Deliktstypen

Deliktstypen

Beim Studium des Kernstrafrechts wird man immer wieder mit bestimmten Deliktstypen konfrontiert.1 Die sich daraus ergebende Kategorisierung eignet sich nicht zur abstrakten Lektüre. Die nachstehenden Ausführungen sollen vielmehr als „vor die Klammer gezogene“ Hilfestellung dienen, um sich im Bedarfsfall orientieren zu können.

Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte

Die Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten knüpft an die etwaige Verbindung zwischen der Tathandlung und einem tatbestandsmäßigen Erfolg an.2

Erfolgsdelikte setzen den Eintritt eines von der Tathandlung abgrenzbaren sichtbaren Erfolgs voraus. Nur bei den Erfolgsdelikten stellen sich die Fragen der Kausalität und objektiven Zurechnung.

Eine Sondergruppe der Erfolgsdelikte bilden die erfolgsqualifizierten Delikte.3 Bei ihnen sieht das Gesetz eine Strafschärfung vor, wenn durch die Verwirklichung eines Grunddelikts eine besondere Folge der Tat eintritt und dem Täter insoweit mindestens Fahrlässigkeit zur Last fällt (§ 18 StGB). Beispiel: § 227 StGB.

Bei den (schlichten) Tätigkeitsdelikten fehlt die Beziehung zwischen Handlung und Erfolg. Bei ihnen ist der Tatbestand mit dem Vollzug einer bestimmten Handlung unabhängig von einer Außenwirkung vollendet.

Beispiele: §§ 153, 154 StGB. Es kommt nicht darauf an, ob es dem Täter gelungen ist, das Gericht durch die Falschaussage zu täuschen.

Verletzungs- und Gefährdungsdelikte

Die Unterscheidung zwischen Verletzungs- und Gefährdungsdelikten richtet sich nach der Wirkung der Tathandlung auf das Handlungs- bzw. Tatobjekt und das geschützte Rechtsgut.4

Bei Verletzungsdelikten setzt der Tatbestand eine tatsächliche Schädigung des geschützten Objekts voraus.

Beispiele: § 212 StGB setzt als Taterfolg den Tod eines (anderen) Menschen voraus. Vermögensdelikte (z. B §§ 253, 263, 266 StGB) setzen die Herbeiführung eines Vermögensschadens voraus.

Bei konkreten Gefährdungsdelikten muss eine konkrete Gefahr für das geschützte Tatobjekt eintreten.

Beispiele: §§ 221 I, 315b, 315c StGB. Bei diesen Erfolgsdelikten (s.o.) kommt es infolge der Tathandlung zwar (noch) nicht zu einer Verletzung des Tatobjekts, jedoch zu einer sichtbaren Existenzkrise, in der die Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall abhängt. Der Eintritt der Gefahr ist hier ein Tatbestandsmerkmal.

Abstrakte Gefährdungsdelikte sind demgegenüber typischerweise5 Tätigkeitsdelikte (s.o.), bei denen es auf eine sichtbare Wirkung der Tathandlung nicht ankommt. Anders als bei konkreten Gefährdungsdelikten ist der Eintritt einer Gefahr kein Tatbestandsmerkmal.

Beispiel: Wer vor Gericht falsch aussagt, schafft eine abstrakte Gefahr für die geschützte Rechtspflege und erfüllt die §§ 153, 154 StGB auch dann, wenn das Gericht sofort erkennt, dass es sich um eine Falschaussage handelt. Eine Untergruppe bilden die potentiellen Gefährdungsdelikte. Im Gegensatz zu abstrakten Gefährdungsdelikten, bei denen der Gesetzgeber die Kriterien für eine generelle Gefährlichkeit normiert hat, ist bei potentiellen Gefährdungsdelikten zu prüfen, ob nach den konkreten Umständen des Falles die Tathandlung bei genereller Betrachtung gefahrgeeignet ist. Beispiele: §§ 324a I Nr. 1, 325 I, 326 I Nr. 4a StGB.

Allgemein- und Sonderdelikte

Die Unterscheidung nach diesen Deliktsgruppen orientiert sich am möglichen Täterkreis; es geht um das Tatsubjekt bzw. die Täterqualität.6

Allgemeindelikte können durch jedermann verwirklicht werden („Jedermannsdelikte“).

Beispiele: § 212 I StGB: „Wer einen Menschen tötet, …“; § 223 I StGB: „Wer eine andere Person …“

Bei Sonderdelikten können hingegen nur bestimmte Personen taugliche Täter sein. Tatbeteiligte ohne diese Tätereigenschaft können nur Anstifter oder Gehilfe sein.

Von echten Sonderdelikten spricht man, wenn die Subjektqualität strafbarkeitsbegründend wirkt (Beispiele: §§ 203 StGB 266 I, 266a I, 339 StGB), von unechten Sonderdelikten, wenn die besondere Tätereigenschaft die Strafe schärft (Beispiele: §§ 258a, 340 I StGB). Auch die unechten Unterlassungsdelikte (s.o.) sind Sonderdelikte, weil nur Garanten i.S.v. § 13 StGB als Täter in Betracht kommen.

Eigenhändige Delikte7 sind begrifflich nicht mit Sonderdelikten gleichzusetzen. Bei ihnen handelt es sich um Straftaten, bei denen der Unwert der Tat eine höchstpersönliche Vornahme der Tatbestandsverwirklichung voraussetzt. Beispiele: §§ 153 ff., 323a StGB.

Begehungs- und Unterlassungsdelikte

Straftatbestände sind regelmäßig als Begehungsdelikte so formuliert, dass sie an ein aktives Tun des Täters anknüpfen.8

Beispiel: § 212 I StGB: „Wer … tötet“

Ein Totschlag kann aber nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen begangen werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter Garant i.S.v. § 13 StGB ist. Man spricht in diesen Fällen von einem unechten Unterlassungsdelikt.9

Beispiel: Lassen Eltern ihr Kind verhungern, machen sie sich wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar.

Hiervon zu unterscheiden sind die echten Unterlassungsdelikte, bei denen der jeweilige Tatbestand selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit regelt.

Beispiel: Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB).

Dauer- und Zustandsdelikte

Dauerdelikte sind Straftaten, bei denen der Täter einen andauernden rechtswidrigen Zustand herbeiführt oder pflichtwidrig nicht beseitigt und diesen Zustand dann willentlich aufrechterhält oder fortdauern lässt.10 Mit dem Herbeiführen des Zustandes ist die Tat vollendet, mit dessen Beseitigung beendet.

Bis zur Beendigung ist eine Beteiligung als Täter oder Teilnehmer möglich. Beispiele: §§ 123, 239, 248b, 316 StGB.

Bei Zustandsdelikten führt der Täter ebenfalls einen (ggf. dauerhaften) rechtswidrigen Zustand herbei. Die Tat ist allerdings bereits mit der Einwirkung auf das Tatobjekt zugleich vollendet und beendet.

Eine Beteiligung ist nach dem Eintritt des Zustandes nicht mehr möglich. Beispiele: §§ 223 I, 303


  1. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 1.
  2. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 2 – 7.
  3. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 101.
  4. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 8 – 16.
  5. Es kann sich auch um Erfolgsdelikte handeln. Beispiel: § 306a I StGB.
  6. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 23 – 30.
  7. Hierzu ausführlich Satzger, Jura 2011, 103 ff.
  8. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 17 – 19.
  9. Eine Sonderform der unechten Unterlassungsdelikte bilden die (echten) Unternehmensdelikte (z. B. §§ 81, 82, 307 I, 309 I StGB). Bei ihnen bezieht das Merkmal „unternimmt“ den Versuch und die Vollendung mit ein (vgl. § 11 I Nr. 6 StGB; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 39 Rn. 2).
  10. Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 52 Rn. 13; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 20 – 22; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 109 – 112.