Das Vertragsstatut im IPR
Anwendbares Recht bei internationalen Verträgen
Eine vertiefte Kenntnis der einzelnen Kollisionsnormen wird außerhalb des Schwerpunktbereichs nicht erwartet. Im Folgenden soll deshalb auch nur ein kurzer Überblick gegeben werden, wobei die Lektüre der zitierten Vorschriften genügt.
Ausschließliche Anwendung der Rom-I-VO
Die Frage, welches Recht für vertragliche Schuldverhältnisse gilt, beantwortet sich allein nach der Rom-I-VO, die deshalb auch dann anzuwenden ist, wenn der Auslandsbezug nicht zu einem anderen Mitgliedstaat der EU, sondern zu einem Drittstaat besteht (loi uniforme, Art. 2).
Rechtswahl
Grundsätzlich steht es den Parteien frei, das anzuwendende Recht zu vereinbaren (Art. 3 Abs. 1). Das gilt mit Ausnahmen auch für Verbraucherverträge (Art. 6 Abs. 2 Satz 1; Ausnahmen in Abs. 4), kann aber nicht zum Verlust der zwingenden Verbrauchervorschriften des Staates führen, dessen Recht ohne die Rechtswahl anzuwenden wäre (Satz 2).
Auch ansonsten können die Parteien nicht die zwingenden Normen einer Rechtsordnung abwählen, wenn dort alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl belegen sind (Abs. 3). Dasselbe gilt für die zwingenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, wenn das Recht eines Drittstaates gewählt wird, obwohl alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in verschiedenen Mitgliedstaaten belegen sind (Abs. 4). In Bezug auf Verbraucherschutzvorschriften findet sich eine Konkretisierung in Art. 46b EGBGB.
Die Vereinbarung über die Rechtswahl stellt einen eigenen Vertrag dar. Die Vorfragen nach seinem Zustandekommen und seiner Wirksamkeit werden unselbstständig angeknüpft, beantworten sich also ebenfalls nach den Vorschriften der Verordnung (Abs. 5).
Objektive Anknüpfung
Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, richtet sich die Anknüpfung nach objektiven Umständen, die für einzelne Vertragstypen speziell geregelt sind (Art. 4 Abs. 1, Art. 5, Art. 7, Art. 8).
Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, unterliegt der Vertrag grundsätzlich dem Recht desjenigen Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 2). Für den Vertrag charakteristisch ist regelmäßig diejenige Leistung, die nicht lediglich in einer Geldzahlung besteht.
Wichtige Vertragstypen:
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Kaufverträge - gewöhnlicher Aufenthalt des Verkäufers (Abs. 1 lit. a)
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Dienstverträge - gewöhnlicher Aufenthalt des Dienstleisters (Art. 1 lit. b)
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Werkverträge - gewöhnlicher Aufenthalt des Unternehmers (Art. 1 lit. b)
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Mietverträge über bewegliche Sachen - gewöhnlicher Aufenthalt des Vermieters (Abs. 2)
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Grundstücksverträge - Belegenheitsort des Grundstücks (lit. c; beachte lit. d)
Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person befindet sich dort, wo diese ihren Daseinsmittelpunkt als Schwerpunkt ihrer familiären, sozialen und beruflichen Beziehung hat.
Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 bestimmten Staat aufweist, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden (Abs. 3).
Verbraucherverträge
Ohne Rechtswahl (Art. 6 Abs. 2, s.o.) ist auf Verbraucherverträge grundsätzlich das Recht des Staates anzuwenden, in denen der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn der Unternehmer dort unternehmerisch tätig ist oder seine Tätigkeit auf diesen Staat ausrichtet, zum Beispiel durch Werbung (Art. 6 Abs. 1).
Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen - hierunter fallen auch Werkverträge – sind dann nicht von Art. 6 erfasst, wenn die geschuldete Dienstleistung ausschließlich in einem anderen als dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers erbracht wird.
Sachnormverweisung
Die Verweisungen erfolgen lediglich in das materielle Recht; Rück- und Weiterverweisungen sind ausgeschlossen (Art. 20).
Erfasste Rechtsfragen
Die Rom-I-VO regelt das Kollisionsrecht auch in Bezug auf
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das Zustandekommen und Wirksamkeit (Art. 10, Form Art. 11),
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die Folgen der Nichtigkeit (Art. 12 Abs. 1c),
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die Auslegung (Art. 12 Abs. 1a),
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die Erfüllung (Art. 12 Abs. 1b),
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die Abtretung (Art. 14)
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die Gewährleistung (Art. 12 Abs. 1c),
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das Erlöschen von Ansprüchen (Art. 12 Abs. 1d),
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die Aufrechnung (Art. 17),
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die Verjährung (Art. 12 Abs. 1d),
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den Gesamtschuldnerausgleich (Art. 16).
Unter die Folgen der Nichtigkeit des Vertrages fällt auch die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung durch Leistungskondiktion, die deshalb nicht von Art. 10 Rom-II-VO erfasst wird.
Nicht erfasste Rechtsfragen
Dagegen fehlt es an einer Regelung über die Rechts- und Geschäftsfähigkeit (beachte aber Art. 13). Insoweit muss eine selbstständige Anknüpfung stattfinden, für die Art. 7 EGBGB gilt. Danach wird an die Staatsangehörigkeit angeknüpft.
Ebenfalls nicht geregelt ist die Frage der Stellvertretung (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g). Für die Bevollmächtigung gilt die umfangreiche Vorschrift des Art. 8 EGBGB, Formfragen werden dabei nach Art. 11 EGBGB gesondert angeknüpft. Die gesetzliche Vertretungsmacht wird an das Recht angeknüpft, das für das Rechtsverhältnis gilt, in dem sich die Vertretungsfrage stellt. So richtet sich beispielsweise die Frage nach der wirksamen Vertretung einer Gesellschaft nach dem Gesellschaftsstatut.