Aufbau und Methodik der IPR-Prüfung

Die IPR Prüfung im Aufbau und Methodik

Für die Bearbeitung von IPR-Fällen empfiehlt sich grundsätzlich dieses Vorgehen:

1. Ermittlung der einschlägigen Kollisionsnorm

Zunächst geht es darum, in den EU-Verordnungen, den Staatsverträgen oder im EGBGB die im Fall einschlägige Kollisionsnorm zu ermitteln.

Um aus der Vielzahl von Kollisionsnormen die für den Einzelfall maßgebliche überhaupt zu finden, muss im ersten Schritt festgestellt werden, aus welchem Rechtsgebiet die geltend gemachten Ansprüche stammen sollen. Dies wird Qualifikation genannt. Das bedeutet aber nicht mehr als Subsumtion der Rechtsfrage unter ein Rechtsgebiet.

Beispiel: Der Anspruchsteller verlangt als Eigentümer eines Grundstücks dessen Herausgabe. Das betroffene Rechtsgebiet ist also mangels weiterer Angaben das Sachenrecht.

Im zweiten Schritt geht es darum, aus den Kollisionsnormen dieses Rechtsgebiets die im Fall einschlägige anhand der Anknüpfungsgegenstände zu ermitteln. Hierfür ist entscheidend, welche konkrete Rechtsfrage aufgeworfen wird.

Im Beispiel kommen als Kollisionsnormen Art. 43 Abs. 1 und Art. 44 EGBGB in Betracht. Anknüpfungsgegenstand in Art. 43 Art. 1 EGBGB sind Rechte an einer Sache, während Art. 44 EGBGB nur Ansprüche wegen Grundstücksemissionen regelt. Der Anspruchsteller begehrt die Herausgabe des Grundstücks als Eigentümer, macht also Rechte an dem Grundstück geltend. Einschlägig ist somit Art. 43 Abs. 1 EGBGB.

2. Anknüpfung

Steht die einschlägige Kollisionsnorm fest, ergibt sich aus deren Anknüpfungsmoment(en) das auf die Beantwortung der konkreten Rechtsfrage anzuwendende Recht.

Im Beispiel geht es um das Sachenrechtsstatut, das Art. 43 Abs. 1 EGBGB an die Belegenheit der Sache knüpft (lex rei sitae). Der Herausgabeanspruch des Anspruchstellers ergibt sich deshalb grundsätzlich aus der Rechtsordnung des Staates, in dem das Grundstück liegt.

3. Gesamt-, Rück- oder Weiterverweisung

Damit ist die IPR-Prüfung aber noch nicht zu beenden, denn die Verweisung aus der Kollisionsnorm in das anzuwendende Recht erfasst grundsätzlich dessen gesamte Rechtsordnung (Gesamtverweisung). Da hierzu auch das IPR dieser Rechtsordnung zählt, muss also geprüft werden, ob auch danach diese Rechtsordnung das maßgebliche Statut darstellt.

Ist das der Fall, nimmt diese Rechtsordnung die Verweisung an und die IPR-Prüfung ist beendet.

Beispiel: Das IPR der lex fori knüpft das Erbstatut an die Staatsangehörigkeit, das IPR des danach anzuwendenden Rechts ebenso.

Knüpft dagegen das IPR des (zunächst) anzuwendenden Rechts an andere Anknüpfungsmomente an, kann es zu einer Rückverweisung kommen.

Beispiel: Das IPR der lex fori knüpft das Erbstatut an die Staatsangehörigkeit, das IPR des danach anzuwendenden Rechts dagegen am letzten Wohnsitz des Erblassers an, der sich im Ausgangsstaat befand.

Um ein dauerhaftes Hin und Her zwischen den beiden Rechtsordnungen zu verhindern, bezieht sich eine Rückverweisung in das deutsche Recht nicht mehr auch auf das IPR, sondern nur noch auf das materielle Recht (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). Die IPR-Prüfung ist dann beendet und deutsches materielles Rechts anzuwenden.

Statt einer Rück- ist auch eine Weiterverweisung in eine dritte Rechtsordnung möglich.

Beispiel: Der Erblasser hatte seinen letzten Wohnsitz in einem dritten Staat.

Ob die Weiterverweisung ebenfalls nur auf das materielle Recht oder auch auf das IPR des dritten Staates erfolgt, bestimmt sich nach der Rechtsordnung, die weiterverwiesen hat. Versteht diese die Weiterverweisung als Gesamtnormverweisung, finden auch die Kollisionsnormen des Drittstaates Anwendung. Führt dies wiederum ins deutsche Recht, wird die Verweisungskette abgebrochen (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB analog).

Beispiel: Knüpft das IPR des dritten Staates wiederum an die Staatsangehörigkeit des Erblassers an, findet das deutsche Erbrecht auch dann Anwendung, da andernfalls dieser Verweisungszirkel nie unterbrochen würde.

In EU-Verordnungen oder Staatsverträgen findet sich häufig eine Regelung darüber, ob es sich bei den Verweisungen um Gesamt- oder lediglich Sachnormverweisungen handelt (vgl. Art. 20 Rom-I-VO).

4. Vorfragen bei der Anwendung des materiellen Rechts

Steht fest, aus welchem materiellen Recht sich ein Anspruch ergeben muss, wird sich im Rahmen der Anwendung eine Vielzahl sog. Vorfragen in Bezug auf die Tatbestandsvoraussetzungen des materiellen Rechts stellen.

So setzen beispielsweise die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften voraus, dass überhaupt ein Kaufvertrag geschlossen wurde. Stellen sich dabei Vertretungs- oder Formfragen, muss zunächst wieder das auf diese Vorfragen anzuwendende Recht ermittelt werden. Dabei kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: eine unselbstständige Anknüpfung nach dem IPR des auf die Hauptfrage anzuwendenden Rechts oder eine selbstständige Anknüpfung nach dem IPR der lex fori.

Vorfragen in EU-Verordnungen und Staatsverträgen werden grundsätzlich unselbstständig angeknüpft, soweit die Verordnung bzw. der Staatsvertrag entsprechende Regelungen erhält (vgl. zu Vertretung und Form Art. 10, 11 Rom-I-VO). Hiermit soll wiederum der internationale Entscheidungseinklang gewährleistet werden.

Ansonsten werden Vorfragen selbstständig angeknüpft. Das bedeutet, dass zunächst wieder die einschlägige Kollisionsnorm gesucht und deren Anknüpfungsmoment angewendet werden muss (vgl. zu Vertretung und Form Art. 8 und 11 EGBGB).

5. Überprüfung der Rechtsfolge (ordre public)

Ist ausländisches Recht anzuwenden, muss abschließend geprüft werden, ob das rechtliche Ergebnis zu einem Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung (ordre public) führen würde, also mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist (Art. 6 EGBGB). Ist dies der Fall, findet die ausländische Norm keine Anwendung, wenn das Ergebnis im konkreten Fall unerträglich ist und der Sachverhalt einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist. Eine durch die Nichtanwendung der ausländischen Norm entstehende Lücke muss durch das fremde Recht geschlossen werden; ist dies nicht möglich, wird deutsches Recht angewendet.

6. Zusammenfassung

Für die Bearbeitung von IPR-Fällen empfiehlt sich grundsätzlich der folgende Prüfungsaufbau:

1. Aus welcher Kollisionsnorm ergibt sich das anzuwendende Recht?

    a) In welches Rechtsgebiet fällt der geltend gemachte Anspruch?

    b) Welcher Anknüpfungsgegenstand ist für die Anwendung der Kollisionsnorm maßgebend?

2. Auf welche Rechtsordnung verweist der Anknüpfungsmoment der Kollisionsnorm?

3. Nimmt die berufene Rechtsordnung die Verweisung an oder kommt zur Rück- oder Weiterverweisung?

4. Nach welcher Rechtsordnung sind Vorfragen zu beantworten?

5. Muss das Ergebnis des ausländischen materiellen Rechts korrigiert werden?