Beweisprüfung

Aufbau der Prüfung - Beweisprüfung

Teil der Begründetheitsprüfung in der Klausur kann eine Beweisprüfung sein. Die Beweisprüfung betrifft die Frage, wie ein Richter vorgeht, wenn er prüfen will, ob eine Tatsache bewiesen ist. Die Beweisprüfung erfolgt in fünf Schritten: Formulierung der Beweisfrage, Erörterung der Beweisbedürftigkeit, Beweisantritt mit zulässigem Beweismittel, Beweiswürdigung und gegebenenfalls eine Beweislastentscheidung.

I. Beweisfrage formulieren, inklusive Beweislast

Die Beweisfrage wird inklusive Beweislast formuliert. Die Formulierung der Beweisfrage setzt zunächst die Bestimmung des Beweisthemas und sodann die Bestimmung des Beweisbelasteten voraus. Die Beweisfrage lautet dann wie folgt: „Hat der (Beweisbelastete) beweisen, dass (Beweisthema)“. Beispiel: Hat der A bewiesen, dass B mit seinem Fahrzeug bei Rot über die Ampel gefahren ist.

II. Beweisbedürftigkeit

Nach der Formulierung der Beweisfrage stellt sich die Frage nach der Beweisbedürftigkeit. Die Beweisbedürftigkeit entfällt insbesondere in folgenden Fällen: Schätzung, Geständnis, offenkundige und gerichtsbekannte Tatsachen, Indizien und Vermutungen.

1. Schätzung, § 287 ZPO

Zunächst mangelt es an der Beweisbedürftigkeit bei der Schätzung, vgl. § 287 ZPO. Der Richter kann beispielsweise in Fällen, in denen es um Schmerzensgeld geht, die Höhe des Anspruchs schätzen. In diesen Fällen entfällt eine Beweisbedürftigkeit.

2. Geständnis, § 288 ZPO

Dies gilt auch für das Geständnis, vgl. § 288 ZPO. Wenn eine Partei ein Geständnis abgeben hat, ist die Tatsache nicht mehr streitig und muss daher auch nicht mehr bewiesen werden.

3. Offenkundige/gerichtsbekannte Tatsachen, § 291 ZPO

Zudem fehlt es an der Beweisbedürftigkeit bei offenkundigen oder gerichtsbekannten Tatsachen, § 291 ZPO wie auch bei sogenannten verspäteten Tatsachen, vgl. § 296 ZPO.

4. Verspätete Tatsachen, § 296 ZPO

Liegen die Voraussetzungen des § 296 ZPO vor, sind die Tatsachen verspätet, mithin nicht mehr zu berücksichtigen und somit auch nicht zu beweisen.

5. Indizien

Die Beweisbedürftigkeit entfällt ebenfalls bei Indizien. Indizien sind Nebentatsachen, die den Schluss auf die Haupttatsache zulassen. In den Fällen, in denen auf die Haupttatsache aufgrund von Indizien geschlossen werden kann, muss die Haupttatsache nicht mehr bewiesen werden.

6. Vermutungen

Das wohl wichtigste Thema der Beweisprüfung sind die Vermutungen. Es wird unterschieden zwischen gesetzlichen und tatsächlichen Vermutungen unterschieden.

a) Gesetzliche Vermutungen

Gesetzliche Vermutungen sind gesetzlich geregelte Vermutungen. Beispiele: §§ 280 I 2, 286 IV, 1006 BGB. Eine Vermutung besteht stets aus Tatbestand und Rechtsfolge. Im Falle des § 1006 BGB ist der Tatbestand der Besitz. Rechtsfolge ist die Vermutung des Eigentums. Hinsichtlich einer Vermutung bestehen für den Gegner verschiedene Abwehrmöglichkeiten. Zum einen kann er sich gegen den Tatbestand wenden, indem er diesen bestreitet. Dies ist natürlich nur im Rahmen der Wahrheitspflicht möglich. Beispiel: Bestreiten des Besitzes. Zum anderen kann er auf Rechtsfolgenseite die Vermutung widerlegen, also das Gegenteil beweisen, vgl. § 292 ZPO.

b) Tatsächliche Vermutungen

Die tatsächlichen Vermutungen werden auch prima facie Beweis, Anscheinsvermutung oder Anscheinsbeweis genannt. Dies ist ein Satz der Lebenserfahrung. Beispiel: Kommt es zu einem Auffahrunfall, wird vermutet, dass der Auffahrende den Verkehrsverstoß verursacht und dafür zu haften hat. Auch die tatsächlichen Vermutungen unterteilen sich in Tatbestand und Rechtsfolge. Tatbestand ist der Satz der Lebenserfahrung, der sich auf einen typischer Sachverhalt stützt. Rechtsfolge ist dann wiederum die Vermutung. Auch bei   tatsächlichen Vermutungen stehen dem Gegner im Bereich des Tatbestands Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung. Zum einen kann er den typischen Sachverhalt im Rahmen der Wahrheitspflicht bestreiten. Zum anderen kann er den typischen Sachverhalt erschüttern, indem er einen atypischen Sachverhalt vorträgt. Beispiel: A trägt vor, B sei ihm aufgefahren. Dies stellt den typischen Sachverhalt dar. B kann nun vortragen, dass es keinen Unfall gab (Bestreiten) oder dass er dem  A nur aufgefahren ist, weil dieser zurückgesetzt hat (Erschüttern). Ein Widerlegen gibt es nach herrschender Meinung im Rahmen der tatsächlichen Vermutungen nicht.

III. Beweisantritt mit zulässigen Beweismitteln

An die Prüfung der Beweisbedürftigkeit schließt sich die Frage an, ob der Beweisantritt mit einem zulässigen Beweismittel erfolgt ist. Der Beweisantritt ist nur mit den sogenannten Strengbeweismitteln zulässig. Es gilt das Merkwort SAPUZ (Sachverständiger, Augenschein, Parteivernehmung, Urkunden, Zeugen). Eigentlich ist dieses Merkwort um die Amtsauskunft als sechstes Strengbeweismittel zu ergänzen. Diese spielt allerdings jedoch an diesem Punkt keine besondere rolle und wird zu gegebener Zeit gesondert vertieft. Von den Strengbeweismitteln sind die Mittel der Glaubhaftmachung abzugrenzen. Die Mittel der Glaubhaftmachung sind nur dann zulässig, wenn sie das Gesetz ausdrücklich zulässt. Beispiel: Eidesstattliche Versicherung. Mittel der Glaubhaftmachung sind beispielsweise in § 920 II ZPO, also bei Arrest und einstweiliger Verfügung, ausdrücklich zugelassen. Dies versteht sich von selbst, da bei Eilverfahren keine umfängliche Beweisaufnahme stattfinden kann.

IV. Beweiswürdigung, § 286 ZPO

Der wichtigste Schritt der Beweisprüfung ist die Beweiswürdigung, vgl. § 286 ZPO. Danach gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Der Richter kann im Rahmen von Recht und Gesetz die Beweise frei würdigen.

1. Erbgiebigkeit

Zunächst prüft der Richter, ob der angetretene Beweis überhaupt ergiebig ist. Beispiel: Es geht um einen Verkehrsunfall. Der einzige Zeuge sagt: „Über den Unfall weiß ich alles, denn ich habe es genau gehört. Ich war gerade im Keller und da hat es auf einmal tierisch gekracht.“ Hierbei handelt es sich um einen sogenannten Knallzeugen, der für die Beweiswürdigung völlig unergiebig ist. Bezüglich der Ergiebigkeit von Beweismitteln ist zwischen drei Arten zu unterscheiden: positiv ergiebig, negativ ergiebig und unergiebig. Positiv ergiebig bedeutet, dass der Zeuge im Sinne des Beweisbelasteten die Sache bestätigt. Ist das der Fall, muss das Beweismittel weiter gewürdigt werden. Denn aus der Aussage des Zeugen ergibt sich nicht automatisch, dass der Richter auch von dem, was der Zeuge sagt, überzeugt ist. Die negative Ergiebigkeit liegt dann vor, wenn der Zeuge  nicht bestätigt, was zu beweisen ist. Ist ein Beweismittel negativ ergiebig, wird es nur weiter gewürdigt, wenn ihm mindestens ein positiv ergiebiges Beweismittel gegenüber steht. Sagt der einzige Zeuge das Gegenteil von dem, was der Beweisbelastete behauptet, kann das Gericht nicht von sich aus davon ausgehen, dass die Sachlage anders ist. Unergiebig ist der Zeuge, wenn er zu dem Beweisthema nichts Sachdienliches sagen kann. Unergiebige Beweismittel werden in keinem Fall weiter gewürdigt.

2. Überzeugungskraft

Nach der Erörterung der Ergiebigkeit des Beweismittels stellt sich die Frage der Überzeugungskraft. Es geht mithin darum, ob der der Richter annimmt, dass die Aussage, die Urkunde etc. wahr ist. Die Prüfung der Überzeugungskraft unterteilt sich in drei Schritte: Glaubhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und Beweiswert.

a) Glaubhaftigkeit

Bei der Glaubhaftigkeit geht es um die Glaubhaftigkeit der Aussage. Sie betrifft die Tatsachen an sich. Kontrollfrage ist: Kann ich das glauben?

b) Glaubwürdigkeit

Bei der Glaubwürdigkeit geht es hingegen um die Glaubwürdigkeit des Person, welche die Aussage getätigt hat. Kontrollfrage: Kann ich demjenigen glauben? Zuletzt erfolgt die Erörterung des Beweiswerts, vg. § 286 ZPO. Hierbei ist anzumerken, dass alle drei Phasen der Überzeugungskraft nur bei Zeugen und der Parteivernehmung durchlaufen werden. Ansonsten konzentriert sich die Prüfung auf den Beweiswert.

c) Beweiswert, § 286 ZPO

Beim Beweiswert können insbesondere folgende Punkte eine Rolle spielen: eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits, verwandtschaftliche Verhältnisse, berufliche Abhängigkeiten, Widersprüche in der Aussage, Erinnerungslücken. Der Richter zieht somit alle wesentlichen Aspekte heran, um die Aussage zu würdigen. Dabei geht es vor allem um Dinge, die sich positiv oder negativ auf den Wahrheitsgehalt auswirken. Am Ende dieses Schrittes sollte stehen, dass der Richter entweder überzeug ist oder nicht. Restzweifel können dabei verbleiben.

(V. Beweislastentscheidung)

Gegebenenfalls kommt es zu einer Beweislastentscheidung. Dies ist insbesondere immer dann der Fall, wenn ein sogenanntes non liquet vorliegt. Dies bedeutet wörtlich übersetzt „nicht klar“. Ist dem Richter nach der Beweiswürdigung nicht klar, wie der Sachverhalt liegt, ist er somit nicht von der Wahrheit der Version des Beweisbelasteten überzeugt ist, liegt ein non liquet vor. In diesen Fällen ergeht eine Beweislastentscheidung gegen den Beweisbelasteten. Dieser ist damit beweisfällig geblieben.

 

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