Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale

Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale

Bei normalen Vorsatzdelikten (z. B. §§ 212, 223 StGB) genügt es, wenn der Vorsatz sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale umfasst1 Objektiver und subjektiver Tatbestand entsprechen einander, weshalb man auch von kongruenten Tatbeständen spricht.

Es gibt aber auch Vorsatzdelikte, bei denen im subjektiven Tatbestand nach dem Vorsatz noch besondere subjektive Tatbestandsmerkmale geprüft werden müssen. Dies gilt insbesondere für die sog. Absichtsdelikte. Bei ihnen sind der objektive und der subjektive Tatbestand nicht deckungsgleich. Der subjektive Tatbestand setzt mehr als die bloße Erfassung der objektiven Merkmale voraus. Deshalb spricht man von inkongruenten Tatbeständen oder auch von Delikten mit überschießender Innentendenz.2

Beispiele: §§ 164, 242 I, 257 I, 263 I („in der Absicht, …“); §§ 252, 253 I, 259 I („um … zu“); § 267 I StGB („zur Täuschung“).

Absichtsmerkmale

Bei den Absichtsdelikten stellt sich regelmäßig die Frage, welche Vorsatzform hinsichtlich des nur subjektiv anvisierten Erfolgs vorliegen muss.3 Entscheidend ist dabei stets die Auslegung des konkreten Absichtsmerkmals im jeweiligen Tatbestand des besonderen Teils. Meist geht es dabei um die Frage, ob dolus directus 1. Grades erforderlich ist oder auch dolus directus 2. Grades (= Wissentlichkeit) genügt.4 Hierzu lassen sich die nachstehenden Leitlinien aufstellen; nähere Einzelheiten finden sich beim jeweiligen Delikt im Strafrecht BT.

Bei einigen Delikten dient das Absichtsmerkmal dazu, dem Verhalten ein strafrechtsspezifisches Gepräge zu geben. Bei diesen Tatbeständen muss zur Rechtsgutsverletzung eine besondere Tätermotivation hinzutreten, damit das Verhalten des Täters überhaupt strafwürdig ist. In solchen Fällen ist die Absicht im Sinne dolus directus 1. Grades zu verstehen. Beispiel: Eine täuschungsbedingte Schädigung ist erst dann strafwürdig, wenn der Täter in der Motivation täuscht, „sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen“ (§ 263 I StGB). Dem Täter muss es im Sinne zielgerichteten Handelns (dolus directus 1. Grades) auf die Bereicherung ankommen.5 Es gibt auch Tatbestände, bei denen der Gesetzgeber die Strafbarkeit nach vorne verlagert, ohne die Rechtsgutsverletzung abzuwarten. Dann soll die Absicht zumindest die subjektive Beziehung zur Rechtsgutsverletzung herstellen. Hierfür reicht regelmäßig dolus directus 2. Grades. Beispiel: Alle Modalitäten der Urkundenfälschung (§ 267 I StGB) erfordern im subjektiven Tatbestand den Willen „zur Täuschung im Rechtsverkehr“. Hierfür genügt wissentliches Handeln (dolus directus 2. Grades).6 Als – allerdings nicht schematisch anzuwendende(!)7 – Faustregel mag gelten: Wo die Bereicherungs- und Zueignungsabsicht den Deliktstyp prägen, ist dolus directus 1. Grades erforderlich, wo die bloße Schädigung individueller oder überindividueller Interessen im Vordergrund steht, genügt auch dolus directus 2. Grades.8

Sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale

Neben den Absichtsmerkmalen gibt es noch weitere besondere subjektive Tatbestandsmerkmale. Hierzu zählen etwa die Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe (vgl. § 211 II StGB), die Böswilligkeit i.S.v. § 225 I StGB und die Rücksichtslosigkeit i.S.v. § 315c I Nr. 2 StGB.9


  1. Zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 16 Rn. 1 f.
  2. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 275.
  3. Zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 16 Rn. 3 – 8.
  4. Da sich das Wort „Absicht“ von „absehen“ ableitet, ist es vertretbar, in den Absichtsbegriff wissentliches Handeln einbeziehen.
  5. Rengier, Strafrecht BT 1, 20. Aufl. 2018, § 13 Rn. 238.
  6. BGH, Beschl. v. 08.07.1999 – 3 StR 68–99, NStZ 1999, 619; Rengier, Strafrecht BT 2, 19. Aufl. 2018, § 33 Rn. 39.
  7. Beispiel: Die Begünstigung (§ 257 StGB) müsste eigentlich in die zweite Kategorie eingeordnet werden. Gleichwohl ist die in § 257 I StGB angesprochene „Absicht“ der Vorteilssicherung nach h. M. im Sinne eines dolus directus 1. Grades zu verstehen (Rengier, Strafrecht BT 1, 20. Aufl. 2018, § 20 Rn. 15).
  8. D./I. Sternberg-Lieben, JuS 2012, 976, 977.
  9. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 16 Rn. 9.