Außervertragliche Schuldverhältnisse im IPR

Anwendbares Recht bei außervertraglichen Schuldverhältnissen

Das auf außervertragliche Schuldverhältnisse (Verschulden bei Vertragsverhandlungen, Geschäftsführung ohne Auftrag, Deliktsrecht, Bereicherungsrecht) anzuwendende Recht ergibt sich grundsätzlich ebenfalls aus Gemeinschaftsrecht, nämlich der Rom-II-VO. Auch diese Verordnung ist unabhängig davon anzuwenden, ob der Sachverhalt Bezüge zu Mitgliedstaaten oder Drittstaaten hat (Art. 3).

Nach Art. 1 gilt die Verordnung u.a. dann nicht, wenn sich das außervertragliche Schuldverhältnis

  • aus einem Familienverhältnis, einer Ehe oder einer eheähnlichen Verbindung,

  • aus dem Gesellschaftsrecht,

  • aus einem Treuhandverhältnis,

  • oder aus einer Persönlichkeitsrechtsverletzung

ergibt.

Bei der Anwendung und der (autonomen) Auslegung der einzelnen Kollisionsnormen ist darauf zu achten, dass der verwendete Schadensbegriff weiter verstanden wird als im deutschen Recht und auch die Folgen einer ungerechtfertigten Bereicherung oder einer Geschäftsführung ohne Ausführung umfasst (Art. 2 Abs. 1).

Rechtswahl

Auch im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse können die Parteien grundsätzlich das anzuwendende Recht wählen (Art. 14). Wie im Anwendungsbereich der Rom-I-VO können die Parteien aber nicht die zwingenden Normen einer Rechtsordnung abwählen, wenn dort alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl belegen sind (Abs. 2). Dasselbe gilt auch hier für die zwingenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, wenn das Recht eines Drittstaates gewählt wird, obwohl alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in verschiedenen Mitgliedstaaten belegen sind (Abs. 3). Auch hier ist wieder Art. 46 b EGBGB zu beachten.

Verschulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 12)

Ansprüche wegen eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen unterliegen dem Recht des Staates, das auf den Vertrag anzuwenden ist bzw. wäre (Art. 12 Abs. 1). Lässt sich dieses (hypothetische) Recht nicht ermitteln, findet nach Art. 12 Abs. 2 (trotz „oder“) eine gestufte Anknüpfung über eine sog. Anknüpfungsleiter statt:

  • Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem beide Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten (Art. 12 Abs. 2 lit. b); wenn nicht möglich:

  • Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist (Art. 12 Abs. 2 lit. a).

Besteht nach der Gesamtheit der Umstände ausnahmsweise eine engere Verbindung zu einem anderen als dem nach den genannten Anknüpfungsmomenten berufenen Staat, ist die Rechtsordnung dieses Staates anzuwenden (Art. 12 Abs. 2 lit. c).

Allerdings erfasst das autonom auszulegende Institut des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen nicht alle Konstellationen des § 311 Abs. 2, 3 BGB. So wird die Verletzung des allgemeinen Integritätsinteresses des Verhandlungspartners nach dem Deliktsstatut angeknüpft, während unter Art. 12 die Verletzung vertragsspezifischer Sorgfaltspflichten fällt.

Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11)

Bei Ansprüchen aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag findet ebenfalls eine gestufte Anknüpfung statt:

  • Anknüpfung an das Recht, das auf ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien anzuwenden ist, wenn die GoA hieran anknüpft und das Rechtsverhältnis eine enge Verbindung hiermit aufweist (Art. 11 Abs. 1);

  • sonst Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 11 Abs. 2);

  • sonst Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist (Art. 11 Abs. 3).

Auch hier gilt: Besteht nach der Gesamtheit der Umstände ausnahmsweise eine engere Verbindung zu einem anderen als dem nach den genannten Anknüpfungsmomenten berufenen Staat, ist die Rechtsordnung dieses Staates anzuwenden (Art. 11 Abs. 4).

Bereicherungsrecht (Art. 10)

Bereicherungsrechtliche Ansprüche werden nach derselben Systematik angeknüpft wie die Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag.

Auch hier ist zu beachten, dass die Leistungskondiktion bereits von Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom-I-VO erfasst wird und deshalb dem Vertragsstatut folgt.

Deliktsrecht (Art. 4)

Deliktische Ansprüche unterliegen grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem Geschädigter und Schädiger zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten (Art. 4 Abs. 2).

Andernfalls ist das Recht des Staates maßgeblich, in dem der Schaden eingetreten ist (Art. 4 Abs. 1)

Ergibt sich nach der Gesamtheit der Umstände, insbesondere einem Vertragsverhältnis zwischen den Beteiligten, eine engere Verbindung zu einem anderen Staat, ist dessen Recht anzuwenden (Art. 4 Abs. 3).

Für die Produkthaftung gilt Art. 5.

Sachnormverweisung

Die Verweisungen erfolgen lediglich in das materielle Recht; Rück- und Weiterverweisungen sind ausgeschlossen (Art. 24).

Erfasste Rechtsfragen

Die von der Verordnung erfassten Rechtsfragen sind in Art. 15 aufgelistet. Auch hier ist zu beachten, dass die Verordnung den Begriff des Schadens weit fasst (Art. 2 Abs. 1).

  • Anspruchsbegründung und Anspruchsumfang (a, c);

  • Anspruchsgegner (a, b);

  • Haftungsbeschränkung und –ausschluss (b);

  • gerichtlich durchsetzbare Ansprüche (d);

  • Übertragung und Vererbbarkeit des Anspruchs (e)

  • anspruchsvernichtende Einwendungen und anspruchshemmende Einreden (h).

  • immaterieller Schaden (f);

  • Haftung für fremdes Verschulden (g);

Die Frage eines Gesamtschuldnerausgleichs folgt dem Statut der Hauptforderung (Art. 20).