Aufwendungsersatz
Aufwendungsersatz (§ 284 BGB)
§ 284 BGB räumt dem Gläubiger das Recht ein, anstelle des positiven Interesses (Schadensersatz statt der Leistung) einen Teil des negativen Interesses (Ersatz vergeblicher Aufwendungen) vom Schuldner ersetzt zu verlangen.1 Ersatzfähig sollen nach dieser Vorschrift grundsätzlich sämtliche Aufwendungen sein, die der Gläubiger im berechtigten Vertrauen auf den Erhalt der Leistung vergeblich getätigt hat. Berücksichtigt sind ideelle und konsumtive, aber auch kommerzielle Aufwendungen.2
Anders als nach alter Rechtslage vor dem 01.01.2002 sind frustrierte Aufwendungen nicht nur ersatzfähig, wenn unterstellt werden kann, dass die Aufwendungen des Gläubigers durch den Vorteil der erwarteten Gegenleistung wieder eingebracht worden wären (sog. Rentabilitätsvermutung). § 284 BGB gewährt den Ersatz von Aufwendungen beispielsweise auch dann, wenn der Gläubiger mit einem Vertrag nur marktstrategische und spekulative Ziele verfolgt.3
Der Gläubiger darf allerdings nicht zugleich Schadenspositionen des positiven und des negativen Interesses geltend machen und damit eine doppelte Entschädigung erlangen.4 § 284 BGB gibt dem Gläubiger lediglich ein Wahlrecht zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Aufwendungsersatz. Negatives und positives Interesse stehen grundsätzlich im Verhältnis der Exklusivität. Der Gläubiger kann nicht auf die Wiederherstellung des Zustands ohne Vertragsschluss bestehen (negatives Interesse) und gleichzeitig Vorteile aus dem Vertragsschluss (positives Interesse) geltend machen. Der Gläubiger muss sich entscheiden, ob er Schadensersatz statt der Leistung verlangt und die Nachteile der Rentabilitätsvermutung in Kauf nimmt oder nach § 284 BGB Aufwendungsersatz fordert.
Vor dem 01.01.2002 wurde dem Gläubiger eines Schadensersatzanspruchs Aufwendungsersatz nur in den Fällen zugesprochen, in denen zu Gunsten des Gläubigers angenommen werden konnte, dass die geschuldeten Leistungen gleichwertig gewesen wären und der Gläubiger darüber hinaus seine im Zusammenhang mit dem Geschäft getätigten Aufwendungen erwirtschaftet hätte (sog. Rentabilitätsvermutung). Diese Vermutung konnte jedoch vom Schuldner widerlegt werden und griff insbesondere bei Aufwendungen, die zu ideellen oder konsumtiven Zwecken gemacht wurden, nicht ein. Ob sich daran durch das zum 01.01.2002 in Kraft getretene Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (SMG) und die neu eingefügte Vorschrift des § 284 BGB etwas geändert hat, wird unterschiedlich beurteilt. Nach zutreffender Ansicht kann die Rentabilitätsvermutung im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 281 BGB) weiterhin angewendet werden.5
Voraussetzungen
Der Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen nach § 284 BGB hat folgende Voraussetzungen:
Zwischen Gläubiger und Schuldner muss zunächst ein wirksames Schuldverhältnis vorliegen. § 284 BGB erstreckt sich sowohl auf vertragliche als auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse.6
Erfasst werden nicht nur Verträge mit konsumtivem oder ideellem Zweck, sondern auch Verträge mit Gewinnerzielungsabsicht. Unter § 284 BGB fallen alle frustrierten Aufwendungen, unabhängig von der Zielsetzung des jeweiligen Vertrags.
Dem Wortlaut des § 284 BGB („anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung“) müssen zudem die Voraussetzungen vorliegen, unter denen der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann.
Es müssen die Voraussetzungen des §§ 280 I, III, 281 BGB, des §§ 280 I, III, 282 BGB, des §§ 280 I, III, 283 BGB oder des § 311a II BGB vorliegen.7
Der Gläubiger muss Aufwendungen getätigt haben. Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer.8
Beispiele: Vertragskosten (Rechtsberatungs- und Beurkundungskosten, Gutachterkosen etc.); Überführung und Zulassung eines Kfz,9 Zinsen, die vom Gläubiger für ein zur Finanzierung des Geschäfts aufgenommenes Darlehen zu zahlen sind; nach h. M. auch die eigene Arbeitsleistung.10
Die Aufwendungen müssen im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht worden sein.11
Dies trifft jedenfalls auf solche Aufwendungen zu, die den Zweck haben, die Vertragsdurchführung im Interesse beider Parteien zu ermöglichen (sog. Vertragsschluss- und Vertragserfüllungskosten; z. B. Kosten einer notariellen Beurkundung, Maklerprovisionen). Aufwendungen, die dazu dienen, die sich aus dem Leistungsaustausch ergebenden Möglichkeiten weiter auszunutzen (sog. Vertragsverwertungskosten; z. B. Grundsteuern, Prämien für eine Feuerversicherung, Erschließungs- und Umbaukosten) sind nur dann ersatzfähig, soweit der Schuldner nicht beweisen kann, dass sie ihren Zweck auch ohne die Pflichtverletzung nicht erreicht hätten (Stichwort: Rentabilitätsvermutung). Vertragsliquidationskosten sind keine Aufwendungen und deshalb nicht über § 284 BGB ersatzfähig; sie können nur im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung geltend gemacht werden.
Zu ersetzen sind ferner nur solche Aufwendungen, die der Gläubiger „billigerweise“ machen durfte. Der Gläubiger darf dem Rechtsgedanken des § 254 BGB entsprechend keine voreiligen Aufwendungen tätigen, wenn ihm bereits Anzeichen für ein Scheitern des geschlossenen Vertrags bekannt sind.12
Der Gläubiger darf allerdings grundsätzlich von der Vertragstreue des Schuldners ausgehen und muss deshalb nicht vorsorglich bis zum spätestmöglichen Zeitpunkt mit seinen Aufwendungen zuwarten.13
Ausgeschlossen ist der Aufwendungsersatzanspruch, wenn die Aufwendungen ihren Zweck auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht hätten. Die Nichterfüllung des Vertrags muss ursächlich für die Vergeblichkeit der Aufwendungen gewesen sein.14
Aus der negativen Formulierung in § 284 BGB („es sei denn“) folgt, dass für das Vorliegen einer solchen Zweckverfehlung der Schuldner die Beweislast trägt.15
Rechtsfolge
Der Gläubiger kann Ersatz seiner vergeblichen Aufwendungen verlangen.
Sonstige Vertrauensschäden sind dagegen nicht ersatzfähig.16 Das volle negative Interesse ist nicht zu ersetzen.17
Prüfungsschema
Prüfungsschema: Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 284 BGB
- Schuldverhältnis
- Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung („anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung“)
- Aufwendungen,
- die der Gläubiger im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat
- und billigerweise machen durfte,
- es sei denn, deren Zweck wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden.
RF: Ersatz vergeblicher Aufwendungen (Teil des negativen Interesses)
- Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 284 Rn. 1 f.
- BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 275/04, NJW 2005, 2848, Ls. 2.
- BT-Drucks. 14/6040, S. 143.
- Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 284 Rn. 3.
- Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 281 Rn. 21.
- Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 284 Rn. 4.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 74.
- Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 76.
- BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 275/04, NJW 2005, 2848, 2850 f.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 76; Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 284 Rn. 5; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 284 Rn. 6; Tröger, ZGS 2005, 462, 465 f.; Erman/Westermann, BGB, 15. Aufl. 2017, § 284 Rn. 6; a. A. Reim, NJW 2003, 3662, 3664.
- Zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 284 Rn. 8 – 10.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 77; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 284 Rn. 11.
- Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 284 Rn. 11.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 79.
- Vgl. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 79: Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens.
- Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 284 Rn. 13.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 80.