGB anwendbar, weil dann mehrere strafbare Beteiligte i.S.v. § 24 II StGB vorhanden sind.
§ 24 II StGB setzt eine versuchte (Haupt-)Tat voraus. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist von vornherein nicht eröffnet, wenn die Tat das Versuchsstadium überhaupt nicht erreicht, sondern sich nur im Vorbereitungsstadium abgespielt hat. In solchen Fällen kommt – bei Verbrechen (§ 12 I StGB) – ein Versuch der Beteiligung gemäß § 30 StGB mit einem etwaigen Rücktritt nach § 31 StGB in Betracht.
Fehlgeschlagener Versuch
Ein fehlgeschlagener Versuch schließt einen Rücktritt – wie bei § 24 I StGB – von vornherein aus. Der Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der jeweilige Beteiligte glaubt, er oder ein anderer Beteiligter könne die Tat mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur vollenden.2
Überblick über die Fälle des § 24 II StGB
Straffreiheit erfährt nur derjenige Beteiligte, der selbst die in § 24 II StGB aufgestellten Voraussetzungen erfüllt.3 Das Gesetz unterscheidet dabei mehrere Konstellationen:
Die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt sind bei § 24 II StGB grundsätzlich strenger als beim Einzeltäter.4 Dies lässt sich mit der erhöhten Gefährlichkeit des Tatgeschehens bei der Beteiligung mehrerer und den damit verbundenen gruppendynamischen Kräften, die eine Tatausführung wahrscheinlicher machen, begründen.
Vollendeter Rücktritt, § 24 II 1 StGB
Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs5 nicht bestraft,6 wer freiwillig die Vollendung verhindert (§ 24 II 1 StGB). Die Tat muss in die Versuchsphase gelangen und darf nicht vollendet sein. Die Nichtvollendung muss auf dem Verhalten des zurücktretenden Beteiligten beruhen.7
Im Gegensatz zur parallelen Rücktrittsregelung in § 24 I 1 StGB für den Einzeltäter wird nicht zwischen dem unbeendeten und beendeten Versuch differenziert.8 Die Formulierung in § 24 II 1 StGB ist vom beendeten Versuch des Einzeltäters (§ 24 I 1 Alt. 2 StGB) übernommen, dessen wirksamer Rücktritt eine aktive Gegensteuerung verlangt. § 24 II 1 StGB erfasst aber auch Konstellationen, die sich als Rücktritt vom unbeendeten Versuch verstehen lassen.9 Das bloße (passive) Aufgeben der weiteren Tatausführung genügt, wenn der Beteiligte dadurch effektiv für das Ausbleiben der Vollendung sorgt.
Beispiel: A und B haben einen gemeinsamen Plan ausgearbeitet, um in eine Wohnung einzubrechen und Wertgegenstände zu entwenden. A soll eine halbe Stunde lang nach Bargeld und Schmuck suchen, B draußen Schmiere stehen. Die Beute soll geteilt werden. Nachdem A über ein Fenster in die Wohnung eingestiegen ist und 15 Minuten lang erfolglos gesucht hat, erinnert er sich an seine Bewährungsstrafe und läuft unverrichteter Dinge aus dem Haus. Dem B ruft er zu: „Ich habe nichts, nur Angst vor dem Knast!“ B macht daraufhin auch nichts mehr. – Ordnet man A und B als Mittäter (§ 25 II StGB) ein, ist A nach § 24 II 1 StGB strafbefreiend von den §§ 242, 244 I Nr. 3, 22 StGB zurückgetreten. Auf das Ergreifen von Gegenmaßnahmen kommt es nicht an, sondern auf die wirkungsvolle Verhinderung der Vollendung. Die Angst vor Entdeckung und Bestrafung schließt die Freiwilligkeit nicht aus. Aus Sicht des B liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor; er ist gemäß §§ 242, 244 I Nr. 3, (IV), 22, 25 II StGB strafbar.
Versuchter Rücktritt ohne Tatvollendung, § 24 II 2 Alt. 1 StGB
Bleibt die Tat ohne Zutun des zurücktretenden Beteiligten nicht vollendet, so erlangt er Straflosigkeit, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern (§ 24 II 2 Alt. 1 StGB). Das Ausbleiben der Vollendung muss also nicht durch den Zurücktretenden „verursacht“ worden sein;10 einer „Verhinderungskausalität“ bedarf es nicht.11
§ 24 II 2 Alt. 1 StGB entspricht der Regelung des § 24 I 2 StGB beim Einzeltäter.12
Versuchter Rücktritt bei Tatvollendung, § 24 II 2 Alt. 2 StGB
Das freiwillige und ernsthafte Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, reicht für die Straflosigkeit auch dann, wenn die Tat unabhängig von dem früheren Tatbeitrag des Zurücktretenden begangen wird (§ 24 II 2 Alt. 2 StGB). Vorausgesetzt ist, dass dem Zurücktretenden die vollendete Tat nicht zugerechnet werden kann.13 Geregelt ist in § 24 II 2 Alt. 2 StGB die Konstellation, dass der Beteiligte mit Vollendungsvorsatz einen Tatbeitrag erbracht hat, der sich nicht in der Vollendung, sondern nur im Versuch des Delikts niederschlägt, und die Tat14 trotzdem vollendet wird.15
Beispiel: G leiht T seinen Kuhfuß (ein Nageleisen) für einen Einbruchdiebstahl, nimmt dieses dem T aber wieder ab, als dieser damit gerade die Wohnungseingangstür aufhebeln möchte. T tritt daraufhin die Tür gewaltsam auf und vollendet die Tat. Bezüglich der §§ 242, 27 StGB entfällt das Hilfeleisten durch G, weil er seinen physischen Tatbeitrag – das Zurverfügungstellen des Werkzeugs – völlig rückgängig gemacht hat. Nach der Annullierung des Beitrags kann auch nicht mehr von einer fortwirkenden psychischen Unterstützung die Rede sein.16 Die Wirkung des Tatbeitrags des G beschränkt sich also auf einen Teil der Versuchsphase. Es liegt (nur) eine Beihilfe zu den §§ 242, 22, 27 StGB vor, von der G gemäß § 24 II 2 Alt. 2 StGB zurückgetreten sein könnte. Dies setzt ein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen voraus. Dafür reicht es nicht aus, dass G sich lossagt und seinen Tatbeitrag neutralisiert. Er muss vielmehr versuchen, T zur Aufgabe der Tat zu bewegen, beispielsweise durch Einschaltung der Polizei oder Drohung mit einer Strafanzeige.17
- Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 38 Rn. 2 – 14.
- Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 38 Rn. 15.
- Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 24 Rn. 47.
- Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 38 Rn. 5.
- Der Rücktritt bewirkt Straflosigkeit nur im Hinblick auf den Versuch (Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 24 Rn. 58). Eine Strafbarkeit nach § 30 StGB bleibt möglich; hier richtet sich der Rücktritt nach § 31 StGB.
- § 24 II StGB enthält – ebenso wie § 24 I StGB für den Einzeltäter – einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.
- Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 24 Rn. 50.
- Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 38 Rn. 17 f.
- BGH, Urt. v. 29.08.2017 – 4 StR 116/17, Rn. 5; BGH, Urt. v. 23.02.2016 – 3 StR 5/16, Rn. 7.
- Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 24 Rn. 52.
- R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 745.
- Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 38 Rn. 25.
- Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 24 Rn. 55.
- Bei der ohne den früheren Tatbeitrag des Zurücktretenden begangenen Tat muss es sich um die – in ihren wesentlichen Grundzügen – selbe Tat handeln. Begeht der Täter nach dem Ausscheiden eines anderen Beteiligten eine neue oder andere Tat, hat der zurücktretende Beteiligte gemäß § 24 II 1 StGB die Vollendung der ursprünglichen Tat verhindert.
- Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 38 Rn. 27 – 29.
- Zur Unterscheidung zwischen physischer und psychischer Beihilfe.
- Roxin, Strafrecht AT II, 1. Aufl. 2003, § 30 Rn. 340.