Anfechtung der Vollmacht

Anfechtung der Vollmacht

Die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht definiert das Gesetz als Vollmacht (§ 166 II 1 BGB). Die Erteilung der Vollmacht erfolgt durch Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden oder dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll (§ 167 I BGB). Die Bevollmächtigung erfolgt also durch Abgabe einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung des Vollmachtgebers gegenüber dem Vertreter (Innenvollmacht) oder gegenüber dem Dritten (Außenvollmacht). Demnach wird die Bevollmächtigung gemäß § 130 I 1 BGB mit ihrem Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam. Hat sich der Vollmachtgeber bei der Vollmachtserteilung geirrt, kommt eine Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB in Betracht.

Anfechtung vor Vornahme des Vertretergeschäfts

Eine Anfechtung der Bevollmächtigung wegen Willensmängeln nach §§ 119 ff. BGB ist vor Vornahme des Vertretergeschäfts unproblematisch zulässig, jedoch regelmäßig unnötig, weil nach § 168 S. 2 BGB grundsätzlich die Möglichkeit besteht, die Vollmachtserklärung zu widerrufen.1 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Vollmacht unwiderruflich erteilt wurde.

Anfechtung nach Vornahme des Vertretergeschäfts

Ob eine Anfechtung der Vollmacht auch noch nach deren Gebrauch möglich ist, ist umstritten.2 Hintergrund des Streits ist der Umstand, dass die Anfechtung die Vollmacht rückwirkend beseitigt (§ 142 I BGB) und der Vertreter deshalb so zu behandeln ist, als wäre er niemals bevollmächtigt gewesen; er wird zum Vertreter ohne Vertretungsmacht (§ 179 BGB). Die Rechtslage stellt sich dann bei konsequenter Gesetzesanwendung wie folgt dar:

Wurde eine Innenvollmacht angefochten, haftet der Vertreter dem Dritten nach § 179 BGB. Der Vertreter kann den Vertretenen, wenn dieser die Vollmachtserteilung gemäß §§ 119, 120 BGB angefochten hat, nach § 122 I BGB in Regress nehmen.

Auch bei der Außenvollmacht haftet der Vertreter dem Dritten gegenüber nach § 179 I BGB. Da die Außenvollmacht gegenüber dem Geschäftspartner anzufechten ist (§ 143 III 1 BGB), ist der Vertreter jedoch nicht nach § 122 I BGB regressberechtigt. Allerdings kann der Vertreter den Vertretenen nach § 426 BGB in Anspruch nehmen, weil der Vertretene dem Dritten aus § 122 I BGB haftet und Vertretener und Vertreter daher als Gesamtschuldner haften.3

Bei der Liquidierung seines Schadens trägt der Dritte mithin – zumindest in Fällen der Innenvollmacht – das Insolvenzrisiko des Vertreters, obwohl der Grund für den Untergang des Vertretergeschäfts aus der Sphäre des die Vollmacht anfechtenden Vollmachtgebers stammt. Diese Verteilung der Insolvenzrisiken wird überwiegend als unsachgemäß empfunden.4

Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Anfechtung einer bereits ausgeübten Vollmacht sei deshalb per se ausgeschlossen; nach § 166 I BGB könnten ausschließlich Irrtümer des Vertreters zur Anfechtung des Vertretergeschäfts berechtigen.5 Dies überzeugt jedoch nicht, weil sich § 166 I BGB nur mit das Vertretergeschäft betreffenden Willensmängeln befasst und sich zu Willensmängeln, die die Vollmachtserteilung selbst betreffen, nicht verhält.6

Eine andere Auffassung7 gesteht dem Dritten bei der Anfechtung einer Innenvollmacht einen Schadensersatzanspruch gemäß § 122 I BGB analog zu. Anfechtungsgegner sei zwar nach § 143 III 1 BGB der Vertreter, weil diesem gegenüber die Vollmacht erteilt wurde; da der Grund für den Anspruchsverlust jedoch aus der Sphäre des Vertretenen stamme, sei eine Analogie zu § 122 I BGB gerechtfertigt. Bei der Außenvollmacht ergebe sich der Anspruch unmittelbar aus § 122 I BGB, da der Dritte gemäß § 143 III 1 BGB Anfechtungsgegner sei; dieser Anspruch trete neben denjenigen aus § 179 I BGB. Warum der Dritte allerdings zwei Schuldner haben soll, ist nicht einsichtig.8

Nach einer dritten Auffassung soll auch eine Innenvollmacht analog § 143 II BGB gegenüber dem Dritten anzufechten sein mit der Folge, dass der Dritte seinen Schaden gemäß § 122 I BGB unmittelbar beim Vollmachtgeber liquidieren kann. Anfechtungsgegner sei stets der Dritte,9 der seinen Schaden dann auch stets gegenüber dem Vollmachtgeber gemäß § 122 I BGB liquidieren könne. Der Anspruch aus § 179 I BGB sei hingegen – sowohl bei der Innen - als auch bei der Außenvollmacht – ausgeschlossen.10

Die letztgenannte Auffassung verdient Zustimmung, weil sie zu einem interessengerechten Ergebnis führt, in dem sie dem Dritten das Insolvenzrisiko des Vollmachtgebers und damit des ausgesuchten Vertragspartners tragen lässt. Sie trägt zudem dem Umstand Rechnung, dass es dem Vollmachtgeber bei der Anfechtung der Vollmacht der Sache nach um die Vernichtung des Vertretergeschäfts geht.


  1. Hk-BGB/Dörner, 11. Aufl. 2022, § 167 Rn. 2.
  2. Zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 118 – 127.
  3. Verneint man eine Gesamtschuld, kann sich der Anspruch des Vertreters gegen den Vertretenen aus § 255 BGB analog ergeben (Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, S. 153, Fn. 662).
  4. Statt vieler: Erman/Maier-Reimer, BGB, 16. Aufl. 2020, § 167 Rn. 46.
  5. Brox/Walker, BGB AT, 46. Aufl. 2022, Rn. 574.
  6. Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 124.
  7. MünchKomm-BGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, § 167 Rn. 48 ff.
  8. Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 125.
  9. Hk-BGB/Dörner, 11. Aufl. 2022, § 167 Rn. 4.
  10. Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 127.