Besondere persönliche Merkmale

Besondere persönliche Merkmale (§ 28 StGB)

Grundsätzlich wird bei der Teilnahme nach Akzessorietätsregeln zugerechnet:1 Das Ausmaß der Strafbarkeit des Teilnehmers (§ 28 I StGB) bestimmt sich nach der Haupttat; was der Teilnehmer weiß, wird ihm zugerechnet. Teilnahme setzt jedoch lediglich eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat voraus (§§ 26, 27 I StGB). Dass der Haupttäter schuldhaft handelt, ist nicht erforderlich. § 29 StGB ordnet an, dass jeder Beteiligte ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft wird. Eine Schuldzurechnung findet bei der Beteiligung mehrerer nicht statt. Man spricht in diesem Kontext von der „limitierten Akzessorietät“ der Teilnahme. Dabei betrifft § 29 StGB allerdings nur eine Ausnahme vom Grundsatz der Akzessorietät hinsichtlich der Schuld. § 28 StGB enthält eine weitere wesentliche Ausnahme und betrifft die limitierte Akzessorietät des Unrechts.

Besondere mögliche Merkmale

Einige Straftatbestände sehen „besondere persönliche Merkmale“ vor, welche die Höchstpersönlichkeit der Tat so sehr kennzeichnen, dass eine uneingeschränkte Anwendung der allgemeinen Akzessorietätsregeln auf den Beteiligten, bei dem das höchstpersönliche Element fehlt, unbefriedigende Folgen nach sich zöge.2 Deshalb schränkt § 28 StGB die Anwendung der allgemeinen Regeln ein. § 28 I StGB verweist auf § 14 I StGB. Dort werden besondere persönliche Merkmale definiert als „besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände“. Es besteht aber dennoch weitgehend Einigkeit darüber, dass der Begriff der „besonderen persönlichen Merkmale“ in § 14 I StGB, bei dem es im Rahmen einer Organ- und Vertreterhaftung um die Begründung einer Strafbarkeit geht, nicht zwingend dieselbe Bedeutung hat wie in § 28 I StGB.3 Nach h. M. fallen nur täterbezogene persönliche Merkmale in den Anwendungsbereich des § 28 I StGB.4 Als täterbezogen werden solche Merkmale eingestuft, die in erster Linie die Person und die Persönlichkeit des Täters kennzeichnen und somit höchstpersönlichen Charakter haben.5 Schlagwortartig geht es um die Kennzeichnung der Persönlichkeit.

Beispiele:6 Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe des § 211 II StGB, Böswilligkeit in § 225 I StGB, Gewerbsmäßigkeit in §§ 243 I 2 Nr. 3, 260 I Nr. 1, 267 IV StGB, Vermögensbetreuungspflicht in § 266 StGB; Rücksichtslosigkeit in § 315c I Nr. 2 StGB, Amtsträgereigenschaft in §§ 331, 332, 339, 340, 343 – 345, 348 StGB. Umstritten sind die Fälle der Bandenmitgliedschaft (z. B. in §§ 244 I Nr. 2, 250 I Nr. 2 StGB)7 und der Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten). 8

Davon abzugrenzen sind tatbezogene Merkmale. Dies sind solche Merkmale, die nur der sachlichen Charakterisierung der Tat bzw. der Rechtsgutsverletzung dienen. Zu denken ist hier an Umstände, die eine besondere Gefährlichkeit des Täterverhaltens anzeigen oder die Ausführungsart des Delikts beschreiben. Schlagwortartig geht es um die Kennzeichnung der Tat. Für solche Umstände ist der Anwendungsbereich des § 28 StGB nicht eröffnet.9 Beispiele: Mordmerkmale der 2. Gruppe des § 211 II StGB, Absichten in §§ 146, 242 I, 253 I, 263 I StGB, Eigenschaften in § 142 StGB (Unfallbeteiligter) und in § 153 StGB (Zeuge oder Sachverständiger).

Regelungsgehalt des § 28 I StGB

§ 28 I StGB enthält eine Strafmilderung für den Teilnehmer, wenn bei ihm besondere persönliche Merkmale fehlen, welche die Strafbarkeit des Täters begründen. Strafbegründend ist ein besonderes persönliches Merkmal, wenn der gesetzliche Tatbestand, der dieses Merkmal beschreibt, ein eigenständiges Delikt ist.10

Beispiel 1:11 T ist Fremdgeschäftsführer einer GmbH. Seine Frau A stiftet ihn an, vom Geschäftskonto der GmbH Geld für eine gemeinsame Reise von T und A abzuheben. Dies macht der T. T macht sich wegen Untreue gemäß § 266 I Alt. 2 StGB strafbar. Seine Vermögensbetreuungspflicht ist ein besonderes persönliches Merkmal.12 Da diese die Strafbarkeit begründet, gilt für die A § 28 I StGB. Sie ist als Anstifterin zwar „gleich einem Täter“ (§ 26 StGB) aus § 266 StGB zu bestrafen; jedoch ist ihre Strafe zwingend gemäß § 49 I Nr. 2 StGB zu mildern.

Beispiel 2:13 Privatperson A unterstützt den Amtsträger T, damit dieser eine Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) begehen kann. T ist gemäß § 348 I StGB strafbar, A wegen Beihilfe zu diesem Delikt (§§ 348 I, 27 StGB). Da die Amtsträgereigenschaft für T ein strafbegründendes persönliches Merkmal ist, bestimmt sich die Strafe des A zwar nach der für T geltenden Strafdrohung (vgl. § 27 II 1 StGB), also nach § 348 I StGB; es gilt jedoch gemäß §§ 28 I, 49 I StGB ein gemilderter Strafrahmen. Neben der Strafmilderung nach §§ 28 I, 49 I StGB kommt eine weitere Milderung nach §§ 27 II 2, 49 I StGB in Betracht.14

§ 28 I StGB ist eine Strafzumessungsregel15 und als solche erst nach der Schuld zu prüfen.16

Regelungsgehalt des § 28 II StGB

Nach § 28 II StGB gelten besondere persönliche Merkmale, welche die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen (modifizieren), nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem sie vorliegen.

Damit werden zwei Unterschiede zwischen § 28 I StGB und § 28 II StGB deutlich:17 (1) § 28 I StGB gilt nur für Teilnehmer und wirkt nur strafmildernd. (2) § 28 II StGB gilt dagegen für Täter und Teilnehmer und sowohl strafmildernd als auch strafschärfend.

Strafmodifizierend ist ein besonderes persönliches Merkmal, wenn der gesetzliche Tatbestand, der dieses Merkmal beschreibt, eine unselbständige Abwandlung zu einem Grundtatbestand darstellt.18

Beispiele für strafschärfende Merkmale: §§ 224, 226, 227, 340 StGB ↔ § 223 StGB; §§ 244, 244a StGB ↔ § 242 StGB, § 250 I StGB ↔ § 249 StGB; § 263 V StGB ↔ § 263 I StGB. Bei den Mordmerkmalen der 1. und 3. Gruppe ist umstritten, ob sie unter § 28 I StGB (so die Rechtsprechung, die § 211 StGB als eigenständiges Delikt einordnet)19 oder § 28 II StGB (so die h. L., die § 211 StGB als Qualifikation des § 212 StGB ansieht)20 fallen.

Beispiel für strafmildernde Merkmale:21 Die Schwangere wird bei einem illegalen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 III StGB bestraft. Stiften sie dazu der Erzeuger oder die Eltern an bzw. helfen sie dabei, kommt ihnen nach § 28 II StGB diese Privilegierung nicht zugute, sodass sie aus den §§ 218, 26 oder 27 StGB zu bestrafen sind.

Beispiele für strafausschließende Merkmale: §§ 173 III, 257 III, 258 V, VI StGB.

§ 28 II StGB führt zu einer Verschiebung des Tatbestandes, aus dem der jeweilige Beteiligte verurteilt wird, und damit zu einer Veränderung des Schuldspruchs.22 In der Fallbearbeitung ist § 28 II StGB somit nach der Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen.23


  1. Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 28 Rn. 3 und § 29 Rn. 1.
  2. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 46 Rn. 1.
  3. Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 4.
  4. BGH, Urt. v. 25.01.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 1 f. (zu § 370 I Nr. 2 AO); BGH, Urt. v. 29.09.1993 – 2 StR 336/93, BGHSt 39, 326, 328 (zu § 173 StGB); Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 28 Rn. 3; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 46 Rn. 13; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1129.
  5. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 46 Rn. 13.
  6. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 46 Rn. 17 f.; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1129.
  7. Bejahend: BGH, Beschl. v. 08.05.2012 – 3 StR 72/12, Rn. 4; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1129; verneinend: Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 244 Rn. 28.
  8. Bejahend: Hinderer, JA 2009, 25, 28; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1129; verneinend: Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 28 Rn. 19.
  9. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1129 f.
  10. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1136.
  11. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 46 Rn. 3.
  12. BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – 3 StR 206/11, Rn. 7.
  13. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1136.
  14. BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – 3 StR 206/11, Rn. 7.
  15. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1141.
  16. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 45 Rn. 12 (eigenständiger Prüfungspunkt: „Strafrahmenverschiebung nach § 28 I StGB“); R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1137.
  17. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1138.
  18. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1139.
  19. BGH, Urt. v. 12.01.2005 – 2 StR 229/04, NJW 2005, 996, 997; BGH, Beschl. v. 22.10.1997 – 3 StR 419/97, NJW 1998, 619, 620; BGH, Urt. v. 19.06.1951 - 1 StR 189/51, BGHSt 1, 235, 238. Der 5. Strafsenat des BGH hat angedeutet, sich der h. L. anzuschließen (BGH Beschl. v. 10.01.2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008 ff.).
  20. Vgl. nur: Geppert, Jura 2000, 651, 654; Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, Vor § 211 Rn. 13 ff.; Krahl, JuS 2003, 57, 60; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 46 Rn. 18; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1144.
  21. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 46 Rn. 9 f.
  22. Jäger, JR 2005, 477, 479 f.; Puppe, JZ 2005, 902 ff.; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1141.
  23. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 45 Rn. 12; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1141.