Beschränkungen der Vertretungsmacht

Beschränkungen der Vertretungsmacht

Sind die Voraussetzungen der Stellvertretung erfüllt, wirkt die durch den Vertreter im Namen des Vertretenen abgegebene Willenserklärung unmittelbar für und gegen den Vertretenen. Nach § 164 I 1 BGB gilt dies jedoch nur, wenn der Vertreter die Willenserklärung „innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht“ im Namen des Vertretenen abgibt. Der Vertretungsbefugnis sind also Grenzen gesetzt. Diese Grenzen sind teilweise ausdrücklich im Gesetz geregelt. Daneben gibt es weitere durch die Rechtsprechung und Literatur entwickelte Grenzen.

Gesetzliche Beschränkungen der Vertretungsmacht

Teilweise ist die Vertretungsbefugnis des Vertreters ausdrücklich durch das Gesetz beschränkt.

Beispiel: §§ 1629 II 1, 1641, 1824 BGB.

Verbot des Insichgeschäfts, § 181 BGB

Ein Vertreter kann, soweit nicht ein anderes ihm gestattet ist, im Namen des Vertreten mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen, es sei denn, dass das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht (§ 181 BGB).1

"Rechtsgeschäft“ können neben allen Verträgen auch einseitige Rechtsgeschäfte sein, bei denen ein Vertreter eingeschaltet ist.

Das Selbstkontrahieren (§ 181 Alt. 1 BGB) zeichnet sich dadurch aus, dass der Vertretene bei demselben Rechtsgeschäft auf der einen Seite im eigenen Namen und auf der anderen Seite im Namen des Vertretenen handelt. Bei der Mehrfachvertretung (§ 181 Alt. 2 BGB) vertritt der Vertreter bei Vornahme des Rechtsgeschäfts beide Parteien gleichzeitig; er handelt also zweimal im fremden Namen. In beiden Fällen besteht die Gefahr einer Interessenkollission. Deshalb erklärt § 181 BGB Insichgeschäfte grundsätzlich für unzulässig.

§ 181 BGB greift auch dann ein, wenn im konkreten Einzelfall keine Interessenkollision festzustellen ist.2 § 181 BGB gilt aber dann nicht, wenn nach der Natur des Rechtsgeschäfts eine Gefährdung der Interessen des Vertretenen nicht nur im konkreten Einzelfall, sondern abstrakt-generell ausgeschlossen ist; dann besteht nach dem Normzweck kein Bedürfnis für ein Vertretungsverbot und § 181 BGB ist teleologisch zu reduzieren.3

Auch Insichgeschäfte können ausnahmsweise gestattet sein. Das ist nach § 181 BGB zunächst einmal dann der Fall, wenn dem Vertreter die Vornahme des Insichgeschäfts durch den Vertretenen – bzw. bei der Mehrfachvertretung durch alle Vertretenen – gestattet ist. Ein Insichgeschäft ist ferner dann wirksam, wenn es ausschließlich in der Erfüllung einer wirksam begründeten Verbindlichkeit besteht; erfasst sind sowohl die Erfüllung einer Verbindlichkeit des Vertreters gegenüber dem Vertretenen als auch der umgekehrte Fall.

Davon ist durch eine teleologische Reduktion des § 181 BGB eine Rückausnahme zu machen, wenn der Vertretene nicht voll geschäftsfähig ist und das Erfüllungsgeschäft (auch) rechtlich nachteilig für ihn ist (Minderjährigenschutz.4 Eine ungeschriebene Ausnahme vom Verbot des Insichgeschäfts besteht, wenn das Geschäft dem Vertretenen lediglich einen rechtlichen Vorteil (§ 107 BGB) bringt; dann ist das Geschäft wirksam und § 181 BGB teleologisch zu reduzieren, weil von dem Geschäft keine Gefahren für den Vertretenen ausgehen.5 Liegt ein Insichgeschäft vor und ist keiner der vorgenannten Ausnahmetatbestände einschlägig, ist das Rechtsgeschäft unzulässig. In § 181 BGB ist dies dahingehend formuliert, dass der Vertreter das Rechtsgeschäft dann „nicht vornehmen kann“. Dies ist so zu verstehen, dass Verträge schwebend unwirksam, aber gemäß § 177 I BGB genehmigungsfähig sind. Für einseitige Rechtsgeschäfte gilt § 180 BGB.

Missbrauch der Vertretungsmacht

Bei der Stellvertretung sind Innen- und Außenverhältnis strikt voneinander zu trennen. Das gilt nicht nur für deren Entstehung, sondern auch für deren Umfang. Aus dem Innenverhältnis (= Grundverhältnis) folgt, was der Vertreter darf, aus dem Außenverhältnis (= Vertretungsmacht) was der Vertreter kann.6 Regelmäßig entsprechen Dürfen und Können einander; es kann aber auch zu einer Diskrepanz von rechtlichem Dürfen und rechtlichem Können kommen. Dann wird das Missbrauchsrisiko grundsätzlich dem Vertretenen aufgebürdet.7 Das durch den Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft ist zum Schutze des Dritten im Grundsatz auch dann wirksam und wirkt für und gegen den Vertretenen, wenn der Vertreter sich im Rahmen seines rechtlichen Könnens bewegt und dabei (lediglich) sein rechtliches Dürfen im Innenverhältnis überschreitet. Der Dritte soll sich darauf verlassen können, dass der Vertreter das Rechtsgeschäft vornehmen kann; ob er es auch darf, soll für ihn nicht relevant sein.8

Bei pflichtwidrigem Vertreterhandeln stehen dem Vertreter aber im Innenverhältnis Ansprüche (insbesondere Schadensersatz gemäß § 280 I BGB) und Rechte (z. B. Kündigungsrecht) gegen den Vertreter zu.

Ausnahmsweise beeinflusst das Überschreiten der Befugnisse des Vertreters im Innenverhältnis die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts im Außenverhältnis, und zwar dann, wenn der Dritte nicht schutzwürdig ist. Hierzu sind zwei Fälle anerkannt:

Wissen sowohl der Vertreter als auch der Dritte, dass der Vertreter durch den Abschluss des Rechtsgeschäfts seine Befugnisse im Innenverhältnis gegenüber dem Vertretenen überschreitet, ist die kollusive Vereinbarung und infolge dessen auch das Vertretergeschäft sittenwidrig und damit gemäß § 138 I BGB nichtig, wenn das Rechtsgeschäft einverständlich zum Nachteil des Vertretenen abgeschlossen worden ist.9 Diesen Ausnahmetatbestand nennt man Kollusion.

In einem solchen Fall kann der Vertretene vertragliche Ansprüche aus dem Innenverhältnis gegen den Vertreter geltend machen. Zudem kann er von dem Vertreter und dem Dritten als Gesamtschuldner seinen Schaden ersetzt verlangen (§§ 826, 840 BGB).

Eine zweite anerkannte Ausnahme besteht in Fällen, in denen der Missbrauch der Vertretungsmacht aus der Perspektive eines Dritten objektiv evident ist.10 Davon ist auszugehen, wenn der Vertreter in ersichtlich verdächtiger Weise vorgegangen ist, sodass sich dem Dritten aufdrängen musste, dass der Vertreter seine Befugnisse im Innenverhältnis überschreitet.11

Dabei genügt die objektive Pflichtwidrigkeit des Vertreterhandelns, die ihrerseits nicht voraussetzt, dass das Geschäft objektiv nachteilig für den Vertretenen ist.12

Ist der Vertreter aus einem der vorgenannten Gründe bösgläubig und damit nicht schutzwürdig, kann der Vertretene ihm den Einwand unzulässiger Rechtsausübung aus § 242 BGB entgegensetzen.13

Dem Vertretenen steht zudem ein Genehmigungs- und Aufforderungsrecht analog § 177 BGB zu.14


  1. Zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 201 – 220c.
  2. BGH, Urt. v. 19.04.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97, 102.
  3. BGH, Beschl. v. 17.01.2023 – II ZB 6/22, Rn. 24.
  4. BGH, Beschl. v. 30.09.2010 – V ZB 206/10, Rn. 16.
  5. BGH, Urt. v. 07.09.2017 – IX ZR 224/16, Rn. 17.
  6. Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 465.
  7. BGH, Urt. v. 14.06.2016 – XI ZR 483/14, Rn. 23; BGH, Urt. v. 09.05.2014 – V ZR 305/12, Rn. 18; BGH, Urt. v. 01.06.2010 – XI ZR 389/09, Rn. 29.
  8. BGH, Urt. v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, Rn. 21 (zu § 37 II GmbHG).
  9. BGH, Urt. v. 14.06.2016 – XI ZR 483/14, Rn. 24; BGH, Urt. v. 28.01.2014 – II ZR 371/12, Rn. 10.
  10. BGH, Urt. v. 14.06.2016 – XI ZR 483/14, Rn. 24; BGH, Urt. v. 01.06.2010 – XI ZR 389/09, Rn. 29.
  11. BGH, Urt. v. 14.06.2016 – XI ZR 483/14, Rn. 24; BGH, Urt. v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, Rn. 22.
  12. BGH, Urt. v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, Rn. 22.
  13. BGH, Urt. v. 05.11.2003 – VIII ZR 218/01, NJW-RR 2004, 247, 248.
  14. BGH, Urt. v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, Rn. 24.