Anwendungsbereich Verträge über digitale Produkte

Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB

Die §§ 327 ff. BGB sind mit Wirkung zum 01.01.2022 in Umsetzung der europäischen Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (DIRL)1 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen2 in das BGB eingefügt worden.3 Wer „digitale Produkte“, so der neue Begriff des Gesetzes, bereitstellt, unterliegt einem eigenen Leistungsstörungsregime.4

Die §§ 327 ff. BGB finden grundsätzlich nur auf solche Verbraucherverträge Anwendung, die ab dem 01.01.2022 geschlossen worden sind (Art. 24 II DIRL). Darüber hinaus gelten viele dieser Vorschriften aber auch für vorher abgeschlossene Verträge, bei denen die Bereitstellung der digitalen Produkte erst ab dem 01.01.2022 erfolgt (vgl. Art. 229 § 57 EGBGB).

Verortung der §§ 327 ff. BGB im Gesetz

Bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Regelung zu „Verträgen über digitale Produkte“ in den §§ 327 – 327s BGB muss man sich zunächst mit dem Standort dieser Bestimmungen im Gesetz befassen. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschieden, die Regelungen zu digitalen Produkten in das Allgemeine Vertragsrecht des BGB5 aufzunehmen und keinen neuen Vertragstyp, sondern typenübergreifende Bestimmungen zu schaffen.6 Sie gelten somit grundsätzlich für alle Arten des Vertriebs digitaler Produkte, also beispielsweise den Verkauf einer Musik-CD ebenso wie für Dienstleistungen zur Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten einschließlich Datei-Hosting und Textverarbeitung und auch mietähnliche Leistungen wie das Streaming von Filmen.7

Der Rechtsanwender muss Verträge über digitale Produkte stets einem Vertragstyp zuordnen oder, sofern dies im Einzelfall nicht gelingt, nach den Regeln über gemischt-typische bzw. atypische Verträge behandeln. Zu beachten ist, dass die §§ 327 ff. BGB insbesondere die Rechte des Verbrauchers bei Produktmängeln sowie einige sonstige Leistungsstörungen vor die Klammer gezogen und abweichend von einzelnen Vertragstypen regeln. Im Kauf-, Schenkungs-, Miet- und Werkvertragsrecht befinden sich Regelungen, die sicherstellen, dass sich die §§ 327 ff. BGB gegenüber den jeweiligen Normen aus dem Besonderen Schuldrecht durchsetzen: §§ 445c, 453, 475a; 516a; §§ 548a, 578b; 650 BGB.8

Grundfall

Die §§ 327 – 327s BGB sind nach der Grundnorm des § 327 I 1 BGB auf Verbraucherverträge anzuwenden, welche die Bereitstellung digitaler Produkte (digitale Inhalt oder Dienstleistungen) durch den Unternehmer gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben.

Es muss ein Verbrauchervertrag vorliegen, d. h. gemäß § 310 III BGB ein Vertrag zwischen einem Unternehmer (§ 14 BGB) und einem Verbraucher (§ 13 BGB). Ob überhaupt ein Vertrag vorliegt, richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Es kommt also auf das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens an, der anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln ist (§§ 133, 157 BGB).9

Der Verbrauchervertrag muss die Bereitstellung digitaler Produkte durch den Unternehmer gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben.10

Digitale Inhalte sind Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden (§ 327 II 1 BGB). Gemeint sind etwa zum Download bereitgestellte Software bzw. Audio- oder Videodateien.11 Maßgeblich ist nicht, welchen Inhalt die Daten haben, sondern dass diese in digitaler Form festgehalten sind.12 Der digitale Inhalt muss aber in digitaler Form sowohl erstellt als auch bereitgestellt werden. Das Erstellen in digitaler Form umfasst aber auch die nachträgliche Digitalisierung ursprünglich analoger Inhalte (Beispiel: eBook).

Digitale Dienstleistungen definiert § 327 II 2 BGB als Dienstleistungen, die dem Verbraucher die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen (Nr. 1) oder die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern13 der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstigen Interaktionen mit diesen Diensten ermöglichen (Nr. 2). Während die Nr. 1 auf eine alleinige Nutzung von Dienstleistungen durch den Verbraucher ausgerichtet ist, zielt die Nr. 2 auf die vielfältigen Formen gemeinsamer Nutzung digitaler Dienstleistungen durch mehrere Personen ab.14 Eine scharfe Trennung zwischen den beiden Tatbeständen des § 327 II 2 BGB kann im Einzelfall schwierig sein, ist aber im Hinblick auf die weitgehend15 übereinstimmenden Rechtsfolgen in aller Regel entbehrlich. Umfasst ist eine breite Palette verschiedener Dienstleistungen, beispielsweise Formen von „Software-as-a-Service“, die Bereitstellung von Cloud-Speicherplatz, Formen des Datei-Hosting, Videostreaming, Vergleichs-, Vermittlungs- oder Bewertungsplattformen und soziale Netzwerke (Facebook, Instagram, Tik-Tok, etc.). Eine Dienstleistung wird allerdings noch nicht dadurch zu einer digitalen, dass sich der Dienstleistungserbringer auch digitaler Methoden bedient; so umfasst der Begriff der digitalen Dienstleistungen z. B. nicht den Vertrag mit einem Rechtsanwalt, welcher einen Schriftsatz am Computer verfasst und per beA16 elektronisch bei Gericht einreicht.17

Die Voraussetzungen einer „Bereitstellung“ der digitalen Produkte i.S.v. § 327 I 1 BGB sind in § 327b III BGB für digitale Inhalte und in § 327b IV BGB für digitale Dienstleistungen genannt.

Die „Zahlung eines Preises“ als Gegenleistung des Verbrauchers umfasst nicht nur die Zahlung eines Geldbetrages, sondern auch analoge (z. B. Geschenkgutscheine, Rabatt- oder Treuepunkte) und digitale Darstellungen eines Wertes (§ 327 I 2 BGB; z. B. Bitcoin, E-Coupons).18 Statt oder neben der Zahlung eines Preises begründet gemäß § 327 III BGB ferner die Bereitstellung personenbezogener Daten19 durch den Verbraucher oder dessen Verpflichtung zu deren Bereitstellung die Anwendbarkeit der §§ 327 – 327s BGB, sofern die Voraussetzungen des § 312 Ia 2 BGB nicht vorliegen, d. h. sofern der Unternehmer die vom Verbraucher bereitgestellten personenbezogenen Daten nicht ausschließlich zu dem Zweck verarbeitet, seine Leistungspflicht oder an ihn gestellte rechtliche Anforderungen zu erfüllen. Es besteht also auch die Möglichkeit des „Bezahlens mit Daten“. Die „Bereitstellung“ setzt keine aktive Übermittlung voraus; erfasst sind auch Fälle, in denen der Unternehmer auf die Daten des Verbrauchers zugreift und der Verbraucher die Verarbeitung der Daten somit nur passiv duldet. Unerheblich ist es auch, ob die Daten vor oder bei Vertragsschluss oder erst zu einem späteren Zeitpunkt gesammelt und weiterverarbeitet werden.

§ 327 VI BGB nimmt eine Reihe von Verträgen vom Anwendungsbereich aus.

Sonderfälle

Über die Grundnorm des § 327 I 1 BGB hinaus ordnet das Gesetz die Anwendbarkeit der §§ 327 – 327s BGB auch für einige Sonderfälle an:

Nach § 327 IV BGB gilt dies für Verbraucherverträge über digitale Produkte, die nach den Spezifikationen des Verbrauchers entwickelt werden.

Beispiele: „Maßgeschneiderte“ Software und elektronische Dateien für den 3D-Druck von Waren.20

Mit Ausnahme der §§ 327b, 327c BGB sind die §§ 327 ff. BGB nach § 327 V BGB auch auf solche Verbraucherverträge anzuwenden, welche die Bereitstellung von körperlichen Datenträgern, die ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dienen, zum Gegenstand haben.

Beispiele: Film-DVDs, Musik-CDs. In diesen Fällen ist das Verbraucherinteresse im weitesten Sinne den digitalen Inhalt gerichtet und nicht auf den Datenträger als solchen.21

Nach § 327a I 1 BGB sind die §§ 327 ff. BGB weiterhin auf Verbraucherverträge anzuwenden, die in einem Vertrag zwischen denselben Vertragsparteien neben der Bereitstellung digitaler Produkte die Bereitstellung anderer Sachen oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben (Paketvertrag), allerdings gemäß § 327a I 2 BGB nur hinsichtlich derjenigen Bestandteile des Paketvertrags, welche die digitalen Produkte betreffen, soweit sich aus den gesetzlichen Vorschriften nichts anderes ergibt.22

Beispiel: Ein Verbraucher erwirbt in einem Vertrag sowohl eine Spielekonsole als auch verschiedene digitale Spiele.23

Nach § 327a II BGB erstreckt sich der Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB schließlich auf Verbraucherverträge über Sachen,24 die digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind, allerdings wiederum grundsätzlich beschränkt auf die Vertragsbestandteile, welche die digitalen Produkte betreffen.

Von diesem weiten Anwendungsbereich schließt § 327a III BGB aber Kaufverträge über Waren mit digitalen Elementen aus mit der Folge, dass für die Bereitstellung digitaler Produkte im Rahmen solcher Kaufverträge die Bestimmungen des Kaufrechts gelten.25 Charakteristisch für das Vorliegen von Waren mit digitalen Elementen sind drei Merkmale: Die digitalen Produkte (i) sind räumlich und/oder funktional mit der Ware verbunden, (ii) erforderlich, damit die Ware vertragsmäßig funktioniert, und (iii) werden im Rahmen desselben Vertrags bereitgestellt wie die Ware selbst, was allerdings nach § 327a III 2 BGB zu vermuten ist.26

Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der §§ 327 ff. BGB zu demjenigen des Kaufrechts siehe entsprechende Lerneinheit.


  1. Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen.
  2. BGBl. I 2021, S. 2123.
  3. Art. 4 DIRL ordnet eine Vollharmonisierung an, soweit in der Richtlinie nichts anderes bestimmt ist. Das nationale Recht darf demnach grundsätzlich weder zu Ungunsten noch zu Ungunsten des Verbrauchers von den Vorgaben der DIRL abweichen (Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, Vor § 327 Rn. 2).
  4. Brönneke/Föhlisch/Tonner, Das neue Schuldrecht, 1. Aufl. 2022, S. 5.
  5. Die §§ 327 – 327u BGB stehen als neuer Titel 2a im 3. Abschnitt des 2. Buches über „Schuldverhältnisse aus Verträgen“.
  6. Hier und zum Folgenden: Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2913 f.
  7. >Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, Vor § 327 Rn. 1.
  8. >Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, Vor § 327 Rn. 1.
  9. BT-Drucks. 19/27653, S. 40; Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2916.
  10. Der Begriff der „digitalen Produkte“ umfasst als Oberbegriff „digitale Inhalte“ und „digitale Dienstleistungen“ (Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327 Rn. 6; Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2914).
  11. Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2914.
  12. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327 Rn. 7.
  13. Die anderen Nutzer können ebenfalls Verbraucher sein, müssen es aber nicht (Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327 Rn. 8).
  14. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327 Rn. 8.
  15. Eine kleine Abweichung besteht bei § 327b III und IV BGB (Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2914, Fn. 7).
  16. Die nicht nur passive, sondern auch aktive Nutzung des elektronischen Anwaltspostfachs ist seit dem 01.01.2022 in nahezu allen Verfahrensordnungen verpflichtend vorgeschrieben (vgl. beispielhaft § 130d ZPO).
  17. Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2914.
  18. Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327 Rn. 11; Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2915.
  19. Der Begriff der „personenbezogenen Daten“ ist ebenso zu verstehen wie in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO, also als alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen (Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2915).
  20. Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327 Rn. 20.
  21. Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327 Rn. 21.
  22. Auswirkungen auf die anderen Vertragsbestandteile sehen bei der Vertragsbeendigung durch den Verbraucher § 327c VI i.V.m. § 327m IV BGB vor (Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327a Rn. 4).
  23. Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2914.
  24. Zu möglichen Auswirkungen der zweifelhaften Verwendung des Begriffs „Sachen“ statt „Produkte“ siehe Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2914.
  25. Es gelten dann insbesondere die §§ 475b ff., 477 II BGB (Hk-BGB/Schulze, 11. Aufl. 2022, § 327a Rn. 5).
  26. Wendehorst, NJW 2021, 2913, 2914.