Der Anspruch auf das Surrogat

Der Anspruch auf das Surrogat (§ 285 BGB)

Erlangt der Schuldner infolge des Umstands, auf Grund dessen er die Leistung nach § 275 I – III BGB nicht zu erbringen braucht, für den geschuldeten Gegenstand einen Ersatz oder einen Ersatzanspruch, so kann der Gläubiger Herausgabe des als Ersatz Empfangenen oder Abtretung des Ersatzanspruchs verlangen (§ 285 I BGB).

Regelungszweck

Der Schuldner kann aufgrund der Leistungsbefreiung nach § 275 I – III BGB einen anderen Gegenstand erlangen.1 Da der geschuldete Gegenstand kraft des Schuldverhältnisses wirtschaftlich bereits dem Vermögen des Gläubigers zuzuordnen war, d. h. der hinter ihm stehende wirtschaftliche Wert nicht mehr dem Schuldner gebührt,2 räumt § 285 BGB dem Gläubiger das Recht ein, von dem Schuldner Herausgabe bzw. Abtretung dessen zu verlangen, was der Schuldner „infolge des Umstands, auf Grund dessen er die Leistung nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht zu erbringen braucht“, erlangt. Der Anspruch zielt mithin auf das Surrogat (stellvertretendes commodum). Der Sinn des § 285 BGB ist es also, Vermögenswerte demjenigen zuzuführen, dem sie wirtschaftlich zustehen.3

§ 285 I BGB enthält einen Fall schuldrechtlicher Surrogation (weitere Fälle: §§ 667, 816 BGB).4 Im Gegensatz zur dinglichen Surrogation (z. B. § 1247 S. 2 BGB) tritt das als Ersatz Erlangte (Surrogat) nicht ipso iure an die Stelle des ursprünglich geschuldeten Gegenstandes; es besteht lediglich ein Herausgabeanspruch, in dem sich der durch Unmöglichkeit untergegangene Primäranspruch fortsetzt (Folge: akzessorische Sicherheiten bleiben verhaftet).

Voraussetzungen

Es muss zunächst ein Schuldverhältnis vorliegen.5 § 285 BGB ist auf alle vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnisse anwendbar.

Liegt bei einem Vertragsverhältnis ein anfängliches Leistungshindernis vor, so entsteht gemäß § 311a I BGB ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht, der die Grundlage für einen etwaigen Surrogationsanspruch nach § 285 BGB bildet. § 285 BGB findet auch bei Rückgewährschuldverhältnissen nach §§ 346 ff. BGB sowie auf Fälle der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB), der unerlaubten Handlung (§§ 823 ff. BGB) und der verschärften Bereicherungshaftung (§§ 818 IV, 819 BGB) Anwendung.6 Auf den dinglichen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB ist § 285 BGB wegen der fehlenden Identität von Surrogat und geschuldeter Leistung und wegen der Sonderregelungen der §§ 989, 990 BGB hingegen nicht anwendbar.

Der Gläubiger muss ursprünglich einen Anspruch auf Leistung eines Gegenstandes gehabt haben.7

Der „Gegenstand“ umfasst neben Sachen (§ 90 BGB) auch Rechte und Immaterialgüter. Der Anspruch muss sich auf einen bestimmten Gegenstand richten; § 285 BGB erfasst keine Gattungsschulden vor der Konkretisierung, soweit nicht bei einer beschränkten Gattungsschuld die Unmöglichkeit die den gesamten Vorrat betrifft.

Der Schuldner muss die an sich geschuldete Leistung gemäß § 275 I – III BGB nicht (mehr) erbringen.8

Ob es sich um anfängliche oder nachträgliche Unmöglichkeit handelt, ist unerheblich.9 Auch kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner die Leistung zu vertreten hat. In den Fällen von § 275 II, III BGB muss der Schuldner die Einrede tatsächlich erhoben haben.10

Der Schuldner muss für den Gegenstand einen Ersatz oder Ersatzanspruch erlangt haben. Ersatzerlangung und ursprünglich geschuldeter Gegenstand müssen dabei in einem adäquaten Kausalzusammenhang stehen („infolge des Umstands“).11

Als Surrogat kommen zunächst alle Gegenstände in Betracht, die dem Schuldner unmittelbar aufgrund desselben Ereignisses zufallen, welches die Unmöglichkeit herbeigeführt hat (commodum ex re). Beispiel: Wird der Leistungsgegenstand durch einen Brand vernichtet, kann der Gläubiger die Versicherungssumme oder den vom Brandstifter erlangten Schadensersatz verlangen. Darüber hinaus ist auch das durch Rechtsgeschäft erzielte Surrogat (der Erlös) erfasst (commodum ex negotiatione). Beispiel: V verkauft denselben Gegenstand zunächst an K1 und anschließend zu einem höheren Kaufpreis an K2, dem er den Gegenstand auch übereignet. Kann V den Gegenstand nicht mehr beschaffen und ist auch K2 nicht zur Übereignung an K1 bereit, ist V die Übereignung an K1 unmöglich. Den Verkaufserlös hat V streng genommen nicht durch die Übereignung an K2 und damit nicht infolge des zur Unmöglichkeit führenden Umstands erlangt, sondern durch den Verkauf und die Übereignung des Geldes durch K2 erlangt. Die h. M. lässt aber einen bloß wirtschaftlichen Zusammenhang ausreichen und wendet § 285 BGB dennoch an.

Weiterhin muss eine wirtschaftliche Identität zwischen dem geschuldeten und dem vom Schuldner aufgrund der Unmöglichkeit erlangten Gegenstand bestehen. Gemeint ist damit, dass der Gläubiger den Leistungsgegenstand auf dieselbe Weise hätte nutzen dürfen.12

Beispiel: V vermietet eine Fläche zunächst an M1 als Parkplatz und anschließend ein weiteres Mal an M2 als Gewerbefläche. M1 kann von V nicht nach § 285 I BGB die Herausgabe des Mieterlöses verlangen, weil das durch V von M2 Erlangte nicht mit dem übereinstimmt, was V schuldete, da M1 die Fläche nur als Parkplatz, nicht aber als Gewerbefläche hätte nutzen dürfen.13

Rechtsfolgen

Der Gläubiger kann von dem Schuldner die Herausgabe des als Ersatz Empfangenen oder Abtretung des Ersatzanspruchs verlangen (§ 285 I BGB).14 Dies gilt auch dann, wenn das Erlangte mehr wert ist als das ursprünglich Geschuldete (Ersetzungsgedanke).

Neben dem Surrogat kann der Gläubiger auch Schadensersatz fordern. Hierdurch darf er indes nicht besser stehen als im Falle der Vertragserfüllung.15 Deshalb muss er sich den Wert des erlangten Ersatzes oder Ersatzanspruchs auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch statt der Leistung anrechnen lassen (§ 285 II BGB).

Fordert der Gläubiger bei gegenseitigen Verträgen das stellvertretende commodum, so bleibt er auch zu einer für den ursprünglich geschuldeten Gegenstand vereinbarten Gegenleistung verpflichtet (§ 326 III 1 BGB). Diese Gegenleistung mindert sich aber verhältnismäßig, soweit der Wert des Surrogats hinter dem Wert des geschuldeten Gegenstands zurückbleibt (§ 326 III 2 i.V.m. § 441 III BGB).

Prüfungsschema

Aus Vorstehendem ergibt sich für den Anspruch aus § 285 I BGB folgendes Prüfungsschema:

  1. Schuldverhältnis
  2. Gläubiger hatte ursprünglich einen Anspruch auf Leistung eines Gegenstandes
  3. Der Schuldner braucht die Leistung nach § 275 I – III BGB nicht zu erbringen
  4. Erlangung eines Ersatzes oder Ersatzanspruchs infolge des Umstands, der zur Leistungsbefreiung führt
  5. Wirtschaftliche Identität zwischen geschuldetem und erlangtem Gegenstand

RF: Herausgabe des als Ersatz Empfangenen oder Abtretung des Ersatzanspruchs


  1. Zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 422.
  2. BGH, Urt. v. 10.05.2006 – XII ZR 124/02, Rn. 25.
  3. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 27.
  4. Hier und zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 285 Rn. 1.
  5. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 285 Rn. 2.
  6. BT-Drucks. 14/6040, S. 194.
  7. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 285 Rn. 3.
  8. Zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 285 Rn. 2.
  9. Die Vorschrift ist zu lesen: „Erlangt der Schuldner … für den geschuldeten oder versprochenen Gegenstand einen Ersatz …“ (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 425).
  10. BGH, Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 96/12, Rn. 28. Siehe hierzu den Fall: „Der Doppelverkauf“.
  11. BGH, Teilurt. v. 10.05.2019 – LwZR 4/18, Rn. 9.
  12. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 424.
  13. BGH, Urt. v. 10.05.2006 – XII ZR 124/02.
  14. Zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 285 Rn. 3.
  15. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 426.